MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

APOLOGIA

 

Apologia quaedam, in qua de medicina, astrologia, vita mundi; item de Magis, qui Christum statim natum salutaverunt. Eine Art Apologie, in der von Medizin, Astrologie, Leben der Welt und ebenso von den Magiern gesprochen wird, die den neugeborenen Christus begrüßten.
1 Marsilius Ficinus Florentinus dilectissimis suis in veritatis studio fratribus, tribus Petris, Nero, Guicciardino, Soderino, ter quaterque salutem. 
2 Rectius modo Tripetro quam tribus Petris fortasse dixissem. 3 Sicut enim ubi palma est una, non faciunt plures in ea digiti manus ibi plures, sic vestra, amici, corpora tria nihil prohibere videntur, quominus unum efficiat Petrum una voluntas. 
4 Faber ille coelestis patriae Christus tam ingentem procreavit petram, ut immenso huic aedificio Ecclesiae suae una haec petra fundando sufficeret. 5 Ego quoque tam grandes nactus sum divina quadam sorte petras, ut tres nunc meo vel arduo satis aedificio faciant. 
6 Nunc vobis, amici, nunc, si nescitis, arx illa Palladis necessaria fore videtur, qua procul a nobis saevum impiorum gigantum impetum arceamus. 7 Quamobrem vestra primum arce tribus constructa Petris trium liberorum meorum vitam vitae publicae succurrentium munire decrevi. 
1 Marsilius Ficinus aus Florenz grüßt drei- und viermal seine vielgeliebten Brüder bei der Suche nach Wahrheit, die drei Peter: Nero, Guicciardino und Soderino. 
2 Besser hätte ich eben von meinem Dreipeter als von meinen drei Petern gesprochen. 3 Denn so wie eine Hand eine Einheit ist und mehrere Finger dort bei ihr keine Mehrzahl bewirken, so scheinen eure drei Körper nicht daran zu hindern, dass ein einziger Wille den einen Peter ausmacht. 
4 Christus, jener Baumeister der himmlischen Heimat, hat einen so gewaltigen Felsen geschaffen, damit zur Grundlegung dieses riesigen Gebäudes seiner Kirche dieser eine Fels genügte. 5 Auch ich habe durch gewisse göttliche Fügung so großartige Felsen erhalten, dass drei jetzt für mein wohl in steiler Höhe gelegenes Gebäude ausreichen. 
6 Jetzt scheint für euch, Freunde, jetzt, falls ihr es nicht wisst, jene Burg der Pallas notwendig zu sein, um mit ihr den wilden Ansturm ruchloser Giganten von uns abzuhalten. 7 Deshalb habe ich beschlossen, zunächst mit eurer Burg, errichtet auf den drei Petern, das Leben meiner drei Kinder, die dem Leben der Menschheit zu Hilfe kommen sollen, zu schützen.
8 Scitis (ut arbitror) me De vita librum composuisse, in libellos tres divisum. 9 Quorum primus De vita sana, secundus De vita longa, tertius De vita coelitus comparanda inscribetur. 
10 Igitur esca tituli tam suavis quam plurimos alliciet ad gustandum, sed in numero tanto ignorantes plerique futuri sunt (ut arbitror), maligni quoque non pauci. 
8 Ihr wisst, glaube ich, dass ich ein Buch "Über das Leben" verfasst habe, in drei Teilbücher eingeteilt. 9 Deren erstes heißt "Über das gesunde Leben", das zweite "Über das lange Leben", das dritte "Über den Lebenserwerb vom Himmel her". 
10 Also wird der Köder des Titels sehr viele zum Kosten verlocken, aber in einer so großen Zahl werden, wie ich glaube, auch sehr viele Ignoranten sein, auch nicht wenige Böswillige.
10 Alius ergo dicet: 11 Nonne Marsilius est sacerdos? 12 Est profecto. 13 Quid igitur sacerdotibus cum medicina? 14 Quid rursum cum astrologia commercii? 
15 Alius item: 16 Quid Christiano cum magia vel imaginibus? 
17 Alius autem et quidem indignus vita vitam invidebit coelo. 
10 Einer wird also sagen: 11 Ist der Marsilius denn kein Priester? 12 Das ist er tatsächlich. 13 Was haben also Priester mit Medizin zu tun? 14 Welchen Handel treibt er mit der Astrologie?
15 Ein zweiter ebenso: 16 Was hat ein Christ mit Magie oder Amuletten zu tun?
17 Ein anderer, und zwar einer, der sein Leben nicht verdient, neidet dem Himmel das Leben.
18 Cuncti denique sic affecti beneficio in eos nostro ingrati nimis erunt, atque adversus caritatem nostram, qua vitae prosperitatique publicae pro ingenii facultate consulimus, non pudebit esse crudeles. 
19 Communis igitur erit vobis iste labor, sed ut quodammodo levior sit, tres enim estis adversum tres hostes, distributum subite certamen. 20 Nec invectiva (novi enim ingenium vestrum) confutabitis invectivam, sed alieni fellis amaritudinem (quae vestra suavitas est mirifica) vestri mellis dulcedine superabitis. 
18 Obwohl alle von unserer Wohltat ihnen gegenüber so betroffen sind, werden sie schließlich allzu undankbar sein, und sie werden sich nicht schämen, grausam gegen unsere Liebe zu sein, mit der wir fürs allgemeine Leben und Glück entsprechend unserem geistigen Vermögen sorgen. 
19 Es wird also eure gemeinsame Mühe sein, aber damit sie ein wenig leichter ist, seid ihr nämlich drei gegen drei Feinde; teilt euch den bevorstehenden Kampf auf! 20 Nicht mit einer Invektive - ich kenne nämlich eure Begabung - werdet ihr die Invektive widerlegen, sondern ihr werdet die Bitterkeit einer fremden Galle - wie wunderbar ist doch eure Lieblichkeit! - mit der Süßheit eures Honigs besiegen.
21 Principio, candidissime Nere, respondeto primis antiquissimos quondam sacerdotes fuisse medicos pariter et astronomos. 
22 Quod sane Chaldaeorum, Persarum, Aegyptiorum testificantur historiae. 23 Ad nullum praeterea magis quam ad pium sacerdotem pertinere singularis caritatis officia, quae quidem in maximo omnium beneficio quam maxime lucent. 24 Officium vero praestantissimum est proculdubio, quod et maxime necessarium et imprimis ab omnibus exoptatum, efficere videlicet, ut hominibus sit mens sana in corpore sano
25 Id autem ita demum praestare possumus, si coniungimus sacerdotio medicinam. 
26 At quoniam medicina sine favore coelesti, quod et Hippocrates Galienusque confitentur et nos experti sumus, saepius est inanis, saepe etiam noxia, nimirum ad eandem sacerdotis caritatem astronomia pertinet, ad quam attinere diximus medicinam. 
27 Eiusmodi (ut arbitror) medicum honorari Sacrae Litterae iubent, quoniam propter necessitatem hunc Altissimus procreaverit. 
28 Et Christus ipse, vitae largitor, qui discipulis mandavit languentes toto orbe curare, sacerdotibus quoque praecipiet, si minus verbis, ut illi quondam, mederi possint, saltem herbis et lapidibus medeantur. 29 Quae si minus ipsa sufficiant, opportuno quodam afflatu coeli conflare haec et aegrotis admovere iubebit. 
30 Nam et ipse eodem afflatu coeli animalia passim ad suam quaeque concitat medicinam, usque adeo vitae omnium abundantissime providet. 31 Sic instinctu coelesti divinitus instigante serpentes quidem marathro, hirundines autem chelidonia oculis medicantur; 32 aquilae vexatae partu aetitem lapidem divinitus invenerunt, quo feliciter ova statim eniterentur. 
33 Itaque Deus ipse, qui per coelum animalia quaevis ad medicinas instigat, sacerdotes certe permittit, non mercede, inquam, sed caritate, medicinis coelitus confirmatis morbos expellere. 
34 His vero tu deinceps plura etiam, si expedierit, ingenii tui aculeis addes. 
21 Erstens, mein ganz weißer Nero, sollst du den ersten Kritikern antworten, dass einst die ganz alten Priester zugleich Ärzte und Astronomen waren. 
22 Das bezeugen freilich die geschichtlichen Quellen der Chaldäer, Perser und Ägypter. 23 Sage außerdem, dass zu keinem mehr als zu einem frommen Priester die Pflichten der einzigartigen Liebe gehören, die bei der allergrößten Wohltat am meisten erstrahlen. 24 Die vorzüglichste Pflicht, die äußerst notwendig und von allen besonders erwünscht ist, besteht aber zweifelsohne darin, zu bewirken, dass die Menschen "einen gesunden Geist in einem gesunden Körper" haben. 
25 Diese können wir aber erst dann erfüllen, wenn wir die Heilkunst mit dem Priesteramt verbinden. 
26 Da aber Medizin ohne himmlische Gunst, was Hippokrates und Galen bekennen und wir andererseits erfahren haben, öfters unwirksam, oft auch schädlich ist, gehört zweifellos zur selben priesterlichen Liebe die Astronomie, zu der nach unseren Worten die Medizin gehört. 
27 Die Heiligen Schriften befehlen, einen solchen Arzt - wie ich glaube - zu ehren, da ja aus Notwendigkeit der Allerhöchste diesen hervorgebracht hat. 
28 Und Christus selbst, der Spender des Lebens, der seinen Jüngern aufgetragen hat, die Schlaffen auf dem ganzen Erdkreis zu heilen, wird auch den Priestern auftragen, wenigstens mit Kräutern und Steinen zu heilen, wenn sie schon nicht mit Worten, wie jene einst, heilen können. 29 Wenn diese ihrerseits zu wenig ausreichen, dann wird er den Auftrag geben, mit einem gewissen zeitrichtigen Anwehen des Himmels diese Dinge herzustellen und an die Kranken hinzubringen. 
30 Denn er selbst treibt mit demselben Anwehen des Himmels überall jedes einzelne Tier zu seiner Medizin, so sehr sorgt er überreichlich für das Leben aller. 31 Da der himmlische, von Gott gegebene Trieb sie anstachelt, heilen so die Schlangen mit Fenchel, die Schwalben aber mit Schwalbenkraut ihre Augen; 32 die mit ihrer Geburt geplagten Adler haben durch göttliche Hilfe den Adlerstein gefunden, mit dem sie erfolgreich sofort ihre Eier legen. 
33 Deshalb lässt gerade Gott, der mittels des Himmels jedes beliebige Tier zu Arzneien anstachelt, sicherlich zu, dass Priester - nicht gegen Bezahlung, sage ich, sondern - aus Liebe mit Arzneien, die vom Himmel bestätigt sind, Krankheiten vertreiben. 
34 Diesen zündenden Argumenten aber wirst du, wenn es dienlich ist, noch weitere deiner genialen Begabung hinzufügen.
35 Surge post haec et tu, Guicciardine vehemens, atque curiosis ingeniis respondeto magiam vel imagines non probari quidem a Marsilio, sed narrari, Plotinum ipsum interpretante. 36 Quod et scripta plane declarant, si aequa mente legantur. 
37 Neque de magia hic prophana, quae cultu daemonum nititur, verbum quidem ullum asseverari, sed de magia naturali, quae rebus naturalibus ad prosperam corporum valetudinem coelestium beneficia captat, effici mentionem. 
38 Quae sane facultas tam concedenda videtur ingeniis legitime utentibus, quam medicina et agricultura iure conceditur; 39 tantoque etiam magis, quanto perfectior est industria, terrenis coelestia copulans. 
35 Erhebe dich danach auch du, mein stürmischer Guicciardinus, und antworte den naseweisen Genialen, dass Marsilius die Magie oder die Amulette nicht billigt, sondern sie nur referiert, da er eben Plotin übersetzt. 36 Das zeigen auch die Texte deutlich, wenn man sie unvoreingenommen liest. 
37 Und sage, dass hier nicht über die gottlose Magie, die sich auf Dämonenkult stützt, ernsthaft gesprochen wird, sondern dass die natürliche Magie, die mit natürlichen Dingen Wohltaten des Himmels zur guten Gesundheit der Körper erhaschen will, zur Debatte steht. 
38 Diese Fähigkeit muss man offensichtlich den begabten Leuten, die sie rechtmäßig verwenden, ebenso zugestehen, wie man Medizin und Landwirtschaft zu Recht erlaubt; 39 und sogar desto mehr, je vollkommener der Fleiß ist, der Irdisches mit Himmlischem vereinigt.
40 Ex hac officina Magi omnium primi Christum statim natum adoraverunt. 41 Quid igitur expavescis Magi nomen formidolose? 42 Nomen evangelio gratiosum, quod non maleficum et veneficum, sed sapientem sonat et sacerdotem. 43 Quidnam profitetur Magus ille, venerator Christi primus? 
44 Si cupis audire, quasi quidam agricola est, certe quidam mundicola est. 45 Nec propterea mundum hic adorat, quemadmodum nec agricola terram, sed sicut agricola humani victus gratia ad aerem temperat agrum, sic ille sapiens, ille sacerdos gratia salutis humanae inferiora mundi ad superiora contemperat; 46 atque sicut ova gallinae, sic opportune terrena subicit fovenda coelo. 
47 Quod efficit semper ipse Deus et faciendo docet suadetque facere, ut a superis infima generentur et moveantur atque regantur. 
40 Aus dieser Werkstatt haben Magier als allererste den neugeborenen Christus sofort begrüßt. 41 Warum entsetzt du dich also in solchem Grausen vor dem Wort "Magier"? 42 Das Evangelium mag das Wort, weil es nicht nach "Zauberer" oder "Giftmischer", sondern nach "Weisem" und "Priester" klingt. 43 Denn was bekennt jener Magier, der erste Verehrer Christi? 
44 Wenn du es hören willst: wie jemand ein Acker-Bauer ist, ist sicherlich eine anderer ein Welt-Bauer. 45 Weder betet dieser deswegen die Welt an, wie auch der Bauer nicht den Erdboden anbetet, sondern so, wie ein Landwirt des menschlichen Lebensunterhalts wegen sein Land dem Klima anpasst, so passt jener Weise, jener Priester des menschlichen Heils wegen das Untere im Kosmos dem Oberen ebenfalls an; 46 und so wie einer Henne ihre Eier, so legt er zeitrichtig das Irdische zum Hegen unter den Himmel.
47 Das macht Gott auch selbst ständig und durch sein Tun lehrt er uns und rät uns, es zu tun, dass von oben das Unterste gezeugt, bewegt und gelenkt wird.
48 Denique duo sunt magiae genera
49 Unum quidem eorum, qui certo quodam cultu daemonas sibi conciliant, quorum opera freti fabricant saepe portenta. 50 Hoc autem penitus explosum est, quando princeps huius mundi eiectus est foras. 
51 Alterum vero eorum, qui naturales materias opportune causis subiciunt naturalibus mira quadam ratione formandas. 
52 Huius quoque artificii species duae sunt: 53 altera quidem curiosa, altera necessaria. 
54 Illa sane ad ostentationem supervacua fingit prodigia, ceu quando Persarum Magi ex salvia sub fimo putrefacta, dum Sol et Luna secundam Leonis faciem occuparent eundemque gradum ibi tenerent, generabant avem merulae similem serpentina cauda eamque redactam in cinerem infundebant lampadi, unde domus statim plena serpentibus videbatur. 55 Hoc autem tanquam vanum et saluti noxium procul effugiendum. 
56 Tenenda tamen species necessaria cum astrologia copulans medicinam. 
57 Si quis autem pertinax ulterius instet, morem huic ita gerito, Guicciardine, ut ne legat haec nostra, nec intelligat, nec meminerit, nec utatur homo, si homo est tanto beneficio prorsus indignus. 

58 Multa sunt praeterea, quae tu adversus ingratam ignorantiam in medium afferre tuo ingenio poteris. 
48 Schließlich gibt es zwei Arten von Magie.
49 Die eine Art verfolgen die, die mit einem bestimmten Kult sich die Dämonen gewinnen wollen und die im Vertrauen auf deren Hilfe oft Wunderliches herstellen. 50 Das ist aber völlig ausgepfiffen worden, da der Fürst dieser Welt nach draußen gejagt worden ist.
51 Die andere aber verfolgen die, die natürliche Stoffe zeitrichtig natürlichen Gründen unterwerfen, um die Stoffe auf wunderbare Weise zu formen.
52 Auch von dieser Kunst gibt es zwei Erscheinungsformen: 53 die eine ist Sache der Neugier, die andere der Notwendigkeit.
54 Jene bildet freilich nur zur Schau überflüssige Wunder, wie einst Magier der Perser aus unter Mist verfaulendem Salbei einen amselähnlichen Vogel mit Schlangenschwanz erzeugten, während Sol und Luna den zweiten Dekan im Leo besetzten und dort auf demselben Grad standen, und eingeäschert gossen sie ihn in eine Lampe, wodurch das Haus sofort voller Schlangen zu sein schien. 55 Das aber muss man als unsinnig und dem Seelenheil schädlich weit von sich weisen.
56 Jedoch muss man an der notwendigen Form von Magie, die die Medizin mit der Astrologie verknüpft, festhalten. 
57 Wenn aber jemand stur gegen beide Formen ankämpft, dann tu ihm den Gefallen, Guicciardinus, damit er unsere Sachen weder liest noch versteht noch sich daran erinnert, sie aber auch nicht als ein Mensch benutzt, wenn ein Mensch gegenüber einer solchen Wohltat völlig unwürdig sein kann.
58 Es gibt außerdem noch vieles, was du gegen unsympathische Ignoranz mit deiner Begabung vorbringen kannst.
59 Quidnam agis et tu, strenue Soderine noster? 60 Tolerabisne superstitiosos caecosque nescio quos futuros, qui vitam in animalibus vel abiectissimis herbisque vilissimis manifestam vident, in coelo, in mundo non vident? 
61 Iam vero si homunciones isti vitam minimis concedunt mundi particulis, quae tandem dementia est, quae invidia, nec nosse, nec velle totum vivere, in quo vivimus et movemur et sumus? 
62 Quod quidem canit Aratus, Iovem manifeste significans communem corporis mundani vitam. 63 Peropportune nunc in haec Arati verba nescio quomodo videor incidisse. 64 Memini Lucam evangelistam, memini Paulum apostolum his verbis libenter uti, in quibus mundi vitam sapientes illi non horrent. 65 At vero superstitiosus quidam his obiciet non facile convinci ex verbis eiusmodi, Paulum assentiri mundum habere animam, sed tantum subesse Deo ac nos in hoc ipso Deo vivere. 66 Esto igitur. 
59 Was wirst du denn tun, lieber, fleißiger Soderinus? 60 Wirst du es ertragen, dass es irgendwelche Irrgläubige und Blinde gibt, die zwar in den unbedeutendsten Tieren und wertlosesten Pflanzen deutliches Leben sehen, im Himmel, im Kosmos es aber nicht wahrnehmen? 
61 Wenn aber diese schwachen Erdenkinder da den kleinsten Teilchen des Kosmos Leben zubilligen, was ist es dann für ein Wahnsinn, was für eine Missgunst, nicht zu wissen, es auch nicht zu wollen, dass das Ganze lebt, in dem wir leben, uns bewegen und existieren? 
62 Davon singt Arat, indem er Jupiter deutlich als allgemeines Leben des Weltkörpers anspricht. 63 Hochwillkommen scheine ich jetzt irgendwie auf diese Worte Arats gestoßen zu sein. 64 Ich erinnere mich, dass der Evangelist Lukas, dass der Apostel Paulus gerne diese Worte gebrauchen, in denen diese Weisen sich nicht vor "Leben der Welt" entsetzten. 65 Aber ein Irrgläubiger wird doch diesen entgegenhalten, aus derartigen Formulierungen lasse sich nur schwer beweisen, dass Paulus zustimme, dass die Welt eine Seele habe, es lasse sich aber nur beweisen, dass sie Gott unterworfen sei und wir in genau diesem Gott lebten. 66 Sei's drum! 
67 Ne nominemus in mundo, quando non placet, animam. 68 Nomen anima sit prophanum. 69 Licebitne saltem vitam qualemcunque dicere? 70 Quam Deus ipse, mundi faber, huic operi suo tam feliciter absoluto clementer inspiret, quandoquidem erga vilissima quaeque viventia non est avarus, et quotidie per coelum quam plurimis, quae sunt in eo, largissime praestat vitam. 
71 Dic, amabo, nonne vides boves et asinos, o bos, o asine, qui tactu quodam ex se viventia generant, esse vivos? 72 Si ergo haec praeterea ex se viva quaedam aspectu etiam generarent, an non multo magis haec vivere iudicares, si quod modo ipse iudicium, si quam vitam habes? 
73 Coelum, terrae maritus, non tangit (ut communis est opinio) terram. 74 Cum uxore non coit, sed solis siderum suorum quasi oculorum radiis undique lustrat uxorem; 75 lustrando fecundat procreatque viventia. 76 Num ergo vitam vel intuendo largiens ipsum in se propriam nullam habet vitam? 77 Et quod dedit avi strutho vitam aspectumque vivificum, longe est hoc ipso deterius? 
78 His tandem adductis in medium, nisi persuaseris superstitiosum istum, mittito semivivum, immo vero non vivum. 
67 Wir wollen, wenn's nicht gefällt, in der Welt nicht von "Seele" sprechen. 68 Das Wort "Seele" sei gottlos. 69 Darf man wenigstens von irgendeiner Art "Leben" sprechen? 70 Das hauche angeblich Gott selbst, der Baumeister der Welt, diesem seinem Werk, das so glücklich vollendet worden ist, gnädig ein, da er ja gegenüber den wertlosesten Lebewesen nicht geizig ist, da er täglich durch den Himmel möglichst vielen, die in ihm sind, reichlichst Leben gewährt. 
71 Sag, bitte, du Rindvieh, du Esel, siehst du nicht, dass Rindviecher und Esel, die durch eine gewisse Berührung aus sich heraus Lebendiges zeugen, lebendig sind? 72 Wenn also dieses außerdem aus sich gewisse lebendige Wesen auch durch den Anblick erzeugen würde, würdest du nicht noch viel mehr urteilen, dass dies lebe, wenn du nur selbst irgendeine Urteilsfähigkeit, wenn du nur irgendein Leben hast? 
73 Der Himmel, der Gatte der Erde, berührt - so lautet die normale Meinung - die Erde nicht. 74 Er hat mit seiner Frau keinen Geschlechtsverkehr, sondern nur mit den Strahlen seiner Sterne als gleichsam denen seiner Augen bescheint er überall seine Frau; 75 durch Bescheinen befruchtet er und bringt Lebendiges hervor. 76 Hat also genau das, was das Leben wohl durch Anschauen reichlich spendet, in sich kein eigenes Leben? 77 Und das, was dem Spatzenvogel Leben und lebendiges Aussehen gab, ist weit schlechter als dieser selbst? 
78 Wenn du das schließlich vorbringst und diesen Irrgläubigen da nicht überzeugst, dann schicke ihn halblebig, nein eigentlich: nicht lebendig fort.
79 Proinde ut pluribus causam nostram patronis agamus, addito, Petre mi Nere, Amphionem illum nostrum, Landinum Christophorum, oratorem pariter et poetam. 80 Ille noster Amphion suavitate mira celeriter lapidea hostium nostrorum corda demolliet.  79 Damit wir dann mit noch mehr Anwälten unseren Prozess führen, nimm, mein lieber Petrus Nerus, als unseren Amphion jenen Christophorus Landinus hinzu, den Redner und zugleich Dichter. 80 Dieser unser Amphion wird mit wunderbarer Lieblichkeit schnell die steinernen Herzen unserer Feinde erweichen.
81 Tu vero, Guicciardine, carissime compater, ito nunc, ito alacer, Politianum Herculem accersito. 82 Hercules quondam, ubi periculosius certandum foret, vocitabat Iolaum. 83 Tu nunc similiter Herculem. 84 Nosti profecto, quot barbara monstra Latium iam devastantia Politianus Hercules invaserit, laceraverit, interemerit; 85 quam acriter expugnet passim, quam tuto propugnet. 86 Hic ergo vel centum hydrae capita nostris liberis minitantia statim contundet clava, flammisque comburet.  81 Aber du, Guicciardinus, liebster Gevatter, geh jetzt, geh schnell und hole Politianus als Herkules herbei! 83 Herkules rief einst, wenn er mit größerer Gefahr kämpfen musste, immer wieder "Iolaus". 83 Ruf du jetzt in gleicher Weise: "Herkules"! 84 Du weißt ja wirklich, wie viele barbarische Ungetüme, die Latium schon verwüsten wollten, Politianus als Herkules angegriffen, zerfleischt und umgebracht hat; 85 wie heftig er überall erobert, wie sicher er verteidigt. 86 Dieser also wird wohl hundert Köpfe der Hydra, die unsere Kinder bedrohen, mit seiner Keule zerstoßen, mit seinen Flammen verbrennen.
87 Eia, mi dulcissime Soderine, surge age, Picum salutato Phoebeum. 88 Hunc ego saepe Phoebum appello meum, ille me Dionysium vicissim atque Liberum. 89 Fratres ergo sumus. 
90 Nuntia Phoebo meo venenosum contra nos pythonem ex palude iamiam emergentem. 91 Tendat arcum obsecra, precor; 92 confestim spicula iaculetur. 93 Intendet ille protinus, scio, quid loquar, venenumque totum semel una nece necabit. 
87 Auf, mein süßester Soderinus, komm, steh auf und begrüße Picus, den Phöbusgleichen! 88 Diesen nenne ich oft meinen Phöbus, jener wiederum mich seinen Dionysos und Liber. 89 Brüder sind wir also. 
90 Melde meinem Phöbus, dass die giftige Pythonschlange gegen uns mehr und mehr aus dem Sumpf auftaucht. 91 Bitte, beschwöre ihn, er soll seinen Bogen spannen! 92 Sofort soll der Pfeil geschossen werden! 93 Jener wird - ich weiß
, was ich sage -  sofort anlegen, und das ganze Gift wird er einmal mit einem Schlag töten. 
95 Valete iam feliciter, amatissimi fratres mei, non valetudine tantum felici, sed ipsa etiam felicitate digni; 96 liberorumque meorum in lucem iam prodeuntium valetudinem felicitatemque curate.  95 Lebt nun wohl und seid glücklich, meine geliebtesten Brüder, würdig nicht nur einer glücklichen Gesundheit, sondern des Glückes selbst; 96 sorgt für Gesundheit und Glück meiner Kinder, die schon ans Licht drängen.
XV Septembris, MCCCCLXXXVIIII. In agro Caregio 15. September 1489, im Gebiet von Careggi.

 

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