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ZUM NAMEN "CARION"

"CARION" nannte sich der Mann, der am 22. März 1499 in Bietigheim geboren wurde und danach erst "Johannes Negelin" (bzw. "Nägelin" od. "Nägele") hieß. 

Nach Stefan Benning (Benning, S. 193) ist seine Geburt in den Bietigheimer Quellen nicht belegt. In seiner "Practica" fürs Jahr 1519 nennt er sich noch "Joanis Naegelin von Buetighaim" (Benning, S. 195), in seiner "Prognosticatio vnd erklerung der grossen wesserung" von 1521 nennt er sich "Johannes Carion von Buetikaym". Was hat es mit diesem Namen auf sich?

In den neueren biographischen Skizzen wird der Zusammenhang so erklärt: "Johannes Carion leitete seinen Wahlnamen vom griechischen Wort für Gewürznelke, Caryophyllon, her." (Benning, S. 195) 
Sinngemäß ebenso Almut Fricke-Hilgers (S. 277); Andrea Liebers führt weiter aus: "Carion ist die Ableitung von Dianthus Cariophyllon, was der botanische Name von Gewürznelke ist." (Liebers, S. 303), womit sie einfach Reisinger (S. 246) übernimmt. 
Und Karl-Reinhart Trauner formuliert knapp so: "Bald nach seiner Bestellung an den Berliner Hof nahm er seinen Humanistennamen 'C.' an; Caryophyllus heißt Gewürznelke. Auf den beiden bekannt gewordenen Porträts trägt er die Nelke im Wappen bzw. im Siegelring." 


Wappen des Cranachbildes

"Caryophyllon" taucht schon bei Plinius (historia naturalis, liber XII, 15, 30) auf, wo es heißt: 
"Est etiamnum in India piperis granis simile quod vocatur caryophyllon, grandius fragiliusque. tradunt in indica loto id gigni. advehitur odoris gratia.

(Es gibt heute noch das sogenannte Caryophyllon, den Pfefferkörnern ähnlich, aber größer und zarter. Man sagt, es entstehe im indischen Lotus. Man führt es des Duftes wegen ein.)

"Caryophyllon" besteht - typisch griechisch - aus zwei Teilen: "karyon" - "Nuss" und "phyllon" - "Blatt", also eigentlich "Nussblatt". Warum benannte sich unser Johannes nicht so? Wenn er seinen Namen abkürzen wollte, warum nicht "Karyon", was doch sicher auch 1520 schicker gewesen wäre? Aber dann hieße er ja "Nuss" - und nicht "Nelke"!

Menke (S. 141) sieht einen Zusammenhang zwischen "karyon" und Carion, und Roemer übernimmt diesen Gedanken, indem er eine Eigenbezeichnung Carions annimmt: Er habe sich "stolz auf seinen kräftigen Wuchs" als "Kloben" gräzisiert. Bei Menke wird der Gedankengang nachvollziehbar: Er behauptet: "Das Simplex karyon, die Nuß, hat die Nebenbedeutung 'ein Körper wie ein Kloben, der über ein Seil gewunden in einer Nuß geht'. Nimmt man das Simplex nur in der Bedeutung ein Körper, wie ein Kloben, so könnte es auf Carion gleichfalls zutreffen, denn Carion war ein Mann von einer ganz außergewöhnlich großen Statur." 
Menke gibt aber keinen Nachweis. Gemoll hat die angeführte Nebenbedeutung nicht. Angenommen, sie existiert: Was soll denn damit bezeichnet sein? "Etwas wie ein unförmiges Stück, über ein Seil gedreht, das dann in einer Nuss geht"? Wie kann man etwas über ein Seil drehen, das nachher in einer Nuss Platz hat? Das müsste ja immer noch etwas relativ Kleines sein; da Menke diese Bedeutung nicht gebrauchen kann, entnimmt er der angeblichen Nebenbedeutung die gewünschte Bedeutung: grober Klotz = Kloben. Abgesehen von dieser eigenwilligen Etymologie, warum sollte sich der vielversprechende Mathematicus und angehende Hofmann selbst "Kloben" nennen? Und wer sagt denn, dass Carion 1520 schon die wuchtige Säuferstatur der Jahre nach 1530 hatte?

Ein anderer Punkt, der bei der Gleichsetzung "karyon" = Carion stört, ist die Deklination. "karyon" geht nach der o-Deklination, also im Genetiv: "karyou", unser Johannes dekliniert sich aber "Carion, Carionis", also konsonantisch nach dem Muster großer Männer wie "Plato(n), Platonis" oder "Solo(n), Solonis", wobei die Form mit "n" die griechische Version ist. 

Ein anderer bedeutender Mann der Zeit hat auch einen gräzisierten Namen: Johannes Reuchlin (1455 - 1522), der Großonkel von Philipp Melanchthon, dem Kommilitonen von Carion in Tübingen; er hieß dann "Kapnion" oder "Capnion". Ein ehrender Anklang an einen verehrten Lehrer ist doch denkbar. Und wenn der junge Nägele den alten Reuchlin so verehrt hätte, wäre Menkes Argumentation für Melanchthon als Haupttäter bei der Chronik auch an der Stelle weniger einleuchtend; denn bei Menke heißt es: "In Reuchlins, seines Oheims Bibliothek kann doch nur Melanchthon Bescheid wissen." (S. 146) Lässt man einen guten Schüler nicht in seine Bibliothek blicken?

In der Titelangabe seiner Schrift über die Bedeutung des himmlischen Einflusses: "Bedeütnus vñ offenbarung warer himlischer Jnfluxion, des Hocherfarnen Magistri Johannis Charionis Btigkaymensis. Churfürstlicher gnaden vonn Brandenburg. &c. Mathematicj, Von Jaren zu jaren, werend biß man schreibt. M.D. vnd xl. jar. Alle Landschafft,vñ stende vnnd einflüß klerlich betreffent. ..., (Augsburg 1526?)" (zitiert nach Trauner) nennt er sich "Charion". So auch im "Iudicium magnum. Auch Andreas Perlach, der Carion 1531 heftig anfeindet, schreibt immer von "Charion". Dazu passt, dass Luther 1535 in seinem Gratulationsbrief zu Carions Doktortitel mit seinem Namen spielt und ihn dort durchweg mit "Charon" betitelt!

Interessanterweise geht die Gleichsetzung Carion = Gewürznelke auf eine Vermutung Otto Tschirchs von 1906 zurück; er schreibt im Zusammenhang mit der Untersuchung der Tübinger Matrikel der fraglichen Zeit (etwa 1515) folgendes: "

"Es sind nun etwa ein halbes Dutzend Hänse aus Bietigheim in jenen Jahren in der Matrikel verzeichnet, und ich möchte, mit allem Vorbehalt – denn oft war die klassische Umformung der Namen sehr gekünstelt – die Vermutung wagen, daß ein Johannes Nägelein, der 1514 immatrikuliert wurde, unser Carion ist. Caryophyllon war damals der aus Plinius stammende allgemein übliche Name für Gewürznäglein, das ja im Großhandel eine äußerst wichtige Rolle spielte." (Tschirch, S. 57)

Und dazu Anmerkung 2:

"Ist meine Annahme zutreffend, so würde sich der Umstand erklären, warum man Carion zu einem Professor der Universität Frankfurt <an der Oder> gemacht hat. Man hat ihn nämlich möglicherweise mit dem Professor Johannes Naegelein verwechselt, der dort nachweislich bis zu seinem Tode 1539 amtierte und 1520 und 1531 Rektor war. Er stammte aber aus Gunzenhausen."

Denkt man hier bei Tschirch weiter, ergibt sich folgende Vermutung: Als unser Johannes nach Berlin an den Brandenburger Hof kam, gab es in dessen Umgebung schon einen "Johannes Naegelein", was ja für einen selbstbewussten Mann (damals und heute!) einen lästigen Umstand bedeutete. Ausgehend von der Entsprechung von "Nelke": "Caryophyllon" formte er nach dem Vorbild von "Capnion" seinen Kunstnamen "Carion", tendierte vielleicht in Freundeskreisen dazu, ihn dem mythischen Fährmann "Charon" anzupassen. Aber es greift wohl zu kurz, in "Carion" einfach nur die Abkürzung von "Karyophyllon" zu sehen.

<Dickdruck in den Zitaten von mir.>

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