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IUDICIUM MAGNUM für Albrecht VI. Scheurl

Reiner Reisinger  stellt in seinem Buch "Historische Horoskopie. Das iudicium magnum des Johannes Carion für Albrecht Dürers Patenkind" eine Schrift Carions vor, die nach ihm zwischen dem 13. Juni 1531 und dem 27. Juli 1532 zu datieren ist (S. 103f.). "Das originale Horoskop von der Hand Johannes Carions ist nicht erhalten. Die Abschrift der Nativität im 'Lehenbuch' ist die einzige überlieferte Fassung dieses Textes. Sie wurde wie das Orginal <sic!> behandelt und zur Edition herangezogen." (S. 109) Nach Reisinger handelt es sich bei einem historischen Horoskop - wie in diesem von Carion erstellten - um "Literatur der angewandten Wissenschaft Astrologie" (S. 17). 

Reisinger führt in seinem Buch erst gründlich in den astrologischen Hintergrund ein <vgl. Ficinus "De vita triplici" >, stellt dabei auch ausführlich das Wesen der "Planetenkindschaft" anhand von Bildern von Georg Pencz vor <s. auch hier: Planetenkinder>, erläutert seine Editionsprinzipien und gibt den Text wieder. Etwa die zweite Hälfte seines Buchs füllt der Sachkommentar zum Carion-Horoskop. Am Schluss stellt Reisinger Carion und den Horoskopbesteller Christoph II. Scheurl (1481 - 1542) vor und geht dann der Frage nach, inwieweit es Übereinstimmungen zwischen Carions Prophezeiungen und der tatsächlichen Biographie des Albert VI. Scheurl (1525 - 1561) gab.

Reisingers Textedition beginnt folgendermaßen, wobei die Schreibweise Charion auffällt:

Meins jüngen vettern Albrecht Scheurls iudicium

Jch jm mayster Johann Charion, Branndenburgischen astronomum, machen hab lassen.

Astronomisches Gutachten für meinen Neffen Albrecht Scheurl

Das ich ihm von Meister Johannes Carion, dem brandenburgischen Astronomen, habe anfertigen lassen.

Es folgen das Konzeptionshoroskop, das Nativitätshoroskop, eine Skizze der Aspekte und der kommentierte Text, wobei das Konzeptionshoroskop, also das Horoskop zum Zeitpunkt der Empfängnis, in den weiteren Ausführungen Carions keine Rolle mehr spielt.

Da Reisinger am Beispiel des Horoskops für Albrecht Scheurl sehr schön die Arbeitsweise des Astrologen Carion erklärt, sei diese Erklärung hier kurz vorgestellt:

Im Grunde besteht die Arbeit am Horoskop in zwei Schritten, erstens der Übertragung der astronomischen Gegebenheiten in ein bestimmtes Schema und zweitens in der astrologischen Auswertung, dem "Iudicium". Den allgemeinen astronomisch-astrologischen Hintergrund habe ich schon auf der Ficinus-Seite dargestellt, hier also soll weitgehend nur die Anwendung verdeutlicht werden.

Mittels der damals aktuellen wissenschaftlichen Tabellen, d. h. mit Stöfflers Ephemeriden, verschafft sich Carion das astronomische Basismaterial. Dieses wird dann in das Horoskopschema eingetragen; manches - etwa die genauen Mond- und Merkurpositionen - muss noch von ihm errechnet werden. Dabei ergibt das Quadratschema nicht das ganz richtige Bild, da Carion in der Nachfolge von Regiomontanus - und Stöffler - inaequale Häuser verwendet (Reisinger, S. 63f.); im Quadratschema erscheinen die Häuser "aequal", also gleich groß. Reisinger stellt das Horoskop im Kreisschema vor, und dort (S. 158) werden die ungleichen Häuser deutlich.

In dieses Schema werden nun die astronomischen Daten, beginnend beim Anfang des ersten Hauses ("cuspes primae"), eingetragen. Auf den jeweiligen Randlinien vermerkt man die Grade der Tierkreiszeichen (im Original mit ihren Symbolen), in die Flächen der Häuser werden die Planetenpositionen und andere astrologisch wichtige Daten, etwa die "pars fortunae" eingetragen. Aus dem Schema lassen sich dann die Aspekte relativ leicht ablesen. Die eingetragenen Daten schauen hier folgendermaßen aus:

Haus cuspes Eintrag in der Fläche Aspekte laut Skizze
I. 13° Skorpion
Regent: Mars = Herrscher des Aszendenten
---  
II. 10° Schütze
Regent: Jupiter
Venus im Steinbock 11 ° Opposition zur Pars Fortunae,
Quadratur zu Jupiter im 5. Haus
III. 15 ° Steinbock
Regent: Saturn
Caput Draconis im Wassermann 9 °  
IV. 22 ° Wassermann
Regent: Saturn
Saturn in den Fischen 21 °
Merkur in den Fischen 0 °
(nicht eingetragen: Sol im Wassermann 25 °)
Trigon von Sol zu Mars im 11. 
und Luna im 8. Haus
V. 26 ° Fische
Regent: Jupiter
Jupiter im Widder 9 ° Quadratur zur Venus im 2. Haus,
Opposition zu Mars im 11. Haus
VI. 25 ° Widder
Regent: Mars
---  
VII. 13 ° Stier
Regent: Venus
---  
VIII. 10 ° Zwillinge
Regent: Merkur
Pars Fortunae im Krebs 6 °
Luna im Krebs 2 °
Pars Fortunae in Opposition zur Venus im 2. Haus
Trigon Luna zu Sol im 4. Haus
IX. 15 ° Krebs
Regent: Luna
Cauda Draconis im Löwen 9 °  
X. 22 ° Löwe
Regent: Sol
---  
XI. 26 ° Jungfrau
Regent: Merkur
Mars in der Waage 21 ° Opposition zu Jupiter im 5. Haus,
Trigon zu Sol im 4. Haus
XII. 25 ° Waage
Regent: Venus
---  

Und die Tätigkeit des Astrologen liegt nun darin, diesen Befund zu einem "Iudicium" zu bündeln. Hier als Beispiel, wie Carion das VIII. Haus, das Haus des Todes, deutet (Reisinger S. 132f.):
Von seynem todt vnnd todtlichen gefaren auch erbfelen von verstorben

Mercurius ein bedeuter des 8. orts, mit einsetzung des Mondes bedeut disem menschen des tods vrsach aus nachuolgenden schmertzen. Nemlich er wird geschwulst der schennckl bekhomn, welche geschwulst jme vbersich tretten wird, vor die brust also von mangel des athems sterben. Wann vnnd zw welcher zeit solchs beschehe, wird hinten angezaigt, jn der bedeutnus des Alcocodenn. Er sol sich auch hieten vor farben der thier, so jme schedlich, dann jm wird ein fall, bis, oder annder beschedigung, von eynem thier gedroet. Von verstorbnen menschen wird er auch reichtumb erlangen, aber gemainlich von verstorbnen weiblichs geschlechts.

Von seinem Tod, seinen Todesgefahren, auch von seinen Erbschaften von Verstorbenen

Merkur, die entscheidende Größe des 8. Hauses, mit dem Mond im gleichen Haus zeigt diesem Menschen die Todesursache aus folgenden schmerzhaften Krankheiten an: Er wird nämlich eine Geschwulst an den Beinen bekommen, die sich in ihm ausdehnen wird bis zur Brust, so dass er an Atemnot sterben wird. Der genaue Zeitpunkt wird unten angezeigt, bei der Behandlung des Alkochodans. Hüten soll er sich vor ihm schädlichen Tierfarben, denn es wird ihm ein Sturz, ein Biss oder ein anderer Schaden von einem Tier angedroht. Er wird auch Reichtum von Verstorbenen erhalten, vor allem von weiblichen Verstorbenen.

In seinem Sachkommentar zeigt Reisinger auf S. 205ff., wie Carion vorgeht; da dabei der Tierkreismann mit dem Begriff der "Melothesie" eine Rolle spielt, sei der hier gezeigt:

Nach kurzen allgemeinen Angaben zur konkreten Gestalt des VIII. Hauses führt Reisinger folgendes aus:

"Die Todesursache wird mit Hilfe der Melothesie bestimmt, jenem Zuteilungssystem, mit dem schon alle Krankheiten Albrecht Scheurls diagnostiziert wurden. Nach den von Manilius festgeschriebenen Zuteilungen können Albrecht Scheurls (nunmehr lebensbedrohende) Gefährdungen aus den Sternen, genauer: aus einer Kombination aller für diese domus wichtigen Tierkreiszeichen, gelesen werden.
Wir können den Verlauf und die Art der Krankheit, welche zu Albrechts Tod führen wird, an den beteiligten Zodiakalzeichen am Tierkreismann verfolgen: Zu Beginn wird  Albrecht VI. 'geschwulst der schennckl bekhomen '. Unzweifelhaft steht hinter dem Krankheitsherd an Albrechts Körper, hinter dem Begriff 'schennckl ', der Planet Jupiter. Das Jupiterzeichen Fische beherbergt den Regenten der Häuserspitze Merkur in diesem Horoskop. Jupiters zweites Zeichen Schütze liegt am Tierkreismann in der Region der beiden Oberschenkel.
Diese Geschwulst soll sich dann am Körper ausbreiten, sie wird 'vbersich tretten ... vor die brust '. Die Brust untersteht am Tierkreismann dem Sonnenzeichen Löwe und Cancer, dem Nachthaus und einzigem Domizil des Mondes. Demnach hat diese Prognose Carions ihren Ursprung in der 'Imposition' der Luna im VIII. himmlischen Haus. Die Todesursache entspricht eindeutig den Einflüssen des Regenten der Häuserspitze Merkur. Er beherrscht in der Iatromathematik die Lunge und die Sprachorgane. Am Versagen dieser vom Regenten der Häuserspitze regierten Organe an 'mangel des athems ', soll Albrecht VI. sterben. Die antiken Autoren bestätigen Carions Diagnose: 'Mercurius necat per ... tusses, angustias pectoris'. <laut Anm. 88 Zitat aus Ptolemaeus>"

Danach kommentiert Reisinger noch Carions Äußerungen zum Alkochodan und den anderen Todesgefahren. Am Ende erklärt er die Ausdeutung der "pars fortunae": Ihretwegen "soll Albrecht Scheurl im Laufe seines Lebens 'Von verstorbnen menschen ... reichtumb erlangen '. Da wir die pars fortunae im VIII. Ort eindeutig mit der Verursacherin dieses plötzlichen Reichtums aus Erbfällen identifizieren können, ist auch das Rätsel schnell gelöst, weshalb dieser Reichtum 'gemainlich von verstorbnen weiblichs geschlechts ' ins Haus stehen soll. Der Glückspunkt <d. i. die "pars fortunae"> steht bei Albrechts Geburt im Krebs und ist in Konjunktion mit der Regentin des Krebses Luna. Nur 4 ° trennen die pars fortunae vom 'Muttergestirn', von dem Planeten, der in der Astrologie für die Weiblichkeit, im Gegensatz zur Venus jedoch für Frauen fortgeschrittenen Alters steht."

Insgesamt zeigt Reisinger, dass Carion seine Quellen (vor allem Firmicus Maternus, auch Ptolemaeus und: Stöffler!) beherrschte; nur an wenigen Orten kann Reisinger die Herkunft von Carions Deutung nicht angeben.

Am Ende seines Buchs (S. 304) überprüft Reisinger noch das Horoskop mit den überlieferten Daten von Albrecht Scheurl. Über seinen Tod führt er folgendes aus: "Das Alter um die 60 Jahre, welches ihm die Sterne nach Carions Berechnungen zum Alkochodan zugestanden, hat er nur annähernd erreicht. Es fehlen zu 'dem 59. vnnd 60. jar ' etwa vier Jahre. Woran er letztlich verstarb, wird nirgends erwähnt. Die Todesursache dürfte aber nicht die im Horoskop beschriebenen 'geschwulst der schennckl ' und der 'mangel des athems ', d. h. eine Pestinfektion gewesen sein. 1580 war kein Jahr, in dem in Nürnberg die Pest wütete, und der Tod an der 'greulichen kranckhait ' wäre gewiß in den Chroniken erwähnt worden."

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