Matthias
Gerung
Nördlingen
um 1500 (?) - 1568/70 (?)
Die Melancholie im Garten des
Lebens
1558 oder
kurz danach
Mischtechnik
auf Lindenholz; 88 x 68 cm
Erworben
1974 von Cyril Humphris, London.
Inv. Nr.
2619
(Beschriftung
des Bildes in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe) |
|
Inhaltsübersicht:
1. Dank und
persönlicher Hintergrund
2. Inhalt der auf der Seite des
Gesamtbildes genannten Quellen
a. Klibansky-Panofsky-Saxl: Saturn und Melancholie
b. Müller: Torheiten des Lebens - Matthias Gerungs "Melancolia
1558"
c. Lüdke: Bilderklärung der
Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
d. Eichler: Mathis Gerung - Die Gemälde
3. Meine Überlegungen
zum Bild |
1. Dank und
persönlicher Hintergrund
Bei meinen Wanderungen durch die
Karlsruher Kunsthalle blieb ich in den letzten Jahren
immer wieder an diesem Bild von Matthias Gerung hängen,
deshalb sollen diese Gedanken über das Bild mit einem
doppelten Dank beginnen: Der erste Dank gilt der Staatlichen
Kunsthalle Karlsruhe, dass sie im
Laufe ihrer Geschichte, in diesem Falle im Jahr 1974, dieses
schöne Bild erworben hat, der zweite gilt dem Maler des
Bildes, dem schon lange Verstorbenen, der es mit diesem seinem
Werk geschafft hat, einen Nachgeboren nach etwa 450 Jahren
noch durch sein Bild zu fesseln: Das Bild ist schön, vieles
davon lässt eine große Erzählfreude erkennen, und es bietet
insgesamt ein Rätsel. Danken möchte ich dem Maler vor allem
dafür, dass sein Bild bei mir Türen in Räume geöffnet hat,
von deren Existenz ich vorher nichts wusste; das ist zum einen
der Kontext der "Planetenkinder-Bilder", zum anderen
Marsilius Ficinus mit seinem Werk "De Vita". |
2. a
Klibansky-Panofsky-Saxl: Saturn und Melancholie
Der erste Titel gibt die Richtung an,
in die eine Betrachtung eines Bildes mit dem Titel
"Melancholie" gehen wird: in Richtung auf Dürers
großartigen Kupferstich von 1514 mit dem Titel "Melencolia
I". Das Buch der drei Verfasser ist im Grunde eine sehr
umfangreiche Interpretation des Dürerwerks vor dem
Hintergrund des historischen Melancholie-Denkens und spricht
Gerungs Werk nur zweimal an, einmal eher eher beiläufig im
deutschen Vorwort, einmal im Zusammenhang der Wirkungsgeschichte des
Dürer-Werks.
Da auf das genannte Buch immer wieder
Bezug genommen wird, möchte ich es hier kurz vorstellen; der
genaue Nachweis ist auf der Seite des Gesamtbildes enthalten,
ich werde es hier mit KPS ansprechen und meine damit die
genannte Suhrkamp-Ausgabe, alle Seitenangaben beziehen sich
darauf.
Die Geschichte des Buches wird
in den beiden Vorworten erklärt: Der Ausgangspunkt sei das im
Jahre 1923 veröffentlichte Werk von Erwin Panofsky und Fritz
Saxl mit dem Titel: "Dürers 'Melencolia I'. Eine
quellen- und typengeschichtliche Untersuchung" gewesen.
Als dieses Buch vergriffen war, sollte eine erweiterte Ausgabe
an die Öffentlichkeit gebracht werden, wobei die Erweiterung
die Temperamentenlehre und die Geschichte Saturns umfassen sollte.
Daraus entstand der Plan zu einem neuen Buch der drei jetzt
genannten Verfasser, die aber nach 1933 emigriert waren. 1945
seien die Korrekturfahnen fürs deutsche Buch verbrannt,
darauf sollte das Buch auf Englisch erscheinen. Dieser Plan
wurde durch den Tod von Fritz Saxl im Jahr 1948 verzögert. Es
wurden dann Umgestaltungen und Änderungen vorgenommen, im
Wesentlichen blieb das Buch aber, so Klibansky und Panofsky
1963/64 im englischen Vorwort, unverändert. Panofsky starb
1968, 1992 erschien die deutsche Übersetzung des Buches bei
Suhrkamp, und Klibansky versichert im deutschen Vorwort
dieser Ausgabe, er habe dem ursprünglichen Text möglichst
treu bleiben wollen.
Von der Entstehungsgeschichte des Buches her wird klar, dass
im Wesentlichen der Stand der Forschung der frühen 20-Jahre
des 20. Jahrhunderts geboten wird. Das lässt sich auch an den
Anmerkungen ablesen, die diesen Stand widerspiegeln. Anmerkungen
mit Verweisen auf Werke nach 1930 sind die großen Ausnahmen.
Die beiden neuesten Verweise, die mir aufgefallen sind, ist
die Anmerkung 219 auf S. 493, die auf ein
Erscheinungsdatum von 1960, und die Anmerkung 117 auf S. 451,
die - völlig solitär - aufs Jahr 1985 hinweist.
Der Aufbau des Buches. Das Buch
besteht aus vier Teilen, wobei der erste und dritte eigentlich
zusammengehören: Der erste Teil beschäftigt sich mit dem
Melancholiebegriff und seiner historischen Entwicklung, der
dritte nennt sich " 'Poetische Melancholie' und 'Melancholia
generosa' " und stellt die Entwicklung nach dem
Mittelalter und vor allem bei Marsilius Ficinus dar. Der
zweite Teil ist gewissermaßen eine Parallele dazu, insofern
hier die Entwicklung der Saturngestalt in Literatur und
bildender Kunst vorgeführt wird. Der vierte Teil geht dann
ausführlich auf Dürers "Melencolia I" ein, wobei
die Teile drei und vier letztlich nicht harmonisiert sind; war
man als Leser nach der Lektüre des dritten Teils der Meinung,
dass Ficinus die entscheidende Verständnishilfe sein werde,
so wird man im vierten Teil davon belehrt, dass
ausschlaggebend für die "richtige" Deutung des
Kupferstichs die auf Ficinus aufbauende Schrift des Agrippa
von Nettesheim, die "Occulta Philosophia" in der
handschriftlichen Fassung von 1510, sei, was in dem zentralen
Satz gipfelt: "Es gibt kein Kunstwerk, das der
Melancholievorstellung Agrippas vollkommener entspräche als
Dürers Kupferstich, und es gibt keinen Text, mit dem sich
Dürers Kupferstich vollkommener in Einklang bringen ließe
als die Melancholiekapitel Agrippas." (S. 504f.) Diese
Interpretation entsteht vor allem aus dem Nachdenken über das
"I" von "Melencolia I".
Zum Ertrag des Buches wäre aus
meiner Sicht zu sagen, dass gemessen an Klibanskys Urteil in
seinem Vorwort: "Selbst wenn man sämtliche
Interpretationen von Gelehrten, Künstlern und Dichtern
berücksichtigt, bleibt abschließend festzuhalten, daß alle
Versuche, Dürers Intention zu erklären, das Geheimnis des
Werks nur bis zu einem gewissen Grad ergründen können. In
seinem Zauber liegt ein für jede historische Deutung
irreduzibles Moment." (S. 28) eine unheimliche,
erdrückende Fülle von Wissen angeführt wird. Vorher kommt
nämlich Klibansky zu diesem Ergebnis: "Es ist folglich
legitim, davon auszugehen, daß Dürer, der sich des Abstands
zwischen der Idee und ihrer Verwirklichung bewußt war, mit diesem
Stich, der so viele Symbole einer heidnischen Welt enthält,
letztlich die Ohnmacht des Künstlers zum Ausdruck bringen
wollte, der zwar über alle handwerklichen Mittel verfügt und
über die natürlichen Kräfte Saturns und der astralen
Kräfte Bescheid weiß, dem aber der Beistand Gottes versagt
bleibt." (S. 28) Zu diesem Ergebnis kann man - denke ich
- auch kommen, ohne allen möglichen Verästelungen des
Melancholie- und Saturnbegriffs nachzugehen.
Vielleicht ist das aber auch ein Problem eines Buches, dessen
Entstehungszeit sich über ein ganzes Leben hinzieht. Die
Anfangsintention des Buches scheint die Begeisterung darüber
gewesen zu sein, dass man den modernen Geniebegriff schon bei
Aristoteles in seinem "Problem XXX,1" und dann vor
allem wieder bei Ficinus findet.
Problematik des Buches für den kleinen
Leser. Das große Problem des Buches besteht darin, dass KPS
"nur" an einer Frage interessiert sind, dem
Zusammenhang von Genie, Melancholie und Saturn (am Schluss
noch in Verbindung mit Geometrie), dass sie beim Verfolgen
dieser Frage ungeheuer viel Material heranziehen, der Laie
aber nicht erkennen kann, welchen Stellenwert diese
exzerpierten Gedanken im ursprünglichen Werk tatsächlich
hatten. Das kleine Problem liegt darin, dass KPS
offensichtlich über ausgesprochen gute
Fremdsprachenkenntnisse verfügten, so dass
Fremdsprachenzitate meist unübersetzt bleiben oder nur zum
Teil übersetzt werden, z. B. bei längeren Ficinus-Passagen.
Erst im Zuge der Neubearbeitung scheinen manche Zitate noch
übersetzt worden zu sein, diese wurden dann mit einem *-Stern
gekennzeichnet.
KPS und Gerung. Im Vorwort (S.
21) streift Klibansky das Gerung-Werk, um sich über
"okkulte Geschichtsschreibung", gemeint sind
abenteuerliche Interpretationen, zu entsetzen. Denn man
versteige sich in manchen Kreisen in England zur Annahme,
"daß der elisabethanische Dichter George Chapman sich in
seinem 'The Shadow of Night' von Dürers 'Melencolia II'
(sic!) habe inspirieren lassen, einem Bild, das er neben der 'Melencolia
I' gesehen habe und das verlorengegangen sei, nachdem es
Gerungs Bild als Vorbild gedient hätte."
Ausführlicher gehen KPS auf Gerungs "Melancolia
1558" im Zusammenhang der Rezeption von Dürers Werk ein
(S. 530-33); die Stiche von verschiedenen Meistern böten
keine Schwierigkeiten, wohl aber die Gemälde. Dabei handelt
es sich um Gerungs Bild und vier Gemälde aus der Werkstatt
von Lukas Cranach mit dem Titel "Melancholie".
KPS kennen Gerungs Bild anscheinend nur von Auktionskatalogen,
etwa dem von 1937, nicht von der Hängung in Karlsruhe. Sie
beschreiben kurz das Werk und stellen nach der Beschreibung
der "typischen Haltung (sc. der Melancholie) mit
aufgestütztem Arm, aber in Frontansicht und ohne
Attribute" (S. 531) vor allem fest, wer den
Zirkel hält. Diese Frage spielte bei ihrer Deutung des
Dürer-Bildes eine Rolle. Den Mann benennen sie als
"Kosmographen", er sei ein vollendeter Vertreter der
saturnischen Geisteshaltung, KPS sprechen von der "durch
die Hauptperson symbolisierten Geisteshaltung" (S. 531).
Summarisch sprechen sie von den kleinfigurigen Darstellungen,
die "bei aller realistischen Auffassung weder
untereinander zusammenhängen noch mit dem Begriff der
Melancholie in irgendeiner Beziehung zu stehen scheinen."
(ebenda) Fürs Verständnis hilfreich ("Weg für eine mögliche
Deutung"!) halten sie die Himmelserscheinungen, nämlich
die Sonne "sowie die beiden Planetengötter Luna und Mars
und zwischen ihnen einen anscheinend den Mars heranwinkenden
Engelknaben" (S. 532f.). Auf eine konkrete Bedeutung
legen sie sich zunächst aber nicht fest, sicher sei
lediglich, "daß ihre Anwesenheit nicht zufällig sein
kann" (S. 532). Nachdem sie den Eindruck formuliert
haben, dass das Werk irgendwie aktuell sein müsse, stellen
sie dann eine "deutliche Beziehung" der Szenen der
unteren Bildzone zu den drei Planeten fest, indem sie
"mühelos" darin Betätigungen der Sol-, Luna- und
Marskinder - man beachte: keine Saturnkinder! - sehen. Die
oberen Bildszenen seien "wohl Jahreszeiten- oder
Monatsbilder", wofür vor allem die Schlittenfahrt
spreche. KPS kommen zu folgendem Schluss: " Das Bild
entbehrt nicht eines gewissen Reizes, für den künstlerischen
Gesamteindruck aber ist die Tatsache bestimmend, daß weder
die Melancholia noch der menschliche Vertreter dieses
Temperaments, der Kosmograph, an all dem bunten oder
gefährlichen Alltagsleben teilzunehmen scheinen."
(ebenda) Und diese Unberührtheit sei eben das Wesen der
melancholischen Veranlagung.
Mit dieser Deutung setzen sich dann Christian Müller und Anja
Eichler auseinander.
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Inhaltsangabe
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2. b
Müller: Torheiten des Lebens - Matthias Gerungs "Melancolia
1558"
Christian Müller beschäftigt sich
ausschließlich mit Gerungs Gemälde "Melancholia
1558".
Zunächst gibt er ganz allgemeine
Hinweise auf die Bildgeschichte, wobei er auf den Namen
"Die Melancholie im Garten des Lebens" nicht
eingeht. Die Zuschreibung zu Gerung sei jetzt allgemein
akzeptiert, die Deutungen seien aber "mannigfach und
widersprüchlich" (S. 5), er wolle eine neue Deutung
vorschlagen, um "das Bild dem heutigen Betrachter
verständlich zu machen". Nach einer kurzen Biographie Gerungs bespricht
Müller die Komposition, wobei er schon auf das
Widersprüchliche zwischen "vertraut und benennbar"
einerseits und "unverständlich" andererseits
hinweist.
Darauf folgt eine gründliche
Besprechung des Bildinhalts. Zusammenfassend stellt Müller
fest, dass Gerung "das bunte Treiben der Menschen wie ein
Fest" darstellt (S. 7), es sich aber, auch wegen der
unterschiedlichen Jahreszeiten, nicht um ein wirkliches Fest
handeln könne. Für ihn spricht gegen das wirkliche Fest auch
der Umstand, dass Gerung verschiedene Vorbilder ausgewertet
habe, die er nun im Folgenden erklärt.
Die erste Vorlage, auf die Müller
eingeht, ist Hans Sebald Behams Holzschnitt
"Dorfkirchweih", worin nach ihm eine diffamierende
Sicht des Städters gegenüber den Bauern vorliege, die als
"wohlhabend, faul, tölpelhaft, dumm und unmäßig"
(S. 10) dargestellt seien. Er sieht eine Verbindung zu Gerung
in dessen Glückspielszene. Dort befindet sich das neben dem
Titel "Melancolia 1558" einzige verbale Element des
Bildes, nämlich das Spruchband einer Amtsperson folgenden
Inhalts: "LOS IECK GRETA LENDL HAT 13 BACZEN VERSPILT",
was nach ihm bedeutet: "Los, Dummkopf, Greta Lendl hat 13
Batzen verspielt.", womit die Amtsperson den Bauern
auffordere, sich am Glücksspiel zu versuchen (!). - Mit
der Turnierszene, die nach Cranachs "Turnier mit
Schwertern" gestaltet sei, formuliere Gerung "einen
ständischen Kontrast" (S. 10) - Als
"besonders auffällig" führt Müller die Bildzitate
aus Werken des Petrarca-Meisters an. Auch für das Badehaus
und die Armenspeisung liefert Müller Vorlagen. Gerung habe
auch eigene Bildschöpfungen in diesem Gemälde
wiederverwendet, Beispiel dafür ist die Burg, die in gleicher
Form auf einem Holzschnitt zur Apokalypse zu sehen ist. - Auch
für die Jahreszeiten- und Monatsbilder habe Gerung auf eine
reiche Tradition zurückgreifen können; Müller führt als
Beispiele Monatsbilder von Hans Wertinger und die Augsburger
Monatsbilder aus dem Umkreis des Jörg Breu an.
Hier äußert sich Müller über die
Deutung: "Unklar bleibt, ob Gerung wirklich einzelne
Monate und Jahreszeiten darstellen wollte. Die Forscher
Klibansky, Panofsky und Saxl" - s. oben unter 2.a -
"vermuteten in dieser Bildzone eine Anspielung auf den
Verlauf des Jahres 1558, das Gerung in dem Schriftband hinter
der Bezeichnung "Melancolia" erwähnt. ...
Dieselben Forscher hatten aber auch noch eine andere
Erklärung für die Zusammenstellung der einzelnen Szenen und
die Auswahl der Beschäftigungen, die
Planetenkinderbilder." (S. 15) Damit ist Müller bei
einer Bildvorlage, die er im Folgenden an den vier Bildern von
Sonne, Saturn, Luna und Mars des Meisters Sebald Beham
erklärt. Nach dieser Erklärung, die vieles aufnimmt, was KPS
(s. oben, 2.a) gezeigt haben, erfolgt eine ganz vorsichtige
Übertragung auf Gerungs Werk: "Schon an diesen vier
Beispielen werden die Analogien zu einzelnen Szenen bei Gerung
deutlich, den sportlichen Wettbewerben, dem Fischen,
Schweineschlachten, Feldarbeit, Almosengeben, zu Krieg und
Zerstörung, zu Gericht, Hinrichtung und Tod. Klibansky,
Panofsky und Saxl deuteten die Wesen am Himmel als die
Planeten Sol (mit Antlitz), Luna (mit Pfeil und Bogen)
und Mars als wilden Krieger. Das Kind hinter Luna könnte ein
engelähnliches Wesen sein, das die Bewegung der Planeten
verdeutlicht. Ausschlaggebend für ihre Darstellung könnte
ihr Zusammentreffen im Jahre 1558 gewesen sein. Dieser
Deutungsvorschlag vermag jedoch nicht alle Szenen zu erklären,
auch nicht den Sinn des Bildes zu entschlüsseln. Deutlich
sind die Beziehungen zu den Bildvorstellungen des 16.
Jahrhunderts und zu ihrem damaligen Stellenwert." (S. 18)
Waren KPS der Meinung, dass man "mühelos" die
Planetenkinder von Sol, Luna und Mars entdecken könne, so
spricht Müller nur ganz allgemein und vage von
"deutlichen Analogien", ohne sie aber auszuführen.
Und wichtig: der Sinn des Bildes ist noch nicht
entschlüsselt.
Da der Vergleich mit Bildvorlagen
im
Grunde nichts gebracht hat außer der Erkenntnis, dass Gerung
Vorlagen hatte, wendet sich Müller nun den literarischen
Vorlagen zu und wird bei Hans Sachs vor allem fündig. Hier -
erst hier! - operiert Müller mit dem Begriff der Allegorie,
den er kurz erklärt: Allegorien sind nach ihm Sinnbilder,
deren "Bestandteil" Personifikationen sein können,
die ihrerseits den Rang von Gottheiten erhalten können. In
dem von Müller angeführten Gedicht "Die eytel vergencklich freud unnd wollust
dieser welt" schildert Hans Sachs einen Traum, in dem ihm
Frau Voluptas als geflügelte Personifikation erschienen sei
und ihm "alle freud auff erd ... was menschlich hertz
begerdt" gezeigt habe. Die Einzelzüge des Gedichts
zeigen viele Vergleichspunkte zu Gerungs Gemälde. Intention
des Gedichts sei, auf die Vergänglichkeit der Freuden
hinzuweisen. Noch ein zweites Gedicht zieht Müller heran,
"Die stark gewonheyt"; in ihm werden erst alle
möglichen menschlichen Beschäftigungen aufgezählt, dann
kommt die Vorstellung der Frau Consuetudo, also der
Gewohnheit, deren Macht darin bestehe, die Menschen zu
überwinden und sie "mit eyßren banden" zu binden.
Aus diesen beiden Texten erschließt Müller eine Parallele zu
Gerung: "Gerungs Bild zeigt in manchem Übereinstimmungen
mit den Gedichten des Hans Sachs. Auch bei ihm herrscht eine
allegorische Gestalt inmitten des Welttreibens. Die Zelte, die
in die Landschaft gestellt sind (,) und die Schilderung von
Tätigkeiten und Gegensätzen findet sich wieder." (S.
20)
Außer der Tatsache, dass bei Gerung und bei Sachs vielerlei
menschliche Tätigkeiten gezeigt werden, ergibt sich bei
dieser Gedichtbetrachtung eigentlich kein Gewinn, aber Müller
will ihn sehen und kommt deshalb zu folgendem Schluss: "Gerungs
Landschaftsdarstellung und die Schilderung der verschiedenen
Beschäftigungen können nicht auf eine Bildtradition allein
zurückgeführt werden. Analogien ergeben sich zu den
Planetenkinderbildern, zu Darstellungen von Monaten und
Jahreszeiten und zu Erinnerungsbildern von Turnieren und
Schützenfesten. Aber erst der Gedanke des allegorischen Gartens,
in dem wie bei Sachs Personifikationen über das Treiben der
Menschen gestellt werden, vermag der Vielfalt einen
gedanklichen Rahmen zu geben." (S. 22) Man muss Müllers
Ergebnis haben wollen, um das so sehen zu können: Wieso soll
die Landschaft Gerungs ein Garten sein? Man muss den Begriff
des Gartens völlig entleeren, um hier einen solchen
vorzufinden. Und welchen Sinn haben die Gedichte des Hans
Sachs wirklich? (Vgl. dazu meine Seite
über Gerung und Hans Sachs.)
Danach behandelt Müller "Die
druckgraphischen Vorbilder im Zusammenhang der
Allegorie". Er verfolgt kurz die These, Gerung könne von
den Texten, die etwa der Petrarca-Meister illustriert habe,
beeinflusst worden sein. Aber obwohl er selbst die
Hinfälligkeit dieses Ansatzes anspricht ("die Deutung des
Tanzbären als 'bezähmte Begierde' im folgenden Kapitel steht
in Kontrast zu Gerungs Intention, die weltliche Wollust zu
schildern." - S. 22), sieht er gerade bei der
Bergwerksdarstellung in Verbindung zum Petrarca-Meister eine
Metapher für die Auf- und Abbewegung des Menschen, die "geradewegs
zum Teufel" hinführe. Zur Stützung des Gedankens führt
Müller Sebastian Brants "Narrenschiff" an, in
dessen Einleitungstext auch von dieser Bewegung die Rede
sei. Und diesen Gedanken erkennt Müller dann in der Komposition
des Gerung-Bildes mit seiner Mittelachse wieder. - Wie gesagt,
man muss diese Deutung haben wollen.
Es schließen sich nun Müllers
Ausführungen zur "Personifikation der Melancholie"
an. Dabei unterstellt er zunächst KPS die folgende
Deutung: "Die Auffassung Dürers von diesem Temperament,
das den Menschen zur hohen geistigen Leistung befähigt, liege
auch Gerungs 'Melancolia' zugrunde." (S. 24) Bei der oben
- in 2.a - referierten Aussage von KPS wird aber nur die typische, d. h.
von der Tradition her geläufige Haltung der Melancholie
angesprochen. Die geistige Leistungsfähigkeit kommt nach KPS
allenfalls dem Kosmographen zu. Nach einer kurzen - im Grunde
unergiebigen - Zusammenfassung der Begriffsgeschichte
"Melancholie" bei KPS kommt Müller zum
Ergebnis, dass es sich hier um den Melancholietyp der Acedia
handle. Aus der Art der Bekleidung (oder besser Enthüllung)
zieht Müller den Schluss, dass bei Gerungs Melancholie eine
Nähe zur Frau Venus oder Frau Minne bestehe. Er sieht sogar
die "Möglichkeit, daß Gerung mit den Flügeln seiner
Personifikation auf die Unbeständigkeit hinweisen möchte und
damit seiner Personifikation paradoxe Züge verleiht; denn das
Sitzen auf dem Boden und Ruhen mit aufgestütztem Kopf
kontrastiert mit der Vorstellung der Beweglichkeit und des
Fliegens, ebenso wie die in ihrer Umgebung stattfindenden
Betätigungen auf den ersten Blick mit der Trägheit
unvereinbar erscheinen." (S. 27) Nach den Ausführungen
über die Acedia kommt Müller noch einmal auf den Vergleich
Dürer-Gerung zu sprechen. Dazu referiert er zunächst im Tone
der absoluten Sicherheit eine von KPS abweichende Deutung der
Dürerschen Melancholie von Konrad Hoffmann (S. 28 mit
Anmerkung 25), wonach die Dürer-Melancholie die Melancholie
II sei, während die Melancholie I von der Fledermaus
davongetragen werde. Mit dieser Melancholie-Auffassung, die
vor allem Züge der Bescheidenheit trägt, kontrastiert er
dann die von Gerung: "Gerung verweist gegenüber Dürer
auf die mangelnde Einsicht der Menschen, die sich
unreflektiert dem Treiben der Welt hingeben. Darin zeigt sich
die andere Intention Gerungs, der Motive aus Dürers Stich in
die Argumentation einbezieht." (S. 29) Dieser Teil des
Aufsatzes schließt mit der Feststellung: "Mit diesen
Kontrastkoppelungen" - Müller sieht den Kontrast in der Gegenüberstellung
von Vergänglichkeit und Fortuna (!) - "versucht Gerung
zugleich Umfassendes zu formulieren, mit einzelnen Beispielen
weite Bereiche des Lebens abzudecken." (ebenda)
Im letzten Großabschnitt geht Müller
noch auf die Gestalt des Mannes ein, den KPS als "Kosmographen"
deuteten. Es fällt auf, dass Müller bei der Deutung
dieser Gestalt bei einem Stich Giulio Campagnolas ansetzt.
Campagnola haben auch KPS (ihre Tafel 55) verwendet, nur nicht
denselben Stich. KPS zeigen an ihrem Stich, in dem die Gestalt
durch Inschrift als SATVRNVS gekennzeichnet ist, den
humanistischen Endpunkt der Saturngestalt (S. 310-13),
Müllers ausgewählter Stich ist näher an der Gerung-Person,
zeigt aber den "Astrologen", der mit seinem Zirkel
eine Himmelsscheibe (!) vermisst. Nachdem Müller Unterschiede
zwischen dem "Kosmographen" und dem Astrologen des
Campagnola-Stichs benannt hat, kommt er zu folgendem Ergebnis:
"Gerungs Geometer dagegen ist nicht ausgegrenzt, er ist
Bestandteil im 'Garten des Lebens' ". (S. 29) Er sei
"durch seine Größe aus der Umgebung
hervorgehoben". Aber wenn man das Bild
genauer betrachtet, ist diese Gestalt durch ihren
Hintergrund gerade aus dem Zusammenhang herausgelöst. Da der Geometer
mit dem Zirkel misst und die Messkunst mit der Idee der
Melancholie in Verbindung stehe, befindet Müller: "Der
Geometer verkörpert - gegenüber der Acedia - die positive
Seite der Melancholie, ..." (S. 29f) und: "Gerung
hat mit seinem Geometer niemand anderen als Saturn selbst
dargestellt. ... Der Passivität der Acedia setzt Gerung die
Aktivität des Saturn gegenüber. Auf diese Weise legt Gerung
beide Seiten des menschlichen Temperamentes in Form von
allegorischen Gestalten dar." (S. 30) Hatte Müller hier
gerade die positive Seite herausgehoben, so kommt er durch
Einbeziehung eines Bildes aus dem "Narrenschiff" dagegen
zu folgendem Ergebnis: "Gerungs Saturn/Geometer befaßt
sich mit solchen Erscheinungen, die wie ein Regenbogen vergängliche
Trugbilder sind ... Ist das Interesse des Saturn/Geometer
selbst schon ein törichtes Unterfangen, so ist der Versuch,
Himmelserscheinungen oder deren Folgen messen und vorhersagen
zu wollen, auch ein Akt der Hoffart." (S. 31f.) Aus der
anfangs festgestellten positiven Tätigkeit ist also ein Narr
der Hybris geworden.
Am Ende seiner
"Zusammenfassung" kommt Müller zu folgendem
Ergebnis: "Die Allegorie Gerungs greift gedanklich in die
'Welt des Spieles' ein. Sie enthält eine Warnung vor dem
Müßiggang, dem aus protestantischer Sicht das Prinzip der
Arbeit als asketischer Übung entgegengehalten werden kann.
Pfalzgraf Ottheinrich hatte 1552 in seinem Fürstentum
Pfalz-Neuburg erneut die Reformation eingeführt, und Gerung
hatte sich in seinen Holzschnitten selbst kritisch mit
katholischer Kirche und Klerus auseinandergesetzt. Gerungs
Bild enthält unter dem Vorzeichen der Vergänglichkeit eine
Aufforderung zur Enthaltsamkeit und bietet dem Betrachter in
einem Bild, das paradoxe Strukturen aufweist, die Möglichkeit
zur rationalen Bewältigung seiner Leidenschaften an."
(S. 32)
Gerungs Bild zeigt mir, dem heutigen Betrachter, also, dass
ich vergänglich bin, mich enthalten soll, und bietet mir in
seiner Rätselhaftigkeit ("paradoxe Strukturen")
gerade eine einsichtige, vernünftige ("rationale")
Möglichkeit, meiner Leidenschaften Herr zu werden. Wirklich?
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2. c
Lüdke: Bilderklärung der
Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Die kurzen Ausführungen von Herrn Dr. Dietmar
Lüdke deuten das Bild im Grunde wie Christian Müller.
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2. d
Eichler: Mathis Gerung - Die Gemälde
Anja Eichlers Interesse gilt, wie man
dem Titel entnehmen kann, dem Gesamtwerk Gerungs; die
Beschäftigung mit seiner "Melancolia 1558" ist also
nur ein Teil ihrer Dissertation, die sehr ausführlich auch
auf die maltechnischen Voraussetzungen der Bilder eingeht.
Für die inhaltliche Deutung ist für
sie Klibansky-Panofsky-Saxl und Christian Müller
ausschlaggebend; andere Meinungen, wie etwa Hartlaub oder
Würtenberger werden nur marginal referiert und wie etwa
Würtenberger durch Hinweis auf KPS' Meinung abgelehnt.
Bei KPS sieht Eichler eine "ernst zu nehmende
Deutung", die "weitestgehend Gültigkeit"
behalten habe. (S. 106) Für sie maßgebend ist also die
Verbindung mit den Planetenkinder-Bildern, lediglich die
Verbindung der großen allegorischen Gestalten mit dem
weltlichen Treiben, bei KPS: "Dieser Dualismus zwischen
irdischer Munterkeit und melancholischem Tiefsinn ..." (KPS,
S. 533), will sie nicht akzeptieren.
Ausführlich referiert sie Müller und kommt (S. 107) zu dem
Ergebnis: Müller "zog aus seinen Untersuchungen den
akzeptablen Schluss, die Darstellung intendiere, dem
zeitgenössischen Betrachter in den Einzelmotiven sein
eigenes, törichtes Verhalten vor Augen zu führen und ihn
dadurch zur Zügelung seiner Triebe aufzurufen." Eichler
sieht also im "Betrachter" des letzten Absatzes von
Müllers Aufsatz nicht den von ihm am Anfang angesprochenen
heutigen, sondern den zeitgenössischen Betrachter. Den
zitierten Gedanken wiederholt sie unten (S. 119) noch einmal,
wenn sie - im Zusammenhang mit den Illustrationen des
Petrarca-Meisters - feststellt: Der ethische Gehalt des Buches
und der Gerung-Tafel sei ähnlich und bestehe im Appell an den
Leser oder Betrachter, "seine blinden Leidenschaften und
sein törichtes Verhalten mittels seines Verstandes und seiner
praktischen Vernunft zu mäßigen." Ihr eigenes Anliegen
formuliert sie danach in einem Resümee (S. 108): "Der
Gang der Forschung führte zu einer gültigen Interpretation
der bildlichen Intention. Es fehlte bisher eine stilistische
Einordnung in das malerische Oeuvre Gerungs und eine in diesem
Rahmen zu leistende Untersuchung der allegorischen und
didaktischen Bildstruktur. In Einzelfragen, beispielsweise der
angeführten Vorbilder, der Zuordnung der Planetengottheiten
sowie der literarischen Bezüge muss einiges ergänzt und
kritisch beurteilt werden."
Es folgen nun die Ergebnisse ihrer
Überlegungen. Zunächst beschreibt sie Gerungs Bild
ausführlich. Dabei geht sie erst auf den Gesamteindruck ein
und erwähnt die Lichtführung. Was sie nicht anspricht, ist,
dass die Lichtführung (ganz tief im Bild hinten links
stehende Sonne) mit dem Schattenwurf des Bildes nicht im
Einklang steht (vgl. z. B. die Schatten
beim Glücksspiel). Bei diesen allgemeinen Fragen ergibt
sich bei ihr folgendes: "Insbesondere die Landschaft und
ihre Farbigkeit dienen dazu, die allegorische und didaktische
Bildstruktur zu veranschaulichen." (S. 109) Ihr
Hauptbestreben ist dann, die verschiedenen Tätigkeiten, auch
die der Monatsdarstellungen, den Planetenkindern zuzuordnen;
das Ergebnis dieses Bestrebens formuliert sie am Ende (S. 136)
so: "So spielen, entgegen der bisherigen" - d. h.
bei KPS - "Annahme, die Darstellung werde von der
Planetentrias Sol, Luna und Mars beherrscht, auch Venus und
Jupiter innerhalb des Bildgeschehens eine gleichwertige
Rolle." Und das, obwohl sie eine Seite vorher (S. 135)
feststellte, dass Gerung bei den Planeten eine Auswahl
getroffen habe, so dass Merkur keine Bedeutung habe und
Jupiter nur eine unbedeutende Rolle spiele.
Nach der allgemeinen Beschreibung beschäftigt sich Eichler
mit "Vorbilder(n) und Bildtradition". Hier folgt sie
Müller mit ihrem Hinweis auf Hans Sachs als literarisches
Vorbild; bei der "Bildtradition" stellt sie u. a.
Behams Zyklus der Planetenkinder außer Jupiter und Merkur
vor. Am Ende dieses Teils betrachtet sie die Planeten des
Wolkenlochs rechts oben genauer und bezweifelt die Zuweisung
der schießenden Frau an Luna, da Luna so nicht nachweisbar
sei. Sie plädiert deshalb auf Venus. Da sie in dieser
Götterformation eine Eigenleistung von Gerung sieht, gibt sie
auch keine Deutung, ist später (S. 134) bei der Vermutung
einer möglichen Konjunktion des Jahres 1558 auch sehr
vorsichtig.
Im nächsten Teil geht sie auf "Die allegorischen Figuren
der Melancholia und ihres Adepten" ein. Beim Vergleich
mit Dürer ergeben sich für sie mehr Unterschiede als
Gemeinsamkeiten, eine größere Ähnlichkeit liege bei Georg
Pencz vor, über dessen "Melancholia" sie sich so
äußert: "Die allegorische Figur von Pencz' Melancholia
beinhaltet in ihrem direkten Bezug zum Betrachter, ähnlich
der Gerungschen 'Melancolia', eine Mahnung an ihn, indem ihre
verführerischen sinnlichen Reize gegenüber ihren wissenschaftlichen
Attributen hervorgehoben werden." (S. 128) Können
sinnliche Reize denn nur mahnen? - Beim Kosmographen stützt
sie die auch bei Müller vertretene Auffassung, es handle sich
um Saturn, mit drei Argumenten: er gehe einer
naturwissenschaftlichen Tätigkeit nach, ihm sei die
menschliche Beschäftigung der Landwirtschaft zugeordnet und
bei ihm lagere ein Krüppel. Den Bezug zur Landwirtschaft kann
nur der sehen, der nicht diesen konkreten Mann, sondern die
Ähnlichkeit zu Girolamo da Santa Croces Bild
"Saturn" (Müller S. 23 und KPS, Tafel 57) sieht; im
Krüppel erkennt man ein Saturnkind; Eichler hatte vorher (S.
110) ja schon behauptet, dass der Kosmograph
zu dem Krüppel hinschaue und deshalb nicht beziehungslos
sei, wie ja KPS festgestellt hatten. Da die Weltscheibe des
Kosmographen auch eine Ähnlichkeit aufweist mit der
Gottvaterdarstellung aus der Nationalbibliothek Wien, der die
Welt vermisst, stellt Eichler fest: "Es ist kein Zufall,
dass Gerung in seiner Figur diese gedankliche Verbindung
schuf, stellt Saturn doch in diesem Falle eine Beziehung
zwischen irdischer und göttlicher Sphäre her. Die von Gott
erschaffene Welt wird von den Menschen des melancholischen und
saturnischen Temperaments erforscht." (S. 129) Immerhin;
Müller hatte ja die Zirkeleinstichstellen auf der Weltscheibe
mit dem Bildhintergrund in Beziehung gesetzt und daraus
geschlossen, dass der Kosmograph sich mit trügerischen
Himmelserscheinungen beschäftige ...
"Die literarischen Verbindungen zu Hans Sachs" sind
auch bei ihr gegeben: "Zur Deutung der Tafel ist die
Verknüpfung mit der didaktisch-allegorischen Spruchdichtung
von Hans Sachs unerlässlich." Denn beider Ziel sei die Affektbeherrschung.
"Auch Hans Sachs intendierte in seinen allegorischen
Gedichten eine Verknüpfung von Allegorie und Didaxe
(sic!)." (S. 130) Hier liegt, wie schon bei Müller, der
entscheidende Interpretationsansatz: Weil bei Sachs etwas
gegeben sei, muss es bei Gerung auch so sein, deshalb muss
Gerungs Bild insgesamt eine Warnung vor dem eigenen Trieb
sein, deshalb ist auch der Auftraggeber nicht Ottheinrich,
sondern ein städtischer Bürger wie Hans Sachs, so in ihrem
letzte Großabschnitt über den "Auftraggeber" (S.
134)
Aus ihrer "Zusammenfassung" erscheinen mir zwei
Sätze zitierenswert: "Verschiedene Deutungsebenen
gelangen hier zur Synthese." (S. 135) Das klingt
wenigstens gut. Und: "Die Abgrenzung der einzelnen
Schauplätze voneinander könnte der wahnhaften
Selbstbezogenheit des menschlichen Individuums das Wort reden,
in dem dieser (sic!) den Blick für die übergeordneten
Zusammenhänge der Welt und ihres Schöpfers verliert."
(S. 137) Eichler versteht also das Gerung-Bild letztlich als
eine Parallele zu Sebastian Brants "Narrenschiff":
Das weltliche Treiben ist nur gottferne Narrheit. Aber wirkt
das Bild wirklich so?
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3. Meine
Überlegungen zum Bild
Bei diesem Bild ist es wohl leichter,
die Grenzen fremder Interpretationen zu sehen als eine
schlüssige Deutung zu liefern.
Klibansky-Panofsky-Saxl bieten eine
Überfülle an Material zum Thema "Saturn und
Melancholie", sie wollen aber meiner Ansicht nach nicht
als die gültige Interpretation des Gerung-Bildes
verstanden werden. Liest man ihr Werk, so wird - wie oben
(2.a) gezeigt - klar, dass für sie Gerung allenfalls eine
interessante Marginalie ihres eigentlichen Forschungsanliegens
ist. Die zwei Seiten über Gerung sind wohl das Ergebnis eines
schnellen Blicks von kundigen Fachleuten.
Christian Müller verdanke ich den Blick auf Bild-Parallelen.
Ich kann ihm bei seiner Intention aber nicht folgen, auch wenn
Anja Eichler sie für einen "akzeptablen Schluss"
hält: Die Basis des einen Gedichts "Die eytel vergencklich freud unnd wollust
dieser welt" für die moralische Deutung des
Gerung-Bildes und die Entscheidung gegen Ottheinrich als
Auftraggeber ist angesichts der Fülle an Bezügen im
Gerung-Bild allzu dürftig.
Da für die hier entwickelte moralische
Deutung Hans Sachs so wichtig ist, sollte man einen Blick auf
die herangezogenen Werke werfen: eigene Seite: Gerung und Hans
Sachs. Hier zeigt sich, dass die Intention von Sachs'
"Eytel Freud" gerade nicht die rationale
Bewältigung eines törichten Triebs ist.
Anja Eichler hat sich ausführlich mit den Planetenkindern
beschäftigt. Da ergeben sich zum Ansatz und zum Ergebnis je
eine zentrale Frage. Bei ihr wird nie die Frage gestellt,
welche Funktion diese Planetenkinder in der Bildtradition
eigentlich haben; auch dazu liefern KPS ausführliches
Material. Und die andere Frage: Welche Erkenntnis ergibt sich
fürs Gerung-Bild daraus, dass man eine bestimmte Szene einem
bestimmten Planeten zuweisen kann?
So ist das Gerung-Bild im Grunde immer
noch rätselhaft; Müller und Eichler konnten mir das Bild
noch nicht entschlüsseln.
Auf
meiner Planetenkinderbilder-Seite habe ich versucht, der Frage
nachzugehen, welchen Ertrag für die Deutung des
Gerung-Bildes das Betrachten der - teilweise herrlichen -
Planetenkinderbilder ergibt. Das Ergebnis findet sich
praktisch schon in der Karlsruher
Bilderklärung: "Das Bild ist eines der seltenen
Zeugnisse profaner deutscher Tafelmalerei der Renaissance und
noch bemerkenswerter dadurch, dass es eine
für den Besteller allein entworfene Allegorie
darstellt und nicht die Illustrationen (sic!) eines
literarischen Werkes oder zu einer Folge der Temperamente,
Planetenkinder oder Jahreszeiten gehört."
Aber was ist die Bedeutung dieser Allegorie?
Vielleicht ist es hilfreich, das Bild selbst mit allen seinen
Details noch einmal gründlich zu betrachten: Seite:
Fragen an Gerung.
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Zur Einführung der Gerung-Seite:
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