MATTHIAS GERUNG: MELANCOLIA 1558

 

BEZIEHUNGEN ZWISCHEN HANS SACHS UND MELANCOLIA 1558?

Nimmt man die von Christian Müller gelegt Spur auf, so findet man bei Hans Sachs interessante Texte - nicht nur die beiden von Müller herangezogenen. Ein in diesem Zusammenhang interessantes Detail möchte ich nur erwähnen, dann die beiden bei Müller genannten Texte ("Die eytel freud ..." und "Die starck gewonheyt") vollständig anführen und noch zwei weitere vorstellen, deren einer ("Gesprech der Philosophia") Sachsens Melancholie-Bild erschließen kann, deren anderer ("Die siben alter ...") das Planetenkinder-Problem aus etwas anderer Sicht zeigt.

Das Detail betrifft den Namen "Jeck" ("Los, Ieck, Greta Lend hat 13 baczen verspilt") auf dem Schriftband im Gerung-Bild.
Der Eingangs-Text des unten nachgewiesenen Sachs-Bandes heißt: "Comedia oder kampff-gesprech zwischen Juppiter und Juno, ob weiber oder mender zum regimentn tüglicher seyn; hat v person" - also ein recht aktuelles Thema. Eine Person dieses Stücks ist der Narr "Jeckle/Jecklein", er spricht auch den Prolog. Bevor Teiresias, den die beiden Streitgegner als Richter zugelassen haben, weil er in seinem Leben Mann und Frau war, sein Urteil verkündet, werden die beiden anderen Personen, also Merkur und eben Jeckle, um ihre Meinung befragt. Jeckle plädiert dafür, Mann und Frau jeweils abwechselnd eine Woche regieren zu lassen! Der Narr Jeck(le) ist also nicht der Trottel, sondern der, der die Folgen seiner an sich berechtigten Meinung nicht ganz bedenkt.

Die eytel vergencklich freud unnd wollust dieser welt.

Eins mals lag ich nach mitternacht,

Unnd mein gantz leben hindter-dacht

Wie offt mein glück sich het verkert

Und mir kein freud nye wer beschert,

Als manchem man in dieser zeyt,

Sonder inn aller trawrigkeyt

Mein zeyt verzehret het biß-her.

Des sich mein hertz erhub inn schwer,

Mein aygne hartsel zu verfluchen. 

Gedacht: O das ich möcht versuchen 

Freud unnd wollust inn meynen tagen, 

Das ich doch auch darvon künd sagen!

Inn den gedancken ich entnucket

Unnd ward inn süssem traum entzucket.

 

Inn dem selben gedauchte mich,

Wie zu mir eintret sichtigklich

Ein adelich gekröndtes weyb.

Geschmucket ward ir gantzer leyb,

Recht als ein keyserin gezieret,

Gantz engelisch geliedmasiret

Unnd het zwen flügel inn dem rück.

Die tratt mir zu und wünscht mir glück

Unnd sprach: Wollauff, ich bin genandt

Fraw Voluptas, zu dir gesand,

Dein traurigs hertze zu erquicken.

Mein schetz will ich dich laßn anblicken.

Vor freuden sprang ich auff entpor.

 

Ich folgt ir nach, sie gieng mir vor

Für eynen walt und füret mich

An eynen berg gar wunsamlich

Zu dreyen wol erpawten pforten.

Darob da stund mit diesen worten:

Alle ding die seind gottes werck,

Darumb bin ich der freuden perck.

 

Durch diese pforten gieng wir ein,

Auffwertz gehn perg, da mir erschein

Ein wolgezierte starcke vesten,

Viereckicht hoch gantz nach dem besten,

Auß quader-stein mit schönen zinnen,

Erpaut nach maysterlichen sinnen,

Gar scheinbarlich, der berg war rund,

Den ich kaum ubersehen kund,

Mit eynem hag umb-zogen schon.

Ringsweiß fürt sie mich umb den plon

Durch welsch weinstöck, zipper-weinreben,

Rosin unnd mandel auch darneben,

Margronat-öpfel, dattel, feygen, 

Pomerantzen; auff grünen zweygen 

Hört ich der vogel süß gedön.

Der berg war allenthalben grön,

Von wurtzen, lilgen unnd von blumen.

O wer möcht all zier uber-summen!

Darinn erglentzt die liechte sunnen.

Viel sach ich der quellenden prunnen

Mit frischem wasser uber-wallen.

Zu reden kürtzlich von dem allen,

Daucht mich der perg inn aller weiß

Sein das schön irrdisch paradeiß,

Weil all frücht so volkummen was.

 

Fraw Wollust sprach: Wie gfelt dir das?

Ich sprach: Wol. O möcht ich auch sehen

Die bürg! Sie sprach: Das sol geschehen.

 

Unnd füret mich auffwertz darfür,

Hin-nein durch ein eyßrene thür,

Mit rigel, schlossen wol verwart.

Die burg war nach der Römer art

Gewölbt, vor fewer zu befrieden,

Mit sewlen artlich undterschieden,

Gemachsam, gwaltig, starck und fest,

Das ich nit anderst mich verwest,

Dann het sie Luculus erpaut.

Oben herumb ich auch erschaut

Uralt haydnische arma hangen.

 

Nach dem kam wir auffwertz gegangen

Zu eynem königklichen sal

Vol edler geste uberal,

Geziert zu freudenreicher glori,

Viel döppichen alter histori.

Mitten ein fürstliche credentz,

Alda mit grosser reverentz

Wurden die gest zu tisch gesetzt.

Also mich fraw Wollust zu-letzt

Setzt undter andern auch zu tisch.

Auff-trug man wiltbret unnd gut visch,

Köstlich getranck mit uberschwal,

Als wers Aswerus abendmal.

Zu tisch man dienet und hofiert,

Mit sayten-spiel und gsang quintiert.

Ein tratten auch zwo mummerey

Unnd es spielet die erst parthey

Ein ernsthaft, trawrige tragedi,

Die ander ein fröliche comedi.

Mit dem das mal geendet war.

Auff stund die adeliche schar,

Anfieng ein schönen welschen dantz.

Eins thayls spielten und wurffen schantz.

Ettlich abgiengen inn den garten,

 

Ich gieng mit fraw Wollust, der zarten,

Auffwertz, zu beschawen die festen,

Da zaygt sie mir die aller-besten

Gemach, darinn harnisch und weer,

Geschmuck zu ritterlicher ehr,

Gewand und kleynat mancherley,

Auch ein trefliche lieberey.

Auff dem gesimbs sach ich viel possen,

Auß glocken-speiß künstlich gegossen, 

Artlich gemel alter geschicht, 

So mancherley, das ich sie nicht 

Erzelen kan, als sich gebürt.

 

Fraw Wollust mich noch höher fürt

Inn diesem wol erpauten schloß,

Da ich fand gut gewaltig gschoß,

Mit hand-gschütz zu der weer auch innen.

 

Erst fürt sie mich nauff an die zinnen,

Zeygt mir herab auff weytem platz

Der freud ein uberflüssing schatz.

Da sach ich inn dem garten nieder

Das volck kurzweylen hin und wider.

Ein par sach ich mit scharpffen klennen

Wol gerüst ein ander ab-rennen. 

Dort sach ich wettlauffen, da springen, 

Hie fechten, steinstossen und ringen. 

Auch sach ich unden umb den berg 

Etlich nach-hengen dem weydwerg.

Fischen sach wir unnd vögel fahen. 

Hertz-lieb bey hertzen-lieb wir sahen 

Inn rosen-püschen sich ermeyen.

Eins thails die tratten singend reyen.

 

Inn summa alle freud auff erd

War da, was menschlich hertz begerdt.

 

Darnach fraw Wollust mit der hand

Zaigt mir biß inn fünff fürsten-landt.

Do sach ich berg, dort finster welder,

Hie paumgerten und dort pawfelder,

Neben ein blumen-reiche wiesen,

Daran ein fischreich wasser fliesen.

Gehm niedergang sach ich mit rat

Erpaut ein kayserliche stat.

Diß als erzel ich auff das kürtzt.

Mein hertz inn freuden uber-stürtzt. 

Inn diesem jubel und frolocken 

Sach ich die kayserlichen docken 

Sich vonn mir schwingen inn die lüfft, 

Der ich gar hertzigklich nach-rüfft.

Inn dem schrecken ich aufferwacht. 

 

Da war die finster forchtsam nacht 

Ob mir und war der freuden traum 

Verschwunden, als ein wasser-schaum.

Do dacht ich mir, wie gar vergencklich

Sin irrdisch wollüst uberschwengklich,

Recht wie ein schatt an eyner wend,

Wie könig Salomon bekendt.

Nach dem er zelt all wollüst her,

Heist er sie eyttel unnd gantz ler,

Unbestendig unnd unersetlich,

Menschlichs gemüts, auß den auch etlich

Philossophi trieben den spot.

Darumb, o mensch, wend dich zu Got,

Von diesen zergencklich irdischen 

Wollüsten auf zu den himlischen, 

Da ewig freud dir blü und wachs! 

Wünscht dir von Nürnberg Hans Sachs.

Anno salutis 1534, am 8 tag Aprilis.

Quelle:
HANS SACHS, herausgegeben von Adelbert von Keller, 
Vierter Band, 1964, Georg Olms Verlagsbuchhandlung, Hildesheim
Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1870
S. 165 - 169

Fettdruck: Textzitat bei Christian Müller

Einst lag ich nach Mitternacht

und in Betrachtung meines ganzen Lebens überlegte ich,

wie oft sich mein Glück veränderte

und dass mir nie Freude beschert war,

wie es eben manchem Menschen heutzutage geschieht,

sondern dass ich nur in Traurigkeit

meine bisherige Lebenszeit aufgebraucht habe.

Daran trug ich schwer und begann,

meine eigene Mühsal zu verfluchen.

Ich dachte: 'Wenn ich doch eine Kostprobe

von Vergnügen und Freude in meinem Leben bekäme,

damit ich darüber mitreden könnte!'

In den Gedanken versank ich

und träumte einen beglückenden Traum.

 

Im Traum kam es mir vor,

dass zu mir hereinkäme eine offensichtlich

adlige, gekrönte Frau.

Ihr ganzer Körper war schmuckbehangen,

sie trug den Ornat gerade wie eine Kaiserin,

ihre Gestalt war engelsgleich,

denn sie hatte auf dem Rücken zwei Flügel.

Die trat zu mir, beglückwünschte mich

und sprach: "Vernimm, ich heiße

Frau VOLUPTAS und bin zu dir gesandt,

um dein trauriges Herz zu erquicken.

Ich werde dir meine Schätze zeigen!"

Voll Freude sprang ich empor.

 

Sie ging voraus, ich hinterher

bis vor einen Wald, dann führte sie mich

an einen eigenartigen Berg,

zu dem drei schön gebaute Tore hinführten,

über denen folgende Inschrift stand:

"Alle Dinge sind Gottes Werk,

deshalb bin ich der Berg der Freuden."

 

Wir traten durch diese Tore ein,

und oben auf dem Berg, da erschien mir 

eine schön geschmückte, starke Burg,

sie war vollkommen quadratisch,

war aus Quadersteinen mit schönen Zinnen

architektonisch meisterhaft errichtet;

der Berg war offensichtlich rund,

auch wenn ich ihn nicht ganz überblicken konnte,

und mit einer schönen Einfriedung umgeben.

Im Kreis führte sie mich um den Platz

durch welsche Weinstöcke, Zipper-Reben,

Rosinen und Mandeln, die daneben standen,

durch Granat-Äpfel, Datteln, Feigen und

Pomeranzen; auf grünen Zweigen

hörte ich süßes Vogellied.

Der ganze Berg war grün

von Pflanzen, Lilien und Blumen.

O, wer könnte die Fülle dieser Pracht ausrechnen!

Innen strahlte die helle Sonne.

Ich sah viele Quellen

übersprudeln von frischem Wasser.

Um mich kurz zu fassen,

der Berg kam mir jedenfalls vor,

als wäre er das irdische Paradies,

da er jede Art von Früchten aufwies.

 

Frau WOLLUST sprach: "Wie gefällt dir das?"

Ich antwortete: "Sehr gut! O könnte ich doch auch

die Burg besichtigen!" - Sie sprach: "Das soll geschehen!"

 

Sie führte mich in die Höhe zur Burg und

ins Innere durch eine eiserne Tür,

die mit Schloss und Riegel gut gesichert war.

Die Burg hatte ein romanischen Gewölbe,

um vor Feuer sicher zu sein,

besaß Säulen verschiedener Ordnung,

war geräumig, gewaltig, stark und fest,

dass es mir gerade so vorkam,

als hätte sie Lukullus erbaut.

Oben herum sah ich auch

uralte Römerwaffen hängen.

 

Beim Hinaufsteigen kamen wir 

an einen königlichen Saal,

der ganz mit edlen Gästen gefüllt 

und geschmückt war zum Ruhm voller Freude,

mit vielen Wandteppichen mit Bildern der Geschichte.

In der Mitte stand eine fürstlich Kredenz,

wo mit großer Ehrerbietung

die Gäste zu Tisch gesetzt wurden.

Hier ließ mich Frau Wollust zuletzt 

bei den anderen Gästen Platz nehmen.

Man servierte Wildbret und guten Fisch,

köstlichen Wein in großer Auswahl

als wäre es Ahasvers Abendmahl.

Bei Tisch wird man bedient und umsorgt

mit Saitenspiel und quintiertem Gesang.

Es traten auch zwei Schauspieltruppen auf,

deren erste

eine ernsthafte, traurige Tragödie spielte,

deren andere eine fröhliche Komödie.

Nach Beendigung des Mahls

stand die adlige Schar auf

und begann einen schönen welschen Tanz.

Manche begannen, mit Würfeln zu spielen,

andere gingen in den Garten hinab,

 

ich stieg mit Frau Wollust, der Zarten,

hinauf, um die Burg weiter zu besichtigen,

da zeigte sie mir die allerbesten Gemächer,

in denen sich Rüstungen und Waffen,

Schmuck zur ritterlichen Repräsentation,

Gewänder und allerlei Juwelen befanden,

übrigens auch eine wohl ausgestattete Bibliothek!

Auf dem Gesims sah ich viele kleine Figuren,

die aus Glocken-Speise kunstvoll gegossen waren,

auch kunstvolle Gemälde mit historischen Darstellungen,

so viel, dass ich sie gar nicht beschreiben kann,

wie es sich eigentlich gehörte.

 

Frau Wollust führte mich noch höher hinauf

in diesem wohl erbauten Schloss.

Da fand ich starke Geschütze auch innen,

außerdem Handfeuerwaffen zur Verteidigung.

 

Dann erst führte sie mich hinauf auf die Zinnen

und zeigte mir unten auf weitem Platz

eine überreiche Ansammlung von Freuden.

Ich sah, wie unten im Garten

das Volk seinen Vergnügungen nachging.

Ein paar sah ich, wie sie gut gerüstet einander

mit scharfen Stangen im Rennen niederwarfen.

Dort sah ich welche wettlaufen, da springen,

hier fechten, Stein stoßen und ringen.

Auch sah ich unten, wie sich etliche unten am Berg

der Jagd widmeten.

Wir sahen welche fischen und Vögel fangen.

Geliebte sahen wir bei Geliebten

in Rosenbüschen, wie im Mai üblich, sich erfreuen.

Manche sangen beim Tanz.

 

Kurz und gut: Es gab hier alle Freud auf Erden, 

wonach eben Menschenherz verlangt.

 

Danach zeigte mir Frau Wollust mit der Hand

die Gegend bis zum Fünf-Fürsten-Land.

Da sah ich Berge, dort finstere Wälder,

hier Baumgärten, dort bestelltes Land,

daneben eine blumenreiche Wiese,

an der fischreiches Wasser floss.

Nach Westen hin sah ich eine planvoll

erbaute kaiserliche Stadt.

All das erzähle ich ja nur in äußerster Kürze,

mein Herz ist nämlich von Freuden überschüttet.

In diesem Jubel und Frohlocken

sah ich das kaiserliche Mädchen

sich von mir weg in die Lüfte schwingen.

Ich rief ihr herzlich nach,

und im Schrecken wachte ich auf.

 

Da war um mich finstere, beängstigende Nacht,

und der Traum von den Freuden war

verschwunden wie Schaum auf dem Wasser.

Da dachte ich mir, wie vergänglich sind doch

auch noch so überreichliche irdische Freuden,

genau so, wie Schatten an einer Wand,

wie es König Salomon beschreibt.

Nachdem er alle Freuden aufgezählt hat, 

nennt er sie eitel und völlig leer,

unbeständig und unersättlich,

Gegenstand des menschlichen Fühlens, über die

auch etliche Philosophen schon spotteten.

Deshalb, Mensch, wende dich Gott zu,

wende dich weg von den vergänglichen, irdischen 

hin zu den himmlischen Freuden,

aus denen dir die ewige Freude erblühe und wachse.

Das wünscht dir Hans Sachs aus Nürnberg.

 

Im Jahre des Heils 1534, am 8. April.

 

Was wird hier dargestellt? Mit welcher Intention?
Das lyrische Ich sehnt sich nach Glückserfahrung und wird dann in einem Traum von der Göttin der Freude "Frau Voluptas" - die hier im Unterschied etwa zur stoischen Sicht durchweg positiv als die Herrin der irdischen Glücksmöglichkeiten gezeigt wird - durch einen repräsentativen Garten geführt. Schon die Inschrift über den Toren zeigt, dass es sich um etwas Positives handelt. In der Burg darf das lyrische Ich an einem Hoffest teilnehmen, er darf den Reichtum der Ausstattung der Burg bewundern und am Schluss von den Zinnen ins Land blicken, wo er wieder nur schöner Dinge gewahr wird: sportlicher Aktivitäten, der Jagd und der Liebe. Und als er aus dem Traum erwacht und wieder seine bedrückende Realität empfindet, wird ihm eine Sache klar: Diese wunderschönen Freuden werden noch von den himmlischen übertroffen, weshalb er sich diesen zuwenden soll. - Es geht also in Form einer Überbietung um den Preis der "ewigen Freude".
Wenn also Christian Müller Gerungs Bild als "Aufforderung zur Enthaltsamkeit" auffasst, so lässt sich das gerade aus dem Vergleich mit diesem Sachs-Text nicht herausholen.

Die starck gewonheyt.

Fru inn des mayen wun,

Eh wann auff-gieng die sunn

Mit ihren streymen hayß,

Nam ich mir für ein rayß

Inn ein blüendtreiche aw.

Es het der küle taw

Das gantze land befeuchtet.

Auß grünem graß her leuchtet

Manch rößlein rot unnd weiß.

Also kam ich gar leiß

Zu eynem brünlein kül

Bey eyner öden mül.

Zu dem ich nieder saß

Inn das lang grüne graß,

Mit blümblein gemosiret,

Allerley farb gezieret,

Das wunsamlichen schmecket.

Mein haubet ich bedecket

Unnd mich gar nieder neyget. 

Inn freud ward ich geschweyget. 

Ich hört die windlein wehen, 

Auß dem wald in der nehen 

Her durch die baumen rauschen.

Inn solchem stillen lauschen 

Wurden mein sinn entzucket, 

Deß ich mit schlaff entnucket. 

 

Inn dem traum mir erschin 

Klerlich, wie ich wer inn

Eyner klar reichen wyesen,

Darumb ring-weiß war fliesen

Ein gantz zynlauter pach.

Auff diesem platz ich sach

Viel auffgeschlagner zelt,

Als ob die gantze welt

Alda zu felde leg.

 

Ich schaut umb, war nit treg,

Allerley volcks auff erdt

Sambt allerley geperdt,

Was doch menschlicher wandel

Yebt inn all seynem handel.

Ich sach lauffen unnd ringen,

Fechten, kempffen unnd springen,

Stechen, rennen unnd thurnieren

Hetzen, jagen, spacieren

Vögel fahen unnd vischen

Auch sach ich an vil tischen 

Essen unnd panckatieren, 

Singen, sprechen, hofiren.

Auch hertz-lieb bey hertz-lieben

Ir viel groß eyfer trieben.

Ich sach reyen unnd dantzen,

Auch spielen und umbschantzen,

Rechnen, kauffen, verkauffen,

Arbeytn ein grossen hauffen. 

Ich sach dichten unnd schreyben

Groß pracht gar fürstlich treyben, 

Kriegen, brennen unnd mörn

Sehr pawen unnd zerstörn.

 

Ich sach schetzen unnd rauben,

Steln, meyneyd unnd unglauben,

Sach weybisch sein unnd mendlich,

Sah faul sein, rösch und endlich,

Sach günstig sein unnd neyden,

Wol reden unnd ehr abschneyden.

Ich hört warheyt unnd liegen,

Trew halten unnd betriegen.

Ich hört still sein und dadern,

Friedlich sein unnd auch hadern,

Zornig sein unnd senfftmütig,

Hoffertig und demütig.

Ich hört loben unnd schenden,

Sach sparen unnd verschwenden,

Sach samlen unnd zerstrewen

Sach trawren unnd sich frewen

Sach billich unnd unbillich

Wider-spenstig unnd willig

Auch sach ich ernst unnd schimpff,

Ich sach schimpff unnd unglimpff,

Feindschafft unnd freundschafft machen,

Ich sach weynen unnd lachen,

Sach frölich unnd betrübet.

Also ein yedes übet

Sein thun für sich besunder. 

 

Inn dem sach ich gar wunder 

Ein uberstarckes weyb, 

Vierschrötig, groß von leyb, 

Die war umbhenget gantzer

Mit eynem stehelen pantzer. 

Verhület war ir angesicht, 

Das mans mocht kennen nicht. 

Trug inn der eynen handt 

Wol tausenterley bandt.

 

Diß weyb gar haymelich 

Ring-weiß herumber schlich 

Zu ob-gemelter schar. 

Eh ir eins innen war, 

So wurd es uberwunden,

Von ihr gfangen unnd bunden 

On sein gedanck und wissen. 

War darnach erst geflissen 

Inn seynem thun und handel, 

Gut oder bösen wandel,

Samb wer es dran gebunden,

So krefftig uberwunden

Mit der melancoley,

Samb kombs von zauberey.

 

Also die grosse menig

Dem weib ward undterthenig, 

On ein uralter man, 

Der thet ihr frey entgan, 

Der thet ir kein genad. 

Dem eylt ich zu gerad 

Unnd bath ihn fast unnd hoch, 

Mir an zu zeygen doch, 

Wer dieses weib doch wer, 

Die also mit gefehr 

Alda umb-schleichen ist, 

Gleich samb durch zauber-list 

Die leut fieng an ihr wissen. 

Er antwort mir geflissen: 

Das weib mit ihrem band, 

Consuetudo genandt, 

Das ist die gewonheyt, 

Welche still mit der zeyt 

Die menschen hindter-schleicht 

Unnd listig hindter-kreucht, 

Sie also uberwindt, 

Mit eyßren banden bind. 

Eh ir der mensch wirt innen, 

Brüfft oder thut entpfinnen, 

So ist er schon gefangen, 

Das er dem ob muß hangen, 

Dem gscheffte oder handel, 

Gut oder bösem wandel, 

Das er gewonet hat. 

Gantz und gar nichts verstat, 

Obs ubel oder wol steh, 

Obs wol thu oder weh, 

Obs schad sey oder nutz, 

Obs böß bring oder guts, 

Obs ehr sey oder schandt. 

Auch fragt er nach nyemandt. 

Was man denn ziech oder straff. 

Er geht hin wie im schlaff, 

Wie man spricht: Ein saumroß, 

Das macht sein gwonheyt groß,

Die maystert sein vernunfft.

Willn und gedechtnuß-zunfft

Unnd im bind also starck 

Sein gmüt, fleisch, bein und marck,

Wann man spricht: Gwonheyt pur

Ist die ander natur.

Auch spricht man: Gwonheyt frembd

Ist ein steheles hembd,

Als ob die gwonheyt dreng,

Den menschen trieb und zweng,

Des, wes er gwonet hab,

Das er davon nicht ab

Kan lassen, wenn er will.

 

Schaw! darob hebt sich viel

Unrathes inn der welt,

Wie vor nach leng gemelt,

Das sich offt klein anspinnet,

Biß er ein anfang gwinnet,

Das böß gwonheyt eintringet,

Ein laster sander bringet,

Die sich mit hauffen mehren,

Den ist nicht mehr zu wehren,

Es ist gehart zu lang.

 

Derhalben im anfang,

Wer unglück will entgehn,

Soll krefftig wieder-stehn,

Weyßlich an allen orten,

All gedancken, werck und worten,

Darvon laster entspringen,

Ein-wurtzln unnd durch-dringen,

Starck werden durch gwonheyt;

 

Sunder inn aller monheyt

Der edlen zarten tugend

Soll sich alter unnd jugend

Gewehnen im anfang

Wenn man die bringt inn schwang

Unnd ir gewonen thut,

Dem gibt sie alles gut,

Ein inwendig wol-leben,

Thut auch dem menschen geben

Ein wandel so holdselig,

Gott und menschen gefellig,

Macht in scheinbar und herrlich,

Gantz lob-wirdig unnd ehrlich,

Sinn, gedechtnuß unsterblich,

Inn unglück unverderblich.

All ihr diener sie krönet

Unnd sie reichlich belönet

Beyde inn todt unnd leben,

Spricht Seneca, darneben

Die tugend jagt mit schmertzen

Die laster auß dem hertzen,

Wo sie durch gwonheyt wachs,

Wünscht von Nürmberg Hans Sachs.

 

Anno salutis 1544 am 4 tag Junii.

Quelle:
HANS SACHS, herausgegeben von Adelbert von Keller, 
Vierter Band, 1964, Georg Olms Verlagsbuchhandlung, Hildesheim
Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1870
S. 170 - 175

Fettdruck: Textzitat bei Christian Müller

An einem Morgen im Wonnemonat Mai

entschloss ich mich vor Sonnenaufgang

und dem Beginn der Hitze

zu einer Wanderung

in eine Wiesenlandschaft voller Blumen.

Der kühle Tau

hatte das ganze Land befeuchtet.

Aus grünem Gras leuchtete

manches rote und weiße Röslein.

Also kam ich geräuschlos

an einen kühlen Brunnen

bei einer verlassenen Mühle.

Bei ihm setzte ich mich nieder

ins lange, grüne Gras,

das mit Blümchen durchmasert,

und vielen Farben geschmückt war:

Es war für die Augen eine große Freude.

Meinen Kopf hatte ich bedeckt

und mich ganz hingelegt.

Vor Freude schwieg ich still;

die leichten Winde hört ich wehen

und aus dem nahen Wald

durch die Bäume hierher rauschen.

In solch stillem Lauschen

geriet ich in Begeisterung

und versank in Schlaf.

 

Im Traum sah ich ganz deutlich,

wie ich mich

auf einer hellen, reichen Wiese befand.

Rings um die Wiese floss

ein ganz lauter Bach. 

Auf diesem Platz sah ich

viele aufgeschlagene Zelte, 

als ob da die ganze Welt

zu Felde läg.

 

Ich schaute herum, war nicht untätig,

sah viel Volk auf Erden

bei allerlei Beschäftigungen,

was doch der Mensch in seinem Lebenswandel

alles an Handlungen hervorbringt!

Ich sah Laufen und Ringen,

Fechten, Kämpfen und Springen,

Stechen, Rennen und Turnierkämpfe,

Hetzjagden, andere Jagden und Spaziergänge,

Vogel- und Fischfang.

Auch sah ich an vielen Tischen

Leute essen und Bankette abhalten,

sah Singen, Unterhaltungen, den Hof Machen.

Auch Geliebte mit Geliebten

kümmerten sich umeinander mit großem Eifer.

Ich sah Reigen- und andere Tänze,

auch Spiel und Würfelspiel,

Rechnen, Kaufen und Verkaufen,

viele sah ich beim Arbeiten.

Ich sah Dichten und Schreiben,

mancher Leute prächtiges, fürstliches Treiben,

Krieg Führen, Brennen und Trauern,

viel Aufbauen, aber auch Zerstören.

 

Ich sah Brandschatzen und Rauben,

Stehlen, Meineid und Unglauben,

sah weibisches und männliches Verhalten,

sah Faulheit, Schnelligkeit und Beharrlichkeit,

sah Wohlwollen und Neid,

hörte gutes Reden und Ehrabschneidung,

hörte Wahrheit und Lüge,

sah Leute einander Treue halten, auch einander betrügen,

hörte welche stille sein oder plappern,

friedlich sein oder streiten,

zornig sein oder sanftmütig,

arrogant oder demütig.

Ich hörte Loben und Diffamieren,

sah Sparen und Verschwenden,

sah Sammlung und Zerstreuung,

Trauer und Freude,

sah, was recht war oder auch nicht,

sah widerspenstiges und willfähriges Verhalten.

Auch sah ich Ernst und Spott,

sah Spott und Verunglimpfung,

sah Feindschaft und Freundschaft machen,

sah Weinen und Lachen,

sah Fröhlichkeit und Trübsal.

Also jeder Mensch übte

sein besonderes Verhalten aus.

 

Währenddessen sah ich voller Verwunderung

eine außergewöhnlich kräftige Frau,

vierschrötig, groß gewachsen,

die war am ganzen Körper eingeschlossen

von einem stählernen Panzer.

Ihr Gesicht war verhüllt,

so dass man es nicht erkennen konnte.

In der einen Hand hielt sie

wohl tausenderlei Fesseln.

 

Diese Frau schlich heimlich

in Kreisbahnen herum

zu der oben beschriebenen Schar.

Bevor jemand sie wahrnahm, 

wurde er von ihr überwältigt,

gefangen und gefesselt,

ohne dass derjenige daran dachte oder es gar wusste.

Danach gab sich die Person in ihrem Tun oder Handeln

Mühe, 

in gutem oder bösem Verhalten,

als ob es an dieses gefesselt wäre;

so kraftvoll war sie überwältigt

von der Melancholie,

als wäre sie verzaubert.

 

Auf diese Weise war die große Menge

der Frau untertan geworden,

außer einem uralten Mann,

der entging ihr und blieb frei,

der entsprach nicht ihrem Willen.

Auf den eilte ich geradewegs zu

und bat ihn inständig,

mir doch zu verraten, 

wer diese Frau sei,

die so gefährlich

da herumgeschlichen war

und gleichsam durch Zauberlist

die Leute einfing, ohne dass sie es merkten.

Er antwortete mir mit innerer Beteiligung:

"Die Frau mit ihrem Band,

CONSUETUDO genannt,

ist die Gewohnheit, 

welche unauffällig mit der Zeit

hinter die Menschen schleicht,

sich listig bei ihnen einnistet

und sie so überwältigt

und mit eisernen Fesseln kettet.

Eh der Mensch sie wahrnimmt,

sie anspricht oder gar aufnimmt,

so ist er schon gefangen, 

so dass er dem Geschäft oder Handel 

anhängen muss,

sei es gutes oder böses Verhalten,

das er sich angewöhnt hat.

Dabei versteht er überhaupt nicht,

ob es gut oder schlecht steht,

ob's ihm wohl tut oder weh,

ob's Schaden bringt oder Nutzen,

ob's für ihn böse oder gute Folgen hat,

ob's ihm Ehre bringt oder Schande.

Auch kümmert er sich nicht darum,

was man so treibt oder bestraft.

Er benimmt sich wie ein Schlafwandler,

wie man eben sagt: 'Ein Saumross

wird durch seine Gewohnheit groß,

die bringt sein Denken in ihre Gewalt,

seinen Willen und sein ordentliches Gedächtnis

und fesselt ihm in gleichem Maß

sein Gemüt, sein Fleisch, sein Gebein und sein Mark',

denn man sagt: Pure Gewohnheit

ist die andere Natur.

Auch sagt man: Fremde Gewohnheit 

ist ein Hemd aus Stahl,

als ob die Gewohnheit den Menschen

bedrängte, ihn triebe oder zwingen würde

zu dem, was er gewohnt ist,

so dass  er davon nicht mehr wegkommen kann,

auch wenn er will.

 

Schau! Daraus ist viel Schlechtes 

in der Welt entstanden,

wie oben ausführlich dargestellt,

das oft klein beginnt,

bis es so weit gediehen ist, 

dass böse Gewohnheit eindringt;

ein Laster zieht das andere nach sich,

die sich haufenweise vermehren

und denen man nicht mehr begegnen kann:

Die Haare sind zum Schneiden zu lang.

 

Deshalb muss der,

der dem Unglück entgehen will,

am Anfang kräftig, bewusst, überall

Widerstand leisten 

all den Gedanken, Werken und Worten,

aus denen Laster entstehen und

in einen hineinwachsen und einen durchdringen,

die stark werden durch Gewohnheit.

 

Im Gegenteil soll sich Alter und Jugend

mit aller Kraft

an die edle, zarte Tugend

am Anfang gewöhnen;

wer die zur Wirkung bringt

und sich an sie gewöhnt,

dem verleiht sie alles Gute,

ein inneres gutes Leben,

sie gibt dem Menschen auch 

einen so vollkommenen Lebenswandel,

der Gott und Menschen gefällt,

sie macht ihn ansehnlich und sogar herrlich,

überaus lobenswert und ehrlich,

verleiht Sinn und unzerstörbares Gedächtnis,

lässt ihn im Unglück siegen.

Alle ihre Diener krönt sie

und belohnt sie reichlich

in diesem und im nächsten Leben,

sagt Seneca, außerdem 

jagt die Tugend mit Schmerzen

die Laster aus dem Herzen,

wo sie mit Gewohnheit wachsen möge.

Das wünscht Hans Sachs aus Nürnberg.

 

Im Jahre des Heils 1544, am 4. Juni.

Nach einem überaus idyllischen Natureingang, geradezu einem "locus amoenissimus", folgt der Traum des lyrischen Ichs: In Form einer aufwendigen Häufung werden menschliche Tätigkeiten angeführt; vor allem durch die antithetischen Reihen soll der Eindruck von "alle menschlichen Lebensregungen" erzeugt werden. Diese Menschen werden bis auf einen weisen Alten, der dann Gesprächspartner wird, von einer allegorischen Macht beherrscht, der Frau CONSUETUDO/Gewonheyt. Der weitere Verlauf zeigt dann, worum es Hans Sachs hier geht: Thema ist das "Principiis obsta!", das "Wehre den Anfängen!", weil der Mensch in seiner Jugend auf ein Verhalten hin geprägt wird. Es geht also darum, sich in früher Jugend der Tugend zuzuwenden, damit diese zur festen Gewohnheit werden kann.

Durch Fettdruck hervorgehoben sind die bei Christian Müller zitierten Passagen. Ich habe durch Farben kenntlich machen wollen, was bei Gerung vorhanden (blau) und, vor allem, was nicht vorhanden (rot) ist. Bei Gerung wird außerdem gezeigt und bei Sachs nicht angesprochen: die Gaukler rechts unten, der Bereich von Bad und Bordell - "Hertzelieb bey Hertzelieb" kann man wohl besser im Wäldchen links oben ausmachen -, der kirchliche Bereich mit der Wallfahrt und vor allem der Bereich von Hinrichtung und Bestattung. Es besteht also zwischen diesem Gedicht und Gerungs Bild eine Schnittmenge, die sich aufgrund der jeweils verfolgten Themen ergibt.

Ganz am Anfang spricht Hans Sachs von den aufgeschlagenen Zelten, die bei ihm deutlich im militärischen Zusammenhang stehen; was sollen aber die Zelte bei Gerung, vor allem das im mittleren Vordergrund, in das man aber nicht hineinsehen kann?

Christian Müller fasst auf S. 20 seinen Ertrag zusammen. Doch ist dieser Ertrag haltbar, wenn man die beiden Gedichte von Sachs als ganze (!) heranzieht?
"Sachs bezeichnet sein Naturbild einmal selbst als 'Gart des Lebens'. Es verbildlicht die 'Welt und ihr Treiben'." - Das trifft wohl bei der "gewonheyt" zu; bei den "eytel freud" kommt ja nur - logisch! - der positive Teil menschlichen Strebens zur Sprache.
"Hier gehen die Menschen typischen Beschäftigungen nach, die für einzelne Stände oder Berufe charakteristisch sind." - Diese Aussage lässt sich auf die "eytel freud" übertragen, da dort die Freuden des Adels in der Burg stark im Vordergrund stehen; aber das ist wohl nicht der gemeinte Sinn dieser Aussage, die eher den bäuerlichen Tanz und das bürgerliche Wettschießen des Gerung-Bildes betrifft.
"Die Vorstellung eines Gartens als begrenztem (sic!), umschlossenen Bereich (sic!) wird bei Sachs gesprengt. Er erweitert seine Gärten zu einer Landschaft mit Überschau." - Bei der "eytel freud" wird das lyrische Ich ausdrücklich durch ein Tor in den umfriedeten Bereich hineingeführt; und das, was Kontur erfährt, spielt sich innerhalb des Hags ab. Und bei der "gewonheyt" ist alles auf einer bachumflossenen Wiese, eben keinem Garten, angesiedelt.
"Es <der Garten> ist kein Ort mehr, der privaten Charakter hat, sondern die ganze Welt hat Zutritt bekommen." - Was ist hier der Erkenntnisgewinn, wenn doch bei der "eytel freud" die Welt sich innerhalb der Umfriedung bewegt?
"Dieser Kontrast verleiht seinen Gärten <d. i. den Gärten des Hans Sachs> einen paradoxen Charakter." - Diese Aussage ist von den beiden Texten her nicht nachvollziehbar, sie ist aber wichtig, damit Müller gleich danach feststellen kann: "die Schilderung von Tätigkeiten und Gegensätzen findet sich wieder", gemeint ist: im Werk Gerungs. Was Müller als Beleg anführt, ist wieder - bis auf die auffallende Winterszene - nicht nachvollziehbar; aber vor allem stimmt der Kern der Aussage nicht. Wird die "gewonheyt" tatsächlich von den gehäuften Antithesen bestimmt, so fällt ja bei Gerungs Bild die weitgehende und einheitliche Friedlichkeit der verschiedenen Szenen auf; auch die Turniere sind ja nicht als kriegerische Grausamkeit, sondern als Spiel dargestellt.
So bleibt als letztes noch eine Feststellung von Müller: "Auch bei ihm <Gerung wie bei Hans Sachs> herrscht eine allegorische Gestalt inmitten des Welttreibens." - Frau Voluptas in den "eytel freud" wird zwar einerseits als Herrscherin über das "
das schön irrdisch paradeiß" beschrieben, andererseits dient sie dem lyrischen Ich in fremdem Auftrag als Fremdenführerin in ihrem Reich. Frau Consuetudo wird wirklich ausdrücklich als (Zwing-)Herrscherin über die Menschheit dargestellt: Sie hat die tausenderlei Fesseln in ihren Händen, die sie auch einsetzt. Und die Melancolia 1558? Bei ihr fällt ja die schon bei Klibansky-Panofsky-Saxl angesprochene Beziehungslosigkeit zu ihrer Umwelt auf; in welcher Form sie die Menschen beherrschen soll, wird nicht klar.
Was bleibt jetzt vom von Müller intendierten Vergleich? Im Grunde nur die Erkenntnis, dass eine rätselhafte allegorische Gestalt umgeben ist von Menschen, die weitgehend Tätigkeiten nachgehen, die sie erfreuen. Da diese Erkenntnis im Grunde das ist, was ein interessierter Betrachter auch so schon am Bild erkennt, besteht im Vergleich mit Hans Sachs eben nicht der Schlüssel zum Verständnis des Gerung-Bildes.

Gesprech der Philosophia mit eynem melancolischen, betrübten jüngling

Eins mals lag ich im summer, 

Da mir schwermut und kummer 

Mein hertz so streng besaß, 

Ietz umb diß, denn umb das. 

Ich ward so gar entricht, 

Kend mich gleich selbert nicht. 

Daucht mich derhalb allein 

Auff erd der ellends sein, 

Wann alles, was ich redt, 

Gedachte oder thet, 

Das gfiel mir alles nicht, 

Daucht mich als schnöd, entwicht. 

Mein vernunfft, sinn unnd mut, 

Mein handel, ehr und gut 

Das daucht mich als verdorben, 

Gekrencket unnd erstorben. 

Dergleich wurd mein gewissen 

Gemartert unnd gebissen, 

All hoffnung wer vergebens, 

Das mich verdroß des lebens. 

Inn den schweren gedancken 

Und inwendigem zancken 

Ward all mein freud entzwey. 

Mein hertz gar ellend schrey 

Unnd wünscht mir offt den todt 

Zu endung dieser not. 

Offt ich mich trösten wolt,

Mein hertz wider erholt

Von der schwermütigkeyt.

Inn augenblickes zeyt

Kamen herwider schnell

On zal erschröcklich fell,

Das mir darob ward schewtzen.

Ich thet mich offt bekrewtzen.

Forcht und sorg trieb mich streng.

Dwelt war mir samb zu eng.

Mir war inn dem gefell,

Samb wer ich inn der hell.

 

Inn solcher meyner nöt

Gleich-samb die morgen-röt

Mein kemat ganz durchleucht.

Inn dem, als mich bedeucht,

Philosophia trat

Ein zu meyner pettstat,

Ein adeliches weyb,

Schön gliedmasiert von leyb,

Die muter aller tugend,

Die ich lieb het von jugend,

Die redt mich also an:

 

Philosophia:

 

Was thust du, junger man? 

Wie ligst du so betrübet?

 

Der betrübt jüngling.

 

Ich sprach: Ich wirdt geübet 

Hart inn schwermütigkeyt. 

Hab mich darinn sehr weyt 

Verwickelt und verwirret, 

Wie im labrindt verirret. 

Ich bitt dich: hilff mir drauß!

 

Philosophia.

 

Sie sprach: Jag auß deym hauß 

Den aller-schnödsten gast, 

Der dir kein rhu noch rast

Die gantzen nacht hat glassen 

Mit seym falschen ein-blassen, 

Das du kein witz kunst brauchen!

 

Der betrübt jüngling.

 

Inn dem da hört ich hauchen 

Ein blaß-balg bey mein ohren. 

Erst ersach ich inn zoren 

Hindter mir ein alt weyb, 

Dürr und ghruntzelt von leib.

Ir har, geleich den schlangen,

Thet für ihr antlitz bangen,

Ir angsicht dürr unnd gelb.

 

Ich sprach: Bist du die selb,

Die mir mein gmüt und hertz

Mit unruhigem schmertz

Hast gmacht mit deym einblasen?

Far immer hin dein strassen,

Du ernstliches merwunder!

 

Sie aber stund besunder,

Wolt weichen nit von mir,

 

(Philosophia)

 

Biß ernstlich sprach zu ir 

Philosophia, weich! 

Inn dem hauß ist mein reich.

Unnd trowet ir mit der hand. 

Erst die alt hex verschwand, 

Trout mir mit grossem brummen, 

Herwider bald zu kummen.

 

Der betrübet.

 

Inn dem da dauchte mich,

Ein küler wind durch-schlich

Mir meynes hertzen grund.

Als trawren mir verschwund.

Da sprach ich: Ach sag her,

Philosophia! wer

War das grewlich gespenst?

Nenn mirs, wen du es kenst! 

Wann mir nye herter plag 

Geschach all meine tag.

 

Philosophia.

 

Da sprach Philosophia:

Es ist melancolia,

Die dir so mancherley

Ein-bließ der phantasey,

Darmit die leut sie plagt,

Macht forchtsam, unverzagt.

Klein ding kan sie groß machen,

Das einfeltig vierfachen.

Das kurtz das macht sie langk.

Wo sie nembt uber-schwanck,

Da wirt der mensch betaubet 

Unnd seiner sinn beraubet, 

Auch etwan an dem endt 

An sich selb legt sein hend. 

Derhalb folg meynem rat!

Gieb fürbaß ihr nicht stat

Unnd fleuch all ihr ein-blasen!

 

Der betrübt Jüngling.

 

Ich sprach: Wenn sie dermassen

Widerumb zu mir khem,

Der-gleich gehn mir fürnem,

Wie künd ich mich ir weren?

 

Philosophia.

 

Sie sprach: Folg meynen lehren!

Die wurtzel thu abschneyden,

Auß-reutten unnd vermeyden,

Darvon dir kam das ubel,

Unnd im nit mehr nach-grübel!

Schlag auß inwendigs zancken

Mit frölichen gedancken,

Mit gutem starcken hoffen,

Glücks thor das steh noch offen.

Hast widerwertigkeyt,

So denck: Inn dieser zeyt

Ist unglück gar gemein.

Ich bin sein nit allein. 

Thu es geduldtig tragen, 

Darundter nit verzagen, 

Unüberwindlich bleyben, 

Kleinmütigkeyt außtreyben!

Was nit ist wider ehr,

Des khümmer dich nit sehr!.

Leydst du umb unschuld schmach,

So laß Gott selb die rach!

Auch must die tragheyt fliehen,

Zu ehrling gschefft dich ziehen!

Darzu du suchen must

Manch ehrlichen wollust,

Tröstliche bücher lesen.

Vertrauten gsellen wesen

Unnd guter freund gesprech 

Bhalt bey dir inn der nech! 

Fleuch die eynsamkeyt öd, 

Wann sie macht dich sunst blöd! 

Unnd thu dich Gott ergeben!

Denck an das ewig leben,

Da du wirst gar entbunden

Aller trübsal hie unden,

Die auff dich mag gefallen!

Schaw, jung man! mit dem allen

Kanst du frey uberwinden. 

Die lehr bhalt deynen kinden! 

 

Darmit bods mir die hand, 

Im augenblick verschwand.

 

Beschluß.

 

Inn dem ich aufferwacht.

Mit fleiß hertzlich bedacht,

Wie offt melancoley

Mit ihrer phantasey

Manch mensch so hart thut plagen,

Martren, fresen unnd nagen

Offt mit kindischen sachen,

Das er hernach muß lachen,

Wenn er sich hindter-dencket,

Wie er sich selb hab krencket 

Umb sunst mit viel ungmachs, 

Spricht zu Nürnberg Hans Sachs.

 

Anno salutis 1547, am 27 tag Octobris.

Quelle:
HANS SACHS, herausgegeben von Adelbert von Keller, 
Vierter Band, 1964, Georg Olms Verlagsbuchhandlung, Hildesheim
Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1870
S. 141 - 146

Fettdruck: Wesensmerkmale der Melancholie und des Melancholikers

Einstmals lag ich im Sommer da,

Schwermut und Kummer  hatten

mein Herz fest im Griff,

bald aus diesem, bald aus jenem Grund.

Ich war völlig in Unordnung,

kannte mich selbst nicht mehr,

es kam mir so vor, als wäre ich allein

der Erbärmlichste auf Erden,

denn alles, was ich sprach,

dachte oder tat,

das gefiel mir alles nicht,

das kam mir armselig, nichtig vor.

Meine Vernunft, mein Sinn und mein Mut,

auch mein Verhalten, mein Ansehen, mein Besitz

kam mir verdorben,

krank und tot vor.

Auf vergleichbare Weise wurde mein Gewissen

gequält und gebissen,

alle Hoffnung sei vergebens:

das machte mich lebensmüde.

In den belastenden Gedanken

und im Streit in meinem Inneren

zerbrach alle meine Freude.

Mein Herz schrie im Elend

und wünschte mir oft den Tod,

um diese Not zu beenden.

Oft wollte ich mich trösten,

oft erholte sich mein Herz wieder

von der Schwermut.

Im Nu

kamen schnell wieder zurück

unzählige erschreckende Fälle,

dass es mir deswegen grauste.

Oft bekreuzigte ich mich,

denn Furcht und Sorge trieben mich unbarmherzig.

Die Welt kam mir vor wie zu eng;

Mir war es in dieser Beklemmung,

als sei ich in der Hölle.

 

Als ich so in drangvoller Not dalag,

da strahlte gleichsam die Morgenröte

in meine Kammer,

indem nämlich, wie es mir vorkam,

Philosophia hereinkam

und an mein Bett trat:

eine adelige Frau,

mit einer wunderbaren Figur,

die Mutter aller Tugend,

die ich von Jugend an lieb hatte.

Die sprach mich wie folgt an:

 

Philosophie:

 

"Was machst du da, junger Mann?

Warum liegst du so betrübt herum?"

 

Der melancholische Jüngling:

 

Ich sprach: "Ich werde schwer geplagt

in Schwermut.

Ich habe mich sehr weit in sie

verwickelt und verwirrt,

wie in einem Labyrinth verirrt.

Ich bitte dich: Hilf mir heraus!"

 

Philosophie:

 

Sie sprach: "Jag aus deinem Haus 

den allerarmseligsten Gast, 

der dir die ganze Nacht über

keine Ruh und Rast gelassen hat

mit seinen falschen Einflüsterungen,

so dass du deines Denkens nicht mehr mächtig warst.

 

Der melancholische Jüngling:

 

Währenddessen hört ich einen Blasebalg 

an meinen Ohren zischen;

dann erst sah ich im Zorn

hinter mir ein altes Weib,

dürr, mit Runzeln am Leib,

ihr schlangengleiches Haar

jagte einem Angst vor ihrem Gesicht ein;

dies Angesicht war ausgemergelt und gelb.

 

Ich sprach: "Bist du diese Person,

die mir mein Gemüt und Herz

mit unruhigem Schmerz erfüllt hat

mit deinen Einflüsterungen?

Such das Weite,

du wahres Meermonster!"

 

Sie aber stand in einigem Abstand von mir

und wollte sich nicht entfernen.

 

(Philosophie:)

 

Bis in vollem Ernst zu ihr

Philosophie sagte: "Hau ab!

In diesem Haus herrsche ich!"

und ihr mit der Hand drohte.

Da erst verschwand die alte Hexe,

drohte mir aber mit lautem Brummen an,

bald wieder zu kommen.

 

Der melancholische Jüngling:

 

In diesem Augenblick kam es mir vor,

als durchströmte ein kühler Wind

den Grund meines Herzens:

alle Traurigkeit verschwand.

Da sagte ich: "Philosophie,

sag mir doch,

wer war denn das grauenhafte Gespenst?

Nenne mir seinen Namen, wenn du es kennst!

Denn nie in meinem Leben

hat mich etwas schlimmer geplagt."

 

Philosophie:

 

Da sprach die Philosophie:

"Es ist die MELANCHOLIE,

die dir so mancherlei

Wahnbilder einblies;

damit plagt sie die Leute,

macht furchtsam, aber auch furchtlos.

Kleinigkeiten kann sie aufblasen,

Gegenstände vervierfachen.

Das Kurze macht sie lang,

wenn sie die Oberhand gewinnt.

Dadurch wird der Mensch betäubt

und seiner Sinne beraubt.

Möglicherweise legt er sogar

Hand an sich selbst.

Deshalb folge meinem Rat:

Lass sie in Zukunft nicht mehr an dich heran

und fliehe vor ihren Einflüsterungen!"

 

Der melancholische Jüngling:

 

Ich sprach: "Wenn sie wie früher

wieder zu mir käme

und gleiche Absichten bei mir verfolgte:

Wie könnte ich mich gegen sie wehren?"

 

Philosophia:

 

Sie sprach: "Folg meiner Lehre!

Schneide die Wurzel ab,

reiße sie aus und vermeide sie,

aus der dir das Übel entstand!

Und denk über das Übel nicht mehr nach!

Schlichte den Streit in deinem Inneren

mit fröhlichen Gedanken,

mit der guten, starken Hoffnung,

dass dein Glücks-Tor noch offen steht.

Stören dich gewisse Dinge,

dann denke: 'In dieser Zeit

ist Unglück weit verbreitet,

ich bin nicht der einzige Betroffene.'

Trag es geduldig,

verzage nicht im Unglück,

lass dich nicht unterkriegen,

lass deinen Kleinmut fahren!

Kümmere dich nur darum,

was deiner Ehre schaden könnte!

Erleidest du unschuldig Schmach,

so lasse Gott die Rache!

Auch musst du vor Trägheit fliehen

und dich zu ehrlicher Tätigkeit begeben!

Außerdem musst du

manche anständige Freude suchen,

etwa tröstliche Bücher lesen.

Den Umgang mit vertrauten Bekannten

und das Gespräch mit guten Freunden

sollst du immer zur Verfügung haben.

Flieh vor der öden Einsamkeit,

denn die macht dich sonst blöd!

Und begib dich in Gottes Hand!

Denk an das ewige Leben,

durch das du ganz befreit wirst

von dieser irdischen Trübsal,

die dich hier betreffen kann!

Schau, junger Mann, mit allen diesen Empfehlungen

kannst du frei bleiben und Sieger sein.

Gib diese Lehre deinen Kindern weiter!"

 

Damit bot sie mir ihre Hand

und verschwand in diesem Augenblick.

 

Schluss:

 

Als ich aufwachte,

bedachte ich gründlich,

wie oft Melancholie

mit ihren Wahnbildern

manchem Menschen hart zusetzt,

ihn foltert, zerfrisst und zernagt,

oft mit kindischen Kleinigkeiten,

so dass er nach seiner Depression lachen muss,

wenn er über sich nachdenkt,

wie sehr er sich selbst krank gemacht hat,

grundlos, aber mit vielen schlechten Folgen.

So spricht Hans Sachs aus Nürnberg.

 

Im Jahre des Heils 1547, am 27. Oktober.

Das lyrische Ich befindet sich in tiefer Depression: Alles wurde ihm fragwürdig, Lebenssinn und Lebenslust sind verloren gegangen. Da tritt unvermutet Philosophia an sein Lager und richtet ihn auf. Die Melancholia startet zwar einen kurzen Angriff, wird aber von der Philosophie in die Flucht geschlagen. Auf den Wunsch des Menschen hin erklärt ihm Philosophia das Wesen der Melancholie. Da letztere ihre Rückkehr androht, gibt ihm die Philosophie Ratschläge, wie er sich vor der bösen Gestalt schützen könne. Im Schluss hebt das lyrische Ich noch einmal den wichtigsten Zug der Melancholie hervor, mit Wahnideen, die bei nüchterner Betrachtung völlig lächerlich erscheinen, den Menschen zu foltern.
Melancholie ist hier ein durchweg schlechtes Phänomen, das dem Menschen nur
schadet; es wird hier nichts erkennbar, das irgendwie für den Menschen und seine intellektuelle Leistungsfähigkeit dienlich wäre. Dieses Gesicht zeigt auch Dürers Melancholie, über die ja Klibansky sich so äußert: "Es ist folglich legitim, davon auszugehen, dass Dürer ... mit diesem Stich, der so viele Symbole einer heidnischen Welt enthält, letztlich die Ohnmacht des Künstlers zum Ausdruck bringen wollte, der zwar über alle handwerklichen Mittel verfügt und über die natürlichen Kräfte Saturns und der astralen Magie Bescheid weiß, dem aber der Beistand Gottes versagt bleibt." (Saturn und Melancholie, Nachweis hier, S. 28) - Und genau diesem Bild entspricht Gerungs Melancolia 1558 nicht, diese Frau wird nicht zernagt von Zweifeln, sondern schaut dem Betrachter prüfend ins Gesicht.

Die siben alter eins menschen nach art der siben Planeten.

Es beschreibet Ptholomeus,

Der weyt berümbt astronomus,

Inn seinem viergetheilten buch 

(An dem vierdten capittel such!), 

Da er thaylet das menschlich leben 

In siben thayl, und thaylt das eben 

Nach dem einfluß und firmament

Der siben planeten, genendt

Luna, Venus, Mercurius,

Mars, Sol, Jupiter, Saturnus

Und darinn yedes alters zeit

Einem der planeten zu geyt,

Der das selb alter auff der fart

Regiert nach seyner natur und art.

 

Luna regiert das erst alter.

 

Spricht, das erst menschlich alter da

Regiere der planet Luna,

Und ist der undterst, der uns leucht,

Von natur unstet, kalt und feucht.

Dem ist der mensch vergleichet worn.

Bald er ist in die welt geborn,

Ist er auch gantz kalter natur,

Gantz schwach, darff guter wartung nur,

Guter wierm und feuchtes essen,

Ist unstet, wanckel und vergessen,

Ist undterworffen diese zeyt

Viel mangel und gebrechligkeyt. 

Ietz nembt er ab, bald wider zu 

Biß auff vier jar lang mit unrhu.

 

Mercurius regiert das ander alter.

 

Das ander alter regieren muß

Denn der planet Mercurius.

Der planet ist zu künsten naygen.

Inn dem alter thut sich denn aygen

Inn dem menschen sinn und vernunfft,

Das er ist vehig inn zukunfft,

Lehrt recht reden, die wort verstan,

Eim ding nach fantasieren kan,

Lehrt undterschayden böß und gut,

Das besser außerwelen thut.

Die sein gedechtnuß thut sich stercken.

Er kan ein ding bhalten und mercken.

Als denn er sein verstand thut ziern

Mit schreiben, lesen und studieren,

Und was kunst im denn wirt eingossen,

Das thut in im wurtzeln und sprossen,

Es sey mit hertzen oder handt. 

Auch mert sich teglich sein verstand 

Und hat lust, das er viel erfar.

Das wert biß ins vierzehend jar.

 

Venus regiert das dritt alter.

 

Nach dem das dritt alter angeht, 

Das regiert Venus, der planet. 

Der hat von natur seinen trieb, 

Das er den menschen raitzt zu lieb, 

Erwecket inn im die begier 

Und fecht an, sich zu sehnen schier 

Nach der liebe, und wirt innbrünstig, 

Der bulerey wirt holt und günstig 

Einer bulschafft, und die erwelt, 

Der lieb mit höchstem fleiß nach stelt, 

Der nach gedencket spat und fru 

Und peynigt sich on alle rhu

Und thut sich kleyden, schmuckn und ziern. 

Hat lust zu dantzen und hofiern. 

Ist freundlich, wolgemut und frey 

Und sehr geneigt zu bulerey.

Inn solcher brunst lebt er fürwar

Biß in das zwey-und-zweintzigst jar.

 

Mars regiert das viert alter.

 

Darnach geht an das vierdte alter.

Mars, der planet, ist sein verwalter,

Welcher planet naigt zu dem streyt.

Dem nach lebt auch der mensch die zeyt,

Wann inn im ist hitzig das blut.

Des hat er ein zornigen mut,

Ist kün, verwegen, trutzig, gech,

Unvertreglich, gar doll und frech 

Und hat lust zu kempffen und fechten, 

Zu balgen, hadern und zu rechten 

Mit nachtbarn und seym haußgesind, 

Mit freunden, feinden, weib und kind.

Auch thut in etwan armut plagen.

Er rind inn schuld, im wirt entragen.

Die dieb und rauber im zusetzen.

Krieg, prunst und schiffbruch thun in letzen,

Und eh ein unglück hat ein end,

Ist schon ein anders vor der hend. 

Inn solcher widerwertigkeit 

Verzeret dann der mensch sein zeit 

Biß auff das ein-und-viertzigst jar.

 

Soll regiert das 5 alter.

 

Denn trit das fünffte alter dar.

Das selb regiert Sol, der planet,

Welcher neygt zu auctoritet,

Thut die begierd im menschen meeren

Zu reichthumb, gewalt, wirrd und ehren.

Der mensch lebt inn des alters zeit

Fein auffrecht mit fürsichtigkeit

Und ziert sich mit der edlen tugend

Und gibt urlaub der frechen jugend, 

Ist worden gescheid mit erfarung, 

Nembt an gut zu durch zimlich sparung, 

Dardurch er denn wirt faist und flück.

Denn scheind im erst das frölich glück

Und helt sich fein dapffer und ehrlich,

Wirt darvon ansehlich und herrlich.

Gwalt, ehr und gut thut sich da meren.

Man zeucht in auch herfür zu ehren.

Zu emptern in gemeiner stat.

Man braucht in zu gericht und rat,

Das er denn mit vernunfft außricht,

Das yederman im lobes gicht.

Als denn der mensch am höchsten stet,

An krafft und seiner dignitet.

Solches sein alter wert fürwar

Biß in das sechs-und-fünfftzigst jar.

 

Jupiter regiert das sechst alter.

 

Denn tritt das sechste alter her, 

Welliches regiert Jupiter,

Der planet, ist friedlich und gütig. 

Demnach wirt auch der mensch sanfftmütig, 

Rusam, kaltsinnig und mietsam, 

Geduldtig, gantz friedlich und sitsam 

Und fürt ein eingezogen leben, 

Ist auch nachlassen und nach-geben, 

Er ubersicht und uberhört, 

Inn feindschafft sich nit mehr entpört, 

Entpfind sich auch, das er nembt ab so 

An all, was im die natur gab. 

Denn reut in die vergangen zeyt, 

Die er unütz inn üppikeit 

Verzeret hat inn seiner jugend 

On alle gottes-forcht und tugend, 

Und Gott hoch umb verzeihung bitt. 

Inn ein bußfertig leben tritt. 

Vergibt all sein feinden darneben, 

Auff das im Gott auch thu vergeben,

Wirt feind der sünd und richt sich fort,

Zu leben nach dem gottes wort.

Ist danckbar Got umb all sein gut-that,

So er im ye bewiesen hat

Alhie inn seinem gantzen leben. 

Inn solchem alter bleibt er eben 

Biß auff das acht-und-sechzigst jar.

 

Saturnus regiert das sibend alter.

 

Denn kumbt das sibend alter dar,

Regiert Saturnus, der planet,

Ein feind menschlichs geschlechts (versteht !)

Von natur ein ungschlachter, kalter.

Der bringet dem sibenden alter

Dem menschen in der letzten zeyt

On zal mancherley brechligkeit,

Flüß, kopffweh und ein schwindlent hirn

Ein kal haubt, ein geruntzelt stiern,

Dunckle augen, sausende ohren,

Sin und gedechtnuß halb verloren,

Ein blaychen mund, voller zanlucken,

Ein kurtzen athen, pogen rucken,

Husten und reuspern uber massen,

Bayde trieffende augen und nasen.

Zittern, unlust, rawden und kretz

Sind des sibenden alters schetz 

Und wirt ye lenger schwecher zwar 

Biß auff das acht-und-achtzigst jar.

 

Beschluß

 

Und wo der mensch ist lenger leben, 

So wirt im widerumb zu geben 

Luna, der planet in regiert. 

Zu eynem kind er wider wird, 

Wonwitzig, mat an aller krafft,

Wirt inn kranckheit gantz ligerhafft 

Und ist kein beßrung mehr zu hoffen 

Biß das sein stündlein ist verloffen,

Das in fordert sein trewer Got.

Erlöst in durch den zeitling tod 

Auß diesem gebrechlichen leben, 

Ist im darfür ein himlisch geben, 

Da ewig freud im aufferwachs.

Das wünschet uns allen Hans Sachs.

 

Anno salutis 1554, am 3 tag Novembris.

Quelle:
HANS SACHS, herausgegeben von Adelbert von Keller, 
Vierter Band, 1964, Georg Olms Verlagsbuchhandlung, Hildesheim
Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1870
S. 73 - 78

Fettdruck: Beschreibung Saturns

Ptolemaeus, der weithin berühmte Astronom,

beschreibt es in seinem

vierteiligen Buch

(suche im vierten Kapitel!),

wo er das Menschenleben

in sieben Teile einteilt. Er trifft seine Einteilung

nach dem Einfluss und der Kraft

der sieben Planeten, namens

Luna, Venus, Mercurius,

Mars, Sol, Jupiter, Saturnus;

jedes Lebensalter spricht er

darin einem Planeten zu, 

der ebendieses Alter in seiner Entwicklung

nach seiner eigenen Natur und Art beherrscht.

 

Luna herrscht über das erste Alter.

 

Er spricht, das erste Lebensalter 

regiere der Planet Luna.

Er ist der unterste, der uns leuchtet,

von Natur aus unstet, kalt und feucht.

Dem wurde der Mensch gleich gesetzt, 

denn sobald er geboren ist, 

ist er auch ganz kalter Natur,

ist ganz schwach und bedarf guter Versorgung,

guter Wärme und des feuchten Essens, 

er ist unstet, wankelmütig und vergesslich.

Dieses Lebensalter ist großem Mangel

und großer Gefährdung ausgesetzt.

Jetzt nimmt der Mensch ab, bald zu

in Unruhe, bis er vier Jahre alt ist.

 

Mercurius regiert das zweite Alter.

 

Das zweite Alter muss dann 

der Planet Mercurius regieren.

Der Planet ist den Künsten zugeneigt.

In diesem Alter eignet sich der Mensch 

Sinn und Vernunft an,

um zukunftsfähig zu sein,

er lernt sprechen, die Worte verstehen,

er kann sich von einzelnen Dingen ein Bild machen,

er lernt, Gut von Bös zu unterscheiden, 

um das Bessere zu erwählen.

Sein Gedächtnis entwickelt sich.

Er kann eine Sache behalten und sich merken.

Wenn er seinen Verstand geschmückt hat

mit Schreiben, Lesen und Lernen 

und mit jeder Fähigkeit, die ihm vermittelt wird,

so wird all das in ihm Wurzeln schlagen und gedeihen,

ob das nun handwerkliche oder geistige Künste sind.

Auch sein Verstand nimmt täglich zu,

und er hat Lust, viel zu erfahren.

Das dauert bis ins vierzehnte Jahr.

 

Venus regiert das dritte Alter.

 

Danach beginnt das dritte Alter

unter der Herrschaft des Planeten Venus.

Der drängt von Natur aus danach,

den Menschen zur Liebe zu reizen.

Venus erweckt im Menschen das Verlangen, 

und der Mensch fängt an, sich heftig nach Liebe

zu sehnen, er wird leidenschaftlich,

fängt gerne an, sich zu verlieben, und ist

auf eine Freundin aus, und der Liebe 

seiner Erwählten jagt er mit heißem Bemühen nach,

an sie denkt er früh und spät

und peinigt sich ohne Unterlass.

Er kleidet sich, schmückt sich mit Zier.

Er hat Lust zu tanzen und Komplimente zu machen,

ist freundlich, guter Stimmung und frei

und immer wieder geneigt zu Liebelei.

Mit solch innerem Feuer lebt er wirklich

bis zu seinem zweiundzwanzigsten Jahr.

 

Mars regiert das vierte Alter.

 

Danach beginnt das vierte Alter,

es steht unter Mars' Führung.

Dieser Planet neigt zum Streit.

Nach diesem Motto lebt auch der Mensch in diesem Alter,

denn sein Blut ist heiß.

Dadurch hat er einen zornigen Mut,

ist kühn, verwegen, trotzig, jäh,

unverträglich, ja sogar toll und frech,

und er hat Lust zu kämpfen und zu fechten,

zu raufen, zu streiten und vor Gericht zu ziehen

mit Nachbarn und seinen Mitbewohnern,

mit Freunden, Feinden, mit Frau und Kind.

Auch leidet er manchmal Armut,

er rennt in seine Schulden, man geht ihm aus dem Weg.

Diebe und Räuber setzen ihm zu.

Krieg, Brand und Schiffbruch verletzen ihn,

und ehe ein Unglück überstanden ist,

steht ihm schon das nächste ins Haus.

In solchen lästigen Situationen

verzehrt der Mensch seine Zeit

bis zum einundvierzigsten Jahr.

 

Sol regiert das fünfte Alter.

 

Dann kommt das fünfte Alter.

Dieses regiert der Planet Sol,

der der Autorität zuneigt.

Er fördert im Menschen das Verlangen 

nach Reichtum, Macht, Würde und Ehren.

Der Mensch lebt in diesem Lebensalter

in schöner aufrechter Haltung mit Klugheit,

er schmückt sich mit der edlen Tugend 

und verabschiedet sich von der frechen Jugend,

denn er ist aus Erfahrung klug geworden,

sein Vermögen wächst, weil er ziemlich spart,

dadurch wird er fett und flügge.

Dann zeigt sich ihm erst das fröhliche Glück,

er hält sich tapfer und ehrlich,

davon bekommt er herrschaftliches Ansehen.

Macht, Ehre und Vermögen vermehrt sich,

er wird auch für Ehrungen ausersehen,

auch für Ämter in seinem Gemeinwesen.

Man braucht ihn im Gericht und im Rat,

wo er vernünftig wirken soll,

weswegen ihn jedermann lobt.

Wenn der Mensch den Höhepunkt 

an Kraft und Würde erklommen hat,

dann dauert dieser Zustand

bis in sein sechsundfünfzigstes Jahr.

 

Jupiter regiert das sechste Alter.

 

Es folgt das sechste Alter,

welches Jupiter regiert,

welcher ein friedlicher und gütiger Planet ist.

Dementsprechend wird auch der Mensch sanftmütig,

gemütlich, gelassen und freigebig,

geduldig, ganz friedlich und moralisch

und führt ein zurückgezogenes Leben,

er kann auch verzeihen und nachgeben,

er kann Dinge übersehen und überhören,

in Feindschaften empört er sich nicht mehr,

merkt auch selbst, dass er so

an allem, was die Natur ihm gegeben hatte, abnimmt.

Dann bereut er die Vergangenheit,

die er sinnlos in Saus und Braus

in seiner Jugend vergeudet hat

ohne jegliche Gottesfurcht und Tugend,

und er bittet Gott zutiefst um Verzeihung.

Im weiteren Leben ist er bereit zur Buße,

vergibt auch allen seinen Feinden,

um auch selbst bei Gott Vergebung zu finden,

er wird ein Feind der Sünden und richtet sich danach aus,

nach Gottes Wort zu leben.

Er ist Gott für alle seine Wohltaten dankbar, 

die er jemals von ihm erfahren hat

hier in seinem ganzen Leben.

In einem solchen Lebensalter bleibt er eben

bis zum achtundsechzigsten Jahr.

 

Saturnus regiert das siebte Alter.

 

Dann kommt das siebte Alter,

das der Planet Saturnus regiert.

Er ist ein Feind des Menschengeschlechts (versteht das!),

von Natur aus böse geartet und kalt.

Der bringt dem siebten Alter,

d. h. dem Menschen im letzten Lebensalter,

unzählig viele Gebrechen,

Ausflüsse, Kopfschmerzen und ein schwindliges Hirn,

einen kahlen Kopf, Runzel auf der Stirn,

dunkle Augen, sausende Ohren,

halb verlorene Sinne und Gedächtnis,

einen bleichen Mund voller Zahnlücken,

Kurzatmigkeit und gebogenen Rücken,

übermäßiges Husten und Räuspern,

sowohl triefende Augen als auch triefende Nasen.

Zittrigkeit, Unlust, Räude und Krätze

sind die Schätze des siebten Alters.

Und je länger es dauert, desto schwächer wird er

bis ins achtundachtzigste Jahr.

 

Schluss

 

Und bleibt der Mensch länger am Leben,

wird ihm wieder zugeteilt

Luna, der Planet, der ihn regiert.

Er wird wieder zu einem Kind,

geistig verwirrt, matt an allen Kräften,

wird er krank und ganz bettlägerig,

und man kann auf keine Besserung hoffen,

bis sein Stündlein abgelaufen ist,

so dass ihn sein treuer Gott zu sich fordert.

Er erlöst ihn durch den zeitlichen Tod

aus diesem gebrechlichen Leben,

es ist ihm dafür ein himmlisches geschenkt,

in dem die ewige Freude in ihm wachse.

Das wünscht uns allen Hans Sachs.

 

Im Jahre des Heils 1554, am 3. November.

Das Denkschema dieser Betrachtung erschließt sich gleichsam von selbst: Einer sehr stark typisierten Darstellung eines Menschenlebens werden die meist mythologischen Vorstellungen der Planetengötter unterlegt. Der "Mensch" dieser Vorstellung ist ein Mann, gehört dem Stadtpatriziat an, genießt sein Leben in der Jugend und wird im Alter gläubig, d. h. religiös und moralisch. 
Für unseren Zusammenhang ("Saturn und Melancholie - auch bei Gerung") ist die Darstellung des Saturn aufschlussreich, der völlig dem traditionell schlechten Bild entspricht; da findet sich wieder keinerlei Hinweis auf Saturn als Schutzpatron der geistig Tätigen.

Was bringt nun der Blick auf Hans Sachs tatsächlich?
Eines ist ganz sicher nicht der Fall, dass man nämlich durch Hans Sachs Gerungs "Melancolia 1558" versteht. Seine Gedichte wirken eher wie Wegweiser, wo man mit seinen Überlegungen nicht weitergehen sollte. Die menschlichen Tätigkeiten des Bildes weisen Ähnlichkeiten zu den "eytel freud" auf; aber warum benennt dann Gerung die allegorische Gestalt nicht "VOLUPTAS"? Die Melancholie ist nicht die von Zweifel und Wahnbildern zerfressene Gestalt wie bei Dürer oder hier bei Hans Sachs, aber für eine "MELENCOLIA II" im Sinne von Marsilius Ficinus (wobei man sich über I und II noch einig werden müsste) fehlt auf dem Gerung-Bild das intellektuelle Beiwerk. Und sollte es sich beim ruhenden Mann im Vordergrund wirklich um Saturn handeln, dann hätte sich Gerung radikal vom traditionellen Saturn-Bild, wie es oben von Hans Sachs ja noch geboten wird, abgewandt. Aber auch dieser Mann ist nicht der versunkene Gelehrte der Campagnola-Vorlage, sondern er scheint zu beobachten, was von vorne rechts aus der Gegend der angeschnittenen Zelte auf ihn zukommt.

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