"Im Zentrum einer
weiten, klein gegliederten Landschaft, die bis in die Ferne von
Menschen belebt ist, thront eine geflügelte Frau mit aufgestütztem
Kopf. Die Bezeichnung "MELANCOLIA
1558" auf dem Schriftband über ihr bezeichnet sie als Verkörperung
der Melancholie.
Die Landschaft stellt den
"Garten des Lebens" dar; Vergnügungen, sportliche Wettkämpfe
und körperliche Arbeiten der Menschen verbildlichen das
"Treiben der Welt". es wird durch typische Tätigkeiten
einzelner Stände als schicksalhaft und töricht zugleich
geschildert. So sehen wir im Vordergrund Bauern beim Tanzen und
Kegeln und bei einem Würfelspiel, das von einer Amtsperson geleitet
wird. Diese fordert einen einfachen Mann zum Teilnehmen auf mit den
Worten, welche sich auf dem hinzugefügten Schriftband finden und übersetzt
lauten: "Aufgepasst, Tölpel, Greta Lendl hat 13 Batzen
verspielt". Es folgen in den nächsten Zonen: ein adliges
Reitturnier, Gaukler und ein Frauenbad samt
Freudenhaus; zu Füßen
der "Melancolia" verschiedene Arten von
Wettschießen, die
bei bürgerlichen Schützenfesten üblich waren, ferner eine
Musikgesellschaft, eine Tanzbärvorführung und eine
Armenspeisung,
weiter hinten Feldarbeiten der Bauern, Jagd und
Fischfang, eine
Schlittenfahrt und das Schweineschlachten im Winter und Arbeiten im
Bergwerk; in der fernsten Zone zwei Heere vor einer
Stadt, eine vom
Blitz in Brand gesetzte Burg, der Bau eines
Fachwerkhauses,
Wettlaufen und -reiten zwischen Frauen und Männern, die
Prozession
zu einer Wallfahrtskirche, eine Beerdigung und eine
Hinrichtung; auf
dem Meer Schiffe, in Seenot oder ruhig dahinsegelnd; am Himmel links
die Sonne, in den Wolken rechts wohl die Verkörperung der Gestirne
Sol, Luna und Mars.
In der Mittelachse
erscheint im Vordergrund ein Geometer mit Zirkel und Weltscheibe,
wie "Melancolia" in größerem Maßstab als die Menschen;
er ist die zweite Hauptfigur des Bildes. Auch er ist ein
exemplarischer Vertreter des melancholischen Temperaments: die untätige
Frau verkörpert Trägheit und Sinneslust; der Mann, Saturn selbst,
verbildlicht das Streben nach Erkenntnis; beiden sind Regenbogen und
Feuerstrahl am Himmel zugeordnet. So warnen sie vor dem Müßiggang
und lenken die Gedanken zugleich auf die Vergänglichkeit allen
Strebens und Tuns der Menschen, die den Naturgewalten, den
<sic!> Einfluss der Planeten und der Strafe Gottes
ausgeliefert sind.
Das vielschichtige Programm
setzt einen mit humanistischem und christlich-moralisierendem
Gedankengut vertrauten Auftraggeber voraus. Er war wohl ein
gebildeter Stadtbürger, für den das Jahr 1558 vielleicht von
besonderer Wichtigkeit war. Das Bild ist eines der seltenen
Zeugnisse profaner deutscher Tafelmalerei der Renaissance und noch
bemerkenswerter dadurch, dass es eine für den Besteller allein
entworfene Allegorie darstellt und nicht die Illustrationen eines
literarischen Werkes oder zu einer Folge der Temperamente,
Planetenkinder oder Jahreszeiten gehört.
Die Tafel ist ein Werk des
in Lauingen ansässigen Matthias Gerung, der auch als
Miniaturenmaler und Entwerfer für den Holzschnitt tätig war und
seit 1530/31 Aufträge für seinen Landesherren Herzog Ottheinrich
von Pfalz-Neuburg ausführte. Bei der Schilderung der vielen für
uns kulturhistorisch so interessanten Darstellungen aus dem täglichen
Leben verwandte Gerung auch graphische Vorlagen von Dürer,
Cranach
d. Ä., Sebald Beham und dem "Petrarcameister". – Von
Gerung besitzt die Kunsthalle aus altem markgräflichen Besitz noch
eine weitere Allegorie, die "Gefesselt schlafende
Gerechtigkeit".
D. L."
So informiert die
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe im Museumsraum über dieses Bild.
Diese Information entspricht bis auf des Ende des ersten Abschnitts
(hier: "bezeichnet sie als" - dort: "weist sie aus
als") der Bilderklärung von Herrn Dr. Dietmar Lüdke (= D. L.)
auf S. 58 des folgenden Bands: Ausgewählte Werke der Staatlichen
Kunsthalle Karlsruhe, Band 1, 150 Gemälde vom Mittelalter bis zur
Gegenwart, Karlsruhe 1988.
Homepage der
Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe:
http://www.kunsthalle-karlsruhe.de/anzeige.php
Auf der Überblickseite habe ich
versucht, die oben angesprochenen Bereiche kenntlich zu machen, und
habe sie so verlinkt, dass man die Teile im Detail anschauen kann.
Von einem Detailbild kommt man wieder zurück zur Überblickseite. |