MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

iii, 20

 

Cap. XX: Quantam imagines vim habere putentur in spiritum, et spiritus in eas. 
Et de affectu utentis et operantis.
Kap. 20: Welch große Kraft die Amulette auf den Seelenatem ausüben und umgekehrt. Und von der Gemütslage des Nutzers und des Herstellers.
1 Compertum habemus, si quis rite utatur helleboro feratque potenter, mutare quodammodo exquisita purgatione et occulta eius proprietate qualitatem spiritus corporisque naturam et ex parte motus animi et quasi reiuvenescere, ut ferme videatur esse renatus.
2 Unde Medeam Magosque tradunt herbis quibusdam reddere iuventutem consuevisse, quam non tam reddunt myrobalani, quam conservant. 
3 Similem astrologi potestatem propitias habere imagines arbitrantur, per quam gestantis naturam et mores quodammodo mutent in meliusque restituant, ut quasi iam alter evaserit, aut saltem prosperam valetudinem diutissime servent. 
4 Imagines vero noxias adversus gestantem habere vim hellebori praeter artem potentiamque assumpti, venenosam videlicet atque pestiferam. 5 Adversus autem alium quendam, ad cuius calamitatem fabricatae intentaeque fuerint, vim aenei speculi concavique sic prorsus obiecti, ut collectis repercussisque in oppositum radiis comminus quidem comburant, eminus autem caligare compellant. 6 Hinc orta est historia vel opinio, putans astrologorum machinis Magorumque veneficiis homines, bruta, plantas siderari atque tabescere posse. 
7 Ego autem imagines in rem distantem vim habere ullam non satis intelligo. 8 Habere vero in gestantem nonnullam suspicor. 9 Non tamen talem opinor, qualem plerique fingunt – et hanc ratione materiae potius quam figurae – atque (ut dixi) longo intervallo medicinas imaginibus antepono. 
1 Wir haben erfahren, dass jemand, wenn er den Nieswurz richtig gebraucht und ihn machtvoll erträgt, er irgendwie durch vorzüglich gewählte Purgierung und durch dessen verborgene Besonderheit die Qualität seines Seelenatems, die Natur seines Körpers und zum Teil die Bewegung seines Geistes ändert und gleichsam wieder jung wird, so dass er fast neu geboren erscheint. 
2 Deshalb überliefern sie, Medea und die Magier hätten gewöhnlich mit bestimmten Kräutern die Jugend zurückgegeben, die die Myrobalanen weniger zurückgeben als erhalten. 
3 Die Astrologen meinen, die günstigen Amulette hätten die gleiche Kraft, durch die sie das Wesen des Trägers und seinen Charakter irgendwie ändern und bessern, so dass er gleichsam ein anderer wird oder dass sie ihm wenigstens für sehr lange Zeit eine gute Gesundheit erhalten. 
4 Schädliche Amulette aber hätten gegen den Träger die Macht von Nieswurz, den man wider ärztliche Kunst und eigenes Vermögen eingenommen habe, d. h. eine vergiftende und krank machende. 5 Gegen irgendeinen anderen aber, zu dessen Schaden sie gemacht oder beabsichtigt seien, hätten die Amulette die Kraft eines hohlen Bronzespiegels, der gerade so eingestellt sei, dass die Amulette die Strahlen sammeln, sie genau zurückwerfen und so in der Nähe brennend wirken, in der Ferne aber dazu zwingen, schwachsichtig zu sein. 6 Dadurch ist die Sage oder Meinung entstanden, mit Machenschaften der Astrologen und Giftmischerei der Magier könnten Menschen, Tiere und Pflanzen verhext werden und dahinschwinden.
7 Ich kann das nicht recht erkennen, dass die Amulette irgendeine Fernwirkung haben. 8 Ich vermute aber, dass sie eine gewisse Kraft auf den Träger ausüben. 9 Ich glaube, keine solche, wie die meisten erfinden - und diese eher aufgrund des Materials als der Figur - und (wie ich gesagt habe) mit weitem Abstand ziehe ich Arzneien den Amuletten vor.
10 Quanquam Arabes et Aegyptii tantum statuis imaginibusque attribuunt arte astronomica et magica fabricatis, ut spiritus stellarum in eis includi putent. 11 Spiritus autem stellarum intelligunt alii quidem mirabiles coelestium vires, alii vero daemonas etiam stellae huius illiusve pedissequos. 
12 Spiritus igitur stellarum qualescunque sint, inseri statuis et imaginibus arbitrantur, non aliter ac daemones soleant humana nonnunquam corpora occupare, perque illa loqui, moveri, movere, mirabilia perpetrare. 13 Similia quaedam per imagines facere stellarum spiritus arbitrantur. 
14 Putant daemonas, mundani ignis habitatores, per igneos humores vel ignitos similiterque per ignitos spiritus et affectus eiusmodi nostris insinuari corporibus. 15 Similiter stellarum spiritus per radios opportune susceptos suffumigationesque et lumina tonosque vehementes competentibus imaginum materiis inseri, mirabiliaque in gestantem vel propinquantem efficere posse. 
16 Quae quidem nos per daemonas fieri posse putamus, non tam materia certa cohibitos quam cultu gaudentes. 17 Sed haec alibi diligentius. 
10 Doch die Araber und Ägypter schreiben Statuen und Amuletten, die mit astronomischer und magischer Kunst hergestellt wurden, so große Macht zu, dass sie meinen, Atem von Sternen werde in jenen eingeschlossen. 11 Im Sternatem sehen die einen wunderbare Kräfte der Himmlischen, die anderen aber Dämonen auch als Diener dieses oder jenes Sterns. 
12 Was auch immer der Sternatem ist, sie glauben, er werde in die Statuen und Amulette eingefügt,
so wie Dämonen gewöhnlich manchmal menschliche Körper befallen, durch diese sprechen, sich bewegen, anderes bewegen und Wunderliches zustande bringen. 13 Sie glauben, dass etwa Ähnliches der Sternatem durch die Amulette bewirke. 
14 Sie glauben, dass die Dämonen, die Bewohner des Weltfeuers, durch feurige oder glühende Säfte und ebenso durch Feueratem und derartige Affekte in unsere Körper eindringen. 15 Und ebenso dringe Sternatem durch zeitrichtig empfangene Strahlen, durch Beräucherungen, Lichter und heftige Töne in die wirkfähigen Stoffe der Amulette ein und könne wunderbar auf den Träger oder einen, der dem Amulett nahe kommt, einwirken. 
16 Wir glauben, dass das durch Dämonen geschehen kann, weniger weil sie von bestimmtem Stoff gebändigt sind als vielmehr, weil sie sich über die Verehrung freuen. 17 Aber darüber an anderem Ort Genaueres.
18 Tradunt Arabes spiritum nostrum, quando rite fabricamus imagines, si per imaginationem et affectum ad opus attentissimus fuerit et ad stellas, coniungi cum ipso mundi spiritu atque cum stellarum radiis, per quos mundi spiritus agit; 19 atque ita coniunctum esse ipsum quoque in causa, ut a spiritu mundi per radios quidam stellae alicuius spiritus, id est vivida quaedam virtus, infundatur imagini, potissimum hominis tunc operantis spiritui consentanea. 20 Adiuvari quoque suffumigationibus ad stellas accommodatis opus eiusmodi, quatenus suffumigationes tales aerem, radios, spiritum fabri, imaginis materiam sic prorsus afficiunt.  18 Die Araber überliefern, dass sich unser Seelenatem, wenn er sich bei der ordnungsgemäßen Herstellung der Amulette durch seine Vorstellungskraft und seine Gemütslage ganz konzentriert habe auf des Werk und die Sterne, dass er sich dann mit dem Weltatem selbst und den Strahlen der Sterne verbinde, durch die der Weltatem handelt; 19 und dass er auch selbst in diesen Prozess so einbezogen sei, dass vom Weltatem her durch die Strahlen ein gewisser Atem eines bestimmten Sterns, d. h. eine gewisse belebende Kraft, dem Amulett eingeflößt wird, vorzüglich die des zu der Zeit handelnden Menschen, die mit dem Sternatem in Einklang steht. 20 Es werde auch durch sternengemäße Räucherungen ein derartiges Werk unterstützt, soweit solche Räucherungen auf die Luft, die Strahlen, den Seelenatem des Handwerkers und den Stoff des Amuletts in dieser Weise richtig Einfluss nehmen. 
21 Ego vero odores quidem tanquam spiritui aerique natura persimiles et, cum accensi sunt, stellarum quoque radiis consentaneos arbitror, si Solares vel Iovii sunt, afficere aerem ac spiritum vehementer ad dotes Solis aut Iovis tunc dominantis opportune sub radiis capiendas; 22 atque spiritum sic affectum, ita donatum, posse vehementiore quodam affectu non solum in proprium corpus agere, sed propinquum, praesertim natura conforme quidem, sed debilius, et consimili quadam afficere qualitate. 
23 Materiam vero imaginis duriorem ab odoribus et operantis imaginatione vix minimum quiddam suscipere posse puto; 24 spiritum tamen ipsum ab odore sic affici, ut ex ambobus unum conficiatur. 
25 Quod quidem ex eo patet, quod odor non agit ulterius in olfactum, postquam satis egit. 26 Olfactus enim et quodvis aliud a se ipso vel simillimo quopiam nihil patitur. 27 Sed de his alibi.
21 Ich aber glaube, dass Düfte, die gleichsam dem Atem und der Luft von Natur aus ganz ähnlich sind und auch, wenn angezündet, den Strahlen der Sterne entsprechen, dass sie, falls sie sol- oder jupitergemäß sind, heftigen Einfluss auf die Luft und den Seelenatem nehmen, um die Gaben von Sol oder Jupiter, der zu der Zeit herrscht, zeitrichtig unter ihren Strahlen zu erfassen; 22 und dass ein Seelenatem, auf den so eingewirkt wurde, der so beschenkt ist, wegen der heftigeren Beeinflussung nicht nur auf den eigenen Körper, sondern auch auf einen verwandten, zumal auf einen von Natur aus ähnlichen, aber schwächeren wirken und ihn mit gleicher Qualität versehen kann. 
23 Ich glaube aber, dass der allzu harte Stoff des Amuletts von den Düften und der Vorstellung des Herstellers kaum das Geringste aufnehmen kann; 24 dass jedoch der Seelenatem vom Duft so beeinflusst wird, dass aus den beiden eine Einheit entsteht. 
25 Das wird dadurch klar, dass der Duft auf den Geruchsinn nicht weiter wirkt, nachdem er genug gewirkt hat. 26 Denn der Geruchsinn und jedes beliebige andere nimmt von sich selbst oder etwas ganz Ähnlichem nichts wahr. 27 Aber darüber an anderem Ort. 
28 Proinde imaginationis intentionem non tam in fabricandis imaginibus vel medicinis vim habere, quam in applicandis et assumendis existimo, ut, si quis imaginem (ut aiunt) gestans rite factam vel certe medicina similiter utens opem ab ea vehementer affectet et proculdubio credat speretque firmissime, hinc certe quam plurimus sit adiumento cumulus accessurus. 29 Nam ubi vel virtus imaginis, si qua est, tangentis carnem penetrat calefacta, saltem virtus in electa eius materia naturalis, vel certe medicinae vigor intus assumptae venis ac medullis illabitur, Ioviam secum ferens proprietatem, spiritus hominis in spiritum eiusmodi Iovium affectu, id est amore, transfertur; 30 vis enim amoris est transferre. 31 Fides autem spesque non dubia spiritum hominis iam ita percitum sistit in spiritu Iovio penitus atque firmat. 
32 Quod si, quemadmodum Hippocrates et Galienus docent, aegrotantis amor fidesque erga medicum inferiorem exterioremque ad sanitatem plurimum conferunt (immo vero fiduciam hanc Avicenna plus inquit efficere quam medicinam), quantum ad coelestem opem conducere putandum est affectum fidemque nobis erga coelestem influxum iam nobis insitum, agentem intus, viscera penetrantem? 33 Iam vero amor ipse fidesque erga coeleste donum saepe coelestis adminiculi causa est, atque vicissim amor et fides hinc aliquando forsan proficiscitur, quod ad hoc ipsum iam nobis faveat clementia coeli. 
28 Ich glaube deshalb, dass die gedachte Absicht weniger bei der Herstellung von Amuletten oder Arzneien eine Rolle spielt als bei der Anwendung und der Einnahme, so dass jemandem, wenn er ein - wie sie sagen - richtig hergestelltes Amulett trägt oder in Gewissheit eine Arznei auf gleiche Weise einsetzt und ganz fest Hilfe davon erwartet und ohne Zweifel daran glaubt und es ganz fest hofft, dass diesem dadurch sicherlich Hilfe in ganz großem Ausmaß zukommen wird. 29 Denn wenn die Kraft des Amuletts, wenn es eine gibt, erwärmt wird und das Fleisch des Berührenden durchdringt, wenigstens die natürliche Kraft im erlesenen Material, oder sicherlich die Kraft der Arznei, die man innerlich eingenommen hat, in Adern und Mark hineingleitet, die Jupiter-Charakteristisches mit sich bringt, dann wird der Seelenatem des Menschen in einen derartigen jupitergemäßen Atem durch einen Affekt, d. h. durch die Liebe, verwandelt; 30 das Wesen von Liebe ist es nämlich, zu verwandeln. 31 Der Glaube aber und eine zweifelsfreie Hoffnung bringt den schon so erregten Seelenatem eines Menschen im Jupiteratem ganz zum Stillstand und kräftigt ihn. 
32 Wenn aber, wie Hippokrates und Galen lehren, die Liebe eines Kranken und sein Vertrauen zum Arzt zur inneren und äußeren Gesundheit das meiste beitragen (ja, Avicenna sagt sogar, dass diese Vertrauensseligkeit mehr bewirkt als die Arznei), wie viel - müssen wir dann glauben - trägt zur himmlischen Hilfe eine Gemütslage bei und ein Vertrauen, das uns gegenüber dem himmlischen Einfluss schon eingeboren ist, das in uns wirkt und unser Inneres durchdringt? 33 Nun aber sind gerade die Liebe und das Vertrauen zum Himmelsgeschenk oft der Grund für die himmlische Hilfe, und umgekehrt entstehen Liebe und Vertrauen vielleicht einmal dadurch, dass uns zu gerade diesem die Milde des Himmels schon gewogen ist.

 

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