MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

ii, 18

 

Cap. XVIII: De nutrimento spiritus et conservatione vitae per odores. Kapitel 18: Ernährung des Seelenatems und Lebensbewahrung durch Düfte
1 Legimus in calidis quibusdam regionibus ac plurimo passim odore flagrantibus multos gracili corpore et imbecillo stomacho quasi solis odoribus ali, forte quoniam ipsa natura loci tum herbarum et frugum atque pomorum succos ferme totos redigit in odores, tum corporum humanorum humores illic resolvit in spiritum. 2 Cum igitur uterque videlicet odor et spiritus sit vapor quidam et simile simili nutriatur, nimirum et spiritus et spiritalis homo plurimum ab odoribus accipit alimentum. 3 Nutrimentum vero, qualecunque id sit, per odores sive fomentum apprime senibus et gracilibus necessarium est, quo defectum alimenti solidioris atque verioris utcunque compensare possimus.  1 Wir haben gelesen, dass in bestimmten warmen und überall von starkem Duft erfüllten Gegenden viele Leute mit schmächtigem Körperbau und schwachem Magen gleichsam von den Sonnendüften ernährt werden, vielleicht weil die Natur des Landes bald fast alle Säfte der Pflanzen, Feldfrüchte und des Obstes in Duft verwandelt, bald die Säfte der menschlichen Körper dort in Seelenatem auflöst. 2 Da also beide, sowohl der Duft als auch der Seelenatem, eine Art Dampf sind und Gleiches von Gleichem genährt wird, ist es kein Wunder, dass sowohl der Seelenatem als auch der atembegabte Mensch sehr viel Nahrung aus den Düften erhält. 3 Eine wie auch immer geartete Nahrung oder Stärkungsmittel aufgrund der Düfte ist vor allem für Alte und Schwächliche notwendig, damit wir damit den Mangel von besser und tatsächlich kräftigender Nahrung auf jeden Fall ausgleichen können.
4 Ambigere tamen nonnulli solent, utrum spiritus odoribus nutriatur
5 Ego autem opinor solis forsan ita nutriri, ut nisi alimenta, quae crassa sunt, digestione tandem in vapores extenuentur, spiritus ipse, quem diximus vaporem esse, nullum illinc suscipiat nutrimentum. 6 Itaque vinum odore plenum spiritum subito recreat, quem cetera vix tandem reficere possunt. 7 Vaporem vero illum, in quem cibi cocti denique transferuntur, ideo appellamus odorem, quoniam et odor ubique vapor quidam est, et hic tractus intus ex alimentis vapor, nisi spiritui quodam odore placeat, vix ullum spiritui exhibet alimentum. 
8 Quamobrem Avicennam nostrum valde probamus dicentem, corpus quidem dulcedine, spiritum vero quadam (ut eius verbis utar) aromaticitate nutriri – 9 quoniam crassitudo corporis non nisi crassa natura, qualis est in dulcedine, coalescere valeat; 10 tenuitas vero spiritus non alio quam fumo quodam atque vapore, in quo aromaticitas ipsa viget, refici possit. 11 Aromaticam vero qualitatem dicimus odoram et acutam et quodammodo stypticam.
4 Trotzdem pflegen einige zu schwanken, ob Seelenatem durch Düfte genährt wird. 
5 Ich aber bin der Meinung, dass der Seelenatem selbst, der, wie wir gesagt haben, ein Dampf ist, von fetten Lebensmitteln  vielleicht nur Nahrung erhält, wenn diese während der Verdauung endlich zu Dämpfen sich verdünnen. 6 Deshalb erquickt duftender Wein den Seelenatem sofort, den anderes kaum mehr wiederherstellen kann. 7 Jenen Dampf aber, in den verdaute Speisen schließlich übergehen, nennen wir deshalb "Duft", weil einerseits Duft überall Dampf ist und andererseits dieser von den Nahrungsmitteln nach innen gezogene Dampf für den Seelenatem kaum irgendeine Nahrung darstellen könnte, wenn dieser Dampf dem Seelenatem nicht durch einen bestimmten Duft gefiele. 
8 Deshalb stimmen wir unserem Avicenna gerne zu, wenn er sagt, der Körper werde zwar durch süße Qualität, der Geist aber durch eine gewisse (um seine Worte zu gebrauchen) "Aromatizität" genährt - 9 da ja die Dickheit des Körpers nur durch ein dickes Wesen, was ja in der süßen Qualität gegeben ist, zusammenwachsen kann; 10 das dünne Wesen des Seelenatems aber könnte nur durch eine Art Rauch und Dampf, in dem die "Aromatizität" wirkt, wiederhergestellt werden. 11 Die aromatische Beschaffenheit nennen wir aber "dufthaft" und scharf und irgendwie stopfend.
12 Proinde quoniam iecur quidem corpori per sanguinem alimentum praestat, dulcedine plurimum augetur; 13 cor autem, quia et creat spiritum et spiritui procreat alimentum, merito desiderat aromatica. 
14 Expedit tamen et aromatica pro corde condiri dulcedine et dulcia pro iecore aromaticis commisceri, dulcedinemque interea nimiam evitare. 
12 Daher wird die Leber, da sie dem Körper durch das Blut Nahrung verschafft, von süßer Qualität am meisten gefördert; 13 das Herz aber verlangt, weil es den Seelenatem erzeugt und für ihn Nahrung hervorbringt, mit Recht Würziges. 
14 Trotzdem ist es nützlich, für das Herz Aromatisches mit süßer Qualität zu würzen und Süßes für die Leber mit Gewürzen zu mischen und dabei ein allzu großes Maß an süßer Qualität zu vermeiden.
15 Quid plura? 
16 Galienus ipse secutus Hippocratem spiritum non solum odore putat nutriri, sed aere – aere, inquam, non simplici, sed potius opportune permixto. 
17 Quibus quidem si fidem habebimus, nec alimentorum nec rei ullius delectum magis ad vitam necessarium quam aeris nobis accommodati esse censebimus. 18 Aer enim et inferiorum et coelestium qualitatibus facillime semperque affectus et immensa (ut ita dixerim) amplitudine circumfusus perpetuoque motu nos undique penetrans, ad suam nos mirabiliter redigit qualitatem – 19 praesertim spiritum, praecipue vitalem in corde vigentem, in cuius penetralia tum assidue influit, tum repente; 20 sic protinus afficiens spiritum, ut est affectus, perque spiritum vitalem, qui et materia et origo est spiritus animalis, pariter afficiens animalem. 
15 Was weiter? 
16 Galen selbst folgt dem Hippokrates und meint, Seelenatem werde nicht nur von Duft, sondern von Luft genährt - von Luft, sage ich, nicht von einfacher, sondern von günstig vermischter. 
17 Wenn wir denen Glauben schenken, dann werden wir der Meinung sein, dass die Auswahl keines Lebensmittels und keiner anderen Sache fürs Leben notwendiger ist als die der uns gemäßen Luft. 18 Denn die Luft, die sehr leicht und beständig von Eigenschaften der unteren und der himmlischen Welt erfüllt wird, die in unermesslicher sozusagen Geräumigkeit um uns herum strömt und uns überall in beständiger Bewegung durchdringt, bringt uns auf wunderbare Weise in den Zustand ihrer eigenen Beschaffenheit - 19 besonders den Atem, vorzüglich den lebensspendenden, der im Herzen wirkt, in dessen Inneres sie bald beständig, bald plötzlich einfließt. 20 So beeinflusst sie sofort den Atem, wie sie selbst beeinflusst worden ist, und durch den lebensspendenden Atem, der Stoff und Ursprung des Seelenatems ist, beeinflusst sie in gleicher Weise den Seelenatem. 
21 Cuius quidem qualitas maximi momenti est ingeniosis eiusmodi spiritu plurimum laborantibus; 22 itaque ad nullos potius quam ad eos attinet puri luminosique aeris odorumque delectus atque musicae
23 Haec enim tria spiritus animalis fomenta praecipua iudicantur. 24 Potissimus vero ad vitam est aer electus. 25 Nam octavo mense nati in Aegypto plurimi vivunt et nonnulli in plagis Graeciae temperatis saluberrimi aeris beneficio, quod Aristoteles narrat et Avicenna confirmat. 
26 Sed profecto sicut corpus ex variis compositum variis (quamvis non eadem mensa) nutriendum est alimentis, ita spiritus similiter compositus varietate quadam aeris semper electi oblectandus est atque fovendus; 27 simili quoque electorum odorum varietate quotidie recreandus, nam aer et odor quasi spiritus quidam esse videntur. 
21 Dessen Beschaffenheit ist von größter Bedeutung für die genialen Menschen, die mit einem derartigen Atem sehr viel arbeiten; 22 deshalb ist für diese die Auswahl der reinen und lichtvollen Luft, der Düfte und der Musik besonders wichtig. 
23 Denn diese drei Dinge hält man für vorzügliche Mittel für den Seelenatem. 24 Vor allem aber muss fürs Leben die Luft ausgewählt werden. 25 Denn im achten Monat Geborene leben in Ägypten sehr zahlreich und einige in gemäßigten Landstrichen Griechenlands durch die Wohltat sehr heilkräftiger Luft, was Aristoteles erzählt und Avicenna bekräftigt. 
26 Aber tatsächlich muss ebenso wie der Körper, der aus Verschiedenem besteht und deshalb mit vielfältiger Nahrung - wenn auch nicht am selben Tisch - genährt werden muss, so auch der Seelenatem, der in ähnlicher Weise zusammengesetzt ist, von einer Art Vielfalt der ständig ausgewählten Luft erfreut und genährt werden; 27 auch mit ähnlicher Vielfalt der ausgewählten Düfte muss man ihn täglich erquicken, denn Luft und Geruch scheinen gleichsam eine Art Atem zu sein.
28 Iam vero Alexander et Nicolaus Peripatetici una cum Galieno concludunt spiritum vitalem et animalem ideo nutriri tum odore, tum aere, quoniam uterque mixtus est atque conformis, et utrunque haustum in praecordia penetrare, ibi coqui temperarique ad vitam perque arterias diffundi. 29 Ubi uterque coctus iterum, nutrit spiritum (ut aiunt) utrunque, praecipue animalem. 
30 Aiunt etiam spiratum aerem non solum refrigerando calori prodesse, sed etiam nutriendo, nam et animalia etiam valde frigida spirant. 
31 Addunt aerem crassiorem spiritui naturali tanquam magis corporeo convenire, subtilem vero, purum, lucidum spiritui potius vitali, potissimum animali. 
32 Neque mirum videri debet spiritum adeo tenuem rebus quoque tenuibus ali, siquidem et pisciculi multi aqua nitidissima nutriuntur, et ocimum in aqua simili vivit, crescit, floret, redolet. 33 Mitto, quibus elementis chameleontem et salamandram nutriri nonnulli ferant. 
28 Nun aber schließen die Peripatetiker Alexander und Nikolaos zusammen mit Galen, dass der lebensspendende und der Seelenatem deshalb bald von Duft, bald von Luft genährt würden, weil beide vermischt und gleichförmig seien, und dass beide geschöpft würden und dann in die Brust gelangten, wo sie zum Leben verdaut und gemischt und durch die Arterien verteilt würden. 29 Dort werden wieder beide verdaut und nähren, wie man sagt, beide Arten von Atem, bevorzugt den Seelenatem. 
30 Sie behaupten auch, dass die eingeatmete Luft nicht nur zur Kühlung von Hitze nütze, sondern auch zur Ernährung, denn auch sehr kalte Lebewesen atmen. 
31 Sie sagen außerdem, dickere Luft nütze dem natürlichen Atem gleichsam als dem eher körperlichen, feine, reine, lichtvolle Luft aber nütze eher dem lebensspendenden Atem und vor allem dem Seelenatem. 
32 Und es darf auch niemanden wundern, dass der ganz dünne Seelenatem auch durch dünne Dinge genährt wird, da ja auch viele Fischlein in klarstem Wasser ernährt werden und Basilikum in gleichem Wasser lebt, wächst, blüht und duftet. 33 Ich lasse aus, von welchen Elementen Chamäleon und Salamander nach Meinung einiger ernährt werden. 
34 Redeamus ad nostra. 
35 Interest certe quam plurimum, qualem spiremus aerem, quales hauriamus odores, talis enim et spiritus in nobis evadit. 
36 Eatenus vero nos anima per vitam vegetat, quatenus spiritus harmoniam servat cum anima concinentem
37 Spiritus quidem in nobis primus vivit et maxime et quasi vivit solus. 38 Nonne repentino quodam saepe casu vel affectu vita, sensus, motus subito membra deserunt, regresso videlicet ad cordis penetralia spiritu? 39 Et saepe statim revertuntur ad membra per frictiones et odores illuc spiritu redeunte, quasi vita in ipso spiritu videlicet re volatili potius insit quam humoribus aut membris? 40 Alioquin propter horum crassam tenacitatem tardius admodum accederet vita membris atque recederet. 
34 Kehren wir zu Eigenem zurück! 
35 Es ist sicher überaus wichtig, welche Luft wir atmen, welche Düfte wir aufnehmen, denn solch ein Atem entsteht auch in uns. 
36 Uns belebt aber die Seele im Leben nur so lange, wie der Atem die Harmonie bewahrt, die mit der Seele in Einklang steht. 
37 Der Seelenatem aber lebt in uns zuerst und am meisten, und er lebt gleichsam allein. 38 Verlassen nicht oft aufgrund eines plötzlichen Umstands oder einer Leidenschaft unser Leben, unsere Sinne und Bewegungen plötzlich die Glieder, wenn natürlich der Seelenatem in die Herzkammern zurückgegangen ist? 39 Und kehren sie nicht sofort in die Glieder zurück aufgrund von Massagen und Düften, wenn der Seelenatem dorthin zurückgekommen ist, als ob das Leben im Seelenatem selbst als in einer natürlich flüchtigen Sache eher enthalten wäre als in den Säften und den Gliedern? 40 Sonst würde wegen deren dicker Zähigkeit das Leben jedenfalls langsamer zu den Gliedern gelangen und zurückkommen. 
41 Quicunque igitur vitam in corpore producere cupitis, spiritum imprimis excolite
42 hunc augete nutrimentis sanguinem augentibus, temperatum videlicet atque clarum; 
43 hunc aere semper electo fovete; 
44 hunc quotidie suavibus odoribus alite; 
45 hunc sonis et cantibus oblectate. 
46 Sed interea odores cavete calidiores, frigidiores fugite, capescite temperatos; 47 frigidos calidis, siccos humidis temperate.
48 Odorem vero omnem, quia pars corporis subtilissima est, scitote nonnihil habere caloris. 49 Atque ex rebus, quae ipsae nutriunt, odores sperate potius nutrituros, ut ex aromatico pyro pomoque Persico similique pomo, magis autem recente pane calente, maxime carnibus assis, quam maxime vino. 50 Atque sicut sapor, qui mirifice placet, plurimi velocisque nutrimenti causa est vel occasio corpori, sic odorem ad spiritum se habere putate. 
51 Commemorare vobis iterum placet Democritum iamiam expiraturum, ut obsequeretur amicis, spiritum ad quatriduum usque olfactu calentium panum retinuisse, ulterius etiam, si modo placuisset, spiritum servaturum. 
52 Sunt et, qui dicunt id mellis odore fecisse.
41 Ihr alle also, die ihr das Leben im Körper verlängern wollt, pflegt vor allem den Seelenatem! 
42 Fördert diesen mit Nahrung, die das Blut fördert, natürlich dass es ausgeglichen und hell ist; 
43 hegt diesen mit immer gut ausgewählter Luft; 
44 nährt diesen täglich mit süßen Düften; 
45 erfreut ihn mit Klängen und Gesängen! 
46 Hütet euch dabei aber vor den allzu warmen Düften, meidet die allzu kalten, macht von den gemäßigten Gebrauch: 47 mischt die warmen mit den kalten, die trockenen mit den feuchten! 
48 Seid euch aber bewusst, dass jeder Duft, weil er ein sehr feiner Teil des Körpers ist, durchaus Wärme hat! 49 Und hofft, dass Düfte aus von sich aus nahrhaften Dingen noch nahrhafter sind, wie die von Gewürzbirnen, Pfirsichen und ähnlichem Obst, noch mehr von frischem, warmem Brot, noch viel mehr von gebratenem Fleisch, am meisten aber von Wein. 50 Und glaubt, dass so, wie guter Geschmack, der wunderbaren Anklang findet, der Grund für sehr viel und schnell gegessene Nahrung oder eine gute Gelegenheit für den Körper ist, dass so der Duft für den Seelenatem dieselbe Wirkung hat! 
51 Ich möchte euch noch einmal daran erinnern, dass Demokrit, als er gerade im Sterben lag, um seinen Freunden einen Gefallen zu tun, seinen Seelenatem bis zu vier Tagen durch den Geruch warmer Brote zurückgehalten hat, seinen Seelenatem noch länger bewahrt hätte, wenn es nur möglich gewesen wäre. 
52 Manche sagen auch, er habe das mit dem Duft von Honig bewirkt.
53 Ego, si modo usus est melle, existimo illum mel vino liquefactum albo calentibus panibus infudisse, neque enim spernendus est mellis odor. 
54 Flos namque florum mel existit, nec parum nutrit ipsa dulcedine, ac diu qualitate sua res integras a putrefactione tuetur. 55 Itaque si quis noverit hoc etiam ad cibum ita vesci, ut nec dulcedine nimia meatus oppleat nec tali quodam calore bilem exaugeat, certum habebit longioris vitae subsidium. 56 Saltem igitur condimentum hoc frigidis et humidis adhibete. 
53 Wenn man den Honig überhaupt braucht, so glaube ich, dass jener den Honig, den er mit Weißwein verflüssigt hatte, auf die warmen Brote gegossen hat, denn den Duft von Honig darf man nicht verachten. 
54 Als Blume der Blumen existiert nämlich der Honig, und nicht wenig ernährt er durch seine Süßheit, und lange bewahrt er die Dinge heil vor dem Faulen durch seine Beschaffenheit. 55 Wenn ihn deshalb jemand beim Essen so verzehren kann, dass er weder mit allzu viel Süßem die Gänge verstopft noch durch derartige
Hitze die Galle bedeutend vergrößert, dann hat er eine verlässliche Hilfe für langes Leben. 56 Wendet dies wenigstens als Gewürz für Kaltes und Feuchtes an.
57 Verum ut vos revocem ad odores
58 Ubicunque suffocationem compressionemque spirituum nimiam extimescitis, quod maeror frequens torporque portendit, odores circumfusos amate. 
59 Ubi vero fugam exhalantium spirituum expavescitis, odores potius infusos nutrimentis accipite. 
60 Et si quid odorum praeterea foris sumitis, velut clypeum costis duntaxat admovete sinistris. 61 Nonne videtis, quam repente sursum vel deorsum ad odores se matrix ipsa praecipitet? 62 Quam velociter ad os, ad nares spiritus advolet, suavis odoris esca pellectus? 
63 Ubi igitur spiritus vel exiguus vel fugacissimus esse deprehenditur, quod pusillanimitas saepe declarat corporisque debilitas vel parva de causa multa contingens, odoribus non tam extrinsecus obiectis quam intrinsecus iniectis allicite, immo potius pascite, retinete. 
64 Odorem vero vini ante omnes eligite, multum namque nutrit spiritum odor exhalans ex natura, tum plurimum et velociter nutriente corpus, tum voluptate sensum afficiente. 65 Tale vero vinum est prae ceteris calidum, humidum et odorum atque clarum.
66 Tale etiam saccharum esse dicerem, si sumat odorem; 67 cinnamomum quoque simile et doronicum anisumque et dulce marathrum, si acumini suo ad exiguam dulcedinem adderent ampliorem. 68 Sed quam temperiem natura non fecit, vobis ipsi conficite. 
69 Et quotiens distractionem spirituum formidatis, calidioribus acutioribusque et subtilissimis adhibete, quae cohibere parumper volatum spiritus ac sistere valeant, ceu croco, gariophylis, cinnamomo adustum panem, rosaceam aquam acetumque rosaceum, rosam, myrtum, violam, sandalum, coriandrum, cydonium pomum atque citrum. 
70 Horreo vero camphoram, ubi contra canitiem est agendum. 
71 Recentem vero semper mentam diligo, menti etiam salutarem spirituique tutissimam. 
57 Wir müssen aber zu den Düften zurückkommen. 
58 Liebt in allen Lagen, in denen ihr die Erstickung oder allzu großen Druck auf die verschiedenen Formen des Atems fürchtet, was häufige Trauer oder Apathie ankündigen, liebt dann die Düfte, die euch umgeben. 
59 Wenn ihr aber die Flucht verdunstenden Atems fürchtet, dann nehmt lieber die Düfte auf, die in den Nahrungsmitteln enthalten sind. 
60 Und falls ihr außerdem ein wenig Duft draußen zu euch nehmt, dann bringt ihn nur wie einen Schild an eure linken Rippen.
61 Seht ihr nicht, wie schnell sich die Gebärmutter selbst nach oben oder nach unten auf die Düfte stürzt? 62 Wie schnell der Atem an den Mund oder an die Nase fliegt, verlockt vom Köder süßen Duftes? 
63 Wenn also der Seelenatem dabei ertappt wird, entweder winzig oder überaus flüchtig zu sein, worauf oft Kleinmütigkeit und eine Körperschwäche, die einem aus kleinem Grund häufig zustößt, hinweist, dann lockt ihn weniger mit nur außen angetroffenen, sondern innerlich angeeigneten Düften, nein, weidet ihn vielmehr, haltet ihn fest. 
64 Vor allen anderen aber wählt den Duft des Weines, denn dieser sich von Natur aus verströmende Duft nährt den Seelenatem gut, indem er einerseits sehr reichlich und schnell den Körper nährt, andererseits die Sinne mit Freuden erfüllt. 65 Solch ein Wein ist vor allem warm, feucht, duftend und hell. 
66 Eine solche Wirkung könnte, meiner Meinung nach, auch Zucker haben, wenn er den Duft annimmt; 67 eine ähnliche auch Zimt und Gemswurz, Anis und süßer Fenchel, wenn sie zu seiner Schärfe noch mehr Süßheit, als die vorhandene kleine Menge, hinzufügten. 68 Aber stellt euch die ausgeglichene Mischung, die die Natur nicht bewirkt hat, selbst her.
69 Und sooft ihr die Zerstörung des Atems fürchtet, wendet recht Warmes, Scharfes und ganz Feines an, das den Flug des Atems ein wenig bremsen und ihn zum Stillstand bringen kann, wie mit Safran, Nelke und Zimt geröstetes Brot, wie Rosenwasser und -essig, wie Rosen, Myrten, Veilchen, Sandelholz, Koriander, Quitten und Zitronen. 
70 Vor Kampfer schrecke ich aber zurück, wenn man gegen graue Haare behandeln muss. 
71 Wärmstens empfehle ich aber immer frische Minze, die heilsam für den Geist und für den Seelenatem ganz sicher ist.
72 Denique mementote res omnes veneno contrarias esse vitae admodum salutares, non gustu tantum, sed etiam odoratu, maxime theriacam. 73 Has vero in libro Contra pestilentiam enarravimus, narrabimus et in libro sequenti. 
74 Inter eas autem, ne quid vos lateat, numeramus et vinum; 75 nam sicut homini venenum est cicuta, ita cicutae vinum, non simul quidem, sed paulo post ebibitum. 
72 Erinnert euch schließlich daran, dass alle Gegenmittel gegen Gift fürs Leben ganz heilbringend sind, nicht nur durch den Geschmack, sondern auch durch den Geruch, dass aber am gesündesten Theriak ist. 73 Diese Dinge habe ich aber im Buch "Gegen Seuche" vorgestellt, werde sie aber auch im folgenden Buch behandeln.
74 Zu diesen zählen wir auch, damit euch nichts verborgen bleibt, den Wein. 75 Denn so wie für den Menschen der Schierling ein Gift ist, so ist für den Schierling Wein ein Gift, nicht zur gleichen Zeit genossen, sondern kurz nacheinander getrunken.
76 Ac ne solis vos odoribus hic alliciam, componendum vobis mando electuarium, quotidie mane gustandum, olfactu gustuque suave et vitae admodum salutare. 
77 Accipite tres chebularum uncias, unam emblicarum et Indarum unam unamque belliricarum, semunciam vero doronici, cinnamomi uncias duas, croci drachmam unam, ambrae partem drachmae tertiam, musci quoque tantundem. 78 Contundite diligenter. 79 Tantum rosacei sacchari adhibete, quantum gustui satis facit, sandalorum rubentium, quantum sat est colori, mellis item emblicarum vel chebularum, quantum molli expedit electuarii formae, auri folia totidem, quot praedictae sunt unciae.
80 Ubi vero difficilior est compositio multiplex, experti sumus simplicem hanc optimam esse, scilicet ex chebulis, marathro dulci, saccharo aqua rosacea liquefacto, sumptam vero tum ieiuno stomacho, tum post coenam. 
76 Und um euch nicht nur mit den Düften hier zu locken, gebe ich euch das Rezept zu einer Latwerge, täglich in der Frühe zu nehmen, süß duftend und schmeckend und fürs Leben ganz heilbringend. 
77 Nehmt drei Unzen Chebula-Myrobalanen, je eine Unze Emblika-, indische und Bastard-Myrobalanen, aber eine halbe Unze Gemskraut, zwei Unzen Zimt, eine Drachme Safran, ein Drittel Drachme Ambra und ebenso viel Bisam. 78 Zerstoßt es sorgfältig. 79 Gebt so viel Rosenzucker zu, wie für den guten Geschmack ausreicht, so viel rotes Sandelholz, wie man für die Farbe braucht, ebenso viel Emblika- oder Chebula-Honig, wie der weichen Form der Latwerge guttut, ebenso viele Goldblätter, wie Unzen vorgeschrieben sind.
80 Wenn aber diese komplizierte Zusammensetzung zu schwierig ist, dann haben wir herausgefunden, dass folgende einfache die beste ist, natürlich aus Chebula-Myrobalanen, süßem Fenchel, Zucker, mit Rosenwasser verflüssigt, bald aber nüchtern, bald nach dem Essen eingenommen. 
81 Memineritis autem myrobalanos conditas meliores esse; 82 siccas vero saltem diem integrum oleo amygdalarum dulcium vel butyro vaccino prius infundite, quam confletis. 
83 Probat et Avicenna vobis confectionem ex emblicis atque Indis cum melle anacardorum coctoque butyro, item chebulas cum zinzibere et squama ferri et potius auri. 
84 Probat item Petrus Aponensis compositionem ex croco, mace, castoreo, per partes aequales acceptis atque contusis et vino commixtis; 85 unde affirmat vitam etiam propemodum moribundis produci consuevisse. 
86 Denique Haly astrologus medicusque excellens asserit usu tripherae similiumque rerum vitam effici longiorem. 
87 In omni vero triphera myrobalanus fundamentum est; 88 sed hanc temperant subtilibus quibusdam atque mollibus, praesertim ubi siccior est myrobalanus, ut et penetret, nec meatus obstruat, nec alvum exsiccet nimium vel astringat. 89 Cum vino praeterea commodissime utimur, sed modico, ne forte diluat. 
90 Compositionem vero Petri, quam modo narrabam, si modo utilis est, arbitror olfactu potius quam potu utilem fore. 
81 Denkt aber daran, dass die gewürzten Myrobalanen besser sind; 82 legt die trockenen aber wenigstens einen ganzen Tag in Süßmandelöl oder Kuhbutter, bevor ihr sie verschmelzt.
83 Auch Avicenna empfiehlt euch ein Rezept aus Emblika- und indischen Myrobalanen mit Anakardien-Honig und gekochter Butter, ebenso Chebula-Myrobalanen mit Ingwer mit Eisen- oder besser Goldschuppen.
84 Ebenso empfiehlt Peter von Abano eine Zusammensetzung aus Safran, Muskat, Bibergeil zu gleichen Teilen, zerstoßen und mit Wein vermischt; 85 er versichert, dass damit fast Sterbenden sogar das Leben normalerweise verlängert werde.
86 Schließlich behauptet der hervorragende Astrologe und Arzt Haly, dass man durch den Gebrauch von Triphera und ähnlicher Dinge das Leben verlängere. 87 Grundlage jeder Triphera sind Myrobalanen; 88 aber sie mildern diese mit gewissen feinen und weichen Mitteln, zumal wenn die Myrobalanen allzu hart sind, damit die Triphera zwar eindringt, aber weder die Gänge verstopft noch den Darm zu sehr austrocknet oder zusammenzieht. 89 Mit Wein zusammen verwenden wir es sehr passend, allerdings mit Wein in Maßen, damit  er die Triphera nicht etwa verdünnt.
90 Peters Zusammensetzung, die ich gerade vorstellen wollte, ist, glaube ich, wenn überhaupt hilfreich, dann eher durch den Geruch als durchs Trinken nützlich.

 

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