MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

ii, 12

 

Cap. XII: Diaeta, habitatio, consuetudo senum. Kapitel 12: Diät, Aufenthaltsorte und Umgang der Alten
1 Meminisse decrepitos expedit, naturam debilem non esse nutrimentorum pondere fatigandam vel etiam epularum diversitate nimia distrahendam; 2 nam et iuvenilis aetas hoc vitio fit cito senilis. 
3 Dividant ergo mensas, nec tam multa naturam alimonia quam frequenti reficiant, intervallo interim ad digestionem dato; 4 nam saepe etiam postquam stomachus ipse concoxerit, nisi et iecur quasi digesserit, sumere nutrimentum naturam distrahit atque fatigat, 5 qua quidem lassitudine saepius frequentata advolat intempestiva senectus. 
1 Für die Altersschwachen ist es förderlich, daran zu denken, dass die gebrechliche Natur nicht durchs Gewicht der Nahrung geschwächt oder auch durch allzu große Vielfalt der Speisen gedehnt werden darf; 2 denn auch die Jugend wird durch diesen Fehler schnell alt. 
3 Sie sollen also die Mahlzeiten aufteilen und ihre Natur weniger durch viel Nahrung als durch häufige erquicken und dazwischen Pausen zum Verdauen geben; 4 denn oft Nahrung zu sich zu nehmen schädigt und ermüdet die Natur, wenn nicht nach der Verdauung durch den Magen auch die Leber gleichsam verdaut hat; 5 wenn man diese Mattigkeit allzu häufig erfahren hat, fliegt das Alter vor der Zeit herbei. 
6 Senes hieme velut oves aprica petant, aestate velut aves amoena rivosque revisant. 7 Frequenter inter virentes versentur plantas et suaviter redolentes, hac namque viventes spirantesque conspirant ad spiritum hominis augendum. 
8 Ad loca vero communiter apibus amica confugiant mellaque hieme degustent, mel enim cibus est senibus imprimis amicus, nisi ubi bilis timetur incendium.
6 Die Alten sollen im Winter wie die Schafe sonnige Plätze aufsuchen, im Sommer sollen sie wie die Vögel liebliche Plätze und Bäche besuchen. 7 Häufig sollen sie sich bei den grünen und süß duftenden Pflanzen aufhalten, denn hier lebend und atmend holen sie Luft, um den Seelenatem des Menschen zu vermehren. 
8 An Orte aber, die normalerweise Bienen mögen, sollen sie sich flüchten und im Winter Honig kosten, Honig ist nämlich die Speise, die der beste Freund der Alten ist, es sei denn, man fürchtet den Brand der Galle.
9 Amicus caseus recentissimus; 10 amici dactyli, ficus, passulae, cappares, dulcia Punica, zizipha, hysopus, scabiosa, betonica, sed pistacia multo magis, pinei vero nuclei maxime omnium, sicut diximus. 
11 Ex quibus plurimum referent adiumentum, si eos horas duodecim in aqua paulum calida teneant, priusquam edant, sic enim stomacho non nocebunt; 12 ac praeterea si, dum his utuntur, etiam inter pineta et oliveta vitesque versentur, aut saltem pini vaporem accipiant et odorem. 
13 Item gummi lachrymaeque pini cum oleo vel vino corpus saepe deliniant; 14 probabile enim est arbores longa naturaliter vita dotatas, praesertim si etiam hieme virescant, ad longam tibi vitam umbra, vapore, novo fructu, ligno, et tempestivo quolibet usu prodesse. 15 De animalibus autem longaevis supra diximus. 
16 Iam vero ad idem tibi forte conducet, si vivas plurimum penes eos, qui sani tibi sano natura sint similes et amici, ac magis forsan, si paulo iuniores
17 Utrum vero et quomodo frequens adolescentum consuetudo parumper senium retardare valeat, pudicus Socrates consulendus.
9 Günstig ist ganz frischer Käse, 10 günstig sind auch Datteln, Feigen, Rosinen, Kapern, süße Granatäpfel, Brustbeeren, Ysop, Skabiosen, Betonien, noch viel mehr Pistazien, am allermeisten aber Pinienkerne, so wie wir es schon gesagt haben. 
11 Von ihnen erhält man die größte Hilfe, wenn man sie zwölf Stunden vor dem Essen in leicht warmem Wasser hält, so schaden sie nämlich dem Magen nicht; 12 und wenn man außerdem während ihrer Verwendung sich in Pinienwäldern, Olivenhainen oder Reben aufhält oder wenigstens den Duft oder Geruch von Pinien empfängt. 
13 Ebenso soll Gummi und Pinienharz mit Öl oder Wein den Körper oft lindern; 14 es liegt nämlich nahe, dass von Natur aus langlebige Bäume, vor allem wenn sie auch im Winter grünen, dir zum langen Leben durch ihren Schatten, Duft, ihre neue Frucht, ihr Holz und durch jeden beliebigen rechtzeitigen Gebrauch von Nutzen sind. 15 Von den langlebigen Tieren aber haben wir oben gesprochen. 
16 Zum selben Zweck wird es dir aber sehr dienlich sein, wenn du vor allem bei denen lebst, die von Natur aus dir als Gesundem wegen ihrer Gesundheit ähnlich und vertraut sind, und vielleicht noch mehr, wenn sie ein wenig jünger sind. 
17 Ob aber und wie ein häufiger Umgang mit jungen Leuten das Alter ein wenig hemmen kann, da muss man unseren keuschen Sokrates um Rat fragen.

 

Zum Weiterlesen:      zurück zum Inhaltsverzeichnis!