MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

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Cap. XI: De usu lactis sanguinisque humani pro vita senum. Kapitel 11: Über den Gebrauch von Menschenmilch und Menschenblut fürs Leben der Alten
1 Saepe post decimum statim et nonnunquam post nonum septennarium arbor humana arefacto paulatim humore tabescit. 2 Tunc primum humano iuvenilique liquore irriganda est haec arbor humana, quo revirescat. 
3 Eliges ergo puellam sanam, formosam, hilarem, temperatam, et famellicus lac eius sugito crescente luna statimque comedito marathri dulcis modicum pulverem saccharo rite confectum. 
4 Saccharum quidem lac in ventre cogi vel putrefieri non permittet; 5 marathrum vero, cum et subtile sit et lactis amicum, dilatabit ad membra.
1 Oft geht der menschliche Baum, wenn allmählich die Feuchtigkeit austrocknet, nach dem zehnten Septennium sofort und nach dem neunten manchmal ein. 2 Dann muss dieser menschliche Baum zuerst von jungem, menschlichem Saft benetzt werden, um zu neuen Kräften zu kommen. 
3 Du wirst dir also ein gesundes, schönes, heiteres, ausgeglichenes Mädchen suchen, und hungrig sollst du ihre Milch saugen bei zunehmendem Mond und sofort ein kleines Pulver aus gezuckertem Fenchel, ordnungsgemäß zubereitet, essen. 
4 Der Zucker wird verhindern, dass im Bauch die Milch gerinnt oder verfault; 5 der Fenchel aber wird, da er fein ist und ein Freund der Milch, sie zu den Gliedern befördern.
6 Quos hectica senilis exedit, medici diligentes liquore humani sanguinis, qui arte sublimi destillavit ad ignem, reficere moliuntur. 7 Quid ergo prohibet, quominus senio iam quasi confectos interdum hoc etiam potu reficiamus? 8 Communis quaedam est et vetus opinio, aniculas quasdam sagas, quae et stringes vulgari nomine nuncupantur, infantium sugere sanguinem, quo pro viribus iuvenescant. 9 Cur non et nostri senes omni videlicet auxilio destituti sanguinem adolescentis sugant? – volentis, inquam, adolescentis, sani, laeti, temperati, cui sanguis quidem sit optimus, sed forte nimius. 
10 Sugent igitur more hirudinum ex bracchii sinistri vena vix aperta unciam unam aut duas; 11 mox vero sacchari vinique tantundem sument, idque esurientes et sitibundi facient crescente luna. 
12 Si crudus aegre concoquitur, coquatur prius una cum saccharo, vel ad aquam calidam moderate destillet saccharo mixtus; deinde bibatur. 
13 Fovere quoque stomachum tunc sanguine suillo praesens auxilium est. 14 Quem utique sanguinem e vena suilla fluentem spongia calente vino madefacta combibat et stomacho statim calens admoveatur.
6 Sorgfältige Ärzte bemühen sich, die Leute, die die Altersschwindsucht aufzehrt, mit der Flüssigkeit aus Menschenblut, die nach hoher Kunst beim Feuer herabgetropft ist, wiederherzustellen. 7 Denn was hindert uns daran, die von Altersschwäche gleichsam schon fertig Gemachten bisweilen auch mit diesem Trank wiederherzustellen? 8 Es ist eine geradezu allgemeine, alte Meinung, dass gewisse weise alte Frauen, im Volk auch "Hexen" genannt, das Blut von Säuglingen aufsaugen, um den Kräften entsprechend jung zu werden. 9 Warum sollen nicht auch unsere alten Männer, die doch bar jeglicher Hilfe sind, nicht auch das Blut eines Heranwachsenden saugen? Eines Heranwachsenden, sage ich, mit seiner Einwilligung, eines gesunden, fröhlichen, ausgeglichenen Jünglings, der sehr gutes Blut, aber eben zu viel hat. 
10 Sie werden also nach Art der Blutegel aus der kaum geöffneten Ader des linken Arms eine oder zwei Unzen saugen; 11 bald werden sie ebenso viel Zucker und Wein nehmen, und das werden sie hungrig und durstig tun bei zunehmendem Mond. 
12 Falls das frische Blut kaum verdaut wird, soll man es vorher zusammen mit Zucker kochen, oder es soll bei warmem Wasser langsam herabtropfen, mit Zucker vermischt; dann soll man es trinken.
 
13 Den Magen dann auch mit Schweineblut zu wärmen, ist ein wirksames Hilfsmittel.  14 Dieses Blut jedenfalls, das aus einer Schweinsader strömt, soll ein mit warmem Wein befeuchteter Schwamm aufnehmen und soll warm sofort an den Magen gebracht werden.
15 Galienus atque Serapio morsum rabidi canis sanguinis canini potu curari dicunt, rationem vero illis assignare non placuit. 
16 Ego igitur biduum eam quaeritans, opinor denique salivam canis rabidi venenosam, impressam hominis pedi laeso, per venas paulatim ad cor ascendere more veneni, nisi quid interea distrahat. 17 Si igitur interim canis alterius sanguinem ille biberit, sanguis ille crudus ad multas horas natat in stomacho, eum denique velut peregrinum deiecturo per alvum. 18 Interea caninus sanguis iste salivam caninam superiora membra prensantem, priusquam ad praecordia veniat, derivat ad stomachum; 19 nam et in canino sanguine virtus est ad salivam canis attrahendam, et in saliva vicissim virtus ad similem sanguinem prosequendum. 20 Venenum igitur a corde semotum, sanguinique imbibitum in alvo natanti, una cum sanguine per inferiora deducitur hominemque ita relinquit incolumem.
15 Galen und Serapion behaupten, der Biss eines tollwütigen Hundes lasse sich mit einem Trank aus Hundeblut behandeln, den Grund davon wollten sie aber nicht mitteilen. 
16 Ich suchte also zwei Tage nach diesem und meine nun, dass der giftige Speichel eines tollwütigen Hundes, wenn man ihn in den verletzten Fuß eines Menschen hineindrückt, allmählich durch die Venen zum Herzen aufsteigt nach Art eines Giftes, wenn nicht zwischenzeitlich etwas hindert. 17 Wenn man also inzwischen Blut eines anderen Hundes trinkt, dann schwimmt jenes rohe Blut etliche Stunden im Magen, der es schließlich wie etwas Fremdes durch den Darm beseitigen wird. 18 Inzwischen leitet dieses Hundeblut den Hundespeichel, der die oberen Glieder bedrängt, zum Magen ab, bevor er zum Zwerchfell kommt; 19 denn einerseits liegt im Hundeblut die Kraft, den Hundespeichel anzuziehen, andererseits wieder hat der Speichel die Kraft, dem ähnlichen Blut zu folgen. 20 Das Gift bleibt also vom Herzen getrennt, fließt ins Blut, das im Darm schwimmt und wird zusammen mit dem Blut durch die unteren Teile abgeführt und lässt so den Menschen heil zurück.
21 Quorsum haec? 22 Primo quidem, ut rei tam occultae succurrentem inter disserendum causam aperuerim; 23 deinde, ut moneam, sanguinem potari posse et quidem salubriter, atque in sanguine humano virtutem esse, qua humanum sanguinem attrahat et mutuo prosequatur. 24 Ne forte diffidas iuvenilem sanguinem a sene bibitum trahi ad venas membraque posse ibique prodesse quam plurimum. 21 Wozu das alles? 22 Zuerst nur, um einen Grund deutlich zu machen, der bei der Diskussion für einen so verborgenen Sachverhalt hilfreich sein könnte; 23 dann aber, um daran zu erinnern, dass man Blut trinken kann, und das sogar zum Nutzen, und dass im Menschenblut eine Kraft innewohnt, mit der es Menschenblut anzieht und wiederum ihm folgt. 24 Und damit du darauf vertraust, dass jugendliches Blut, von einem Alten getrunken, zu den Venen und Gliedern gelangen kann und dort möglichst viel hilft.

 

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