MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

ii, 5

 

Cap. V: Sanguis et humor accommodatus vitae aerius esse debet, qualitate temperatus, substantia medius atque tenax. Kapitel 5: Blut und die zum Leben passende Flüssigkeit müssen luftig sein, gemäßigt in der Qualität, hinsichtlich der Substanz in der Mitte und fest.
1 Graeci omnes inter praecepta ad diuturnam vitam maxime necessaria mandant, ut euchimis alamur. 
2 Euchima vocamus alimenta salubria, quae bonum afferunt nutrimentum, id est, sanguinem bonum
3 Bonum vero sanguinem appellamus non frigidum, non siccum, non turbulentum, sed calidum et humidum atque clarum – calidum quidem calore non acri, humidum vero humore non aqueo, clarum quoque, nec tamen interea tenuissimum. 
4 Iam vero ferventior sanguis naturalem tum calorem exacuit, tum exsiccat humorem, et quem ipse humorem infert vel calorem, resolubilem praestat atque fugacem. 
5 Sanguis praeterea humidior proniorque ad aquam naturalem obtundit calorem, humorem quoque naturalem vel hebetat vel impellit sub calore liquescere vel suffocat humiditate calorem; 6 et omnino, si qua portio naturalis humoris ex aqueo sanguine trahitur, tum putrescit facile, tum cito diffluit atque dissolvitur. 
7 Hinc efficitur, ut, qui molliores fructus herbasque comedunt, nisi raro forsan et pro medicina tunc ventrem leniente sumant, brevi venas succo crudo putrefactionique obnoxio penitus impleant. 8 Ac ne id accidat, tutius pro alimento vel coquuntur vel saltem cum pane miscentur.
1 Alle Griechen geben unter allen äußerst notwendigen Rezepten zum langen Leben die Empfehlung, dass wir uns von Wohlschmeckendem ernähren. 
2 "Euchima" nennen wir gesunde Nahrungsmittel, die eine gute Nahrung bewirken, d. h. gutes Blut. 
3 "Gutes" Blut nennen wir nicht das kalte, das trockene, das trübe, sondern das warme und feuchte und klare - warm nicht von brennender Hitze, feucht aber nicht von wässriger Flüssigkeit, auch klar, aber dennoch nicht sehr dünn. 
4 Allzu warmes Blut aber treibt einerseits die natürliche Hitze hoch, trocknet andererseits die Flüssigkeit aus, und welche Flüssigkeit oder Wärme es selbst hineinbringt, macht es löslich und flüchtig. 
5 Außerdem, ein allzu nasses und dem Wasser allzu zugeneigtes Blut schwächt die natürliche Wärme, schwächt auch entweder die natürliche Feuchtigkeit oder treibt sie, unter der Hitze zu schmelzen, oder erstickt die Wärme durch Feuchtigkeit. 6 Und überhaupt, wenn ein wenig der natürlichen Flüssigkeit aus dem wässrigen Blut genommen wird, dann fault das leicht, dann fließt es schnell weg und löst sich auf. 
7 Daher kommt es, dass die Leute, die zu weiche Früchte und Kräuter essen, in kurzer Zeit ihre Adern mit roher und leicht faulender Flüssigkeit ganz füllen, außer sie nehmen es selten und als Medizin, die den Bauch beruhigt. 8 Und damit das nicht geschieht, werden die Früchte als Nahrung entweder zur größeren Sicherheit gekocht oder wenigstens mit Brot vermischt.
9 Sanguis ergo nec igneus esto, nec aqueus, sed aerius – non aeri crassiori similis, ne proclivior sit ad aquam; 10 non aeri subtilissimo, ne facile incalescat in ignem; 11 sed substantiam teneat mediocrem, in qua medius aer dominatum habeat plurimum. 12 Cetera elementa insint, quatenus aeris accommodantur imperio.
13 Non sit eius substantia subtilissima, ne humorem instabilem generet spiritumque volatilem et dissolutioni subiectum. 
14 Non sit crassissima, alioquin et ingenio minime ministrabit et vix in naturalem humorem ac spiritum permutabitur, meatus obstruet, suffocationi dabit occasionem; 15 et spiritus, qui vix tandem crassus inde creatur, densitate sua et ipse parum idoneus est ad vitam et calorem naturalem ita suffocat, sicut fumus densior flammam comprimit protinus et extinguit. 
16 Mitto, quod saltem adeo tenebrosus est, ut vitam efficiat maestam, morte deteriorem. 
9 Blut soll also weder feurig noch wässrig, sondern luftig sein - nicht der allzu dicken Luft ähnlich, um nicht dem Wasser allzu geneigt zu sein; 10 aber auch nicht der ganz feinen Luft ähnlich, damit es sich nicht leicht zu Feuer erhitzt; 11 sondern es soll eine mittlere Qualität haben, in der ausgewogene Luft die Oberhand hat. 12 Die anderen Elemente können darin sein, soweit sie sich der Herrschaft der Luft fügen. 
13 Seine Substanz soll nicht sehr fein sein, um nicht unbeständigen Saft und flüchtigen und der Auflösung unterworfenen Seelenatem zu erzeugen. 
14 Es soll nicht ganz dick sein, sonst wird es dem Geist kaum dienen, kaum in natürlichen Saft und Seelenatem verwandelt werden, es wird die Poren verstopfen, der Erstickung Gelegenheit bieten. 15 Und der Seelenatem, der dort endlich mit Mühe als dicker entsteht, ist durch seine dichte Beschaffenheit einerseits selbst zu wenig lebensfähig, andererseits erstickt er die natürliche Wärme so, wie recht dichter Rauch das Feuer sofort erstickt und auslöscht.  
16 Ich lasse aus, dass er mindestens so dunkel ist, dass er das Leben traurig macht, noch schlimmer als den Tod. 
17 Imprimis autem, ut mihi videtur, ad vitam expedit diuturnam, sanguinem una cum substantia quidem aeria valde, nec admodum crassa, habere glutinosum aliquem in se humorem atque tenacem, qualem ferme cum subtilitate habet oleum olivarum et humor anguillae pinguis simul atque tenuis et oleum ex terebentina quadam sublimatione tractum.  17 Nach meiner Meinung ist fürs lange Leben aber besonders förderlich, wenn das Blut zusammen mit einer sehr luftigen, auf jeden Fall nicht fetten Substanz in sich eine zähe und dichte Flüssigkeit enthält, wie es, gewöhnlich mit Feinheit verbunden, Olivenöl besitzt und die fette und zugleich dünne Aal-Flüssigkeit und Terpentin-Öl, durch eine gewisse Sublimation gewonnen. 
18 Tu igitur alimenta ceteraque omnia, quae sanguinem pro viribus humoremque talem efficiant, diligenter eligito. 
19 Sanguis enim humorque talis, sicut oleum flammae, ita vitali calori pabulum est, et una cum subtilitate habet etiam firmitatem. 
20 Praeceptum enim Rasis est pro iuventute servanda, rebus uti sanguinem ad praecordia traducentibus ibique condensantibus corque foventibus. 21 Quod Avicenna probat, aquosum labilemque sanguinem praecipiens evitandum.
18 Du sollst also die Nahrungsmittel und alles übrige sorgfältig auswählen, was entsprechend den Kräften solches Blut und solche Flüssigkeit hervorbringt. 
19 Solches Blut und Flüssigkeit ist, ebenso wie Öl für die Flamme, Nahrung für die Lebenswärme, und es hat zusammen mit der Feinheit auch Festigkeit. 
20 Es gibt nämlich ein Rezept des Rasis, um die Jugend zu erhalten: Dinge verwenden, die das Blut zum Zwerchfell bringen und es dort verdichten und das Herz wärmen. 21 Dieser Meinung schließt sich Avicenna an, indem er vorschreibt, dass wässriges und verderbliches Blut zu vermeiden sei.
22 Differens autem in hoc pro differentia corporum ratio est habenda; 23 nam ubi densius corpus est, ad subtilitatem sanguinis, ubi rarius, ad crassitudinem eiusdem omnibus est remediis declinandum. 24 Ubi media corporis habitudo, via similiter media tutius imus. 25 Nunquam tamen naturalem corporis habitudinem extirpare conabimur, alioquin vitam ipsam extirparemus.  22 Den unterschiedlichen Körpern entsprechend muss man in diesem Fall aber auf verschiedene Weise Rücksicht nehmen. 23 Denn ist ein Körper zu dicht, muss man mit allen Heilmitteln zur Feinheit des Bluts hinlenken, ist er zu dünn, dann zur Dicke. 24 Hat der Körper eine mittlere Konstitution, gehen wir in gleicher Weise auf dem mittleren Weg sicherer. 25 Nie jedoch werden wir versuchen, die natürliche Körperkonstitution zu zerstören, sonst zerstören wir das Leben selbst.
26 Expedit insuper meminisse, ubi subtilitatem sanguinis valde veremur et stomachus interea non sit admodum natura validus, minutioribus ad crassitudinem gradibus accedendum esse, dum gracilem hominem crassioribus alimentis nutrire contendimus; 27 et fovendum interim stomachum, producendum somnum, exercitationem corporis pro viribus augendam, animi minuendam, quae plurimis saepissime nocet.  26 Obendrein hilft es, sich daran zu erinnern, dass wir, wenn wir die Feinheit des Blutes sehr fürchten und der Magen von Natur aus nicht ganz stark ist, mit kleineren Schritten zur Fettheit hingehen müssen, wenn wir uns bemühen, einen mageren Menschen mit recht fetten Speisen zu ernähren. 27 Und dass man manchmal man den Magen wärmen, den Schlaf verlängern, körperliches Training den Kräften entsprechend fördern und geistige Übung vermindern muss, die den meisten sehr oft schadet. 
28 Ac si minus ferat alimenta viscosa nimium duraque vel admodum frigida, usu saltem corallorum, sandalorum, rosarum, coriandrorum, myrobalanorum, cydoniorum et diacydonion, saccharique rosacei stypticarumque rerum eam sanguinis humorisque firmitatem denique consequemur, quam rebus nimium glutinosis hic tuto consequi non valemus. 
29 Commodissime vero ex nucleis pineis pistaciisque et glycyrrhizae succo et amido, additis amygdalis dulcibus, earumque oleo et cydoniorum semine atque oleo sesamino una cum saccharo candidissimo aquaque rosacea nutrientur, qui viscosa grandiorum animalium membra concoquere nequeant. 
30 Concedemus his praeterea extrema gallinarum vel haedorum et testudines et limaces atque testiculos. 
31 Vina dabimus non alba, sed rubra stypticaque et quodammodo subamara, aqua vinum ferrea vel masticea temperantes.
28 Und wenn er allzu zähe, harte oder ganz kalte Nahrung nicht erträgt, werden wir mindestens durch den Gebrauch von Korallen, Sandelholz, Rosen, Koriander, Myrobalanen, Quitten und Diacydonion, Rosenzucker und stopfenden Dingen diejenige Festigkeit von Blut und Flüssigkeit erreichen, die wir durch allzu zähe Dinge hier nicht ohne Schaden erreichen können. 
29 Am günstigsten ernähren sich diejenigen, die zähe Stücke von größeren Tieren nicht verdauen können, mit Pinienkernen, Pistazien, Süßholzsaft und Stärke, dazu Süßmandeln und deren Öl, Quittensamen und Sesamöl, zusammen mit ganz weißem Zucker und Rosenwasser. 
30 Außerdem billigen wir diesen Leuten Innereien von Hühnern oder Böckchen, auch Schildkröten, Schnecken und Hoden zu. 
31 Wir reichen keinen Weißwein, sondern roten, stopfenden und leicht bitteren, wobei wir den Wein mit Eisen- oder Mastixwasser mildern.
32 Oleo quoque masticis cydoniorumque cutem leviter leniemus, et vetabimus interim, quae sanguinem subtilem faciunt vel ferventem, nisi forsan nonnihil croci vel cinnamomi tenacioribus epulis infundamus, ut et facilius concoquantur et cocta per meatus angustos transferantur ad membra. 
33 Difficile namque est viscosa vel alimenta paulo firmiora ex stomacho non admodum valido usque ad digestionem tertiam quartamque perducere, nisi eiusmodi vehiculis perferantur atque insuper frictionibus levibus provocentur. 34 Quas quidem cum facies, manibus eas mollioribus facito, ac memento madefacere manus odorifero quodam vino, in quo camomillam myrtumque coxeris atque rosas.
32 Auch machen wir mit Mastix- oder Quittenöl die Haut leicht weich und untersagen dabei, was das Blut fein oder heiß macht, außer wir schütten etwas Safran oder Zimt auf die etwas zäheren Speisen, damit sie leichter verdaut werden und, wenn sie verdaut sind, durch die engen Gänge zu den Gliedern gebracht werden. 
33 Es ist nämlich schwierig, zähe oder ein wenig festere Nahrung aus einem nicht ganz starken Magen zur dritten und vierten Verdauung zu bringen, wenn sie nicht durch die genannten Transportmittel hingebracht wird und obendrein mit leichter Massage gereizt wird. 34 Wenn du massierst, sollst du das mit recht weichen Händen tun, und denke daran, die Hände mit wohlriechendem Wein zu benetzen, in dem du Kamille, Myrte und Rosen gekocht hast.

 

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