MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

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Cap. VI: Communis comedendi bibendique regula, et qualitas epularum. Kapitel 6: Allgemein gültige Richtschnur für Essen und Trinken und richtige Beschaffenheit der Speisen
1 Sed missa impraesentia faciamus obtusissima hominum corpora vel tenuissima, ad communem vivendi rationem perveniamus, communi mediaeque corporis habitudini prorsus accommodatam. 
2 Cave, ne ulla ratione meatus corporis vel supra modum pateant vel nimium obstruantur; 3 ibi enim resolutione et iniuria extrinsecus inferenda discrimen, hic autem in putrefactione et suffocatione periculum. 
4 Etsi non artissimo regulae freno, quod Hippocrates damnat, te cohibeo, non tamen habenas tibi ad licentiam usque relaxo. 
1 Aber jetzt wollen wir die ganz stumpfen oder ganz feinen Körper von Menschen beiseite lassen und zu einer allgemein gültigen Lebensweise gelangen, die zu einer normalen und mittleren Körperkonstitution genau passt. 
2 Sorge dafür, dass die Körpergänge keinesfalls entweder allzu weit sind oder zu sehr verstopft sind; 3 im ersten Fall besteht die Gefahr in Auflösung oder im Hineintragen von etwas Unrechten von außen, im anderen Fall besteht die Gefahr in Fäulnis und Erstickung. 
4 Auch wenn ich dich nicht mit einem ganz engen Zügel - was Hippokrates ja verurteilt - bändige, so lasse ich dir dennoch nicht die Zügel ständig nach deinem Belieben schießen. 
5 Herbas et fructus humidiores accipe parce, parcius lac et pisces et utrunque cum melle, parcissime fungos atque cum aromaticis ac semine pyri; 6 similiter purum aquae potum atque una cum parcitate. 
7 Quae humidiora sunt vel pinguia, aromaticis acribusque condito, alioquin et humorem alienum membris plurimum inferunt atque putridum et, si quem necessarium naturae humorem suggerunt, hunc praestant citae admodum corruptioni subiectum, quod non aliter quam aquosum vinum conturbatur celeriter et corrumpitur. 
8 Hinc cita canities et pallor rugositasque senilis. 
5 Recht feuchte Kräuter und Früchte nimm nur sparsam, noch sparsamer Milch und Fische und nimm beides mit Honig, sei ganz zurückhaltend bei Pilzen und iss sie mit Gewürzen und Birnenkernen; 6 sei ähnlich zurückhaltend mit dem Trinken von reinem Wasser. 
7 Was recht feucht oder fett ist, würze mit scharfen Gewürzen, sonst trägt die Nahrung sehr viel fremde und faulige Flüssigkeit in die Glieder und, wenn sie für die Natur notwendige Flüssigkeit mitbringt, macht sie diese anfällig für ganz schnelle Verderbnis, weil sie dann ebenso schnell wie wässriger Wein getrübt wird und verdirbt. 
8 Davon bekommt man graue Haare, bleiche Haut und Altersrunzeln. 
9 Carnes quoque si quotidie comedantur, ac etiam si pondere pani propinquent, citam putrefactionem inferunt. 
10 Unde Porphyrius, Pythagoreorum antiquiorumque auctoritate fretus, esum animalium detestatur. 11 Nonne homines accepimus ante diluvium longaevos animalibus pepercisse? 12 Quanquam medici non tam carnium usum vetant quam abusum. 

13 Denique humida tanquam putrefactioni obnoxia fuge, memoria tenens humidos et pingues senescere citius atque mori, quod et Hippocrates ait et res ipsa declarat. 
9 Wenn man außerdem täglich Fleisch isst, auch wenn man ebenso viel Brot dazu nimmt, bringt dieses Fleisch schnelle Fäulnis. 
10 Deshalb verabscheut Porphyrius, im Vertrauen auf das Ansehen der Pythagoräer und der Älteren, das Verspeisen von Tieren. 11 Haben wir nicht vernommen, dass die langlebigen Menschen vor der Sintflut die Tiere geschont haben? 12 Aber die Ärzte lehnen weniger den Gebrauch als den Missbrauch von Fleisch ab.
13 Schließlich sollst du Feuchtes als der Fäulnis Unterworfenes vermeiden, wenn du daran denkst, dass feuchte und fette Leute schneller altern und sterben, was Hippokrates sagt und die Wirklichkeit selbst bestätigt. 
14 Siccissima rursum accipe moderate, vel saltem liberiore tempera potu. 15 Media tutus eligito
16 Tametsi Avicenna formam cibi paulo sicciorem molli praeponit ad canitiem evitandam. 
17 Ad frigida nimium aut calida cautissimus esto; calida simul et humida sequere. 18 Si fervet aer, epularum humor calorem superet; si friget, calor humorem; 19 utrobique vero modicus sit excessus. 
20 Ubique calor et humor, ut illinc membris irrigatus humor inhaereat firmius ac diu sub calore perduret. 21 Electum triticum et panis electus hoc imprimis habet, deinde rubrum stypticumque vinum parumque dulce, tertio pinei nuclei resque his temperie et lentore persimiles, quarto carnes non humidae simul atque laxae, ut suillae et agninae lactentes. 
14 Ganz Trockenes wiederum nimm in Maßen an, oder mäßige es wenigstens mit einem etwas großzügigeren Trank. 15 Wähle die Mitte, dann bist du sicher. 
16 Trotzdem, Avicenna bevorzugt die ein wenig trockenere Speiseform gegenüber der weichen, um die grauen Haare zu vermeiden. 
17 Sei ganz vorsichtig bei ganz Heißem und ganz Kaltem; folge dem, was zugleich warm und feucht ist. 18 Ist die Luft heiß, soll die Feuchtigkeit der Speisen ihre Wärme übertreffen; ist sie kalt, soll es umgekehrt sein; 19 in beiden Fällen soll die größere Menge maßvoll sein. 
20 Überall sollen Wärme und Feuchtigkeit ein wenig Zähes und Stopfendes beinhalten, damit die Feuchtigkeit, von dort in die Glieder geleitet, fester hängen bleibt und lange in der Wärme ausdauert.
21 Diese Wirkung haben vor allem ausgesuchter Weizen und ausgewähltes Brot, dann stopfender, herber Rotwein, drittens Pinienkerne und Dinge, die ihnen hinsichtlich der rechten Mischung und der Zähigkeit ähnlich sind, viertens Fleisch, das nicht zugleich feucht und weich ist, wie z. B. Fleisch von ganz jungen Ferkeln oder Lämmchen. 
22 Medici tamen veteres, maxime Galienus, suis carnes et sanguinem propter quandam cum corpore nostro similitudinem valde commendant. 
23 Optimae sunt igitur similibus corporibus, ut rusticis et robustis corpusque multum exercitantibus, praesertim si quatriduum gariophylis, coriandris praeparatis, sale conditae serventur. 
24 Et sanguis forsan utilis, si cum saccharo coquatur, defecatusque ad summum fuerit atque liquens.
22 Doch alte Ärzte, vor allem Galen, empfehlen Schweinefleisch und -blut wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit unserem Körper sehr. 
23 Sehr gut ist es also für ähnliche Körper, wie für Bauern, Kraftkerle und für Leute, die ihren Körper viel trainieren, vor allem wenn man es vier Tage lang mit Nelken, präpariertem Koriander und Salz gewürzt aufbewahrt. 
24 Auch das Blut ist vielleicht nützlich, wenn es mit Zucker gekocht wird, ganz gereinigt und flüssig ist.
25 Sed ut ad numerum revertamur: 26 non probantur carnes humidiores, quales diximus, non durae simul atque siccae, quales vetustioris leporis atque bovis, sed mediae quaedam, ut gallinaceorum pullorum, caponum, pavonum, phasianarum, perdicum, forte etiam pullorum columbinorum, praesertim domesticorum. 27 Tales quoque sunt capreoli vitulique iuvenes et anniculi verveces pariter atque apri. 28 Haedos non sperno lactentes caseumque recentem. 
29 Aviculas equidem praetermisi, frequens enim subtiliorum alimentorum usus stomacho solum convenit crassiora minime toleranti; 30 qui vero validior est, fugacem ex his fumum reportat vel humorem. 
31 Ova tamen gallinarum non praetermitto, si vitellus una cum albo comedatur; 32 vitellus namque solus delicatorum est nutrimentum. 33 Nam Avicenna probat nutrimentum nullum expedire magis in diminutione sanguinis et dissolutione spiritus cardiaci, quam vitellum ovi gallinae vel perdicis vel phasianae. 
34 Neque forte ab re fuerit anseres nutrire spelta aquave nitida ac post necem carnes, sale et coriandris aceto praeparatis conditas, dies septem servare, prius quam edas; 35 cervumque similiter, si stomachus fuerit validissimus. 
36 Probabile namque est longaeva quaedam animalia ad vitam conferre longaevam, si tamen huiusmodi carnes iuvenes comedantur; 37 similiterque aliae carnes vicissim sunto tum assae tum elixae.
25 Um aber zum Thema zurückzukehren: 26 abgelehnt wird feuchteres Fleisch, wie wir gesagt haben, ebenso zugleich hartes und trockenes, wie das eines älteren Hasen und einer Kuh, genehmigt aber ist Fleisch der mittleren Beschaffenheit, wie z. B. von Küken, Kapaunen, Pfauen, Fasanen, Rebhühnern, vielleicht auch Taubenküken, vor allem von Haustauben. 27 Ebenso gut sind auch Rehböcke, junge Kälber, einjährige Hammel und Eber. 28 Saugende Böcklein verachte ich nicht und frischen Käse. 
29 Kleine Vögel habe ich übergangen, denn der häufige Gebrauch von feinerer Nahrung nützt nur einem Magen, der fettere nicht erträgt; 30 wer aber stärker ist, der trägt von diesen Speisen flüchtigen Dampf oder Feuchtigkeit davon. 
31 Hühnereier übergehe ich jedoch nicht, wenn man den Dotter zusammen mit dem Eiweiß verspeist; 32 Dotter ohne Eiweiß ist Nahrung von Verwöhnten. 33 Denn Avicenna bestätigt, dass keine Nahrung mehr bei Verminderung des Blutes und der Auflösung des Seelenatems eines Magenkranken helfe als der Dotter eines Hühner-, Rebhuhn- oder Fasaneneis. 
34 Es dürfte auch sinnvoll sein, Gänse mit Spelz oder glänzendem Wasser zu mästen und nach dem Schlachten das Fleisch, mit Salz und mit Essig präpariertem Koriander gewürzt, sieben Tage aufzubewahren, bevor man es verspeist; 35 Hirsch nach dem gleichen Verfahren, wenn der Magen ganz stark ist. 
36 Denn es ist wahrscheinlich, dass gewisse langlebige Tiere auch zu langem Leben beitragen, jedoch nur wenn derartiges Fleisch jung gegessen wird. 37 Ähnlich wiederum soll anderes Fleisch bald gebraten, bald gesotten sein.
38 Cibus esto duplus ad potum, panis duplus et sesquialter ad ova, triplus ad carnes, quadruplus ad pisces, herbas, fructus humidiores. 
39 Ne incipiat a potu mensa, neque potus sit semel uberior. 40 Semper stypticum aliquid absque potu vel modico sequatur mensam. 41 Ubi complexio, aetas, locus, tempus ad calidum siccumve labitur, tu quoque paulisper ad opposita declinato; 42 ubi ad frigidum aut humidum, similiter ad opposita vergito; 43 ubi temperies, servato temperiem
44 Eatenus autem exercitationi quidem corporis est addendum et animi detrahendum, quatenus epulis vescimur durioribus, ad diuturnitatem vitae aliquando forsitan necessariis. 
45 Mensae tibi sint in novem diei horis duae et utrobique parcae, parcior vero coena. 
46 Exercitationes corporis duae ferme post digestionem primam ad sudorem quasi productae. 
47 Somnus quidem nocturnus, quia semper est necessarius, semper bonus; 48 diurnus autem, nisi admodum necessarius, nunquam bonus. 
38 Die Speise und das Brot soll jeweils doppelt so viel sein wie das Getränk, das Brot auch anderthalbfach gemessen an den Eiern, dreifach gemessen am Fleisch, vierfach am Fisch, den Kräutern und den feuchteren Früchten. 
39 Das Essen soll nicht mit dem Getränk beginnen und letzteres nie allzu reichlich sein. 40 Immer soll etwas Stopfendes ohne Getränk oder nur mit maßvollem Getränk dem Essen folgen. 41 Wenn Veranlagung, Alter, Ort oder Zeit zum Warmen und Trockenen neigen, steuere ein wenig zum Gegenteil; 42 wenn zum Kalten oder Feuchten, dann zum anderen Gegenteil; 43 ist das Verhältnis ausgewogen, behalte es bei. 
44 Dem körperlichen Training muss man so viel hinzufügen und dem geistigen wegnehmen, wie wir härtere, zum langen Leben irgendwann vielleicht notwendige Speisen essen. 
45 Nimm in den neun Tagesstunden zwei Mahlzeiten ein, beide sparsam, sparsamer aber die Hauptmahlzeit. 
46 Trainiere den Körper - bis zum Schwitzen - zweimal etwa nach der ersten Verdauung. 
47 Nachtschlaf ist, weil immer nötig, immer gut; 48 Schlaf am Tag ist nie gut, es sei denn, wenn dringend notwendig.

 

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