VERGIL-SERIE: ITALIEN 1930

Eine liebende Mutter mit ihren Zwillingskindern? Und was soll dahinter die Girlande, gehalten von den Stierschädeln, den Bukranien? Was sagt dazu die Bildunterschrift (Georgika II, 173-176, zitiert 173; Übersetzung Johannes und Maria Götte, Tusculum-Ausgabe, Heimeran 1970)?

Salve, magna parens frugum, Saturnia tellus,
magna virum: tibi res antiquae laudis et artem
ingredior sanctos ausus recludere fontis,
Ascraeumque cano Romana per oppida carmen.

Heil dir, hehre Mutter der Frucht, saturnische Erde,
Mutter der Helden! Ich wandle vor dir und wage des alten
Ruhmes, der alten Kunst geheiligten Quell zu erschließen,
singe askräischen Sang ringsum in römischen Städten.

In seiner Georgika gibt Vergil den Bauern Anweisungen, wie sie ihr Landleben bewältigen können - so scheint es zumindest bei oberflächlicher Lektüre. Tiefer geht der Preis ihres Lebens, der Preis ihres Landes, der Preis ihres Herrschers: Octavian, später Augustus. Vor dieser Textstelle stellt Vergil dem Leser vor Augen, welch glückliches Land Italien ist, welches Klima es hat, was für (sonst mögliche) Ungeheuer es nicht aufweist, welche prächtigen Männer es hervorgebracht hat. Dieses Loblied auf Italien gipfelt hier: Italien ist saturnisches Land, das Land, in dem in der Goldenen Zeit Saturn, Jupiters Vater, regiert hat, das bedeutet, hier lag das antike "Paradies". Und dieser heiligen Mutter dient der Dichter, indem er ein askräisches Lied singt, d. h. seinem Vorbild Hesiod nacheifert.
Die Mutter mit den Kindern ist also, nach der Bildunterschrift, Italien als saturnisches Land, als "Große Mutter", wodurch auch noch die Assoziation mit der Magna Mater Kybele, der großen Muttergottheit aus der phrygischen Urheimat, möglich wird.
Die Bildvorlage ist das Tellusrelief aus der Ara Pacis Augustae; die Ara Pacis wird auf einer eigenen Seite erklärt.