MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

iii, 4

 

Cap. IV: Spiritus noster haurit mundi spiritum per radios Solis et Iovis, quatenus ipse fit Solaris et Iovialis. Kap. 4: Unser Seelenatem schöpft den Weltatem durch die Strahlen Sols und Jupiters, soweit er selbst sonnen- und jupitermäßig wird.
1 Hunc tu igitur studebis tibi imprimis insinuare, hoc enim medio naturalia quaedam beneficia reportabis, tum corporis mundani, tum animae, tum etiam stellarum atque daemonum. 2 Nam ipse inter crassum mundi corpus et animam medius est, et in ipso stellae sunt et daemones atque per ipsum. 
3 Sive enim mundi corpus atque mundana sint ab anima mundi proxime, sicut Plotino placet atque Porphyrio, sive mundanum corpus, sicut et anima, proxime sit a Deo, ut nostris placet et forte Timaeo Pythagorico, omnino vivit mundus atque spirat, spiritumque eius nobis haurire licet. 
1 Diesen Weltatem wirst du also mit besonderem Eifer in dich eindringen lassen, denn durch seine Vermittlung wirst du bestimmte natürliche Wohltaten erlangen, bald solche des Weltkörpers, bald der Weltseele, bald auch welche von Sternen und Dämonen. 2 Denn er selbst steht in der Mitte zwischen dem dicken Weltkörper und der Weltseele, in ihm und durch ihn existieren die Sterne und die Dämonen. 
3 Ob nun der Weltkörper und die Weltdinge ganz nahe an der Weltseele sind, wie Plotin und Porphyrius befinden, oder ob der Weltkörper wie auch die Weltseele ganz nah an Gott sind, wie es unseren Leuten und zufällig dem Pythagoräer Timaeus gefällt, jedenfalls lebt und atmet die Welt, und wir dürfen den Weltatem schöpfen.
4 Hauritur autem proprie ab homine per suum spiritum illi suapte natura conformem, maxime si reddatur etiam arte cognatior, id est, si maxime coelestis evadat. 
5 Evadit vero coelestis, si expurgetur a sordibus et omnino ab eis, quae inhaerent sibi dissimilia coelo. 6 Quae quidem sordes non solum intra viscera si fuerint, verum etiam si in animo, si in cute, si in vestibus, si in habitatione et aere, spiritum frequenter inficiunt. 
7 Efficietur tandem coelestis, si ad orbicularem animi corporisque motum ipse quoque orbes efficiat; 8 si ad aspectum cogitationemque lucis frequentiorem etiam ipse subrutilet; 9 si adhibeantur ei similia coelo ea communiter diligentia, qua Avicenna in libro De viribus cordis spiritum curat et nos in libro De curanda litteratorum valetudine curare contendimus. 
10 Ubi primum segregantur ab eo vapores obnubilantes medicinis ita purgantibus, secundo rebus lucentibus illustratur, tertio ita colitur, ut et tenuetur simul et confirmetur. 
11 Fiet denique coelestis maxime, quantum dictat ratio praesens, si applicentur ei potissimum radii influxusque Solis inter coelestia dominantis. 12 Atque ita ex hoc spiritu tanquam in nobis medio coelestia bona imprimis insita sibi in nostrum tum corpus, tum animum exundabunt – bona, inquam, coelestia cuncta, in Sole enim omnia continentur. 
4 Er wird aber speziell vom Menschen geschöpft durch seinen eigenen Seelenatem, der jenem durch sein eigenes Wesen entspricht, vor allem wenn man ihn auch durch eigene Kunstfertigkeit zum nahen Verwandten macht, d. h. wenn er ganz himmlisch wird. 
5 Himmlisch wird der Seelenatem aber, wenn man ihn von Schmutz reinigt und überhaupt von allem, was an Himmelsfremdem in ihm steckt. 6 Dieser Schmutz befleckt den Seelenatem nicht nur häufig, wenn er im Körper steckt, sondern auch, wenn er sich im Geist, in der Haut, in den Kleidern, in der Wohnung oder in der Luft befindet. 
7 Er wird schließlich himmlisch, wenn er nach der kreisförmigen Bewegung von Weltgeist und -körper auch selbst Kreisbahnen einschlägt; 8 wenn er beim recht häufigen Anblick und beim Bedenken von Licht auch selbst schimmert; 9 wenn er Himmelsähnliches allgemein mit der Sorgfalt anwendet, mit der Avicenna in seinem Buch "Über die Kräfte des Herzens" für den Seelenatem sorgt und wir im Buch "Über die Gesundheitspflege der geistig Tätigen" uns zu sorgen bemüht haben. 
10 Dort werden erstens vernebelnde Dämpfe von ihm mittels reinigender Arzneien geschieden, zweitens wird er von leuchtenden Dingen erhellt, und drittens wird er so gepflegt, dass er zugleich dünn und stark wird. 
11 Er wird schließlich am meisten dann himmlisch, wie die gegenwärtige Vernunft immer wieder sagt, wenn er besonders mit den Strahlen und Einflüssen des unter den Himmlischen herrschenden Sol eine Verbindung eingeht. 12 Und so werden aus diesem Weltatem, der gleichsam mitten in uns ist, die himmlischen Güter, besonders die für sie eingepflanzten, bald in unserem Körper, bald in unserem Geist im Überfluss vorhanden sein - die himmlischen Güter, sage ich, ja, alle, denn in Sol sind sie alle enthalten.
13 Conferet autem Sol ad spiritum Solarem efficiendum proprie, quando sub Ariete fuerit vel Leone, ipsum aspiciente Luna, maxime in Leone, ubi adeo spiritum nostrum vegetat, ut ipsum muniat contra venenum epidemiae repellendum. 
14 Quod perspicue apparet in Babylonia et Aegypto et regionibus spectantibus ad Leonem, ubi Sol Leonem intrans epidemiam sedat ea duntaxat ratione, qua diximus.
13 Es hilft aber Sol, um den Seelenatem sonnenmäßig zu machen, besonders, wenn er unter dem Aries ist oder dem Leo, wobei ihn die Luna betrachtet, am meisten im Leo, wo er unseren Seelenatem so fördert, dass er ihn absichert gegen das Gift einer Seuche. 
14 Das zeigt sich deutlich in Babylonien und in Ägypten und in den Gegenden unter dem Leo, wo Sol beim Eintritt in den Leo eine Seuche natürlich auf die genannte Weise zur Ruhe bringt.
15 Tunc ergo et tu Solaria passim exquisita compone. 16 Tunc incipe Solaribus uti, ea tamen cautione, qua sub aestu exsiccationem diligenter evites. 
17 Non poterit autem facile spiritus Solaris evadere, nisi sit quam plurimus; 18 ad Solem enim maxime pertinet amplitudo. 19 Quam plurimum vero faciet tum diligentia, cor rebus cordialibus intus et extra fovens, tum etiam victus ex alimentis quidem subtilibus, multum tamen et facile et salubriter nutrientibus. 20 Motus quoque frequens atque lenis et opportuna quies aerque tenuis atque serenus et ab aestu geluque remotus, praecipue laetus animus. 
21 Rursum nec Solaris erit, nisi calidus fuerit et subtilis et clarus. 22 Subtilem clarumque facies, si tristia et crassa devitabis et fusca; 23 uteris lucidis laetisque intus et extra; 24 luminis multum die nocteque excipies; 25 sordes expelles et otium et torporem; 26 imprimis tenebras devitabis. 
15 Stelle also auch du zu diesem Zeitpunkt Sol-Mittel, überall erlesen, zusammen. 16 Fange dann an, Sol-Mittel zu gebrauchen, aber doch mit der Vorsicht, mit der du bei Hitze Austrocknung sorgfältig vermeidest. 
17 Dein Seelenatem kann aber nur dann mit Leichtigkeit sonnenmäßig werden, wenn er in in möglichst großer Menge vorhanden ist; 18 zu Sol gehört nämlich vor allem die reichliche Menge. 19 Eine möglichst große Menge aber bewirkt einerseits die Sorgfalt, die das Herz mit Herzmitteln innen und außen hegt, andererseits eine Lebensweise mit feiner Nahrung, die gut, leicht und gesund ernährt. 20 Auch häufige, sanfte Bewegung, günstige Ruhe und feine, heitere Luft ohne Hitze und Kälte, vor allem ein fröhlicher Geist. 
21 Sonnenmäßig ist er außerdem nur, wenn er warm, fein und hell ist. 22 Fein und hell machst du ihn, wenn du Trauriges, Dickes und Dunkles meidest; 23 gebrauche Helles und Fröhliches innen und außen; 24 nimm bei Tag und bei Nacht viel Licht auf; 25 halte fern von dir Schmutz, Langeweile und dumpfes Hinbrüten; 26 meide vor allem die Dunkelheit. 
27 Perducturus autem spiritum ad calorem Soli naturalem, cave, ne ad tertium caloris gradum siccitatemque deducas. 28 Calor enim ipse Solis naturaliter non exsiccat – alioquin non esset Sol vitae generationisque dominus et auctor augmenti; 29 siccare vero contingit radiis eius in concavis materiae siccae conclusis. 
30 Humorem itaque calori subtilem, qualis est Solaris et maxime Iovius, adhibebis, et conservabis in spiritu rerum eiusmodi usu, si Solarem sis effecturus, ne alioquin ad Martium potius quam ad Solarem forte deducas. 31 Martem quidem Soli esse similem in paucis et his quidem manifestis, nec admodum excellentibus, et interim inimicum esse ferunt. 32 Iovem vero Soli simillimum in plurimis excellentibusque muneribus, quamvis occultioribus, et amicissimum esse scimus. 33 Unde Ptolemaeus, ubi de consonantia disputat, Iovem ait cum Sole prae ceteris perfectissime consonare, Veneremque cum Luna. 
27 Wenn du deinen Seelenatem zur für Sol natürlichen Wärme hinführen willst, hüte dich davor, ihn zum dritten Grad der Wärme und zur Trockenheit zu bringen. 28 Denn die Sonnenwärme trocknet normalerweise nicht aus - sonst wäre Sol nicht Herr von Leben und Lebensentstehung und der Urheber des Wachstums; 29 Austrocknung aber bewirken seine Strahlen in abgeschlossenen Höhlungen trockener Materie. 
30 Füge also solchen feinen Saft der Wärme hinzu, wie er sonnenmäßig und vor allem jupitermäßig ist, und bewahre ihn in deinem Seelenatem durch einen solchen Gebrauch der Dinge, wenn du ihn sonnenmäßig machen willst, um ihn nicht zufällig eher marsmäßig als sonnenmäßig zu machen. 31 Man sagt allerdings, Mars sei Sol in wenigen, und zwar deutlichen, aber keineswegs hervorragenden Dingen ähnlich, und gleichzeitig sei er sein Feind. 32 Wir wissen aber, dass Jupiter Sol sehr ähnlich ist bei sehr vielen und hervorragenden, allerdings versteckteren Gaben und dass er sein bester Freund ist. 33 Deshalb sagt Ptolemaeus, wenn er über die Harmonie diskutiert, Jupiter harmoniere vor den anderen bestens mit Sol, und Venus mit Luna.
34 Omnesque astrologi universalem beneficentiam Soli tribuunt similiter atque Iovi, quamvis Sol eadem efficacius agat et Iuppiter sub virtute Solis efficiat. 35 In utroque calor viget superatque humorem, sed in Iove superat modice, in Sole superat excellenter, utrobique benefice. 
36 Cum igitur adeo consonent, facile poteris spiritum Solarem efficere pariter atque Iovium, ac res Solares et Ioviales rite poteris invicem commiscere, praesertim si et has invicem componas et spiritui adhibeas, quando Iuppiter Solem trino aspicit vel sextili, vel saltem quando Luna ab aspectu alterius ad alterum procedit aspiciendum, maxime quando ab aspectu Solis ad coitum cum Iove progreditur. 37 Seorsum vero Solarem proprie facies vel Iovialem, quando aspectum Lunae ad Solem observaveris vel ad Iovem. 38 Tametsi consecutus naturam huius, naturam mox illius facile consequeris. 
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Sextilem vero aspectum intellige, quando planetae duo inter se signorum duorum spatio distant; 40 trinum autem, quando quattuor signorum discrepant intervallo. 41 Coniunctionem vero vel aspectum Lunae ad alios duodecim gradibus citra totidemque ultra metimur. 
34 Alle Astrologen schreiben Sol umfassendes Wohlwollen zu, ähnlich wie dem Jupiter, obwohl Sol die Wohltaten wirksamer erweist und Jupiter unter dem Einfluss Sols handelt. 35 Bei beiden hat die Wärme Kraft und übersteigt den Saft, aber bei Jupiter übersteigt sie mäßig, bei Sol gewaltig, bei beiden aber mit guten Folgen. 
36 Da sie also so sehr harmonieren, kannst du den Seelenatem leicht zugleich sonnenmäßig und jupitermäßig machen, und das Sonnenmäßige kannst du zu Recht mit dem Jupitermäßigen gegenseitig vermischen, zumal wenn du diese Dinge im Wechsel zusammenstellst und für deinen Seelenatem verwendest, wenn Jupiter Sol im Trigonal- oder im Hexagonalspekt anschaut, oder wenn wenigstens Luna vom Aspekt des einen zum Aspekt des anderen vorwärtsschreitet, am meisten aber, wenn sie vom Sonnenaspekt zur Konjunktion mit Jupiter voranschreitet. 37 Getrennt machst du ihn aber besonders sonnen- oder jupitermäßig, wenn du einen Aspekt der Luna zu Sol oder zu Jupiter beachtest. 38 Auch wenn du die Natur des einen erreicht hast, wirst du bald die des anderen leicht erreichen. 
39 Nimm aber den Hexagonalaspekt wahr, wenn die zwei Planeten von einander den Abstand von zwei Bildern haben; 40 den Trigonalaspekt aber, wenn sie den Abstand von vier Bildern haben. 41 Die Konjunktion aber und den Luna-Aspekt zu den anderen messen wir mit zwölf Grad diesseits und ebenso viel jenseits.

 

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