MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

iii, 3

 

Cap. III: Inter animam mundi et corpus eius manifestum est spiritus eius, in cuius virtute sunt quattuor elementa.
Nos vero per spiritum nostrum hunc possumus haurire.
Kap. 3: Zwischen der Weltseele und ihrem sichtbaren Körper befindet sich der Weltatem, in dessen Verfügungsgewalt sich die vier Elemente befinden. Wir aber können durch unseren Seelenatem diesen aufnehmen.
1 Profecto mundanum corpus, quantum ex motu generationeque apparet, est ubique vivum, quod Indorum philosophi probant ex eo, quod passim ex se viventia generet. 
2 Ergo per animam vivit ubique sibi praesentem ac prorsus accommodatam. 
3 Igitur inter mundi corpus tractabile et ex parte caducum atque ipsam eius animam, cuius natura nimium ab eiusmodi corpore distat, inest ubique spiritus, sicut inter animam et corpus in nobis, si modo ubique vita est communicata semper ab anima corpori crassiori. 4 Talis namque spiritus necessario requiritur tanquam medium, quo anima divina et adsit corpori crassiori et vitam eidem penitus largiatur. 5 Corpus autem omne, facile tibi sensibile, tanquam sensibus tuis accommodatum, crassius est et ab anima divinissima longe degenerans. 6 Opus est igitur excellentioris corporis adminiculo, quasi non corporis.
1 In der Tat ist der Weltkörper, wie aus seiner Bewegung und der Lebenszeugung sichtbar wird, überall lebendig, was die indischen Philosophen deshalb bestätigen, weil er überall aus sich Lebendes hervorbringt. 
2 Folglich lebt er durch die Seele, die ihm überall gegenwärtig und ganz angepasst ist. 
3 Also befindet sich zwischen dem verletzlichen und teilweise hinfälligen Weltkörper und der Weltseele, deren Natur sich allzu sehr vom derartigen Körper unterscheidet, überall der Weltatem, ebenso wie zwischen Seele und Körper bei uns, da ja überall und beständig das Leben von der Seele dem dickeren Körper mitgeteilt wird. 4 Denn solch einen Seelenatem sucht man notwendigerweise gleichsam als Mitte, durch die die göttliche Seele dem dickeren Körper hilft und ihm ganz und gar das Leben spendet. 5 Der ganze Körper, der für dich ohne Schwierigkeiten Empfindungen wahrnimmt, gleichsam deinen Sinnen angepasst, ist dicker und bei weitem aus der Art der ganz göttlichen Seele geschlagen. 6 Also braucht man eine Hilfe eines besseren Körpers, gleichsam keines Körpers.
7 Proinde scimus viventia omnia, tam plantas quam animalia, per quendam spiritum huic similem vivere atque generare, atque inter elementa, quod maxime spiritale est, velocissime generare perpetuoque moveri quasi vivens. 
8 Sed quaeres interea, si elementa atque animantes generant aliquid sibi simile suo quodam spiritu, cur lapides et metalla non generant, quae inter elementa et animantes media sunt. 9 Quia videlicet spiritus in eis crassiori materia cohibetur. 10 Qui si quando rite secernatur secretusque conservetur, tanquam seminaria virtus poterit sibi simile generare, si modo materiae cuidam adhibeatur generis eiusdem. 
11 Qualem spiritum physici diligentes sublimatione quadam ad ignem ex auro secernentes, cuivis metallorum adhibebunt aurumque efficient. 12 Talem utique spiritum ex auro vel ex alio rite tractum atque servatum, elixir Arabes astrologi nominant. 
7 Ebenso wissen wir, dass alles Lebende, sowohl Pflanzen als auch Tiere, durch eine Art Seelenatem, der dem Körper ähnlich ist, lebt und Leben schafft, und dass von den Elementen das, was am meisten von diesem Atem enthält, sehr schnell Neues schafft und sich, als ob es lebte, beständig bewegt. 
8 Aber jetzt fragst du vielleicht, warum Steine und Metalle, wenn doch Elemente und Lebewesen etwas ihnen Ähnliches zeugen aufgrund ihres Seelenatems, warum sie nichts hervorbringen, die doch in der Mitte zwischen den Elementen und den Lebewesen stehen. 9 Klar, weil der Seelenatem in ihnen von dickerer Materie festgehalten wird. 10 Wenn der einmal richtig geschieden und herausgelöst bewahrt werden könnte, dann würde er gleichsam als besamende Kraft sich Ähnliches zeugen, wenn er nur einer derartigen Materie hinzugefügt würde. 
11 Solch einen Seelenatem scheiden die Physiker sorgfältig mittels einer bestimmten Sublimation am Feuer aus Gold, flößen ihn einem beliebigen Metall ein und machen so Gold. 12 Jedenfalls nennen die arabischen Astrologen solch einen Seelenatem, aus Gold oder anderem richtig gewonnen und konserviert, "Elixir".
13 Sed ad mundi spiritum redeamus, per quem mundus generat omnia, quandoquidem et per spiritum proprium omnia generant, quem tum coelum, tum quintam essentiam possumus appellare. 14 Qui talis ferme est in corpore mundi, qualis in nostro noster, hoc imprimis excepto, quod anima mundi hunc non trahit ex quattuor elementis, tanquam humoribus suis, sicut ex nostris nostra, immo hunc proxime (ut Platonice sive Plotinice loquar) ex virtute sua procreat genitali, quasi tumens, et simul cum eo stellas statimque per eum parit quattuor elementa, quasi in illius spiritus virtute sint omnia.  13 Kehren wir aber zum Weltatem zurück, durch den die Welt alles hervorbringt, und da ja alles durch einen speziellen Seelenatem zeugend tätig ist, können wir diesen bald "Himmel", bald "Quintessenz" nennen. 14 Dieser Weltatem befindet sich so im Weltkörper wie unser Seelenatem in unserem Körper, mit dieser einen besonderen Ausnahme, dass die Weltseele den Weltatem nicht aus den vier Elementen gewinnt, gleichsam aus ihren Säften, wie es unsere Seele mit unseren Säften macht, sondern dass sie diesen unmittelbar - um es platonisch oder plotinisch zu sagen - infolge ihrer eigenen Zeugefähigkeit hervorbringt, gleichsam anschwellend, und zugleich mit ihm die Sterne und sofort durch ihn die vier Elemente hervorbringt, als ob in der Kraft jenes Weltatems alles enthalten wäre. 
15 Ipse vero est corpus tenuissimum, quasi non corpus et quasi iam anima, item quasi non anima et quasi iam corpus. 
16 In eius virtute minimum est naturae terrenae, plus autem aqueae, plus item aeriae, rursus igneae stellarisque quam plurimum. 17 Ad horum graduum mensuras ipsae quantitates stellarum elementorumque prodierunt. 
18 Ipse vero ubique viget in omnibus generationis omnis proximus auctor atque motus, de quo ille: 19 "Spiritus intus alit." 
20 Totus est suapte natura lucidus calidusque et humidus atque vivificus, ex dotibus animae superioribus dotes eiusmodi nactus. 
21 Quem plurimum hausisse Apollonium Theaneum testificatus est Indus Hiarchas, dicens: 22 "Mirari nemo debet, o Apolloni, te divinandi scientiam consecutum, cum tantum aetheris in anima geras."
15 Der Weltatem ist ein ganz feiner Körper, gleichsam kein Körper und gleichsam schon Seele, andererseits gleichsam nicht Seele und gleichsam schon Körper. 
16 In seinem Machtbereich ist sehr wenig von erdigem Wesen, mehr von wässrigem, ebenso mehr von luftigem, möglichst viel aber von feurigem Wesen und Eigenschaften der Sterne. 17 Nach dem Verhältnis dieser Stufen gingen die Quantitäten von Sternen und Elementen hervor. 
18 Er selbst aber lebt überall in allem als nächster Urheber jeglicher Zeugung und Bewegung; über ihn hat jener gesagt: 19 "Der Weltatem nährt innen." 
20 Seiner Natur nach ist er ganz hell, warm, feucht und lebensspendend, da er von den höheren Gaben der Weltseele derartige Gaben erhalten hat. 
21 Dass Apollonius von Tyana davon sehr viel erhalten hat, das bezeugt der Inder Hiarchas, indem er sagt: 22 "O Apollonius, keiner darf sich wundern, dass du das Wissen um die Prophezeiung erreicht hast, da du so viel an Äther in deiner Seele trägst!"

 

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