MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

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Cap. VIII: Diaeta, victus, medicina senum. Kapitel 8: Diät, Nahrung und Medizin für Alte
1 Qui septimum iam septenarium impleverunt, quinquagesimum attingentes annum, cogitent Venerem quidem significare iuvenes, Saturnum vero senes, atque has apud astronomos stellas inter se maxime omnium inimicas existere. 
2 Rem ergo Veneream Saturnii fugiant, quae iuvenibus etiam vitae plurimum detrahit. 3 Non enim natis consulit, sed nascituris, ipsasque etiam herbas statim producto semine siccat. 
4 Praeterea frigus aeremque nocturnum letiferum sibi putent, atque eum omnino victum servent, ex quo sanguinem plurimum sperent spiritumque quam plurimum: 5 ex vitellis videlicet ovorum recentibus, vino aliquantum quidem dulci, odorifero quam plurimum. 6 Nam hic vitellus proprie cordis sanguinem, vinum praecipue spiritum recreat. 
7 Carnibus electissimis coctuque facillimis omni summatim utantur diaeta calidum pariter et humidum augente. 
8 Spiritum odoribus praesertim vini assidue recreent. 
9 Vigiliam et inediam sitimque devitent, laborem rursus corporis atque animi et solitudinem et maerorem. 
10 Musicam repetant, si forte intermiserint, nunquam intermittendam. 
11 Ludos quosdam et mores, quoad decet, olim ante actae pueritiae revocent; 12 difficillimum namque est (ut ita dixerim) reiuvenescere corpore, nisi ingenio prius repuerescas. 13 Itaque in omni etiam aetate magnopere conducit ad vitam nonnihil pueritiae retinere et oblectamenta varia semper aucupari – longum vero profusumque risum minime, spiritum namque nimis ad exteriora dilatat.
1 Die Leute, die schon den siebten Siebenjahreszeitraum erfüllt haben und nun vor ihrem 50. Jahr stehen, sollten daran denken, dass Venus auf die jungen Männer, Saturn aber auf die alten abziele und dass diese Sterne nach den Astronomen in größter Feindschaft zueinander stehen. 
2 Das venerische Geschäft sollen die Saturnier vermeiden, das ja auch jungen Männern sehr viel Leben raubt. 3 Sie sorgt ja nicht für die schon Lebenden, sondern für die künftig Lebenden, sie trocknet auch die Kräuter selbst sofort nach Erzeugung des Samens aus. 
4 Außerdem sollen sie meinen, dass Kälte und Nachtluft für sie tödlich ist, und sie sollen an der Nahrung festhalten, von der sie sich das meiste Blut und möglichst viel Seelenatem versprechen: 5 d. h. von frischem Eidotter und von einigermaßen süßem, möglichst duftendem Wein. 6 Denn dieser Dotter erfrischt eigentümlich das Herzblut, der Wein vor allem den Seelenatem. 
7 Ganz erlesenes und für jede Verdauung sehr leichtes Fleisch sollen sie im Allgemeinen als Diät gebrauchen, die das Warme in gleicher Weise wie das Feuchte fördert. 
8 Den Seelenatem sollen sie ständig mit Düften, vor allem von Wein, erfrischen. 
9 Wachen, Fasten und Durst sollen sie vermeiden, außerdem körperliche und geistige Strapazen, Einsamkeit und Trauer. 
10 Die Musik, die man eigentlich nicht unterbrechen darf, sollen sie wieder aufnehmen, falls sie sie unterbrochen haben. 
11 Gewisse Spiele und Verhaltensweisen der einst früher verbrachten Kindheit sollen sie, soweit es sich ziemt, wieder aufleben lassen; 12 es ist nämlich sehr schwierig, sozusagen mit dem Körper wieder junger Mann zu werden, wenn man nicht vorher mit dem Geist wieder Kind geworden ist. 13 Deshalb ist es in jedem Lebensalter fürs Gesamtleben förderlich, ein wenig von der Kindheit zurückzubehalten und immer auf vielfältige Freuden Jagd zu machen - aber nicht auf langes, ausgelassenes Lachen, da es den Seelenatem allzu sehr nach außen dehnt.
14 Sed redeamus ad senes. 15 Hi praeterea si frigeant, fomenta petant aromatica et calida simul atque humida. 
16 Meminerint puerile non esse puerile illud Avicennae fomentum, factum quidem a Davide, sed tardius forte factum. 17 Fomentum seni mirificum: 18 medulla recentis adhuc calentis panis, infuso malvatico vino cum pulvere mentae, apposita stomacho et saepe ad olfactum adhibita. 19 Nam et medulla eiusmodi etiam sola Democrito iamiam expiraturo retinuit spiritum, quoad placuit, fugitivum. 
20 Praeterea frictionibus utantur levibus, seu quandoque lavacris nutrimentum provocantibus ad extrema.
14 Kehren wir aber zu den Greisen zurück. 15 Diese sollen außerdem, wenn es ihnen kalt ist, nach wohlriechenden, zugleich warmen als auch feuchten Wärmemitteln verlangen. 
16 Sie sollen daran denken, dass jenes kindliche Mittel des Avicenna nicht kindisch ist, das von David zwar gemacht, aber vielleicht zu spät gemacht wurde, 17 ein für einen Greis wunderbares Wärmemittel: 18 das Innere eines frischen, noch warmen Brotes, übergossen mit Malvasier und Minzenpulver, dem Magen vorgesetzt und oft zum Riechen angewandt. 19 Denn auch das derartige Innere hielt sogar ohne etwas anderes dem Demokrit, der mehr und mehr seinen Geist aufgeben wollte, seinen flüchtigen Seelenatem, solange es gefiel, zurück. 
20 Außerdem sollen sie leichte Massagen verwenden, oder dann und wann Bäder, die die Nahrung in die äußeren Körperteile rufen.
21 Nucleos ante omnia pineos videlicet ablutos familiares habeant. 22 Hoc enim nutrimentum medici veteres senibus aptissimum probaverunt; 23 calidum enim et humidum est et pingue, et omnem lenit asperitatem, atque simul (quod mirum est), dum naturalem humorem auget, interea superfluum desiccat putridumque expurgat humorem. 
24 Sunt, qui nucleorum eiusmodi drachmam unam quotidie post cibos exhibent senibus comedendam. 25 Ego drachmam quoque alteram ieiuno stomacho senibus exhiberem, vel recens, calens, auratum, pinucleatum.
21 Vertraut sollen ihnen vor allem anderen Pinienkerne, natürlich gewaschene, sein. 22 Diese Nahrung haben nämlich die alten Ärzte als die für Greise passendste beurteilt; 23 sie ist nämlich warm, feucht und fett, sie lindert die ganze Rauheit und zugleich trocknet sie, was verwunderlich ist, während sie die natürliche Feuchtigkeit vermehrt, die überflüssige Feuchtigkeit aus und putzt die faule völlig weg. 
24 Manche verschreiben den Greisen eine Drachme derartiger Kerne täglich nach dem Essen. 25 Ich würde noch eine zweite Drachme den Greisen auf nüchternen Magen verschreiben, aber frisch, warm, vergoldet, nicht ausgekernt.
26 Componerem quoque electuarium hoc pacto: 27 sume amygdalarum dulcium mundarum uncias quattuor, tantundem eiusmodi nucleorum, pistaciorum duas, unam seminum cucumeris, unam nucum avellanarum mundarum; 28 contunde, coque una cum candidissimo saccharo, cui tamen addideris unam zinziberis recentis conditi drachman, croci dimidiam, musci tertiam, ambrae tantundem. 29 Saccharum aqua melissae, id est citrariae, rosarumque fundito; 30 multa auri folia his adhibito. 
31 Huius enim usu quotidiano vitam senes validiorem longioremque consequentur. 
32 Possunt et in mensa hoc accipere, et pluribus horis ante mensam. 33 Utilius autem tunc erit, si quid albi odorique vini una cum confectione eiusmodi biberint. 
26 Ich würde auch eine Latwerge nach folgendem Rezept zusammenstellen: 27 Nimm vier Unzen saubere Süßmandeln, ebenso viel von den genannten Pinienkernen, zwei von Pistazien, eine von Gurkensamen, eine von sauberen Haselnüssen; 28 zerstampfe das, koche es zusammen mit ganz weißem Zucker, dem du aber eine Drachme frischen, gewürzten Ingwer, eine halbe Drachme Safran, ein Drittel Drachme  Bisam und ebenso viel Ambra hinzugefügt hast. 29 Besprenge den Zucker mit Melissenwasser, d. h. von Zitronenmelisse, und mit Rosenwasser; 30 dazu soll man viele Goldblätter hinzugeben. 
31 Durch dessen täglichen Gebrauch erreichen Greise nämlich ein gesünderes und längeres Leben. 
32 Sie können das bei Tisch einnehmen oder mehrere Stunden vor dem Essen. 33 Nützlicher wird es aber dann sein, wenn sie ein wenig duftenden Weißwein zusammen mit der genannten Latwerge trinken. 
34 Temporibus vero calidioribus saccharum rosaceum una cum auri foliis et conditae myrobalani vitam senibus prorogabunt. 35 Theriacam nemo dubitat ad idem humidis convenire personis atque temporibus; 36 de cuius usu satis in libro superiore dictum. 
37 Nemo etiam negabit his prodesse admodum radices inulae beeniasque radices, albas similiter atque rubeas, maxime vero recentes – illam quidem pro nutrimento, has etiam pro aromate – et omnia simpliciter calida humidaque et aromatica simul et styptica simulque pinguia. 
38 Certum est senes electo glycyrrhizae succo familiariter uti debere. 39 Tradunt enim glycyrrhizam esse humani corporis calori pariter et humori persimilem, praeterea variis senum morbis opitulari. 
40 Lac quoque amygdalinum et amidus cibus familiaris esto, et saccharum atque passulae.
34 In warmen Zeiten aber werden Rosenzucker zusammen mit Goldblättern und gewürzte Myrobalanen das Leben der Alten verlängern. 35 Niemand bezweifelt, dass Theriak zum selben Zweck bei feuchten Personen und Zeiten hilft; 36 über dessen Anwendung wurde im ersten Buch schon genug gesagt. 
37 Auch bestreitet niemand, dass ihnen Alantwurzeln und Behenwurzeln viel nützen, weiße ebenso wie rote, am meisten aber frische - die eine als Nahrung, die anderen auch als Gewürz - und dass alles in einfacher Weise warm und feucht und zugleich aromatisch und stopfend und zugleich fett ist. 38 Es ist gewiss, dass ausgesuchter Süßholzsaft für Greise ein vertrautes Mittel sein muss. 39 Es heißt nämlich, Süßholz sei der Wärme und ebenso der Feuchtigkeit des menschlichen Körpers sehr ähnlich, außerdem helfe es bei verschiedenen Alterskrankheiten. 40 Auch Mandelmilch und Stärke sollen vertraute Speisen sein, und Zucker und Rosinen.
41 Rasis tripheram ex myrobalanis Indis, emblicis, belliricis confectam, item myrobalanos Indas conditas saccharo, non solum ad retinendam, sed etiam ad retardandam senectutem valde probat. 42 Avicenna laudat tripheram myrobalanorum maiorem atque minorem, rursus confectionem de squama ferri, maxime vero auri. 43 Iubet quotidie mandere myrobalanos praecipue chebulas rite conditas ad differenda senectutis incommoda.  41 Rasis empfiehlt die Triphera aus indischen Myrobalanen, Emblika und Bastardmyrobalanen, ebenso gezuckerte indische Myrobalanen nicht nur zum Behalten, sondern auch zum Verlangsamen des Alters sehr. 42 Avicenna lobt die kleine und die große Triphera aus Myrobalanen, außerdem das Mittel aus Eisen-, vor allem aus Goldschuppen. 43 Er befiehlt, täglich Myrobalanen, vor allem ordentlich gewürzte Chebula-Myrobalanen zu kauen, um die Gebresten des Alters aufzuschieben.

 

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