MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

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Cap. XI: Cura stomachi.  Kapitel 11: Die Sorge für den Magen
1 Sequitur, ut curam stomachi diligentissimam habeamus, ne nauseam cruditatemve adducat unquam satietas caputque offendat.
2 Bis cibus quotidie sumendus est, et modicus atque levis, cinnamomo, mace, nuce muscata moderate conditus. 3 Semper tamen siccus cibus pondere alimenta mollia potumque exsuperet, nisi forte atrae bilis siccitatem admodum vereamur. 
4 Famem (si commode fieri potest) cibus, sitim potus expectet. 5 Aviditas utriusque supersit mensae; fastidium et saturitas procul absint. 
1 Es folgt, dass wir sehr sorgfältig auf den Magen achten sollen, damit die Sättigung nie Brechreiz oder Völlegefühl hervorruft und dem Kopf zusetzt. 
2 Zweimal täglich soll man Speise zu sich nehmen, und zwar maßvolle und leichte, mit Zimt, Macisbohne und Muskatnuss in Maßen gewürzt. 3 Immer soll aber trockene Speise die weichen Nahrungsmittel und die Getränke an Gewicht übersteigen, es sei denn, wir fürchten die Trockenheit der schwarzen Galle sehr.
4 Wenn es möglich ist, soll die Speise auf den Hunger, das Trinken auf den Durst warten. 5 Appetit auf beides soll nach dem Essen noch vorhanden sein, Überdruss und Übersättigung sollen weit weg sein. 
6 Abstinendum ab iis, quae ob nimiam humiditatem vel virulentam et unctam viscosamque materiam stomachum relaxando debilitant vel etiam frigida aut calidissima sunt aut propter duritiam aegre coquuntur; 7 et quae talia sunt, ut diu post mensam palato saporem reddant molestiorem, sive inflent, sive caput multis vaporibus impleant; 8 ab omnibus imprimis, quae facile vel extra alvum vel in alvo putrescant. 9 Dulces sapores aut acres, si soli sint, nullo pacto probamus, sed dulces acri quodam vel acuto vel sicco volumus temperari.  6 Enthalten muss sich von dem, was durch allzu große Feuchtigkeit oder durch giftigen, fetten und klebrigen Stoff den Magen durch Erschlaffen schwächt oder was kalt oder sehr warm ist oder was wegen seiner Härte schwer verdaulich ist. 7 Enthaltung gilt auch dem, was lange nach dem Essen im Gaumen einen allzu unangenehmen Geschmack hinterlässt, sei es, dass es bläht, sei es, dass es den Kopf mit vielen Dämpfen füllt. 8 Besonders muss man aber das vermeiden, was leicht im Bauch oder außerhalb des Bauchs fault. 9 Süßen oder scharfen Geschmack heißen wir, wenn er jeweils allein vorhanden ist, keineswegs gut, sondern Süßes soll mit sozusagen Pikantem oder Scharfem oder Trockenem gemischt werden.
10 Mastix et menta sicca, salvia recens, uvae passulae, cydonia poma cocta, condita saccharo, cichorea, rosa, corallus, lotus capparis et aceto conditus stomacho amicissima sunt; 11 mala praeterea Punica sapore inter acidum dulcemque medio, et omnino, quaecunque moderate acida sunt et aliquantulum austera, quae medici styptica vocant, sive quae aliquantum acuta sunt vel salsa vel aromatica. 
12 Myrobalani autem omnia superant. 
13 Vinum quoque rubeum potius quam album sapore quasi paululum subamaro, ac nisi caliditas vel destillatio aliter postulaverit, optimum erit merum bibitum paulatim. 
14 Omnino autem liquidiores epulae prius sumendae quam duriores. 
15 Sumpto vero cibo, convenit coriandrum pomumque cydonium conditum saccharo, mala Punica et pyra austera, mespila quoque et Persica sicca atque similia; 16 mandere oportet, antequam deglutiantur, singula exactissime. 17 Fovendus stomachus, si oportet, extrinsecus mastice, rosa, menta, corallo.
10 Der Magen liebt vor allem Mastix, trockene Minze, frischen Salbei, Rosinen, gekochte und gezuckerte Quitten, Zichorie, Rose, Koralle und Lotus, mit Kapern und Essig gewürzt, 11 außerdem Granatäpfel, im Geschmack in der Mitte zwischen sauer und süß, und überhaupt alles, was leicht sauer und ein wenig herb ist, was die Ärzte "stopfend" nennen, sei es, dass es ein wenig scharf oder salzig oder würzig ist. 
12 Myrobalanen aber übertreffen alles. 
13 Auch Rotwein liebt er, mehr als Weißwein, wenn leicht bitter, und wenn nicht Wärme oder Katarrh dagegen sprechen, ist reiner Wein, langsam getrunken, das Beste. 
14 Grundsätzlich soll man die flüssigeren Speisen vor den härteren zu sich nehmen. 
15 Als Nachtisch sind geeignet Koriander, gezuckerte Quitte, Granatapfel und bittere Birne, auch Mispel und trockene Pfirsiche und Ähnliches. 16 Die einzelnen Dinge muss man vor dem Schlucken sorgfältigst kauen. 17 Den Magen muss man, wenn nötig, äußerlich mit Mastix, Rosen, Minze und Koralle wärmen.
18 Cavendum, ne post cibum duabus aut tribus proximis horis vel cogitationi difficili vel lectioni sedulo incumbamus. 19 Necessariae forsan erunt horae vacationis quattuor, si cibus potusve uberior fuerit aut cibus durior. 20 Malum est cibo potuve ventrem extendere; pessimum stomacho sic extento difficilia cogitare. 21 Aut igitur nutrimentum sume levissimum, aut sumpto, vaca, donec quasi concoxeris. 
22 Neque dormiendum post cibum meridie, nisi maxima cogat necessitas, atque id quidem non prius, quam horas duas vigilaverimus. 23 Nocte tamen sumpta coena, hora (ut videtur) una vigiliae sufficit. 
24 Coitus stomacho pestilens, praesertim si vel saturo statim vel esuriente concumbas. 
25 Otio maeret stomachus, exercitatione gaudet, nisi dum cibo sit plenus. 26 Sumpto cibo statim modice deambulandum, mox vero sedendum.
18 Man muss darauf achten, in den zwei oder drei Stunden unmittelbar nach dem Essen keine schwierigen Denkprobleme zu lösen oder konzentriert zu lesen. 19 Als Pause sind etwa vier Stunden nötig, wenn das Essen oder Trinken allzu reichlich ausgefallen sind oder das Essen zu hart war. 20 Schlecht ist es, mit Essen oder Trinken den Bauch zu dehnen, ganz schlecht aber, mit einem derart gespannten Bauch Schwieriges zu bedenken. 21 Nimm also entweder ganz leichte Kost oder mache nach dem Essen Pause, bis du verdaut hast. 
22 Mittagsschlaf ist nur bei allergrößtem Bedarf erlaubt, und erst nach zwei Stunden ohne Schlaf. 23 Hat man bei Nacht gegessen, so reicht - wie es scheint - eine Stunde ohne Schlaf. 
24 Geschlechtsverkehr ist für den Magen schädlich, besonders, wenn man sich mit einem satten Magen sofort oder einem hungrigen zusammen hinlegt.. 
25 Über Untätigkeit trauert der Magen, über Training freut er sich, außer wenn er voll ist. 26 Nach dem Essen soll man gleich mit Maßen spazieren gehen, bald aber wieder sitzen.

 

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