MARSILIUS FICINUS: DE VITA TRIPLICI

 

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Cap. X: Qua ratione vitanda sit atra bilis. Kapitel 10: Vermeidung von schwarzer Galle
1 Pessimam vero illam, quam in superioribus detestabamur, atram bilem haec augent: 2 crassum turbidumque vinum, praecipue nigrum; 3 cibi duri, sicci, salsi, acres, acuti, veteres, usti, assi, fricti; 4 carnes bovis et leporis, caseus vetus, salsamenta, legumina: praecipue faba, lenticula, melongia, eruca, brassica, sinapis, radicula, allium, cepa, porrum, mora, cariotae, et quaecunque calefaciunt vel frigefaciunt simul atque desiccant, et omnia nigra. 
5 Ira, timor, misericordia, dolor, otium, solitudo, et quaecunque visum et olfactum auditumque offendunt, omnium vero maxime tenebrae; 6 praeterea exsiccatio corporis nimia, sive longis nata vigiliis, sive multa mentis agitatione vel cura, seu frequenti coitu usuque rerum calidarum multum atque siccarum, seu immoderata quadam deiectione atque purgatione vel exercitatione laboriosa vel inedia, siti, calore vel sicciore vento vel frigore. 
7 Cum vero bilis atra semper siccissima sit, frigida quoque, licet non aeque, huic certe resistendum est rebus quidem modice calidis, humidis vero quam maxime, cibis elixis assidue, qui coquantur facile et subtilem gignant sanguinem atque clarissimum. 
1 Folgende Umstände fördern jene äußerst üble schwarze Galle, gegen die wir uns oben schon zu verwahren suchten: 2 dicker, trüber Wein, vor allem roter; 3 harte, trockene, salzige, scharfe und scharf gewürzte, alte, verbrannte, gegrillte und geriebene Speisen; 4 Rindfleisch und Hasenfleisch, alter Käse, Salzfisch, Gemüse: besonders Bohnen, Linsen, Auberginen, Rauken, Kohl, Senf, Rettich, Knoblauch, Zwiebeln, Lauch, Maulbeeren, Karotten; und alles, was wärmt oder kühlt und zugleich austrocknet, und alles Schwarze; 
5 Zorn, Angst, Mitleid, Schmerz, Untätigkeit, Einsamkeit, alles, was das Sehen, Riechen oder Hören stört, am meisten von allem aber Dunkelheit. 6 Außerdem zu großes Austrocknen des Körpers, sei es infolge langen Wachens, sei es wegen intensiver Denkarbeit oder Sorge, sei es wegen häufigen Geschlechtsverkehrs oder durch Gebrauch von sehr warmen und trockenen Dingen, sei es durch übermäßige Reinigung des Darmes oder mühsames Training oder Fasten, Durst, Hitze oder zu trockenen Wind oder Kälte. 
7 Da aber die schwarze Galle immer ganz trocken, auch kalt ist, wenn auch nicht in gleichem Maße, so muss man diesem Übel begegnen durch mäßig warme, aber möglichst feuchte Dinge, mit beständig gesottenen Speisen, die leicht verdaut werden und feines und ganz helles Blut erzeugen.
8 Sed interim ut stomachi et pituitae ratio habeatur perinde atque bilis atrae, epulae cinnamomo et croco et sandalis condiantur. 
9 Conferunt semina peponis atque cucumeris et pinei nuclei abluti.
10 Conveniunt lacticinia omnia: lac, caseus recens, amygdalae dulces. 
11 Conveniunt carnes avium et pullorum gallinaceorum quadrupedumve lactentium, ova sorbilia maxime et ex membris animalium cerebellum, dulcia mala, pyra, Persica, pepones, pruna Damascena atque similia, cucurbita rite cocta, herbae humidae, non viscosae. 
12 Cerasia vero, ficus, uvas minime laudo. 
13 Nauseam vero et satietatem valde detestor. 
14 Nihil autem adversus hanc pestem valentius est quam vinum leve, clarum, suave, odorum, ad spiritus prae ceteris perspicuos generandos aptissimum. 15 Nam, ut Platoni et Aristoteli placet, hic humor hoc vino non aliter mollitur atque dulcescit et claret quam vel lupini aqua perfusi vel ferrum flammis accensum. 
16 Verum quantum eius usus spiritibus et ingenio prodest, tantum nocet abusus. 
17 Praeterea infundere aurum vel argentum maxime ignitum eorumque folia in poculis vel in ipso iure prodesse consentaneum est atque aureo vel argenteo vasculo bibere cibosque sumere. 18 Item perutile est, si saepe stomacho vacuo liquiritiae succus deglutiatur, succus quoque Punici pomi dulcis atque dulcis arancei. 
8 Um aber den Magen und den feuchten Schleim ebenso zu berücksichtigen wie die schwarze Galle, sollen die Speisen mit Zimt, Safran und Sandelholz gewürzt werden. 
9 Förderlich sind Melonen- und Gurkensamen sowie abgewaschene Pinienkerne. 
10 Zuträglich sind alle milchhaltigen Speisen: Milch, Frischkäse, süße Mandeln; 
11 ebenso: Fleisch von Vögeln und Hühnerküken und jungen Säugetieren, vor allem weiche Eier und von den Teilen der Tiere das Hirn, süße Äpfel, Birnen, Pfirsiche, Melonen, Damaszenerpflaumen und Ähnliches, Kürbis, ordentlich gekocht, feuchte, aber nicht klebrige Kräuter. 
12 Kirschen aber, Feigen und Trauben lobe ich überhaupt nicht.
13 Von Übersättigung aber und auch Sattheit rate ich dringend ab. 
14 Das Wirksamste gegen dieses Übel ist leichter, heller, süßer, duftender Wein, bestens geeignet - mehr als anderes - den Seelenatem durchsichtig zu machen. 15 Denn, so befinden auch Plato und Aristoteles, dieser Saft wird von solchem Wein ebenso weich und süß und hell wie Lupinen, von Wasser übergossen, oder Eisen im Feuer. 
16 Und wie nun richtiger Gebrauch dem Seelenatem und dem Genie nützt, so schadet der Missbrauch. 
17 Außerdem ist in Ordnung, Gold oder ganz glühendes Silber hineinzugießen; akzeptiert ist auch, dass deren Blätter in den Bechern oder in der Brühe selbst nützen; in Ordnung ist auch, aus Gold- oder Silbergeschirr zu trinken oder die Speisen zu sich zu nehmen. 18 Ebenso ist es sehr nützlich, mit leerem Magen Saft von Lakritze zu schlucken, auch Saft von süßen Granatäpfeln oder Süßorangen. 
19 Conducunt non mediocriter suaves odores, temperati maxime, at si regnat frigus, ad calidum declinantes, sin dominetur calor, vergentes ad frigidum. 20 Temperandi sunt igitur ex rosis, violis, myrto, camphora, sandalis, aqua rosacea, quae frigida sunt; 21 rursus ex cinnamomo, citro, aranceo, gariophylis, menta, melissa, croco, ligno aloe, ambra, musco, quae calida. 22 Verni flores prosunt imprimis et folia citri sive arancei odoraque poma, sed maxime vinum
23 Odores eiusmodi, prout cuique convenit, et naribus hauriendi sunt, et pectori atque stomacho admovendi. 
24 Odores vero calidos multum siccosque, si soli fuerint et continui, non probamus. 
25 Tenendus ore hyacinthus, qui animum vehementer exhilarat. 26 Hierobotanum quoque, id est sclarea silvestris, tum cibo tum odore confert; 27 buglossa rursus, borago, melissa horumque trium aqua. 28 Rursus lactuca, endivia, uva passula, lac amygdalinum mensae familiarissima esse debent. 
29 Fugiendus aer aut fervens aut glacialis nimium aut nubilus, sed aer temperatus serenusque liberrime admittendus. 
19 Durchaus förderlich sind auch süße Düfte, sehr gut gemischt, aber wenn Kälte regiert, zur Wärme neigende, wenn aber Wärme herrscht, zum Kalten neigende. 20 Gut mischen muss man also Kaltes mit Rosen, Veilchen, Myrten, Kampfer, Sandelholz und Rosenwasser; 21 aber Warmes mit Zimt, Zitrone, Orange, Gewürznelken, Minze, Melisse, Safran, Aloeholz, Ambra, Bisam. 22 Frühlingsblumen sind besonders nützlich und Zitronen- oder Orangenblätter und duftende Äpfel, aber am meisten Wein. 
23 Derartige Düfte müssen, je nachdem, wie man sie verträgt, inhaliert werden, können auch an Brust und Magen angewandt werden. 
24 Mit sehr warmen und trockenen Düften sind wir, wenn sie unvermischt sind und anhalten, nicht einverstanden. 
25 Hyazinth soll man im Mund haben, der den Geist gewaltig erheitert. 26 Heiligkraut, das ist Waldsalbei, nützt Speise und Duft; 27 dann wieder Ochsenzunge, Borretsch, Melisse und das Wasser von diesen dreien. 28 Außerdem sollen Kopfsalat, Endivien, Rosinen und Mandelmilch beste Freunde des Tisches sein. 
29 Meiden muss man heiße oder allzu kalte oder trübe Luft, aber temperierte, heitere Luft soll man ganz unbegrenzt zulassen.
30 Mercurius, Pythagoras, Plato iubent dissonantem animum vel maerentem cithara cantuque tam constanti quam concinno componere simul atque erigere. 31 David autem, poeta sacer, psalterio psalmisque Saulem ab insania liberabat. 
32 Ego etiam, si modo infima licet componere summis, quantum adversus atrae bilis amaritudinem dulcedo lyrae cantusque valeat, domi frequenter experior. 
30 Hermes Trismegistos, Pythagoras und Plato geben die Anweisung, einen unharmonischen oder trauernden Geist mit beständigem, harmonischem Leierklang und Gesang zu ordnen und aufzurichten. 31 David aber, der heilige Dichter, befreite mit Psalter und Psalmen Saul vom Wahnsinn. 
32 Auch ich, wenn man denn das Niedrigste mit dem Höchsten vergleichen darf, probiere daheim oft aus, wie viel die Süßigkeit der Leier und des Gesangs gegen die Bitterkeit der schwarzen Galle vermag.
33 Laudamus frequentem aspectum aquae nitidae, viridis rubeive coloris, hortorum nemorumque usum, deambulationem secus flumina perque amoena prata suavem; 34 equitationem quoque, gestationem navigationemque lenem valde probamus, sed varietatem imprimis facilesque occupationes diversaque negotia non molesta, assiduam hominum gratiosorum consuetudinem. 33 Wir loben den häufigen Anblick von glänzendem Wasser, von grüner oder roter Farbe, den Besuch von Gärten und Hainen, angenehmen Spaziergang an Flüssen und durch liebliche Wiesen; 34 auch mit Reiten, Ausfahrten und Schiff-Fahrten ohne Anstrengung sind wir einverstanden, besonders aber heißen wir die Abwechslung gut und leichte Beschäftigungen, verschiedene Geschäfte ohne Belastungen und den beständigen Umgang mit lieben Menschen.

 

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