VERGIL-SERIE: ITALIEN 1930

Das Bild stellt eine Getreideernte dar: Ein Schnitter mit Sense erntet das Getreide, eine Frau bindet die Garben, eine weitere trägt Garbenbündel in Richtung eines nur erahnbaren Wagens, vor den - sichtbar - zwei Kühe unters Joch gespannt sind.
50 Centesimi war das Porto eines Inlandsbriefes; dazu passt Vergils Appell - nur: ob die adressierten Bauern ihn verstanden?

O fortunatos nimium, sua si bona norint,
agricolas!
Quibus ipsa procul discordibus armis
fundit humo facilem victum iustissima tellus.       
Si non ingentem foribus domus alta superbis
mane salutantum totis vomit aedibus undam,
nec varios inhiant pulchra testudine postis
inlusasque auro vestis Ephyreiaque aera,
alba neque Assyrio fucatur lana veneno,              
nec casia liquidi corrumpitur usus olivi;
at secura quies et nescia fallere vita,
dives opum variarum, at latis otia fundis,
speluncae vivique lacus, at frigida tempe
mugitusque boum mollesque sub arbore somni    
non absunt; illic saltus ac lustra ferarum
et patiens operum exiguoque adsueta iuventus,
sacra deum sanctique patres; extrema per illos
Iustitia excedens terris vestigia fecit.
   Georgika II, 458-474
Überglücklich die Bauern, wenn sie ihrer eigensten Güter
inne würden!
Denn ihnen lässt fern vom Lärme der Waffen
Leben in Fülle gedeihn die allgerechte, die Erde.
Wenn auch kein Prachtbau, stolzen Portals, aus allen Gemächern
morgens die Grußbeflissnen entlässt in wogendem Strome, 
wenn kein staunender Blick an schildpattschimmernden Pfosten
hängt noch an golddurchwirktem Gewand und an kostbaren Vasen
wenn man auch weiße Wolle nicht färbt mit phönizischem Purpur,
nicht durch Narde verdirbt die Kraft des lauteren Öles:
aber sorglose Ruhe und Leben in redlicher Einfalt,
reich an mancherlei Gut, aber Muße in weiten Gefilden,
Grotten und quellfrische Seen und kühle, waldige Täler, 
Kuhgemuhe und Schlummers Genuss im Schatten der Bäume,
das fehlt nicht. Da gibt es Schluchten und Lager des Wildes
und eine anspruchslose, mit Ausdauer schaffende Jugend,
Opfer den Göttern und Ehrfurcht dem Alter! Hier in den Bauern
ließ noch Gerechtigkeit, eh sie entschwand, die äußersten Spuren.
(Übers. Johannes und Maria Götte, Tusculum-Ausgabe, Heimeran 1970)

Die Textstelle zeigt Vergils Sicht des Landlebens: Es ist ein Reich des Friedens, fern vom geschäftigen Treiben der Stadt, fernab vom verderblichen Luxus, eine Quelle der Zufriedenheit. Bei den Menschen des bäuerlichen Bereichs herrscht noch die Ehrfurcht vor Göttern und alten Menschen, denn die Iustitia, in Ovids Metamorphosen ist es die Virgo Asträa, die verstirnte Göttin der Gerechtigkeit, blieb bei den Bauern am längsten - sie sind also von Natur aus der Goldenen Zeit noch am nächsten.