PAGINA
CARIONIS
PHILIPP
MELANCHTHON AN JOACHIM CAMERARIUS, 26. JULI 1531
Ioachimo Camerario, amico suo summo, Noribergae, S.
D. |
Joachim Camerarius, seinem wichtigsten Freund, in Nürnberg Ich grüße Dich. |
1,1
De illo necessario nostro nescio quomodo oblitus sum ad te scribere, cum
quidem id saepe facere constituissem, sed nunc possum certiora perscribere,
postquam fuit apud eum Ambrosius
civis noster. 2 Is exposuit ei de
liberis, quorum ego filium natu maximum apud me habeo, alterum habet Lutherus. 3 Tertium puerum alit hic quaedam honesta mulier. 4 Uxor videtur illum libenter
receptura, si redierit, sed ut ex Ambrosio
accipio, non cupit redire, et uxorem ad se proficisci mavult; de ea re aget
cum muliere Ambrosius. 5 Sed ego vereor, ut sit ex patria
discessura, praesertim postquam semel a viro deserta est, et idem periculum
alibi metuet. 6 Huc accedit, quod
propemodum videtur gaudere mulier, quod occasionem nacta sit excutiendi
mariti. 7 Nam ego ita statuo, praecipuam
causam fuisse domesticam discordiam huius exilii. 8 Quod si adduci tamen mulier poterit, ut ad virum proficiscatur,
tota res perfecta erit. 9 Nam de
liberis nihil est quod angatur, tractantur enim melius et liberalius apud
nos, quam apud patrem tractari possent: 10
sin autem mulier discedere non volet, de qua re postea certiorem te reddam,
et scribet ad ipsum Ambrosius,
reliquum erit, ut si ad vos ille venerit, auctores ei sitis, ut huc redeat. 11 Nam cum creditoribus transigere
poterimus, sed intelligo omnino eum in hac sententia esse, ne redeat,
fortassis pudore prohibetur, quanquam facile consenescunt tales sermones. 12 Illud magis me sollicitum habet,
quod homo desidiosus nihil unquam suscepturus videtur, quo possit tolerare
quotidianos sumptus. |
1,1 Irgendwie habe ich vergessen, dir
über jenen Freund von uns zu schreiben, obwohl ich das oft vorhatte, aber
jetzt kann ich Genaueres schreiben, nachdem unser Mitbürger Ambrosius bei ihm
war. 2 Der machte ihm Mitteilung
über die Söhne, deren ältesten ich bei mir habe, den anderen hat Luther. 3 Den dritten Knaben zieht hier eine
ehrbare Frau auf. 4 Seine Frau
würde jenen anscheinend gerne wieder aufnehmen, wenn er zurückkommt, aber,
wie ich von Ambrosius höre, will er das nicht, will lieber, dass seine Frau
zu ihm kommt; Ambrosius verhandelt darüber mit der Frau. 5 Ich fürchte aber, sie wird die Heimat nicht verlassen, zumal
sie einmal von einem Mann verlassen wurde und sie dieselbe Gefahr anderswo
befürchtet. 6 Dazu kommt, dass
sich die Frau fast zu freuen scheint, die Gelegenheit erhalten zu haben, den
Ehemann hinauszuwerfen. 7 Ich
nämlich stelle fest, Hauptgrund für dieses Exil war die Zwietracht im Hause. 8 Wenn man die Frau trotzdem dazu
bringen kann, zum Mann zu gehen, ist die ganze Sache perfekt. 9 Um die Kinder muss sie keine Angst
haben, sie werden nämlich besser und großzügiger bei uns behandelt, als sie
beim Vater behandelt werden könnten: 10
wenn die Frau aber nicht weggehen will, worüber ich dir später noch Bescheid
sage und Ambrosius ihm selbst schreiben wird, dann bleibt nur, dass ihr,
falls er zu euch kommt, ihn veranlasst, hierher zurückzukommen. 11 Denn mit den Gläubigern können wir
einig werden, ich weiß aber, dass er völlig bei dieser Meinung verharrt,
nicht zurückzukommen, vielleicht hindert ihn die Scham, obwohl ja solches
Geschwätz leicht verstummt. 12
Jener Umstand beunruhigt mich mehr, dass der faule Kerl nie etwas bekommen
wird, mit dem er seine täglichen Unkosten bestreiten kann. <[1]
Über den Juden Bernhard, der wegen Schulden seine Familie verlassen hat,
worauf seine drei Kinder von M., Luther und einer Frau [NN] aufgenommen
wurden und Ambrosius [Reuter] zwischen ihm und seiner Frau zu vermitteln
suchte.> |
2,1
Haec de hac re. 2 Caesar Spirae conventum indicit, qui
meo iudicio accendet hos tumultus. 3 Nihil
enim expecto pacati, nisi Deus nos respexerit. 4 Ac contra iam accidere quidam putant quam antea, ut Caesarem
dehortetur frater a violentis consiliis. 5
Nos tamen nunc etiam speremus sane melius, et sentiamus commodius. |
2,1 Soweit das. 2 Der Kaiser sagt einen Reichstag in Speyer an, der meines
Erachtens dieses Chaos fördern wird. 3
Ich erwarte nämlich nur Frieden, wenn Gott auf uns schaut. 4 Und manche meinen, es werde das
Gegenteil von früher geschehen, dass nämlich der Bruder dem Kaiser von
Gewaltplänen abrät. 5 Hoffen wir
jetzt trotzdem noch auf Besseres und denken wir optimistischer! <[2]
Der Kaiser hat einen Reichstag nach Speyer einberufen. M. hat keine
Friedenshoffnung. Anders als [1529] scheint jetzt [Kg. Ferdinand] von Gewalt
abzuraten. |
3,1
Gratulor tibi filium esse natum, ac precor Deum, ut et te et uxorem tuam,
lectissimam feminam, et filium et filias servet incolumes. 2 Videtur inter has constitutiones,
altera esse filii genesis, in qua Mars est in Horoscopo, quem tamen
subsequens Saturnus reddit contatiorem, sed de his aliquando coram. |
3,1 Ich gratuliere dir zur Geburt
deines Sohnes und bitte Gott, dich und deine Gattin, diese Prachtsfrau,
deinen Sohn und deine Töchter heil zu bewahren. 2 Bei diesem Zustand scheint die Nativität des Sohnes anders zu
sein, in der Mars im Aszendenten steht, den der folgende Saturn trotzdem
langsamer macht; aber davon irgendwann unter vier Augen. 3 Über deine Gesundheit bin ich ganz
beunruhigt, und ich höre, du seist gefährlich darniedergelegen; 4 ich meine, Fluss kann man nicht
ohne Gefahr verstopfen; deshalb linderst du ihn hoffentlich mit leichten
Medikamenten, auch wenn auch das lästig ist. 5 Ich beschwöre dich:
Sprich darüber dort mit deinen Ärzten! <[5]
Glückwunsch zur Geburt des Sohnes [Johannes], Segenswunsch für Frau [Anna]
und Töchter [Anna und Magdalena]. Zum Horoskop. |
4,1
Ego laboribus et curis miserrimis conficior, ut recte responderit vester
Astrologus, me morti vicinum esse, quam ego quidem mihi saepius quam vitam
opto. |
4,1 Mich machen Mühen und ganz schlimme
Sorgen fertig, wie wohl euer Astrologe richtig geantwortet hat, ich sei dem
Tod nahe, den ich mir allerdings öfters als das Leben wünsche. <[7]
M. ist erschöpft und wünscht den von [Johannes Schöner] geweissagten Tod.> |
5,1 De monacho qui peperit, vera est
fama, fuit in Marchia quidam praepositus Monialium ermafroditoV, cuius continentia mirificam
admirationem habuit, alla sofwtatai martureV
hmerai ait Pindarus. |
5,1 Das Gerücht über den Mönch, der
geboren hat, stimmt; es gab in der Mark einen Mönchspropst, einen
Hermaphroditen, dessen Beherrschung wunderbare Bewunderung fand, "aber
die weisesten Zeugen sind die Tage", sagt Pindar. <[8]
Ein märkischer Mönch [NN], der geboren hat.> |
6,1 Spengleri salutem
Christo commendemus, qui utinam servet incolumem Reipublicae vestrae virum
optimum et amantem patriae. |
6,1 Spenglers Wohlergehen wollen wir
Christus anheimstellen; hoffentlich bewahrt er den besten Mann und Patrioten für
euren Staat heil! 2 Dieser Tage hat mir Simon Grynaeus
geschrieben, und er hat, glaube ich, auch dir geschrieben. 3 Er trägt mir nämlich auf, sobald
ich geantwortet habe, es dir zu schicken. 4 Er war in England, von dort bringt er mir eine Anfrage über die
Ehe des Königs, in der Tat eine große, gefährliche und schwierige
Streitfrage; wenn ich da Bescheid erteilt habe, schicke ich dir meinen Text;
übermittle du ihn an Grynaeus, dann kannst du, wenn du willst, den ganzen
Sachverhalt erfahren. <[9]
Genesungswunsch für [Lazarus] Spengler. |
7,1
De Hercule plane mihi satisfactum est, ego unum aliquem et quidem illum
Thebanum Amphitryonis extitisse arbitror, qui fama rerum gestarum occasionem
fingendi aliis dederit, qui plures Hercules commenti sunt. 2 Neque haec graecis tantum licentia
concessa est, fingunt similia nunc quoque nostri homines. |
7,1 Über Hercules weiß ich nun genug
Bescheid; ich glaube, dass es einen einzigen und zwar jenen thebanischen Sohn
des Amphitryon gab, der durch den Ruf seiner Taten anderen die Gelegenheit
zum Dichten gab, die mehr "Herculesse" erdichteten. 2 Und das dürfen ja nicht nur die
Griechen tun, Ähnliches erdichten auch jetzt unsere Leute. <[11]
Über Herakles.> |
8,1
De Francis tuis haud dubie falsum est eos a Baltico exortos esse, fuerunt
enim vicini Alpibus, sicut Boii Strabonis tempore. 2 Et Livius in Hannibalis transitu mentionem Branci facit, qui
bellum gessit cum Allobrogibus. 3 Habeo
multa argumenta, quae fidem minime dubiam faciunt, primas sedes Francorum in
hac superiore Germania fuisse, fere iisdem locis, quae nunc sunt Francorum. 4 Strabo BregkouV
scribit, Vindelicis vicinos, et nescio quibus aliis, non enim vacat
inspicere librum. 5 Itaque te non insertum alienae genti, sed vere
Francum dici et haberi volo. 6
Idque disputabo in cronikoiV in Carolo, quem
ornabo quantum potero. |
8,1
Bezüglich deiner
Franken ist es zweifelsohne falsch, dass sie vom Baltikum stammen, sie waren
nämlich Nachbarn der Alpen, so wie die Bojer zu Strabons Zeit. 2 Auch Livius erwähnt bei Hannibals
Überquerung einen Brancus, der mit den Allobrogern Krieg führte. 3 Ich habe viele ganz verlässliche
Argumente dafür, dass die ersten Wohnsitze der Franken in diesem
Obergermanien waren, fast an denselben Orten, die jetzt den Franken gehören. 4 Strabo schreibt
"Brenkous", Nachbarn der Vindeliker und irgendwelcher anderer; ich
kann nämlich nicht im Buch nachschauen. 5
Deshalb will ich dich nicht für einen Einschub in ein fremdes Volk, sondern
für einen wahren Franken halten und so nennen. 6 Das erörtere ich in der "Chronik"
bei Karl, den ich loben werde, soviel ich nur kann. <[12] Über die Herkunft der Franken, die
M. in der Chronik [des Johannes
Carion] bei Karl [dem Großen] behandeln wird.> <Behandlung des Ursprungs der Franken
im Zusammenhang mit der Karls des Großen in der Chronik: 7,2,15-19> |
9,1
Nescio an omnia scripserim, quae volui, cum quidem aliud ex alio sine ordine
in mentem venerit inter scribendum, teque oro, ut veniam des huic meae
negligentiae, sed nosti meas miserias, quibus condonare te haec quoque
existimo. 2 Si quid de EllofoiV illis habes, scribito, etsi eius gentis fides
prorsus incerta est. |
9,1 Ich weiß nicht, ob ich alles
geschrieben habe, was ich wollte,
da mir eines nach dem anderen ohne Ordnung in den Sinn gekommen ist beim
Schreiben, und ich bitte dich, dass du mir meine Schlampigkeit nachsiehst,
aber du kennst ja meine Not, der du auch das, glaube ich, nachsiehst. 2 Wenn du etwas über jene Franzosen
hast, schreibe es, auch wenn die Zuverlässigkeit dieses Volks ganz unsicher
ist. <[13]
M. entschuldigt die Unordnung dieses Briefes. |
10,1
Hic ferunt filium Gallici regis Caesari conditiones, quas pater approbavit,
renunciare, et alia multa, quae me nihil movent. |
10,1 Hier
erzählt man, der Sohn des Königs von Frankreich kündige dem Kaiser die
Bedingungen, mit denen der Vater einverstanden war, auf,
und noch viel mehr, was mir egal ist. <Kg.
[Franz' I.] von Frankreich Sohn [François] soll sich von den mit dem Kaiser
geschlossenen Verträgen distanziert haben.> |
11,1 Mihi Dei beneficio filia nata
est matre incolumi, ac caetera quidem in genesi bene habent, hoc mihi
displicet, quod falcigero Venus est non bene iuncta seni, et
Mars horribiliter aspicit domum octavam ex tetragono. 2 Sed Christus est dominus, cui omnia subiecta sunt, etiam astra.
3 Tu vale felicissime. 4 Postridie Iacobi. FilippoV. |
11,1 Mir wurde durch Gottes Wohltat eine
Tochter geboren; die Mutter ist wohlauf; und das übrige in der Nativität ist
gut, es missfällt mir aber, dass die Venus mit dem sicheltragenden Alten
nicht gut verbunden ist und der Mars im Vierschein grässlich aufs achte Haus
schaut. 2 Aber Christus ist der
Herr, dem alles unterworfen ist, auch die Sterne. 3 Leb wohl und sei ganz glücklich! 4 Am Tag nach Jakobi. Philipp <[15]
M.s Tochter [Magdalena] wurde geboren. Die Mutter ist wohlauf. Doch das
Horoskop bereitet Sorgen.> |
Corpus Reformatorum II, Sp. 514ff., "No. 995" <Dickdruck
von mir.> |
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