AUTUN, HELVETIER UND HEXAMETER
Ein Altphilologe ist immer wieder schmerzlich berührt, wenn in historischen Ausstellungen lateinische Quellen angeführt werden, aber die bearbeitenden Historiker die vorliegenden Hexameter nicht mehr erkennen. Deshalb dieser kleine Exkurs nach Autun, zum Tympanon der Lazarus-Kathedrale. |
Wer nach Autun unterwegs
ist, sollte aber auch dessen Ursprung wahrnehmen. Die vermutlich erste deutliche historische Quelle ist Cäsar, der in seinem Bellum Gallicum vom Kampf gegen die Helvetier, die aus dem Gebiet des heutigen Schweizer Mittellandes ausgezogen waren, erzählt. Nach einem nächtlichen Überfall auf ein wehrloses Viertel der Helvetier an der Saône zieht Cäsar zunächst mehr als zwei Wochen hinter ihnen her, muss dann aber von seiner Getreideversorgung Abschied nehmen, hätte eine schöne Gelegenheit gehabt, die Helvetier endlich, endgültig zu überfallen, die aber sein altgedienter P. Considius vereitelt - und wird bei Bibracte, "oppidum Haeduorum longe maximum et copiosissimum" (b. G. I 23,1), von den - nach seiner Darstellung - übermütig gewordenen Helvetiern in den Kampf gezogen. Dieses Bibracte, die - wie Cäsar in dieser Stelle sagt - "bei weitem größte und wohlhabendste Stadt der Häduer", lag noch auf einem Berg, dem heutigen Mont Beuvray, nach Gründung der Augustus-Stadt, eben von Augusto-Dunum, wanderte die Bevölkerung nach und nach in die bequemere, tiefer liegende Stadt am Rande des Arroux ab. Vom römischen Augustodunum, der - nach einem Zitat aus dem Michelin - "Schwester und Rivalin Roms", also einer antiken Prachtstadt, blieben als Reste nur ein Theater, zwei relativ gut erhaltene Stadttore und eine außerhalb der alten Stadt, auch heute noch außerhalb liegende Tempelruine. Immerhin war die Säulenstellung auf der Porte d'Arroux Vorbild für den Triforienschmuck der mehr als 1000 Jahre später errichteten Kathedrale. |
Anfang des 12.
Jahrhunderts beschlossen die Bischöfe von Autun, die Wallfahrt zu den
Reliquien des Hl. Lazarus durch einen entsprechenden Wallfahrtsort, die
Kathedrale mit dem Grab des Heiligen, aufzuwerten. Von diesem Bau zeugt
noch das Tympanon des Meisters Gislebertus aus der Zeit zwischen 1130 und
1135. Der Portalpfeiler mit dem Heiligen und seinen beiden Schwestern
Martha und Maria stammt von der Restauration des 19. Jahrhunderts unter
Viollet-le-Duc.
Dass es sich um den Meister Gislebertus handelt, kann man der Inschrift entnehmen, die sich auf dem Tympanon befindet. Genau unter den Füßen des Weltenrichters steht: GISLEBERTVS HOC FECIT, "Giselbert hat das gemacht." Der Rest der Inschrift soll hier kurz dargestellt werden; mit Hexameterkenntnissen lässt sich auf jeden Fall ein Lesefehler des Zodiaque-Bandes "Bourgogne Romane" (5. Auflage, 1968, S. 232) verbessern. Ein anderer Fehler könnte ein einfaches Versehen sein. |
Die gesamte Inschrift
besteht aus sechs leoninischen Hexametern, von denen zwei auf dem Rand der
Mandorla stehen; die andern vier befinden sich auf dem waagrechten
Schriftband über den Auferstehenden. Bei den leoninischen Hexametern gibt
es jeweils einen Binnenreim der Penthemimeres mit dem Versende, hier blau
markiert.
Auf dem linken Rand der Mandorla steht: Rechts ist zu lesen: Das Schriftband ist deutlich schlechter zu lesen.
Es lautet nach Zodiaque: Der vorletzte Vers kann so nicht stimmen, da er
keinen richtigen Hexameter ergibt;
vermutlich wäre bei genauerer Untersuchung des Steins eine Ligatur
erkennbar. "TERREVS" ergibt Sinn, passt in den Hexameter
und passt auch vorzüglich in
das ganze Wortspiel mit terror, terrere und error. Das "motat"
des letzten Verses ist vom Stein her nicht verständlich, da man ganz klar
"NOTAT" lesen kann, was dann auch wieder Sinn ergibt. Schwierig
bleibt - für klassisches Latein - das "quisque" am Satzanfang;
ungewohnt ist der Rhythmus der zweiten Hälfte des letzten Verses: "híc
horrór speciérum". Die vier Verse lassen sich also folgendermaßen
verstehen: Dem Text nach sollen die furchtverzerrten Gesichter dieser Verdammten den Beweis für die Existenz von Höllenqualen bilden. |
Doch nach der Beschäftigung mit den Hexametern des Tympanons sollte man Autun nicht gleich verlassen; es hat noch mehr zu bieten. Zum einen ist die Kathedrale auch innen sehenswert, auch wegen der Kapitelle, deren schönste sich im Kapitelsaal der Kathedrale befinden und dort wirklich angenehm, und das heißt in diesem Fall: ohne Verrenken von Hals und Kopf!, betrachtet werden können. Wunderschön, und deswegen auch als Bild sehr bekannt, ist eine Szene aus der Kindheitsgeschichte Jesu, der Traum der Drei Könige; schön, wie der Engel den äußeren König berührt und diese Könige dann der Reihe nach aufwachen. Aber der Betrachtung wert sind auch die Anbetung der Könige und die Flucht nach Ägypten, der Selbstmord des Judas mit den jubelnden Teufeln, aber auch andere Szenen. |
In Autun sollte man auch dem Musée
Rolin einen Besuch abstatten, nicht nur wegen der qualitätvollen
Zeugnisse der Antike, sondern auch den Resten aus der Kathedrale zuliebe.
Vom Türsturz des alten Nordportals, der 1766 zerstört wurde, stammt die
berühmte Eva: Man hört sie förmlich dem Adam zuflüstern: "Schau
mal, was ich hier habe, mit diesem Apfel ..." Ein
ähnliches Werk, von dem ich aber erst nach Erstellen meiner Seite
erfahren habe, ist hier zu finden: |