CICERO

M. TULLIUS CICERO (106 - 43 v. Chr.)

Katalogangabe (Michel): <Ausgabedatum> 30. November 1957; <Anlass> 2000. Todestag von Marcus Tullius Cicero; <Bildinformation> Cicero (106-43 v. Chr.), Redner und Schriftsteller

Cicero, M. Tullius, geb. 106 Arpinum (Samnium), ermordet 43 v. u. Z. bei Formiae, römischer Redner, Politiker und Schriftsteller. Cicero stammte aus dem Ritterstand; er kam frühzeitig nach Rom, wo er eine vorzügliche Ausbildung besonders in Rhetorik, Philosophie und Rechtswissenschaft erhielt. Nachdem er bereits unter Sulla als Redner in Prozessen mit politischem Hintergrund aufgetreten war (erste erhaltene Rede »Für Quinctius«, 81), vervollkommnete er durch eine Studienreise nach Griechenland 79-77 seine Bildung (in Athen Freundschaft mit Atticus, in Rhodos Unterricht bei Molon). Seine Erfolge als Prozeßredner ebneten ihm auch den Weg in der politischen Laufbahn, so daß er trotz des Widerstrebens der Nobilität gegenüber dem Homo novus alle Ämter zum frühestmöglichen Termin bekleidete: Er wurde 75 Quästor in Sizilien, 69 kurulischer Ädil, 66 Prätor, 63 Konsul. Während seines Konsulats feierte Cicero seinen größten politischen Triumph durch die Niederschlagung der Verschwörung des Catilina. Die angeblich ungesetzliche Hinrichtung der Rädelsführer wurde Cicero jedoch zum Verhängnis. Auf Antrag des Clodius wurde er 58 verbannt, und obwohl er bereits nach einem Jahr ehrenvoll zurückgerufen wurde, hatte er seinen politischen Einfluß eingebüßt. In den folgenden Jahren verfaßte er seine wichtigsten staatsphilosophischen und rhetorischen Schriften, bis er 51 die Verwaltung der Provinz Kilikien übernehmen mußte. Bei Ausbruch des Bürgerkrieges schloß sich Cicero nach vergeblichen Vermittlungsversuchen dem Pompeius an, übte aber politische Zurückhaltung und erhielt 47 von Cäsar Verzeihung. Die folgenden Jahre erzwungener politischer Untätigkeit wurden zur Hauptepoche der philosophischen Schriftstellerei Ciceros (46-44). Nach Cäsars Ermordung trat Cicero noch einmal politisch hervor und suchte die alte republikanische Ordnung wiederherzustellen. Als Führer der Senatspartei griff er in den 14 »Philippischen Reden« (benannt nach den Philippika des Demosthenes) Antonius auf schärfste an, der ihn daraufhin nach Abschluß des 2. Triumvirats auf die Proskriptionsliste setzen und ermorden ließ (7. Dezember 43). Das schriftstellerische Werk Ciceros umfaßt Reden, rhetorische Schriften, philosophische Schriften und Briefe. Die rhetorischen und philosophischen Schriften hat schon zu Ciceros Lebzeiten sein Freund Atticus verlegt, die Reden sein Freigelassener Tiro herausgegeben, der auch Ciceros Nachlaß ordnete und einen Teil der Korrespondenz Ciceros zur Herausgabe vorbereitete.
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Ciceros Bedeutung liegt nicht, wie er selbst geglaubt hat, auf politischem Gebiet. In völliger Verkennung der historischen Situation war er bestrebt, die innerlich durch Korruption und äußerlich durch die Forderungen der Popularen bedrohte Herrschaft der Nobilität, der er selbst nicht angehörte, zu stützen, und mußte, da er keinen festen politischen Standpunkt hatte, in den Machtkämpfen der ausgehenden Republik politisch Schiffbruch erleiden. Dagegen ist Ciceros Bedeutung auf dem Gebiet der Sprache und Literatur kaum hoch genug einzuschätzen. Vor allem durch seine Reden, aber auch durch seine rhetorischen und philosophischen Schriften ist er der Schöpfer der klassischen lateinischen Kunstprosa geworden, die in der Folgezeit als Norm und Muster der lateinischen Sprache galt. Durch seine philosophischen Schriften hat er nicht nur die Kenntnis der griechischen Philosophie in Rom verbreitet, sondern sie auch dem Mittelalter überliefert und damit zu ihrer Nachwirkung bis in die Neuzeit beigetragen. Von der Bedeutung der griechischen Kultur für die Bildung des Menschen zutiefst überzeugt, hat er das Wort »humanitas« zu einem Bildungsbegriff gemacht und damit zum Ausdruck gebracht, daß der Mensch erst durch Bildung zum Menschen wird. Ciceros Nachwirkung war schon in der Antike außerordentlich groß, und in der Geschichte des Nachlebens der Antike hat Cicero unter den Römern stets den wichtigsten Platz eingenommen. 120 Jahre nach Ciceros Tod hat Quintilianus den 'Ciceronianismus' begründet, indem er Ciceros Reden als mustergültig erklärte und nachdrücklich Ciceros Stil- und Bildungsideal propagierte. Sehr rasch fand auch das frühe Christentum Zugang zu Cicero. Lactantius wurde wegen seiner Cicero-Nachahmung der 'christliche Cicero' genannt; Hieronymus warf sich selbst vor, daß er ein Cicero-Anhänger ('Ciceronianus') und kein Christusjünger ('Christianus') sei; Augustinus datierte von der Lektüre des (verlorenen) ciceronischen Dialogs »Hortensius« die entscheidende Wende seines Lebens. Petrarca, der ein begeisterter Verehrer Ciceros war, verhalf dem 'Ciceronianismus' endgültig zum Sieg, so daß die Nachahmung des ciceronischen Stils, die mit dem Studium von Ciceros Schriften Hand in Hand ging, das erklärte Ziel der Humanisten wurde. Erst als im Neuhumanismus des 18. Jh. die griechischen Originalwerke gleichsam neu entdeckt wurden, verlor Cicero seine Vorrangstellung in der Nachwirkung der Antike. Kü
[Lexikon der Antike: Cicero, S. 1-5 <mit gekennzeichneter Auslassung>. Digitale Bibliothek Band 18: Lexikon der Antike, S. 1169 (vgl. LDA, S. 121 ff.)] <Abkürzungen zur besseren Lesbarkeit des Lexikonartikels aufgelöst, alte Rechtschreibung beibehalten.>