Gespräche für Juni erwartet
Die Vereinten Nationen unternehmen heute einen weiteren Versuch, um die Teilung Zyperns zu überwinden. Bis Mittwoch soll in getrennten Gesprächen mit beiden Seiten der Mittelmeerinsel 'sondiert werden, ob im Juni Verhandlungen aufgenommen werden können.
Von Gerd Höhler, Nikosia
Die Vertreter
der beiden Volksgruppen auf dem geteilten Zypern arbeiten mit Hochdruck an den
Vorbereitungen für neue Gespräche: Im Juni sollen sie beginnen und endlich in
einer Vereinigung der Insel münden. Die EU will zur Vertrauensbildung zwischen
den zyprischen Volksgruppen beitragen. Europa müsse "ein großes Interesse
daran haben, Zypern durch eine Vereinigung zu stabilisieren", sagte Martin
Schulz in Nikosia. Der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europäischen
Parlament führte dort Gespräche mit dem neuen zypriotischen Präsidenten
Dimitris Christofias und dem
türkisch-zyprischen Volksgruppenführer Mehmet Ali Talat führte <sic!>
(siehe Interview).
Christofias und
Talat hatten sich bei einem Gipfeltreffen vor zehn Tagen auf die Wiederaufnahme
der vor vier Jahren abgebrochenen Gespräche geeinigt. Sechs Arbeitsgruppen und
sieben technische Komitees sollen die Verhandlungen jetzt vorbereiten. Die
Arbeitsgruppen werden sich mit Grundsatzthemen wie der künftigen
Verfassungsordnung eines vereinigten Zyperns, territorialen Fragen, den
Beziehungen zur EU und Wirtschaftsfragen beschäftigen. Die technischen Komitees
befassen sich mit humanitären Fragen, Gesundheitspolitik,
Kriminalitätsbekämpfung und Umweltschutz.
"Das Klima
ist gut", sagte der griechisch-zyprische Unterhändler Giorgos Jakovou nach
den ersten beiden Treffen mit seinem türkisch-zyprischen Gesprächspartner Özdil
Nami. "Wir arbeiten mit Hochdruck an der Bildung der Ausschüsse." Die
Arbeitsgruppen und Komitees sollen bereits
heute mit ihrer Arbeit
beginnen. Fragen, die dort nicht gelöst werden können, sollen den
Volksgruppenführern vorgelegt werden.
Wenige Tage nach
deren Treffen startet heute zudem eine UN-Initiative: Die Vereinten Nationen
werden bis Mittwoch getrennte Gespräche auf beiden Seiten der geteilten Insel
führen, um zu sondieren, ob im Juni Verhandlungen aufgenommen werden können und
was die Organisation dazu beitragen kann.
Parallel zur
Vorarbeit für die Verhandlungen laufen in der geteilten Hauptstadt Nikosia die
Vorbereitungen für die Öffnung eines Übergangs an der Demarkationslinie: Die
seit Anfang der sechziger Jahre verbarrikadierte Ledrastraße, die in der
Altstadt von Nikosia den griechischen Süden mit dem türkisch kontrollierten
Norden verbindet, soll voraussichtlich am Mittwoch wieder für Fußgänger
geöffnet werden. Die Öffnung des Übergangs gilt vielen Zyprern als symbolischer
Schritt zur Vereinigung ihrer Insel.
Optimistisch
äußerte sich der scheidende Zypernbeauftragte der Vereinten Nationen, Michael
Möller: die Aussichten für eine Lösung der Zypernfrage seien jetzt "besser
als je zuvor". Der türkische Volksgruppenchef Talat äußerte erneut die
Hoffnung, man könne im Laufe dieses Jahres zu einer Einigung kommen. Dagegen
warnte Präsident Christofias vor "zu hohen Erwartungen". Die Dinge
seien "nicht leicht und einfach, nur weil ich mich mit Talat getroffen
habe und wir gemeinsam Schritte beschlossen haben", sagte Christofias. Der
Weg sei zwar offen, aber er könne nicht garantieren, dass er zu einer Lösung
führe.
Zypern ist
geteilt, seit 1974 die damalige Athener Obristenjunta einen Putsch gegen
Präsident Makarios inszenierte, um die drittgrößte Mittelmeerinsel zu
annektieren. Die Türkei besetzte daraufhin militärisch den Inselnorden, um die
türkische Volksgruppe, die rund 18 Prozent der Bevölkerung Zyperns stellte, zu
schützen. Der vorerst letzte Einigungsversuch scheiterte im April 2004: Vor
vier Jahren stimmten beide Volksgruppen über einen Einigungsplan des
seinerzeitigen UN-Generalsekretärs Kofi Annan ab. Er sah eine weitgehende
Selbstverwaltung für beide Volksgruppen in zwei Teilstaaten unter dem Dach
einer gemeinsamen Zentralregierung vor. Während zwei Drittel der türkischen
Zyprer den Plan annahmen, wiesen die Inselgriechen den Vorschlag mit einer
Dreiviertelmehrheit zurück.
öhl
Martin Schulz ist optimistisch
Der Fraktionsvorsitzende im Europäischen
Parlament, Martin Schulz (SPD), ist nach Gesprächen mit den Volksgruppenführern
auf Zypern überzeugt, dass die Inselteilung jetzt überwunden werden kann.
Scheitern sei keine Option, sagt er im Gespräch mit Gerd Höhler.
Seit 1974
sind alle Anläufe zu einer Zypernlösung gescheitert. Sind die Aussichten
diesmal besser?
Ja. Es gibt zwei
neue Aspekte: Herr Christofias, der neue Präsident, und Herr Talat, der Führer
der Zyperntürken, sind nicht belastet durch die Fehlschläge der Vergangenheit.
Sie repräsentieren eine neue Generation. Und: sie kennen sich gut. Die
Rahmenbedingungen für eine Lösung sind besser als je zuvor.
Eine Lösung haben bisher alle zyprischen Politiker versprochen. Glauben Sie, dass diese beiden es ernst meinen?
Klare Antwort:
ja! Christofias hat das schon früher glaubwürdig gesagt und jetzt durch sein
Treffen mit Talat unterstrichen. Wir als sozialistische Fraktion haben
Christofias im Wahlkampf in diesem Kurs unterstützt. Ich glaube auch, dass
Talat eine Einigung will Die Frage ist nur: Wie unabhängig kann er handeln ...
... u n a b h ä n g i g von der Türkei?
Genau ‑
Unabhängigkeit von den Machtkämpfen zwischen Politikern und Militärs ...
... die in Nordzypern Zehntausende Besatzungssoldaten stationiert haben.
Eben. Da sehe
ich auch eine Aufgabe für Europa: diese Kräfteverhältnisse in der Türkei
auszuloten und zu erwirken, dass sich die Politiker gegen die Armee
durchsetzen.
Worauf kommt
es jetzt vor allem an, damit dieser Anlauf auf Zypern zu einer Lösung führt?
Vertrauensbildung
ist das Wichtigste. Beide Führer müssen mit ihren Volksgruppen ehrlich umgehen.
Sie müssen vermitteln, dass alle von einer Vereinigung profitieren.
Und wenn auch dieser Versuch scheitert?
Das wäre der Keim eines
neuen Unruheherdes an der Schwelle zum Nahen Osten. Deshalb darf Scheitern
keine Option sein.
Stuttgarter Zeitung, 31. März 2008, S. 4