Immer mehr Blauhelme
kehren Zypern den Rücken
Neue Verhandlungsrunde in
New York / Von Gerd Höhler, Athen
Im New Yorker Glaspalast der UN beginnt heute die zweite
Runde der Zypern-Verhandlungen. Unter Vermittlung des Generalsekretärs Butros
Butros-Ghali sollen der griechisch-zyprische Staatspräsident Jorgos Vassiliou
und der türkische Volksgruppenführer Rauf Denktasch die Möglichkeiten zu einer
Wiedervereinigung der seit 1974 geteilten Insel erörtern. Selbst notorische
Optimisten sind allerdings mittlerweile skeptisch, ob diese Verhandlungen zu
einer tragfähigen Lösung führen werden.
Im griechischen Süden
Zyperns fürchtet man nun nicht nur, daß bei einem Scheitern von Butros-Ghalis
Vermittlungsmission die Zypern-Teilung auf unabsehbare Zukunft festgeschrieben
würde. Man sorgt sich auch, daß dann die etwa 2100 auf der Insel stationierten
Blauhelme der UN-Friedenstruppe über kurz oder lang abziehen werden und daß
damit längs der Demarkationslinie, die durch Zypern verläuft, neue Konflikte
drohen.
Das Mandat der Friedenstruppe läuft am 15. Dezember aus. Zwar geht man in New York davon aus, daß der Weltsicherheitsrat vor Ablauf dieser Frist eine weitere sechsmonatige Verlängerung der Stationierung beschließen wird; denn selbst wenn es zu einem Durchbruch bei den Zypern-Verhandlungen kommen sollte, wäre die Anwesenheit der UN-Truppe zumindest für eine Übergangsfrist erforderlich.
Doch schon in diesen Wochen werden einige hundert Blauhelme
die Insel verlassen - womöglich der Auftakt zu einem generellen Rückzug, Der
Grund: die Truppe wird zu teuer. Im Gegensatz zu anderen UN-Friedensmissionen
werden die Stationierungskosten der Zypern-Blauhelme nicht aus dem UN-Etat
bestritten, sondern überwiegend von den die Soldaten stellenden Staaten
getragen. Das sind Großbritannien mit 750 Mann, Kanada mit 550, Österreich und
Dänemark mit je etwa dreihundert Soldaten sowie, mit kleinen Kontingenten von
teils nicht einmal zehn Mann, Australien, Finnland, Irland und Schweden.
Diese Länder zahlen siebzig Prozent der Stationierungskosten,
der Rest sollte eigentlich aus freiwilligen Beiträgen anderer UN-Staaten
bestritten werden. Doch weil die Spenden ausbleiben, haben sich im Laufe der
Jahre Fehlbeträge von mehr als 200 Millionen Dollar angehäuft.
Die
Entsendung der UNFICYP, der "United Nations Force in Cyprus", geht
zurück auf das Jahr der ersten großen Zypernkrise im Jahr 1964. Damals war es
Hauptaufgabe der Blauhelme, die blutigen Konflikte zwischen griechischen und
türkischen Zyprioten in den zahlreichen gemischt besiedelten Regionen der Insel
zu schlichten. Seit der türkischen Zypern-Invasion vom Sommer 1974 und der
damit herbeigeführten Inselteilung sichern die UN-Soldaten die Pufferzone an
der 180 Kilometer langen, durch Zypern verlaufenden Demarkationslinie, an der
sich (griechisch-) zyprische Nationalgardisten und türkische Besatzungstruppen
gegenüberstehen. Das ist ihnen während der vergangenen 18 Jahre erstaunlich gut
gelungen. Seit 1974 hat es keine ernsten Zwischenfälle gegeben.
Aber die UN-Soldaten patrouillieren nicht nur in der Pufferzone, die örtlich nur wenige Meter, an anderen Stellen dagegen bis zu sieben Kilometer breit ist; sie leisten auch humanitäre Dienste im geteilten Zypern und versorgen beispielsweise die noch knapp 600 im türkisch besetzten Norden lebenden griechischen Zyprioten mit Post, Lebensmitteln und Medikamenten.
Die weißen Jeeps und
Schützenpanzer der UN-Soldaten gehören zum gewohnten Stadtbild in Nikosia, aber
das könnte sich schon bald ändern: um Kosten zu sparen, wird Großbritannien
bereits bis Mitte Dezember 100 Soldaten aus der Friedenstruppe abziehen, und
Osterreich plant den Abzug von 63 Mann. Die dänische Regierung will sogar alle
ihre 325 UN-Blauhelme zurückholen, und auch die Finnen haben bereits
angekündigt, sich im Laufe des kommenden Jahres von Zypern ganz verabschieden
zu wollen.
Das ist womöglich nur der Anfang.
Scheitert auch diese Runde der Zypern-Gespräche, dann könnte sich bei den
Vereinten Nationen die Auffassung durchsetzen, man solle die zerstrittenen
Zyprioten nach zahllosen gescheiterten Vermittlungsversuchen sich selbst
überlassen.
Stuttgarter Zeitung, Montag, 26. Oktober 1992, S. 5