Die Angst auf Zypern

 

Selbst Vierjährige wurden vor dem Verrat gewarnt

 

Am Tag danach ist die Stimmung auf Zypern gedrückt. Mit dem Scheitern der Einigung haben die Inselbewohner eine "historische Chance" vertan, sagt UN‑Generalsekretär Kofi Annan.

 

Von Gerd Höhler, Nikosia

 

Alvaro de Soto packt die Koffer, "Ich mache Anfang der Woche einige Abschiedsbesuche, und dann schließen wir unser Büro hier", sagt der Zypern-Beauftragte von UN-Generalsekretär Kofi Annan. Für ihn ist das Ergebnis der Volksabstimmung eine herbe Niederlage. Vom "Annan-Plan" sprach man zwar, aber in Wirklichkeit stammte er aus seiner Feder. Der peruanische Diplomat, der vor fünf Jahren auf die geteilte Insel kam, saß bei allen Verhandlungen der beiden Volksgruppenführer als "note taker", als Protokollführer, mit am Tisch. Wieder und wieder hat de Soto das zuletzt auf über 200 Seiten angewachsene Papier überarbeitet, die Einwände und Wünsche beider Seiten zu berücksichtigen versucht. Aber es hat alles nichts genutzt.

"Es gibt keinen Grund für uns, länger hier zu bleiben", sagt de Soto, "jetzt haben die Menschen viel Zeit, sich über den Plan zu informieren." Dass er nicht der erste UN-Diplomat ist, der sich an der Zypernfrage die Zähne ausbeißt, dürfte für ihn ein schwacher Trost sein. Denn kein Vermittler vor ihm hat so viel Arbeit investiert. Und noch nie schien die Lösung so nah.

"Wir wollten eine Lösung, aber nicht diese'', begründete der griechisch-zyprische Staatspräsident Tassos Papadopoulos sein Nein zu dem UN-Vorschlag. Um die Angst vor den Türken in die Bevölkerung zu tragen, war den Einigungsgegnern jedes Mittel recht. Schulklassen wurden mobilisiert, um das Nein zum Annan-Plan auf den Straßen zu propagieren. Der Erziehungsminister gab in einem Rundschreiben Schülern und Lehrern Order, sich der Führung des Staatspräsidenten Papadopoulos anzuvertrauen und seinem weisen Ratschluss für die "bestmögliche Zukunft Zyperns" zu folgen. Empörte Eltern berichteten, selbst Vierjährige seien im Kindergarten indoktriniert worden. Ein Nein zum Annan-Plan sei "Verrat", wurde den Kleinen eingetrichtert. Und ultranationalistische orthodoxe Bischöfe warnten die Gläubigen, wer dem UN-Vorschlag zustimme, werde zur Hölle fahren.

Als die griechisch-zyprischen Fernsehstationen am Samstagabend die ersten Prognosen über den Ausgang der Volksabstimmung brachten, fuhren noch hupende Autokorsos durch Nikosia. Doch so rechte Freude wollte nicht aufkommen. Am Sonntag herrschte bereits eine nachdenkliche, fast gedrückte Stimmung im Süden der geteilten Insel. Denn viele Zyperngriechen beginnen sich zu fragen, was das Nein für ihre Volksgruppe und die Zukunft der Insel bedeutet. "Ich habe zwar auch mit Nein gestimmt, aber mir ist nicht ganz wohl dabei", meinte der Taxifahrer Tassos Adamides. "Wir müssen da jetzt durch", kommentierte ein Kioskverkäufer die überwiegend negativen Reaktionen des Auslands auf das Abstimmungsergebnis. Die Sonntagspresse in Nikosia sprach von "starken Nerven und viel Überzeugungskraft", die nun notwendig seien. Die angesehene zyprische Zeitung "Phileleftheros" schrieb, es sei zu erklären, "warum wir 30 Jahre lang die Lösung haben wollten und sie jetzt abgelehnt haben". Nur Papadopoulos war über jeden Zweifel erhaben. Es gebe "weder Sieger noch Besiegte", versuchte er seine Landsleute zu beruhigen. Aber da könnte er sich täuschen.

Das dürfte auch Außenminister Jorgos Jakovou zu spüren bekommen, wenn er heute in Luxemburg mit seinen EU-Amtskollegen zusammentrifft. Von Kofi Annan ("Eine einmalige und historische Chance ist vertan worden") über den EU-Kommissar Günter Verheugen ("Der politische Schaden ist groß") bis zu Außenminister Joschka Fischer ("Es ist enttäuschend") reicht die Schar der Kritiker. Die EU muss nun entscheiden, welche Konsequenzen sie aus dem Scheitern des Einigungsplans ziehen will. Schon fordert der türkische Außenminister Abdullah Gül, nun müsse die EU die "Türkische Republik Nordzypern", mit der bis jetzt allein Ankara diplomatische Beziehungen unterhält, völkerrechtlich anerkennen. Dass es in absehbarer Zukunft dazu kommen wird, ist zwar unwahrscheinlich. Aber bereits vor der Volksabstimmung hatten Verheugen und andere EU-Politiker unterstrichen, man dürfe die türkische Volksgruppe "nicht in der Kälte stehen lassen", wenn die Zyperngriechen die Vereinigung ablehnen. Zwar wird der acquis communautaire, das Regelwerk der EU, zunächst nur im griechischen Süden in Kraft treten, und damit wird die Demarkationslinie auf Zypern de facto zu einer Außengrenze der EU.

Weil aber völkerrechtlich vom 1. Mai an ganz Zypern zur Union gehört und auch die türkischen Zyprer als EU-Bürger gelten, soll es nach Auffassung der Brüsseler Kommission keine geschlossene Grenze geben. Im Gegenteil, den politisch und wirtschaftlich isolierten Zyperntürken könnten sogar Erleichterungen winken. So gibt es in einigen EU-Hauptstädten Bestrebungen, die nordzyprischen See- und Flughäfen als Übergänge für den Personen- und Warenverkehr zu öffnen. Bis jetzt kann Nordzypern Außenhandel und Reiseverkehr nur auf dem Umweg über die Türkei abwickeln. Eine Beendigung des Embargos könnte vor allem dem Tourismus in Nordzypern auf die Beine helfen.

 

Stuttgarter Zeitung, 26. April 2004, S. 3