Nun soll den Türken auf Zypern geholfen werden

 

Die EU will trotz allem die Lage auf der Insel verbessern

 

Günter Verheugen ist enttäuscht. Der EU‑Kommissar sieht sich von der Führung der Insel‑Griechen hintergangen. Aber er hat auch die Angst im Süden der Insel völlig unterschätzt.

 

Von Thomas Gack, Brüssel

 

Der deutsche EU‑Kommissar Günter Verheugen, der in den vergangenen Jahren mit großem Engagement die Erweiterungsgespräche der EU mit den zehn Beitrittsstaaten geleitet hat, ist tief getroffen und verärgert. Er fühlt sich von der griechisch‑zypriotischen Regierung des nationalistischen Präsidenten Tassos Papandopoulos hinters Licht geführt. Die Führung der Inselgriechen habe lange Zeit so getan, als unterstützte sie den föderalen Vereinigungsplan des UN‑Generalsekretärs Kofi Annan. Doch am Ende ließ sie alle diplomatischen Masken fallen und stellte sich an die Spitze der massiven Kampagne für ein Nein gegen den Annan-Plan.

 

Als man in Brüssel den Kurswechsel des ultrarechten zypriotischen Präsidenten erkannte, war es schon zu spät. Alles Zureden, alle Warnungen aus Brüssel, alle Beschwörungen, die "letzte Chance für lange Zeit" zu ergreifen, waren vergebens. Das Misstrauen der Griechen gegenüber den Türken war zu groß und wurde noch zusätzlich entfacht, als in der Nacht zum Donnerstag die UN‑Resolution scheiterte. Sie sollte den Griechen im Süden die getreue Umsetzung der neuen Verfassungsordnung und mehr Sicherheit vor der türkischen Besatzungsarmee im Norden garantieren. "Wer wird uns beistehen, wenn die Türkei den Annan‑Plan nicht einhält und die Truppen nicht vollständig abzieht?", fragten sich viele, in deren kollektives Gedächtnis die türkische Invasion vor 30 Jahren traumatisch eingegraben ist.

 

Als am Wochenende das klare Ergebnis der Volksabstimmung vorlag, konnte in Brüssel deshalb niemand überrascht sein. Offenbar haben Verbeugen und wohl auch die Außenminister der EU die Ängste, das alte Misstrauen, die Einwände im Süden der Insel nicht ernst genug genommen. Zu sehr waren sie von der Überzeugungskraft und der Vernunft des Annan‑Kompromisses überzeugt.

 

In einem Tagesschau‑Interview am Samstagabend machte der sichtlich betroffene Verheugen aus seinem Herzen keine Mördergrube: "Es ist bitter, dass die einmalige Chance zur Wiedervereinigung Zyperns nun verpasst ist", sagte er resigniert und beklagte den "großen politischen Schaden". In Brüssel fürchtet man offenbar, dass das Scheitern der Wiedervereinigung nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung der Insel bremse, sondern auch das Verhältnis der EU zur Türkei noch komplizierter mache. Der weiter schwelende Streit um das geteilte EU‑Mitgliedsland Zypern droht zum dauernden Konfliktherd zwischen Ankara und Brüssel zu werden.

 

Dass nach Jahrzehnten, in denen stets die Türken die Annäherung verweigert hatten, die Wiedervereinigung der Insel ausgerechnet an den Griechen, dem künftigen EU‑Partner in Nikosia, scheitern soll, sei "eine verkehrte Welt", so Verheugen: "Es liegt jetzt ein Schatten über dem Beitritt Zyperns." Am 1. Mai wird nun nicht, wie bis zuletzt erhofft und wie vertraglich vorgesehen, die ganze Insel der EU beitreten, sondern nur die international anerkannte Republik Zypern im Süden. Die Mitgliedschaft des nach wie vor türkisch besetzten Nordens ruht einstweilen - rechtlich ein ähnliches Modell wie einst bei der EU‑Mitgliedschaft Deutschlands: Laut Beitrittsvertrag gehört ganz Zypern zur EU, praktisch jedoch nur der Süden.

 

Um die heikle Grenze auf der Insel, die erst seit wenigen Monaten wieder für die Mitglieder beider Volksgruppen offen ist und die bei einer Zustimmung zum Annan‑Plan verschwunden wäre, wird es beim Treffen der EU‑Außenminister heute in Luxemburg gehen. Die EU ist entschlossen, zumindest für eine größere Durchlässigkeit der Grenze zu sorgen. Die britische Regierung hat schon angekündigt, dass sie eine Grenzregelung nicht akzeptieren wird, die der zypriotischen Regierung in Nikosia die Kontrolle über Menschen und Waren überlässt.

 

In Brüssel ist man sich einig, dass die politische und wirtschaftliche Isolation des Nordens überwunden werden muss. Man müsse jetzt darüber nachdenken, wie man die türkischsprachigen Zyprer in die EU‑Hilfsprogramme, die für den Fall der Wiedervereinigung und damit die EU‑Aufnahme eingeplant waren, aufnehmen könne. Brüssel hatte dafür eine Übergangshilfe in Höhe von rund 259 Millionen vorgesehen. "Schließlich sollen doch nicht", so meint ein Brüsseler EU‑Diplomat, "diejenigen, die mehrheitlich ja gesagt haben, die einzigen Verlierer sein."

 

Stuttgarter Zeitung, Montag, 26. April 2004, S. 5