Rauf Denktasch, Führer der türkischen Volksgruppe auf Zypern

Das Urgestein wird weich

 

Von Knut Krohn

 

Rauf Denktasch kennt sie alle.  Dag Hammarskjöld, Sithu U Thant, Kurt Waldheim, Javier Perez de Cuellar, Butros Ghali und Kofi Annan.  Und sie alle kennen seinen Dickkopf. Jeder dieser UN-Generalsekretäre hat sich an das heiße Eisen Zypern gewagt und jeder hat sich dabei die Finger verbrannt.  Dafür verantwortlich war in den meisten Fällen Rauf Denktasch, der Führer der türkischen Volksgruppe auf Zypern.  Seit 43 Jahren vertritt der 78-Jährige die Interessen der Insel-Türken und scheint sich in dieser langen Zeit keinen Millimeter von der Stelle bewegt zu haben.  Doch nun ist eines der letzten Urgesteine der internationalen Politik weich geworden: Diese Woche haben die türkisch-zyprischen Behörden zum ersten Mal seit 29 Jahren die Genehmigungen für eintägige Besuche im jeweils anderen Teil der Insel erteilt.  Damit öffnete sich die letzte Trennungslinie in Europa.

Das Volk wollte es so. Die Mehrheit der Zyperntürken glaubt nicht länger an die Mär vom bösen Griechen.  Sie erhoffen sich unter dem Dach Europas wirtschaftlichen Aufschwung und Frieden.  Zehntausende haben jüngst für einen gemeinsamen Staat demonstriert.  "Denktasch, tritt zurück!  " lauten die Parolen im Norden des mit Stacheldraht und Sandsäcken geteilten Nikosia.  Der schwer herzkranke Politiker aber wollte die Stimme seines eigenen Volkes nicht hören, er hatte sich in seine Villa in den Bergen zurückgezogen.  Kaum jemand schien zu verstehen, wie Denktasch den Kontakt zu den Menschen verlieren konnte.  Der Mann, der von vielen nur "Vater der Zyperntürken" genannt wird, der immer dafür gekämpft hat, dass der türkische Teil der Insel im Mittelmeer endlich von der internationalen Gemeinschaft als eigener Staat anerkannt wird.

Denktasch teilt das Schicksal mit unzähligen Menschen auf Zypern: Er ist Flüchtling.  Geboren wurde er am 27. Januar 1924 in dem Dorf Ktima, unweit der Stadt Paphos im Südwesten der Insel.  Sein Vater arbeitete dort als Richter.  Der legte viel Wert auf die Ausbildung seines Sohnes und schickte ihn in die Englische Schule in die Hauptstadt Nikosia.  Bereits Anfang der 40-er Jahre engagierte sich Denktasch politisch für seine türkische Volksgruppe in der damals noch britischen Kolonie Zypern.  Von 1944 bis 1947 studierte er Jura am Londoner Lincoln's Inn.  Nach dem Studium praktizierte er als Anwalt in Nikosia.  Danach war er Staatsanwalt.  Er heiratete seine jetzige Frau Ayden Munir, mit der er zwei Söhne und zwei Töchter hat. 1956 wurde Denktasch leitender Kronanwalt auf der überwiegend von Griechen bewohnten Insel.  Er gab das Amt vor dem Hintergrund des zunehmenden Widerstands gegen die Briten aber 1958 auf.  In jener Zeit unterstützte Denktasch türkische Terrortruppen, die gegen den von der griechischen Guerilla verlangten Anschluss Zyperns an Griechenland agierten.  Die Teilung war schon damals sein Programm.  In den 60-ern, als die junge Republik an der Frage Anschluss oder Teilung zerbrach, stieg Denktasch an die Spitze der zyperntürkischen Politiker auf.  Nach der Teilung Zyperns infolge des Einmarschs türkischer Truppen im Norden avancierte Denktasch 1974 zum Präsidenten.

Doch erst die nationalistisch motivierten Diskriminierungen und Morde, durch griechische Zyprer, haben Denktasch zum "Vater der Zyperntürken" gemacht.  Denn die von ihm vorangetriebene Teilung versprach Sicherheit vor dem Terror der 60-er Jahre.  Die Griechen blieben so als Feind konserviert, auch als dort längst Demokraten und Europäer die Majorität innehatten. Zyprer existieren in diesem Denksystem nicht, nur Türken und Griechen.  Wie "Öl und Wasser" seien die beiden Nationalitäten, pflegt Denktasch zu sagen.

 

Er festigte seine Macht auch durch geschickte Ämtervergabe.  Sein Sohn Raif gründete im Januar 1983 die sozialdemokratische Partei Vatan (Land), und sein Sohn Serdaf hat es sogar zum stellvertretenden Ministerpräsidenten gebracht.  Es scheint das Schicksal Rauf Denktaschs zu sein, das Leben seiner ganzen Familie einem Staat verschrieben zu haben, der vom Rest der Welt nicht anerkannt wird.

 

Stuttgarter Zeitung, Samstag, 26. April 2003, S. 4: PORTRÄT DER WOCHE