Ahmet sagt "evet", Omiros "ochi"

 

Türken und Griechen auf Zypern entscheiden heute über das Schicksal ihrer geteilten Insel

 

Kurz vor der heutigen Abstimmung hat sich die Lage auf Zypern zugespitzt. Wer ja zum Friedensplan sagen will, muss mit Einschüchterungsversuchen rechnen.

 

Von Gerd Höhler, Nikosia

 

Zehn Stunden steht Ivi Adamidi nun schon vor dem Infostand auf dem Freiheitsplatz in Nikosia. Sie verteilt Flugblätter, Broschüren und Anstecknadeln. "Nai" steht auf den runden grünen Buttons: Ja. "Ich bin hundemüde", sagt die junge Frau, "aber wir dürfen jetzt nicht schlappmachen!" Zwanzig Meter entfernt hat die Konkurrenz ihren Kiosk auf gebaut. "Wir werden gewinnen", glaubt Omiros Charalambous. "Ochi" steht in großen Buchstaben auf seinem T-Shirt: Nein.

Ja oder Nein: heute geben die Zyprer die Antwort. In getrennten Abstimmungen werden die griechische und die türkische Volksgruppe auf der seit 30 Jahre geteilten Insel über den Einigungsplan des UN-Generalsekretärs Kofi Annan entscheiden. "Das ist unsere letzte Chance für eine Wiedervereinigung", glaubt Ivi Adamidi, "wenn es jetzt nicht klappt, dann nie." Sie hat eine zweijährige Tochter. "Ich will, dass sie in einem friedlichen, vereinigten Land aufwächst." Ideal sei der UN-Plan zwar nicht, "aber es gibt keine Alternative", meint die junge Frau.

"Auch wir wollen eine Lösung der Zypernfrage", sagt Omiros Charalambous, "aber nicht diese!" Annans Plan, argumentiert der junge Rechtsanwalt, werde der Insel keinen Frieden bringen, sondern neue Spannungen. Besonders stört ihn die Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit: "Es ist doch absurd, dass alle EU-Bürger im türkischen Teilstaat Grundbesitz erwerben dürfen, nur die griechischen Zyprer nicht! Würde ein Deutscher so etwas akzeptieren", fragt Omiros.

Keine 300 Meter sind es zur Demarkationslinie. Mauer und Stacheldraht trennen den Süden vom Nordteil. Auch dort ist Annans Plan Thema Nummer eins: "Evet" oder "Hayir", Ja oder Nein? Zu zehntausenden demonstrieren die Zyperntürken seit Monaten für die Einigung. Ihr politischer Führer, Rauf Denktasch, lehnt den Annan-Plan zwar ab, aber seine Gefolgschaft schwindet. Umfragen lassen erwarten, dass etwa zwei Drittel der türkischen Zyprer zustimmen werden.

"Nur so öffnet sich für uns die Tür zur EU", erklärt Ahmet Levent. Der junge Mann betreibt im türkischen Teil Nikosias ein Kaffeehaus. Viele Zyperntürken sehen im Einigungsplan den einzigen Ausweg aus ihrer politischen Isolation und wirtschaftlichen Benachteiligung. In Nordzypern beträgt das Pro-Kopf-Einkommen nur etwa ein Viertel dessen, was im Süden erwirtschaftet wird. Ins Fenster seines Ladens hat Ahmet die blau-gelb-rote Flagge gehängt, auf die sich die Delegationen der Volksgruppen für die gemeinsame Republik schon geeinigt haben.

Aber ob die neue Fahne jemals aufgezogen wird, ist fraglich. Die Zyperntürken mögen dem Annan-Plan zustimmen, im Süden aber sind die Befürworter in der Defensive. Über 60 Prozent Neinstimmen erwarten die Meinungsforscher. Die Befürworter des Einigungsplans haben wachsende Schwierigkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt und ein Privatkanal weigerten sich gar, Interviews mit EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen zu senden. Ausländer seien gezielt von der Diskussion über den UN-Plan ausgeschlossen worden, kritisiert Pat Cox, der Präsident des Europäischen Parlaments.

Nikos Anastassiadis, der Chef der Opposition, die sich für den Annan-Plan ausgesprochen hat, beschuldigt die Regierung von Tassos Papadopoulos, sie versuche, öffentliche Bedienstete einzuschüchtern: Wer mit Ja stimme, müsse mit dem Verlust seiner Pension oder gar des Jobs rechnen, werde den Staatsdienern suggeriert. Auch die mächtige griechisch-orthodoxe Kirche mischt mit bei der Angstkampagne. Wer ja sage, verspiele nicht nur sein Vaterland, sondern auch den Zugang zum Paradies, warnt Bischof Pavlos. Bischof Chrysostomos von Paphos sagte gar, es sei den Griechen nicht zuzumuten, die Inseltürken länger "durchzufüttern", denn die seien "immer schon faul gewesen und vermehren sich wie die Kaninchen", geifert der griechische Gottesmann. "Hier wird an niedrigste nationalistische Regungen appelliert", ärgert sich Expräsident Jorgos Vassiliou. "Dies ist eine sehr traurige Zeit für Zypern", bedauert der 72-Jährige.

Auch Ivi Adamidi spürt, dass die Auseinandersetzung eskaliert. Als es Nacht wird und sich der Freiheitsplatz leert, schließt sie den Infostand, knipst das Licht aus und macht sich müde auf den Heimweg. Als sie am nächsten Morgen zurückkommt, ist von dem Kiosk nur ein Trümmerhaufen übrig.

 

Stuttgarter Zeitung, Samstag, 24. April 2004, S. 5