Verheugen rügt griechische Zyprioten

 

Nikosia ruft zur Ablehnung des Referendums auf ‑ EU‑Parlamentarier fordern Konsequenzen

 

STRASSBURG. EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen hat in ungewöhnlich scharfer Form die politische Führung des griechischsprachigen Teils von Zypern kritisiert. Er warf der Regierung Wortbruch vor.

 

Von Thomas Gack

 

"Ich fühle mich persönlich durch die griechisch-zypriotische Regierung getäuscht", sagte Günter Verheugen im Straßburger Europaparlament. Es habe klare Absprachen mit der Regierung in Nicosia gegeben, sich für ein Ja bei der Volksbefragung einzusetzen, aber jetzt hat sie zur Ablehnung des Annan-Plans aufgerufen. Am kommenden Wochenende werden die Zyprioten im türkisch besetzten Norden wie im griechischsprachigen Süden der Insel in einer Volksabstimmung über einen Plan der Vereinten Nationen abstimmen, der die Insel nach einem föderalen Modell vereinen soll. Noch nie sei die seit mehr als 25 Jahren geteilte Insel einer Lösung der Probleme so nahe gewesen wie jetzt, sagte Verheugen. Er habe alles getan, um die Bedingungen herzustellen, die eine Wiedervereinigung der Insel erlauben. Doch inzwischen habe er keine Hoffnung mehr, dass es möglich sei, "die wenigen Zentimeter, die uns noch von einer Lösung trennen", rechtzeitig zu überwinden.

 

Auch Europas Volksvertreter appellierten in Straßburg an die griechisch-zypriotische Bevölkerung, die einmalige Chance zur Wiedervereinigung der Insel wahrzunehmen. "Wenn diese Chance am Wochenende nicht ergriffen wird, dann wird der Vereinigungsprozess um eine Generation wieder zurückgeworfen", sagte der Fraktionschef der Liberalen, Graham Watson. Das Europaparlament ist sich einig, dass es eine neue und bessere Lösung als den UN‑Plan nicht geben wird.

 

Doch ungeachtet des Ausgangs des Referendums wird die griechischsprachige Republik Zypern der EU beitreten ‑ auch ohne den türkisch besetzten Nordteil, der international nicht anerkannt ist. Der Fraktionschef der Grünen im Parlament, Daniel Cohn-Bendit, forderte für den Fall, dass am Wochenende der griechische Süden mit Nein und der türkische Norden mit Ja stimmt, eine politische Neuorientierung der EU.

 

Stuttgarter Zeitung, Donnerstag, 22. April 2004, S. 4