Die Inselgriechen fühlen sich
allein gelassen
Mit der Entscheidung der
EU, die Türkei müsse Zypern nicht sofort anerkennen, hat Brüssel zu Gunsten
Ankaras gewichtet
Zypern
zögert noch, wird aber wohl zustimmen. Dann sind die Vorbedingungen für die
Verhandlungen der EU mit der Türkei weit gehend fixiert. Ankara erhält einigen
Spielraum.
Von Thomas Gack, Brüssel
Die Zyprioten setzen noch auf die Taktik des hinhaltenden
Widerstands. "Nein, im Kreis der EU-Botschafter gibt es noch keine
Einigung", erklärte der zypriotische Sprecher am frühen Dienstagnachmittag
in Brüssel. "Es liegt vorerst nur ein Vorschlag der Briten für eine
gemeinsamen Erklärung der EU zur Anerkennung Zyperns vor. Wir müssen diesen
Entwurf erst noch prüfen." Die Journalisten dagegen waren der Zeit voraus.
Sie hatten am Vorabend gemeldet, die 25 hätten sich geeinigt und den Weg für
die EU-Verhandlungen mit der Türkei frei gemacht.
Dass die Zyprioten gestern zögerten, dass sie von ihren
EU-Partnern enttäuscht sind, ist kein Wunder. Die Erklärung der EU ist nach wie
vor windelweich: Die Anerkennung aller EU-Mitgliedstaaten sei "eine
notwendige Komponente des Beitrittsprozesses". Mit anderen Worten: die EU
nimmt es auch weiter hin, dass die Türkei die Beitrittsgespräche mit der EU
aufnehmen will, aber einen ihrer Verhandlungspartner nicht anerkennt: die
Republik Zypern im Süden der Insel, die im Unterschied zum türkisch besetzten
Nordteil von allen Staaten international anerkannt ist - außer von der Türkei.
Immerhin machen die Europäer der Regierung in Ankara jetzt
klar, dass diese längst überfällige Anerkennung nicht erst bei einem - weit in
der Ferne liegenden möglichen Beitritt zur EU erfolgen muss, sondern schon
während des Verhandlungsprozesses. Doch wann sich die Türkei zu diesem eigentlich
selbstverständlichen Schritt bequemen muss, lässt die EU-Erklärung offen. Die
zypriotische Regierung in Nikosia hatte ein klares Datum dafür gefordert - und
wird jetzt von den EU-Partnern im Stich gelassen.
Denn die Briten, die derzeit in der EU den Vorsitz führen,
wollen um alles in der Welt wenigstens einen politischen Erfolg in ihrer sonst
so mageren und erfolglosen EU-Präsidentschaft: den Start der Beitrittsgespräche
mit der Türkei wie geplant am 3. Oktober. Damit wären sie immerhin ihrem Ziel
einen Schritt näher gekommen: einer großen Freihandelszone, zu der sich die EU
nach britischen Vorstellungen zurückentwickeln soll. Offenbar stört die Briten
dabei auch nicht, dass die Türkei, kaum hat sie formal die Forderungen der EU
erfüllt und hat das Protokoll zur Zollunion mit den zehn neuen EU-Staaten
unterzeichnet, dieses Abkommen schon bricht. Ankara hält nämlich daran fest,
dass die türkischen Häfen und Flughäfen weiter für zypriotische Schiffe und
Flugzeuge gesperrt bleiben. In ihrer Erklärung dringt die EU nun zwar darauf,
dass die Zollunion auch für das EU-Mitgliedsland Zypern gilt. Sie werde die
"vollständige, nicht diskriminierende Umsetzung der Vereinbarungen über
die Zollunion" überwachen, warnt die EU. Doch offenbar soll das erst nach
dem offiziellen Beginn der Beitrittsgespräche mit der Türkei geschehen.
Die 25 EU-Regierungen müssen sich jetzt noch über den
Verhandlungsrahmen einig werden, der bei den Gesprächen als Kompass dienen soll
und schriftlich fixiert wird. Die österreichische Regierung hat jedoch schon
mehrfach unterstrichen, dass sie sich nicht damit zufrieden geben will, dass
die Verhandlungen nur als "ergebnisoffen" bezeichnet werden. Wien
will, dass ausdrücklich eine Alternative zur Vollmitgliedschaft der Türkei
erwähnt wird: die "privilegierte Partnerschaft".
Stuttgarter Zeitung, 21. September 2005, S. 6