Koalition auf Zypern nahe

Wahlsieger sieht Bündnismöglichkeit - Neuer Einigungsplan

NIKOSIA.  Die türkische Regierung will in der kommenden Woche einen Plan zur Lösung des Zypernproblems vorlegen.  Nach den Parlamentswahlen im Norden der geteilten Insel beginnen unterdessen dort die Sondierungen zu einer Regierungsbildung.

Von Gerd Höhler

Außenminister Abdullah Gül sagte in Ankara, das Schlüsselwort des türkischen Vorschlags sei "Aussöhnung".  Basis des Plans soll nach Informationen aus diplomatischen Kreisen der Einigungsvorschlag von UN-Generalsekretär Kofi Annan sein, der seit dem Frühjahr vorliegt, damals aber vom türkisch-zyprischen Volksgruppenchef Rauf Denktasch als unannehmbar zurückgewiesen wurde.  Die Regierung in Ankara will Annans Plan in einigen Punkten modifizieren.  Zu den strittigen Fragen gehören die Rolle der Türkei als Garantiemacht Zyperns und die Zukunft der rund 38 000 in Nordzypern stationierten türkischen Besatzungssoldaten.  Sie sollen, Annans Plan zufolge, bei einer Einigung auf 6000 Soldaten reduziert werden.  Dagegen gibt es insbesondere im türkischen Generalstab starke Widerstände.  Gül unterstrich, Ziel der türkischen Regierung sei es, bis zum 1. Mai 2004 eine Zypernlösung zu erreichen.  An diesem Datum tritt die Insel der EU bei.  Bleibt es bis dahin bei der Teilung, tritt das Regelwerk der Union vorerst nur im griechischen Süden in Kraft.  Eine Zypernlösung gilt aber auch als Voraussetzung für eine weitere Annäherung der Türkei an die EU.

Wie Außenminister Gül betonte auch Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan den Willen der Türkei, die Zypernfrage vor dem EU-Beitritt der Insel zu lösen.  Die Parlamentswahlen in Nordzypern am Sonntag hätten gezeigt, dass die türkischen Zyprer eine Lösung wollten.  "Das Wahlergebnis ist eindeutig und eine klare Botschaft", sagte Erdogan.  "Niemand kann sich gegenüber den Wünschen der Wähler taub stellen." Der türkische Regierungschef meinte, Zypern brauche "neue Politiker".  Damit ergriff Erdogan kaum verklausuliert Partei für die bisherige Opposition und gegen den Volksgruppenchef Rauf Denktasch.  Bei der Wahl hatten die Oppositionsparteien, die für eine Lösung des Zypernproblems eintreten, eine knappe Mehrheit der Stimmen gewonnen.  Im neuen Parlament erhielten sie aber genau so viele Sitze wie die konservativen Parteien, die den türkischen Volksgruppenchef stützen.  Er lehnte bisher eine Wiedervereinigung strikt ab.

Denktasch sprach sich für die Bildung einer "breiten Koalition der nationalen Einheit" aus.  Als "Präsident" der nur von Ankara anerkannten "Türkischen Republik Nordzypern" (KKTC) muss er nun einen der Parteivorsitzenden mit der Regierungsbildung beauftragen.  Denktasch sagte, er hoffe auf baldige Einrichtung einer neuen Regierung.

Stuttgarter Zeitung, Freitag, 19. Dezember 2003, S. 4