Die Erstarrung Zyperns hat eine weitere Facette

Parlamentswahlen im Inselnorden bringen ein Patt

Ratlosigkeit hat am Montag im türkisch kontrollierten Norden Zyperns geherrscht.  Die mit Spannung erwarteten Parlamentswahlen haben zu einer Pattsituation geführt.  Damit zerschlug sich fürs Erste die Hoffnung, die Wahl könne Bewegung in die Zypernfrage bringen.

Von Gerd Höhler, Athen

Noch zu Beginn der Auszählung der Parlamentswahlen am Sonntagabend war Oppositionsführer Mehmet Ali Talat optimistisch.  Doch als am Montagmorgen das inoffizielle Endergebnis vorlag, schlug die Zuversicht in Enttäuschung um.  Mit 48,3 Prozent der Wählerstimmen lagen die Oppositionsparteien zwar vor dem Regierungslager, auf das knapp 46 Prozent entfielen.  Aber im neuen Abgeordnetenhaus verfügen beide Blöcke über 25 Sitze.  Talats linksgerichtete Türkisch-Republikanische Partei (CTP) erhält 19 Sitze, ihr Bündnispartner Bewegung für Frieden und Demokratie (BDH) sechs Sitze.  Da jedoch die linksgerichtete CTP ein Mandat mehr hat als die bisherige Regierungspartei Partei der Nationalen Einheit UBP, könnte die CTP die Regierungsbildung für sich in Anspruch nehmen.  Die UBP erhielt 18 Sitze und die Demokratische Partei (DP) sieben Sitze.

Rauf Denktasch, Präsident der nur von Ankara anerkannten Türkischen Republik Nordzypern, hat sich wieder einmal behauptet.  "Leider bin ich noch zwei weitere Jahre im Amt", sagte er am Montag mit ironischem Lächeln an die Adresse des griechisch-zyprischen Präsidenten Tassos Papadopoulos.  Oppositionschef Talat hatte Denktasch im Falle eines Sieges als Verhandlungsführer der türkischen Zyprer absetzen wollen.  Daraus wird nun nichts.  Als Sieger kann sich Denktasch aber nicht fühlen.  Immerhin büßten die ihn stützenden Regierungsparteien gegenüber den Wahlen von 1998 18 Prozent ein.  Dagegen konnte die Opposition 20 Prozent zulegen.  Denktasch räumte ein, das Wahlergebnis zeige den Willen der türkischen Zyprer zur Verständigung und zum Beitritt zur EU.

Oppositionschef Talat muss seinen Plan, an Denktasch vorbei mit den lnselgriechen eine Lösung auszuhandeln, um Zypern doch noch wie vereint am 1. Mai 2004 in die EU zu führen, erst einmal begraben.  Denktasch will nun in Gesprächen mit den Parteivorsitzenden sondieren, wem er den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt.  Der Volksgruppenchef sprach sich am Montag für eine große Koalition aus: "Am besten wäre es, wenn die Parteien zusammenkommen, um eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden."

Doch danach sieht es bisher nicht aus.  Ministerpräsident Dervis Eroglu von der UBP lehnt ein Bündnis mit der Opposition strikt ab. Sein bisheriger Koalitionspartner Serdar Denktasch (DP), ein Sohn des Volksgruppenchefs, schloss zwar ein Zusammengehen seiner Demokratischen Partei mit der Opposition nicht aus.  Doch Mehmet Talat sagte am Montag, ein Bündnis mit den bisherigen Regierungsparteien sei "fast unmöglich".  Gelingt binnen acht Wochen keine Regierungsbildung, müssten Neuwahlen stattfinden.  Ob sie zu klaren Verhältnissen führen würden, ist ungewiss. Politisch könnte Nordzypern deshalb auf Monate hinaus gelähmt bleiben.  Daher richtet sich das Interesse nun auf die Türkei.  Sie müsste, wie auch die EU am Montag unterstrich, eigentlich an einer raschen Zypernlösung interessiert sein, um ihren EU-Beitrittswunsch voranzubringen. "Wer immer die Wahlen gewinnt, kann nicht unabhängig von der Türkei agieren", unterstrich der türkische Außenminister Abdullah Gül noch während der Stimmenauszählung.

 

Stuttgarter Zeitung, Dienstag, 16. Dezember 2003, Seite 5