Bittere Bilanz

 

Die Ära des Türkenführers Rauf Denktasch geht zu Ende

 

Morgen wird in Nordzypern ein neuer Präsident gewählt. Der Amtsinhaber Rauf Denktasch kandidiert nicht mehr. Er sieht sein Lebenswerk vor dem Scheitern.

 

Von Gerd Höhler, Athen

 

Fast vier Jahrzehnte lang hat Rauf Denktasch das politische Leben der Zyperntürken dominiert. Und er hat polarisiert. Seine Freunde nennen ihn intelligent und liebenswert, beharrlich und brillant. Seine Gegner sagen, er sei selbstgerecht und überheblich, machtbesessen und autoritär.

Der im südzyprischen Paphos als Sohn eines Richters geborene Denktasch studierte in London Jura, er diente in den 50er Jahren den britischen Kolonialherren, die damals über Zypern herrschten, als Staatsanwalt. Seine politische Karriere begann mit der Unabhängigkeit der Insel 1960. Er war Präsident des türkischen Kommunalparlaments und Verhandlungsführer der Inseltürken - eine Rolle, in der er nach der Inselteilung 1974 schnell zur beherrschenden politischen Figur in der türkischen Volksgruppe aufstieg. Seit 1983 amtierte er als Präsident der von ihm ausgerufenen Türkischen Republik Nordzypern. Unermüdlich hat er seine Landsleute davon zu überzeugen versucht, dass nicht eine Wiedervereinigung Zyperns in ihrem Interesse liege, sondern die endgültige Trennung von den Inselgriechen und der enge Schulterschluss mit der Türkei. Doch dies überzeugte zuletzt immer weniger Zyperntürken. Gegen Denktaschs eindringliche Warnungen votierten vor einem Jahr zwei Drittel der türkischen Zyprer für den Einigungsplan des UN-Generalsekretärs Kofi Annan.

Spätestens da muss Denktasch klar geworden sein, dass seine Zeit abgelaufen war. Die jüngere Generation orientiert sich mehr nach Europa als zur Türkei. Sie setzt auf eine Verständigung mit den Inselgriechen, denn damit würde sich auch für sie die Tür zur EU öffnen. Die blutigen Volksgruppenkonflikte der 60er Jahre, die das Feindbild der Denktasch-Generation prägten, kennen die jüngeren nur vom Hörensagen. Ihre Hoffnungen richten sich auf Mehmet Ali Talat, den Einigungsbefürworter, der die Wahl am Sonntag zu einer "Volksabstimmung für den Frieden und die EU" machen möchte. Talat führt in den Meinungsumfragen mit rund 55 Prozent.

Für den 81-jährigen Denktasch ist es ein bitterer Abgang. Er sieht sein politisches Lebenswerk vor dem Scheitern. "Ich kann nicht verstehen, wie ich mit einer so gerechten Sache keinen Erfolg haben konnte", sagte er jüngst resigniert. Aber er verzieht sich nicht kommentarlos hinter die Kulissen der politischen Bühne. Am Donnerstag richtete der scheidende Präsident einen letzten flammenden Appell an seine Landsleute: "Unsere einzige Rettung ist die Türkei", mahnte er, "an ihrer Seite müssen wir uns der EU entgegenstellen!" Doch die türkische Regierung will sich nicht gegen die EU stellen, sondern ihr beitreten. Die Lösung der Zypernfrage soll dabei helfen. Deshalb hat Premier Tayyip Erdogan in Ankara Denktasch längst fallen gelassen und setzt auf Talat. Sogar von seinem Sohn Serdar, den er zum politischen Erben ausersehen hatte, sieht sich Rauf Denktasch im Stich gelassen. Serdar koalierte ausgerechnet mit Talat, dem Einigungsbefürworter. Einen Verbündeten hat Rauf Denktasch aber noch, jenseits der Demarkationslinie: seine Rolle des Neinsagers hat inzwischen der griechisch-zyprische Präsident Tassos Papadopoulos übernommen. Dass es bald zu einer Wiedervereinigung Zyperns kommt, muss Denktasch daher nicht befürchten.

 

Stuttgarter Zeitung, Samstag, 16. April 2005