Wer spricht schon gern
über das kleine Zypern
Brüsseler Harmonie: Die
EU-Staaten meiden vor dem Gipfel allzu kritische Töne gegen die Türkei
Am
Freitag soll in Brüssel der Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
verkündet werden. Der Verlierer des Gipfels steht aber schon fest: Zypern.
Von Thomas Gack, Brüssel
An diesem Wochenende haben die Diplomaten an dem Text
gefeilt, mit dem der Europäische Rat am Freitag das Startsignal für die
Beitrittsgespräche mit der Türkei geben wird. Über die brisanten Punkte ist man
sich im Kreis der 25 Botschafter aber offenbar nicht einig geworden. Heute
sollen die EU-Außenminister in Brüssel letzte Hand anlegen. Schon jetzt
zeichnet sich allerdings ab, dass die EU-Staaten einen in ihrem Kreis im Stich
lassen werden: das kleine EU-Mitgliedsland Zypern. Um des lieben Friedens mit
Ankara willen setzen die EU-Partner die griechisch-zypriotische Regierung unter
Druck. Sie soll stillhalten und beim Gipfel nicht das fordern, was eigentlich
selbstverständlich ist: dass die Türkei vor Beginn der Beitrittsverhandlungen
die kleine Republik Zypern völkerrechtlich anerkennt.
Seit 1974 die türkische Armee den Nordteil der Insel
besetzte und dort eine türkische Regierung einsetzte, ist die Mittelmeerinsel
geteilt. Im Unterschied zum türkisch kontrollierten Norden ist die Republik
Zypern im Süden von den UN und der internationalen Staatenwelt völkerrechtlich
anerkannt - außer von Ankara. Daran hat sich auch nichts geändert, als Zypern
am 1. Mai des Jahres in die EU aufgenommen wurde. Als das Abkommen über die
Zollunion zwischen der Türkei und der EU dann auf die zehn Beitrittsstaaten
ausgedehnt werden sollte - eigentlich ein Routinevorgang -, weigerte sich
Ankara, die Republik Zypern einzubeziehen. Die Türkei versteift sich darauf,
nur mit 24 der 25 EU-Staaten die Zollunion zu verwirklichen.
Die EU-Kommission bekräftigte zwar jüngst, dass die EU eine
"Einheit aus 25 Staaten" sei und die Türkei deshalb Zypern in die
Zollunion einschließen müsse. Selbstverständlich müsse Ankara das EU-Land auch
völkerrechtlich anerkennen. Doch weder die EU-Kommission noch einer der
EU-Partner wollte dafür ein Datum setzen und diese elementare Forderung zur
Bedingung für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei machen.
Es könnte deshalb 2005 die bizarre Situation entstehen,
dass die EU mit einem Land über den Beitritt verhandelt, obwohl dieses Land
sich weigert, einen der 25 EU-Mitgliedsstaaten anzuerkennen.
Damit nicht genug: die EU ist offenbar bereit, mit einem
Land Beitrittsgespräche zu führen, das einen Teil des EU-Territoriums
völkerrechtswidrig besetzt hält. Am 1. Mai ist nämlich die ganze Insel in die
EU aufgenommen worden. Solange Zypern geteilt ist, ruht die Mitgliedschaft im
türkisch besetzten Teil der Insel - eine ähnliche juristische Konstruktion wie
zu Zeiten der deutschen Teilung, als auch das Territorium der DDR rechtlich zur
EU gehörte und die Mitgliedschaft dort lediglich ruhte. Zypern fordert, dass
beim EU-Gipfeltreffen am Donnerstag und Freitag Klarheit geschaffen wird: Die
Türkei müsse Zypern völkerrechtlich anerkennen und sich bereit erklären, die
militärische Besetzung des Nordteils der Insel zu beenden. Die anderen
EU-Staaten wollen jedoch dem Konflikt mit der Türkei aus dem Weg gehen und
Streit mit den USA vermeiden, die als mächtigste Nato-Verbündete hinter Ankara
stehen und massiven politischen Druck auf die EU ausüben. Die Staats- und
Regierungschefs sind deshalb allenfalls bereit, butterweich die
völkerrechtliche Anerkennung Zyperns zu fordern. Das kleine Zypern ist jedoch zu
schwach, um sich beim EU-Gipfel quer zu legen.
Butterweich werden wohl auch andere strittige Passagen der
Brüsseler Türkei-Gipfelerklärung ausfallen. Der niederländische
EU-Ratsvorsitzende Balkenende hatte im ersten Textentwurf noch eine konsequente
Umsetzung des Folterverbots in der Türkei gefordert. Das geht einigen
EU-Staaten aber zu weit. Sie geben sich offenbar mit der Papierform der neuen
Gesetze und den Versprechungen des türkischen Ministerpräsidenten zufrieden.
Dabei hat erst jüngst der Generalsekretär einer türkischen
Menschenrechtsorganisation, Yusuf Alatas, beklagt, dass es in der Türkei nach
wie vor "fundamentale Probleme bei der Umsetzung von Bürgerrechten und
Freiheiten" gebe. Und Amnesty International berichtete über Folter in türkischen
Polizeistationen in mehr als 300 Fällen. Es bestehe nur eine Chance, auf die
Regierung Druck auszuüben, wenn die EU die Verhandlungen
"ergebnisoffen" führe.
Stuttgarter Zeitung, 13. Dezember 2004