Koalition in Nordzypern

Neue Regierung könnte Weg für Wiedervereinigung ebnen

 

ATHEN.  Die Bemühungen um eine neue Regierungskoalition im türkisch kontrollierten Norden Zyperns haben zum Erfolg geführt.  Der künftige Ministerpräsident Mehmet Ali Talat setzt sich für die Verständigung mit den Zyperngriechen ein.

 

Von Gerd Höhler

 

Der bisherige Oppositionsführer Mehmet Ali Talat, dessen linksgerichtete Republikanisch-Türkische Partei (CTP) die Parlamentswahlen vor vier Wochen gewonnen hatte, einigte sich am Sonntag mit dem Führer der Demokratischen Partei (DP), Serdar Denktasch, auf eine Koalition.  Talat soll neuer Ministerpräsident werden, seine Partei sechs der zehn Ministerposten besetzen.  Weitere Einzelheiten zur Zusammensetzung der neuen Regierung werden am heutigen Montag erwartet.  Im neuen Abgeordnetenhaus verfügt sie über eine knappe Mehrheit von 26 der 50 Sitze.

Talat hat sich für eine Verständigung mit den Zyperngriechen ausgesprochen, um auch die türkischen Zyprer in die EU zu führen, der die Inselgriechen am 1. Mai beitreten.  Er strebt eine Lösung der Zypernfrage auf der Grundlage des Einigungsplans von UN-Generalsekretär Kofi Annan an.  Serdar Denktasch, ein Sohn des türkischen Volksgruppenchefs Rauf Denktasch, lehnte, wie sein Vater, den UN-Vorschlag bisher ab.  Er äußerste sich jedoch in jüngster Zeit kompromissbereit.

Rauf Denktasch traf am Sonntag zu Beratungen mit der türkischen Regierung in Ankara ein.  Vergangene Woche hatten sich die Regierung und die Führung der Streitkräfte darauf geeinigt, "aktiv auf eine rasche, gerechte und dauerhafte Zypernlösung" hinzuarbeiten.  Bei den Gesprächen, die Denktasch am Sonntag in Ankara aufnahm, geht es um den erwarteten türkischen Vorschlag zu einer Zypernlösung.  Er dürfte auf dem Annan-Plan basieren, ihn aber in einigen Punkten modifizieren.  Denktasch bezeichnete bisher das UN-Papier, das zwei "Komponentenstaaten" für die beiden Volksgruppen unter dem Dach einer gemeinsamen, aber weit gehend kompetenzlosen Zentralregierung vorsieht, als "tot und begraben".  Der türkisch-zyprische Volksgruppenchef will allenfalls über einen lockeren Bund zweier unabhängiger Staaten mit sich reden lassen.

Denktasch gerät jedoch unter wachsenden Druck Ankaras.  Ministerpräsident Tayyip Erdogan bekräftigte vergangene Woche in Berlin, er strebe eine Zypernlösung bis zum 1. Mai an.  Die Beilegung des Konflikts um die Insel, deren Norden die Türkei seit 1974 besetzt hält, gilt als wichtige Voraussetzung für eine weitere Annäherung Ankaras an die Europäische Union.

 

Stuttgarter Zeitung, Montag, 12. Januar 2004