Die"Eingeschlossenen"
leben als Fremde in der Heimat
Griechen im türkischen Teil Zyperns / Von Gerd Höhler z. Z. Nikosia
"Dies ist
unser Dorf", sagt Jannis Vlasiou. "Hier sind wir geboren, hier sind
wir zuhause. Wo sollten wir denn sonst auch hin?" Der 75jährige lebt mit
seiner Frau Eleni und deren Mutter in der. Ortschaft Rizokarpasso. Das Dorf
liegt auf der Halbinsel Karpasia, die wie ein spitzer Finger im Nordosten
Zyperns weit ins Meer hinauszeigt. Seit dem Sommer 1974 ist dieser Teil der
Insel unter türkischer Besatzung. Auf den Versuch der damals in Athen
regierenden Obristenjunta, die rechtmäßige Regierung in Nikosia zu stürzen,
Zypern zu annektieren und die türkische Minderheit zu vertreiben, reagierte
Ankara mit einer Invasion, Binnen weniger Tage eroberten die Türken das
nördliche Drittel der Insel. 180 000 griechische Zyprioten flohen seinerzeit
vor den türkischen Truppen in den Süden Zyperns.
Etwa 20 000, die
nicht fliehen konnten oder wollten, blieben zunächst in der türkischen
Besatzungszone. Die meisten von ihnen gingen während der ersten Jahre nach der
Invasion in den Süden: 1975 lebten noch 9000 und 1979 sogar nur noch etwa 1500
griechische Zyprioten im Norden. Ihre Zahl ist seither ständig
weitergeschrumpft. 764 sind übriggeblieben, 542 in den Dörfern der Halbinsel
Karpasia und 222 im Bezirk der vor 1974 fast ausschließlich griechisch
besiedelten Hafenstadt Kyrenia. "Die Eingeschlossenen", so nennt man sie im Süden. Vielen hier gelten sie als
Helden, weil sie den türkischen Besatzern trotzen. Die Verhältnisse, unter
denen sie leben, sind alles andere als normal, auch wenn das in den ersten
Jahren nach der Invasion verhängte nächtliche Ausgehverbot inzwischen
aufgehoben wurde und' die Griechen sogar Nachbardörfer besuchen dürfen, ohne,
wie früher, von einer Polizeistreife "begleitet" zu werden. Einer
Genehmigung für solche Spaziergänge bedarf es freilich weiterhin.
Es sind überwiegend Alte, die im Norden ausharren. Noch mal von vorn
anfangen im Süden? Der 66jährige Anastasios Petrou winkt müde ab: "Dazu
sind wir zu alt." Petrou ist Landwirt. Seine Ernte verkauft er an die
Türken. Geblieben ist auch Savvas Liasi. Er besaß vor 1974 einen Supermarkt,
der während der Invasion von türkischen Soldaten geplündert wurde. Heute
betreibt Liasi ein Taxiunternehmen für die griechisch-zypriotische Gemeinde.
Das Dorf, in dem Petrou und Liasi leben, Aghia Trianda, hatte vor der Invasion
fast ausschließlich griechisch-zypriotische Einwohner. Heute sind sie hier eine verzweifelt kleine Minderheit ‑
ein Dutzend Menschen. Sie sind zu Fremden in ihrer eigenen Heimat geworden.
Mehr als 75 000 Festlandstürken, nach manchen Schätzungen sogar 100 000 hat
Rauf Denktasch, der starke Mann im Norden, während der vergangenen Jahre in
seine "Türkische Republik Nordzypern" geholt, einen Ende 1983 in der
Besatzungszone proklamierten und einzig von Ankara anerkannten Pseudostaat.
Diese Siedlungspolitik ist Teil de Bemühungen Denktaschs, den Inselnorden
dauerhaft zu türkisieren. Die wenigen zurückgebliebenen griechischen Zyprioten
leben in einer ihnen fremd gewordenen Welt. Ihre Städte und Dörfer haben heut
andere Namen: aus Kyrenia wurde Girne, Morphou heißt jetzt Güzelyurt und
Ajaloussa nennt sich Maltepe.
Die paar Hundert
griechischen Zyprioten leben für sich, abgesondert, auf mehr als ein Dutzend
Dörfer zerstreut, hinter verschlossenen Türen. Im 1975 von den griechischen und
türkischen Zyprioten sowie dem damaligen UN-Generalsekretär Kurt Waldheim
unterzeichneten "Dritten Wiener Übereinkommen" verpflichteten sich die
türkischen Zyprioten, den im Norden verbliebenen Inselgriechen das Recht auf
Freizügigkeit, Erziehung, Religionsausübung und medizinische Versorgung zu
gewähren. Die gleichen Rechte gelten für
etwa dreihundert türkische Zyprioten, die weiterhin im griechisch besiedelten
Süden der Insel leben. Im türkischen Norden allerdings steht auch 17 Jahre
später vieles davon nur auf dem Papier.
Das Leben in der Diaspora, und sei es noch so heldenhaft, ist nicht
jedermanns Sache. Damit ist vorgezeichnet, daß die kleine griechisch-zypriotische
Gemeinschaft im Norden weiter schrumpfen wird. Denn wer sich einmal im Süden
niedergelassen hat, dem verweigern die türkischen Behörden den
"Grenzübertritt". Nicht mal Besuche bei Familienangehörigen, die im
Norden leben, werden genehmigt.
Die wichtigste Verbindung zur Außenwelt für die
"Eingeschlossenen" sind die UN-Konvois. Zweimal in der Woche kommen
die weißen Jeeps und Lastwagen aus dem Süden. Sie bringen Post, Medikamente und
Lebensmittel, Schulbücher für die wenigen griechisch-zypriotischen Kinder im
Norden, Rollstühle und Krücken für die Gebrechlichen - und Windeln für die
sieben griechisch-zypriotischen Babys, die im Norden heranwachsen.
Stuttgarter
Zeitung, 8. Dezember 1992