Mosaikböden der Spätantike: Lust zur Farbe

Die Dekoration öffentlicher und privater Gebäude durch farbenprächtige Mosaikböden gewann während der späten Kaiserzeit þ gerade auch im Verhältnis zur Skulptur und zur Wandmalerei þ immer mehr an Bedeutung. Denn die stark ritualisierten Verhaltensweisen, die den gesellschaftlichen Umgang in der Spätantike prägten, bedingten möglicherweise auch einen anderen Umgang mit der Architektur und deren Ausschmückung mit Bildern: Die Etikette forderte zum langsamen, gleichsam zeremoniellen Durchschreiten von Repräsentationsräumen auf, sodass Aufmerksamkeit und Wahrnehmung insbesondere auf die sukzessive aufeinander folgenden Fußbodenmotive gelenkt wurden. Neue Ideen der Bildkomposition führten überdies dazu, dass die Bodenbilder nicht mehr nur wie Tafelgemälde von einem Blickpunkt aus betrachtet werden konnten. Vielmehr verteilten sich nun die Figuren und Ornamente häufig auf endlos nach allen Seiten fortsetzbaren, einheitlichen »Motivteppichen«. Thematische Gruppierungen wurden durch horizontale Registerstreifen oder kulissenartige Landschaftselemente erreicht. An die Stelle von Plastizität und Tiefenräumlichkeit traten Linearität und Flächigkeit.

Nicht stadtrömische, sondern nordafrikanische Werkstätten hatten offenbar den Hauptanteil an der Herausbildung dieses spätantiken Mosaikstils. Während Italien und weite Teile im Norden und Osten des Römischen Reichs infolge der kriegerischen Wirren und politischen Unruhen des 3. Jahrhunderts n. Chr. wirtschaftlich geschwächt waren, prosperierten die nordafrikanischen Provinzen durch ihren Handel mit Getreide und Öl. Reiche Latifundienbesitzer, die oft wichtige politische Ämter in Rom bekleideten, hatten in Nordafrika ein frühfeudales Wirtschaftssystem etabliert, das die abhängigen Bauern an die Scholle band. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Bilderwelt der Mosaiken, die die Villen und Stadthäuser dieser Feudalherren schmückten, das Domänenwesen als wichtigstes gesellschaftliches Leitbild propagierte.

Viele Mosaiken zeigen wehrhafte Villengebäude, die unterschiedlichen Tätigkeiten der Landarbeiter, vor allem aber immer wieder die feierliche Präsentation erlesener Erträge, die ein gut organisierter und vielseitiger Gutsbetrieb zu allen Jahreszeiten hervorbrachte. Im Mittelpunkt aller Naturdarstellungen steht die Vorstellung von der ständigen Verfügbarkeit und Konsumierbarkeit der Früchte des Landes wie des Meeres und von der vollkommenen Beherrschbarkeit der Natur. Da zu den prestigeträchtigen Lieblingsbeschäftigungen des spätantiken Feudaladels auch die Jagd gehörte, die nicht nur gefährlichen Tieren wie Löwe und Eber, sondern auch Hasen und Rotwild galt, zeigen Jagdmosaiken ebenso wie die thematisch verwandten Schilderungen von Tierfangexpeditionen raffinierte Jagdtechniken mittels Fallen und Netzen sowie allen nur erdenklichen personellen Aufwand. Weil zu dieser Zeit eine der wichtigsten Aufgaben der hohen Beamten in Rom darin bestand, zu Neujahrsfesten oder Amtseinführungen Zirkusspiele mit Tierhatzen auszurichten, spielte die Tierfangthematik in der öffentlichen Selbstdarstellung eine große Rolle. Besonderen Ruhm erlangten die Spielgeber beim sensationslüsternen Publikum, wenn sie möglichst exotische und monströse Tiere aus allen Provinzen und Kontinenten herbeischaffen konnten: Auf den Mosaiken erscheinen daher beispielsweise Nilpferde, Nashörner, Tiger, Elefanten, Strauße, die unter großem organisatorischen Einsatz als Beutetiere auf Schiffe verladen werden, aber auch mythische Fabelwesen wie Greifen. Mit dem Fang der Tiere wurden oft die örtlichen Statthalter und Provinzbeamte beauftragt, die sich dieser Thematik dann bei der Dekoration ihrer Villen oder Stadthäuser in Nordafrika bedienten. Eine für die spätantike Bilderwelt charakteristische Verzahnung von mythischer und alltäglicher Sphäre führen schließlich auch die beliebten Darstellungen des Meereszuges der Venus vor Augen: Die sich schmückende Göttin erscheint als Verkörperung weiblicher Schönheit und als Herrin über die fischreichen Meere; allerlei Meeresgetier, fantastische Seeungeheuer, spielerische Delfine und fischende Eroten verdeutlichen den glücksbetonten Charakter dieser Szenen.

Dr. Johanna Fabricius

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