Heinrich von Kleist Michael Kohlhaas Aus
einer alten Chronik Kapitelnummer und Inhaltsangabe dienen als Sprungmarken zum Text.
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fett - Kohlhaas und
Gesprächspartner fett - Erstnennung fett - Nennung von Dokumenten blau - Erzählerkommentar fett - wichtige Umstände unterlegt - Zeitangaben für den Handlungsverlauf |
Handlungsort Brandenburg | ||||||||||||||||||
Handlungsort Sachsen | |||||||||||||||||||
umrahmt: typische Kleist-Sätze | |||||||||||||||||||
Links zu Kohlhaas | |||||||||||||||||||
Der Text der Erzählung |
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cap. I (Reclam S. 3) | |||||||||||||||||||
An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. – Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder. |
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cap. II (Reclam S. 3) | |||||||||||||||||||
Er
ritt einst, mit einer Koppel junger Pferde, wohlgenährt alle und glänzend,
ins Ausland, und überschlug eben, wie er den Gewinst, den er auf den Märkten
damit zu machen hoffte, anlegen wolle: teils, nach Art guter Wirte, auf
neuen Gewinst, teils aber auch auf den Genuß der Gegenwart: als er an
die Elbe kam, und bei einer stattlichen Ritterburg, auf sächsischem
Gebiete, einen Schlagbaum traf, den er sonst auf diesem Wege nicht
gefunden hatte. Er hielt, in einem Augenblick, da eben der Regen heftig stürmte, mit den Pferden still, und rief den Schlagwärter, der auch bald darauf, mit einem grämlichen Gesicht, aus dem Fenster sah. Der Roßhändler sagte, daß er ihm öffnen solle. Was gibts hier Neues? fragte er, da der Zöllner, nach einer geraumen Zeit, aus dem Hause trat. Landesherrliches Privilegium, antwortete dieser, indem er aufschloß: dem Junker Wenzel von Tronka verliehen. - So, sagte Kohlhaas. Wenzel heißt der Junker? und sah sich das Schloß an, das mit glänzenden Zinnen über das Feld blickte. Ist der alte Herr tot? - Am Schlagfluß gestorben, erwiderte der Zöllner, indem er den Baum in die Höhe ließ. -
Hm! Schade! versetzte Kohlhaas. Ein würdiger alter Herr, der seine
Freude am Verkehr der Menschen hatte, Handel und Wandel, wo er nur
vermochte, forthalf, und einen Steindamm einst bauen ließ, weil mir
eine Stute, draußen, wo der Weg ins Dorf geht, das Bein gebrochen. Nun!
Was bin ich schuldig? - fragte er; und holte die Groschen, die der Zollwärter
verlangte, mühselig unter dem im Winde flatternden Mantel hervor.
Er
war aber noch kaum unter den Schlagbaum gekommen, als eine neue Stimme
schon: halt dort, der Roßkamm! hinter ihm vom Turm erscholl, und er den
Burgvogt ein Fenster zuwerfen und zu ihm herabeilen sah. Er ging auch auf die Burg; der Vogt folgte ihm, indem er von filzigen Geldraffern und nützlichen Aderlässen derselben murmelte; und beide traten, mit ihren Blicken einander messend, in den Saal.
Es
traf sich, daß der Junker eben, mit einigen muntern Freunden,
beim Becher saß, und, um eines Schwanks willen, ein unendliches Gelächter
unter ihnen erscholl, als Kohlhaas, um seine Beschwerde anzubringen,
sich ihm näherte.
Kohlhaas, der den Schloßvogt und den Verwalter, indem sie sprechende
Blicke auf die Rappen warfen, mit einander flüstern sah, ließ es, aus
einer dunkeln Vorahndung, an nichts fehlen, die Pferde an sie los zu
werden. In
diesem Augenblick trat der Schloßvogt aus dem Haufen vor, und sagte, er
höre, daß er ohne einen Paßschein nicht reisen dürfe. Nun! sprach der Junker, da eben das Wetter wieder zu stürmen anfing,
und seine dürren Glieder durchsauste: laßt den Schlucker laufen.
Kommt! sagte er zu den Rittern, kehrte sich um, und wollte nach dem
Schlosse gehen.
Kohlhaas, über eine so unverschämte Forderung betreten, sagte dem
Junker, der sich die Wamsschöße frierend vor den Leib hielt, daß er
die Rappen ja verkaufen wolle; doch dieser, da in demselben Augenblick
ein Windstoß eine ganze Last von Regen und Hagel durchs Tor jagte,
rief, um der Sache ein Ende zu machen: wenn er die Pferde nicht
loslassen will, so schmeißt ihn wieder über den Schlagbaum zurück;
und ging ab.
Er ließ einen Knecht bei ihnen zurück, versah ihn mit Geld, ermahnte ihn, die Pferde, bis zu seiner Zurückkunft, wohl in acht zu nehmen, und setzte seine Reise, mit dem Rest der Koppel, halb und halb ungewiß, ob nicht doch wohl, wegen aufkeimender Pferdezucht, ein solches Gebot, im Sächsischen, erschienen sein könne nach Leipzig, wo er auf die Messe wollte, fort. |
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cap. III (Reclam S. 7) | |||||||||||||||||||
In
Dresden, wo er, in einer der Vorstädte der Stadt, ein Haus mit
einigen Ställen besaß, weil er von hier aus seinen Handel auf den
kleineren Märkten des Landes zu bestreiten pflegte, begab er sich,
gleich nach seiner Ankunft, auf die Geheimschreiberei, wo er von den Räten,
deren er einige kannte, erfuhr, was ihm allerdings sein erster Glaube
schon gesagt hatte, daß die
Geschichte von dem Paßschein ein Märchen
sei.
Kohlhaas, dem die mißvergnügten Räte, auf sein Ansuchen, einen schriftlichen Schein über den Ungrund derselben gaben, lächelte über den Witz des dürren Junkers, obschon er noch nicht recht einsah, was er damit bezwecken mochte; und die Koppel der Pferde, die er bei sich führte, einige Wochen darauf, zu seiner Zufriedenheit, verkauft, kehrte er, ohne irgend weiter ein bitteres Gefühl, als das der allgemeinen Not der Welt, zur Tronkenburg zurück. Der
Schloßvogt, dem er den Schein zeigte, ließ sich nicht weiter darüber
aus, und sagte, auf die Frage des Roßkamms, ob er die Pferde jetzt
wieder bekommen könne: er möchte nur hinunter gehen und sie holen. Wie groß war aber sein Erstaunen, als er, statt seiner zwei glatten und wohlgenährten Rappen, ein Paar dürre, abgehärmte Mähren erblickte; Knochen, denen man, wie Riegeln, hätte Sachen aufhängen können; Mähnen und Haare, ohne Wartung und Pflege, zusammengeknetet: das wahre Bild des Elends im Tierreiche! Kohlhaas, den die Pferde, mit einer schwachen Bewegung, anwieherten, war
auf das äußerste entrüstet, und fragte, was seinen Gaulen widerfahren
wäre? Der
Schloßvogt, nachdem er ihn eine Weile trotzig angesehen hatte,
versetzte: seht den Grobian! Ob der Flegel nicht Gott danken sollte, daß
die Mähren überhaupt noch leben? Dem
Roßhändler schlug das Herz gegen den Wams. Es drängte ihn, den
nichtswürdigen Dickwanst in den Kot zu werfen, und den Fuß auf sein
kupfernes Antlitz zu setzen. Er stand noch, und streifte den Rappen die Zoddeln aus, und sann, was in seiner Lage zu tun sei, als sich die Szene plötzlich änderte, und der Junker Wenzel von Tronka, mit einem Schwarm von Rittern, Knechten und Hunden, von der Hasenhetze kommend, in den Schloßplatz sprengte. Der Schloßvogt, als er fragte, was vorgefallen sei, nahm sogleich das
Wort, und während die Hunde, beim Anblick des Fremden, von der einen
Seite, ein Mordgeheul gegen ihn anstimmten, und die Ritter ihnen, von
der andern, zu schweigen geboten, zeigte er ihm, unter der gehässigsten
Entstellung der Sache, an, was dieser Roßkamm, weil seine Rappen ein
wenig gebraucht worden wären, für eine Rebellion verführe. Der Junker, indem ihm eine flüchtige Blässe ins Gesicht trat, stieg
vom Pferde, und sagte: wenn der H... A... die Pferde nicht wiedernehmen
will, so mag er es bleiben lassen. Kohlhaas sagte, daß er eher den Abdecker rufen, und die Pferde auf den Schindanger schmeißen lassen, als sie so, wie sie wären, in seinen Stall zu Kohlhaasenbrück führen wolle. Er ließ die Gaule, ohne sich um sie zu bekümmern, auf dem Platz stehen, schwang sich, indem er versicherte, daß er sich Recht zu verschaffen wissen würde, auf seinen Braunen, und ritt davon. |
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cap. IV (Reclam S. 10) | |||||||||||||||||||
Spornstreichs
auf dem Wege nach Dresden
war er schon, als er, bei dem Gedanken an den
Knecht, und an die Klage, die man auf der Burg gegen ihn führte,
schrittweis zu reiten anfing, sein Pferd, ehe er noch tausend Schritt
gemacht hatte, wieder wandte, und
zur vorgängigen Vernehmung des
Knechts, wie es ihm klug und gerecht schien,
nach Kohlhaasenbrück
einbog.
Denn
ein richtiges, mit der gebrechlichen Einrichtung der Welt
schon bekanntes Gefühl
machte ihn, trotz der erlittenen Beleidigungen,
geneigt, falls nur wirklich dem Knecht, wie der Schloßvogt behauptete,
eine Art von Schuld beizumessen sei, den Verlust der Pferde, als eine
gerechte Folge davon, zu verschmerzen.
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cap. V (Reclam S. 11) | |||||||||||||||||||
Sobald
er, bei seiner
Ankunft in
Kohlhaasenbrück,
Lisbeth, sein treues
Weib,
umarmt, und seine Kinder, die um seine Kniee frohlockten, geküßt
hatte, fragte er gleich nach Herse, dem Großknecht: und ob man nichts
von ihm gehört habe?
Lisbeth sagte: ja liebster Michael, dieser
Herse!
So? sagte Kohlhaas, indem er den Mantel
ablegte. Ist er denn schon wieder hergestellt? - Liegt er denn noch im Bette? fragte Kohlhaas, indem er sich von der Halsbinde befreite. - Er geht, erwiderte sie,
seit einigen Tagen schon wieder im
Hofe umher. Das muß ich doch erst untersuchen, erwiderte Kohlhaas. Ruf ihn mir, Lisbeth, wenn er auf ist, doch her! Mit diesen Worten setzte er sich in den Lehnstuhl; und die Hausfrau, die sich über seine Gelassenheit sehr freute, ging, und holte den Knecht. |
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cap. VI (Reclam S. 12) | |||||||||||||||||||
Was
hast du in der Tronkenburg gemacht?
fragte Kohlhaas, da Lisbeth mit ihm
in das Zimmer trat. Ich bin nicht eben wohl mit dir zufrieden. -
Der Knecht, auf dessen blassem Gesicht sich, bei diesen Worten, eine Röte fleckig zeigte, schwieg eine Weile; und: da habt Ihr recht, Herr! antwortete er; denn einen Schwefelfaden, den ich durch Gottes Fügung bei mir trug, um das Raubnest, aus dem ich verjagt worden war, in Brand zu stecken, warf ich, als ich ein Kind darin jammern hörte, in das Elbwasser, und dachte: mag es Gottes Blitz einäschern; ich wills nicht! - Kohlhaas sagte betroffen:
wodurch aber hast du dir die Verjagung aus
der Tronkenburg zugezogen?
Vielleicht war
sonst kein Unterkommen für die Rappen aufzufinden, versetzte Kohlhaas;
die Pferde der Ritter gingen, auf eine gewisse Art, vor. - Am Ende wars nicht so schlimm, Herse, im Schweinekoben,
sagte Kohlhaas, als es dir, da du zuerst die Nase hineinstecktest,
vorkam. - Nun denn,
fragte Kohlhaas,
warum also, in aller Welt, jagte man dich fort?
- Aber die Veranlassung! rief Kohlhaas. Sie werden doch irgend eine Veranlassung gehabt haben! - O allerdings,
antwortete Herse, und die allergerechteste. Ich nahm, am Abend des
zweiten Tages, den ich im Schweinekoben zugebracht,
die Pferde, die sich
darin doch zugesudelt hatten, und wollte sie zur Schwemme reiten.
Kohlhaas sagte, bleich im Gesicht, mit erzwungener Schelmerei:
hast du auch nicht entweichen wollen, Herse? Nun, nun! sagte der Roßhändler; es war eben
nicht böse gemeint!
Was du gesagt hast, schau, Wort für Wort, ich
glaub es dir;
und das Abendmahl, wenn es zur Sprache kommt, will ich
selbst nun darauf nehmen. Und damit stand er auf, fertigte ein Verzeichnis der Sachen an, die der Großknecht im Schweinekoben zurückgelassen; spezifizierte den Wert derselben, fragte ihn auch, wie hoch er die Kurkosten anschlage; und ließ ihn, nachdem er ihm noch einmal die Hand gereicht, abtreten. |
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cap. VII (Reclam S. 16) | |||||||||||||||||||
Hierauf
erzählte er
Lisbeth, seiner Frau, den ganzen Verlauf und inneren
Zusammenhang der Geschichte, erklärte ihr, wie er entschlossen sei, die
öffentliche Gerechtigkeit für sich aufzufordern, und hatte die Freude,
zu sehen, daß sie ihn, in diesem Vorsatz, aus voller Seele bestärkte.
Denn sie sagte, daß noch mancher andre Reisende, vielleicht minder duldsam, als er, über jene Burg ziehen würde; daß es ein Werk Gottes wäre, Unordnungen, gleich diesen, Einhalt zu tun; und daß sie die Kosten, die ihm die Führung des Prozesses verursachen würde, schon beitreiben wolle. Kohlhaas nannte sie ein wackeres Weib, erfreute sich diesen und den folgenden Tag in ihrer und seiner Kinder Mitte, und brach sobald es seine Geschäfte irgend zuließen, nach Dresden auf, um seine Klage vor Gericht zu bringen. |
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cap. VIII (Reclam S. 16) | |||||||||||||||||||
Hier
verfaßte er, mit Hülfe eines
Rechtsgelehrten, den er kannte,
eine
Beschwerde, in welcher er, nach einer umständlichen Schilderung des
Frevels, den der Junker Wenzel von Tronka, an ihm sowohl, als an seinem
Knecht Herse, verübt hatte,
auf gesetzmäßige Bestrafung desselben,
Wiederherstellung der Pferde in den vorigen Stand, und auf Ersatz des
Schadens antrug, den er sowohl, als sein Knecht, dadurch erlitten
hatten. Die Rechtssache war in der Tat klar. Der Umstand, daß die Pferde gesetzwidriger Weise festgehalten worden waren, warf ein entscheidendes Licht auf alles übrige; und selbst wenn man hätte annehmen wollen, daß die Pferde durch einen bloßen Zufall erkrankt wären, so würde die Forderung des Roßkamms, sie ihm gesund wieder zuzustellen, noch gerecht gewesen sein. Es fehlte Kohlhaas auch, während er sich in der Residenz umsah, keineswegs an Freunden, die seine Sache lebhaft zu unterstützen versprachen; der ausgebreitete Handel, den er mit Pferden trieb, hatte ihm die Bekanntschaft, und die Redlichkeit, mit welcher er dabei zu Werke ging, ihm das Wohlwollen der bedeutendsten Männer des Landes verschafft. Er speisete bei seinem Advokaten, der selbst ein ansehnlicher Mann war, mehrere Mal heiter zu Tisch; legte eine Summe Geldes, zur Bestreitung der Prozeßkosten, bei ihm nieder; und kehrte, nach Verlauf einiger Wochen, völlig von demselben über den Ausgang seiner Rechtssache beruhigt, zu Lisbeth, seinem Weibe, nach Kohlhaasenbrück zurück. Gleichwohl vergingen Monate, und das Jahr war daran, abzuschließen, bevor er, von Sachsen aus, auch nur eine Erklärung über die Klage, die er daselbst anhängig gemacht hatte, geschweige denn die Resolution selbst, erhielt. Er fragte, nachdem er mehrere Male von neuem bei dem Tribunal eingekommen war, seinen Rechtsgehülfen, in einem vertrauten Briefe, was eine so übergroße Verzögerung verursache; und erfuhr, daß die Klage, auf eine höhere Insinuation, bei dem Dresdner Gerichtshofe, gänzlich niedergeschlagen worden sei. - Auf die befremdete Rückschrift des Roßkamms, worin dies seinen Grund habe, meldete ihm jener: daß der Junker Wenzel von Tronka mit zwei Jungherren, Hinz und Kunz von Tronka, verwandt sei, deren einer, bei der Person des Herrn, Mundschenk, der andre gar Kämmerer sei. - Er
riet ihm
noch, er möchte,
ohne weitere
Bemühungen bei der Rechtsinstanz, seiner, auf der Tronkenburg
befindlichen, Pferde wieder habhaft zu werden suchen; |
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cap. IX (Reclam S. 17) | |||||||||||||||||||
Kohlhaas
befand sich um diese Zeit gerade in Brandenburg, wo der
Stadthauptmann,
Heinrich von Geusau,
unter dessen Regierungsbezirk Kohlhaasenbrück gehörte,
eben beschäftigt war, aus einem beträchtlichen Fonds, der der Stadt
zugefallen war, mehrere wohltätige Anstalten, für Kranke und Arme,
einzurichten. Besonders war er bemüht, einen mineralischen Quell, der auf einem Dorf in der Gegend sprang, und von dessen Heilkräften man sich mehr, als die Zukunft nachher bewährte, versprach, für den Gebrauch der Preßhaften einzurichten; und da Kohlhaas ihm, wegen manchen Verkehrs, in dem er, zur Zeit seines Aufenthalts am Hofe, mit demselben gestanden hatte, bekannt war, so erlaubte er Hersen, dem Großknecht, dem ein Schmerz beim Atemholen über der Brust, seit jenem schlimmen Tage auf der Tronkenburg, zurückgeblieben war, die Wirkung der kleinen, mit Dach und Einfassung versehenen, Heilquelle zu versuchen. Es traf sich, daß der Stadthauptmann eben, am Rande des Kessels, in welchen Kohlhaas den Herse gelegt hatte, gegenwärtig war, um einige Anordnungen zu treffen, als jener, durch einen Boten, den ihm seine Frau nachschickte, den niederschlagenden Brief seines Rechtsgehülfen aus Dresden empfing. Der Stadthauptmann, der, während er mit dem Arzte sprach, bemerkte, daß Kohlhaas eine Träne auf den Brief, den er bekommen und eröffnet hatte, fallen ließ, näherte sich ihm, auf eine freundliche und herzliche Weise, und fragte ihn, was für ein Unfall ihn betroffen; und da der Roßhändler ihm, ohne ihm zu antworten, den Brief überreichte: so klopfte ihm dieser würdige Mann, dem die abscheuliche Ungerechtigkeit, die man auf der Tronkenburg an ihm verübt hatte, und an deren Folgen Herse eben, vielleicht auf die Lebenszeit, krank danieder lag, bekannt war, auf die Schulter, und sagte ihm: er solle nicht mutlos sein; er werde ihm zu seiner Genugtuung verhelfen! Am
Abend, da sich der Roßkamm, seinem Befehl gemäß, zu ihm aufs Schloß
begeben hatte, sagte er ihm, daß er nur eine
Supplik, mit einer kurzen
Darstellung des Vorfalls, an den
Kurfürsten von Brandenburg
aufsetzen,
den Brief des Advokaten beilegen, und wegen der Gewalttätigkeit, die
man sich, auf sächsischem Gebiet, gegen ihn erlaubt, den
landesherrlichen Schutz aufrufen möchte. Kohlhaas lebhaft erfreut, dankte dem Stadthauptmann, für diesen neuen Beweis seiner Gewogenheit, aufs herzlichste; sagte, es tue ihm nur leid, daß er nicht, ohne irgend Schritte in Dresden zu tun, seine Sache gleich in Berlin anhängig gemacht habe; und nachdem er, in der Schreiberei des Stadtgerichts, die Beschwerde, ganz den Forderungen gemäß, verfaßt, und dem Stadthauptmann übergeben hatte, kehrte er, beruhigter über den Ausgang seiner Geschichte, als je, nach Kohlhaasenbrück zurück. Er hatte aber schon, in wenig Wochen, den Kummer, durch einen Gerichtsherrn, der in Geschäften des Stadthauptmanns nach Potsdam ging, zu erfahren, daß der Kurfürst die Supplik seinem Kanzler, dem Grafen Kallheim, übergeben habe, und daß dieser nicht unmittelbar, wie es zweckmäßig schien, bei dem Hofe zu Dresden, um Untersuchung und Bestrafung der Gewalttat, sondern um vorläufige, nähere Information bei dem Junker von Tronka eingekommen sei. Der
Gerichtsherr, der, vor Kohlhaasens Wohnung, im
Wagen haltend, den Auftrag zu haben schien, dem Roßhändler diese Eröffnung
zu machen, konnte ihm auf die betroffene Frage: warum man also
verfahren? keine befriedigende Auskunft geben. Kohlhaas, der keine Freude mehr, weder an seiner Pferdezucht, noch an Haus und Hof, kaum an Weib und Kind hatte, durchharrte, in trüber Ahndung der Zukunft, den nächsten Mond; und ganz seiner Erwartung gemäß kam, nach Verlauf dieser Zeit, Herse, dem das Bad einige Linderung verschafft hatte, von Brandenburg zurück, mit einem, ein größeres Reskript begleitenden, Schreiben des Stadthauptmanns, des Inhalts: es tue ihm leid, daß er nichts in seiner Sache tun könne; er schicke ihm eine, an ihn ergangene, Resolution der Staatskanzlei, und rate ihm, die Pferde, die er in der Tronkenburg zurückgelassen, wieder abführen, und die Sache übrigens ruhen zu lassen. -
Kohlhaas, dem es nicht um die Pferde zu tun war - er hätte gleichen Schmerz empfunden, wenn es ein Paar Hunde gegolten hätte - Kohlhaas schäumte vor Wut, als er diesen Brief empfing. Er sah, so oft sich ein Geräusch im Hofe hören ließ, mit der widerwärtigsten Erwartung, die seine Brust jemals bewegt hatte, nach dem Torwege, ob die Leute des Jungherren erscheinen, und ihm, vielleicht gar mit einer Entschuldigung, die Pferde, abgehungert und abgehärmt, wieder zustellen würden; der einzige Fall, in welchem seine von der Welt wohlerzogene Seele, auf nichts das ihrem Gefühl völlig entsprach gefaßt war. Er hörte aber in kurzer Zeit schon, durch einen Bekannten, der die Straße gereiset war, daß die Gaule auf der Tronkenburg, nach wie vor, den übrigen Pferden des Landjunkers gleich, auf dem Felde gebraucht würden; und mitten durch den Schmerz, die Welt in einer so ungeheuren Unordnung zu erblicken, zuckte die innerliche Zufriedenheit empor, seine eigne Brust nunmehr in Ordnung zu sehen. Er lud einen Amtmann, seinen Nachbar, zu sich, der längst mit dem Plan umgegangen war, seine Besitzungen durch den Ankauf der, ihre Grenze berührenden, Grundstücke zu vergrößern, und fragte ihn, nachdem sich derselbe bei ihm niedergelassen, was er für seine Besitzungen, im Brandenburgischen und im Sächsischen, Haus und Hof, in Pausch und Bogen, es sei nagelfest oder nicht, geben wolle? Lisbeth, sein Weib, erblaßte bei diesen Worten. Sie wandte sich, und hob ihr Jüngstes auf, das hinter ihr auf dem Boden spielte, Blicke, in welchen sich der Tod malte, bei den roten Wangen des Knaben vorbei, der mit ihren Halsbändern spielte, auf den Roßkamm, und ein Papier werfend, das er in der Hand hielt. Der Amtmann fragte, indem er ihn
befremdet ansah, was ihn plötzlich auf so sonderbare Gedanken bringe; Die Frau ging in der Stube auf und ab; ihre Brust flog, daß das Tuch, an welchem der Knabe gezupft hatte, ihr völlig von der Schulter herabzufallen drohte. Der Amtmann sagte, daß er ja den
Wert der Besitzung in Dresden
keineswegs beurteilen könne; Er sagte einer
Magd, die mit den Flaschen hereintrat,
Sternbald, der
Knecht, solle ihm
den Fuchs satteln; er müsse, gab er an, nach der Hauptstadt reiten, wo
er Verrichtungen habe; und gab zu verstehen, daß er in kurzem, wenn er
zurückkehre, sich offenherziger über das, was er jetzt noch für sich
behalten müsse, auslassen würde. Als der
Amtmann das Zimmer verlassen hatte, fiel Lisbeth auf Knieen vor ihm
nieder. Wenn du mich irgend, rief sie, mich und die Kinder, die ich dir
geboren habe, in deinem Herzen trägst; wenn wir nicht im voraus schon,
um welcher Ursach willen, weiß ich nicht, verstoßen sind: so sage mir,
was diese entsetzlichen Anstalten zu bedeuten haben! Warum willst du
dein Haus verkaufen? rief sie, indem sie mit einer verstörten Gebärde,
aufstand. Doch ratsam ist es, fuhr er fort, daß ich mich auf jeden
Fall gefaßt mache; und daher wünschte ich, daß du dich, auf einige
Zeit, wenn es sein kann, entferntest, und mit den Kindern zu deiner
Muhme nach Schwerin gingst, die du überdies längst hast besuchen
wollen. - »O!
ich verstehe dich!« rief sie. »Du brauchst jetzt nichts mehr, als
Waffen und Pferde; alles andere kann nehmen, wer will!« Und damit
wandte sie sich, warf sich auf einen Sessel nieder, und weinte. Und damit stand er auf, und sagte dem Knecht, der ihm meldete, daß der Fuchs gesattelt stünde: morgen müßten auch die Braunen eingeschirrt werden, um seine Frau nach Schwerin zu führen. Lisbeth sagte: sie habe einen
Einfall! Kohlhaas küßte sie mit vieler Freude, sagte, daß er ihren Vorschlag annähme, belehrte sie, daß es weiter nichts bedürfe, als einer Wohnung bei der Frau desselben, um den Landesherrn, im Schlosse selbst, anzutreten, gab ihr die Bittschrift, ließ die Braunen anspannen, und schickte sie mit Sternbald, seinem treuen Knecht, wohleingepackt ab. |
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cap. X (Reclam S. 26) | |||||||||||||||||||
Diese
Reise war aber
von allen erfolglosen
Schritten, die er in seiner Sache
getan hatte,
der
allerunglücklichste.
Denn schon
nach wenigen Tagen zog
Sternbald in den Hof wieder ein, Schritt vor Schritt den Wagen führend,
in welchem die Frau, mit einer gefährlichen Quetschung an der Brust,
ausgestreckt darnieder lag. Sternbald sagte, daß es sein Wille gewesen sei, sich gleich auf ein Pferd zu setzen, und ihm von diesem unglücklichen Vorfall Nachricht zu geben; doch sie habe, trotz der Vorstellungen des herbeigerufenen Wundarztes, darauf bestanden, ohne alle vorgängige Benachrichtigungen, zu ihrem Manne nach Kohlhaasenbrück abgeführt zu werden. Kohlhaas
brachte sie, die von der Reise völlig zu Grunde gerichtet worden war,
in ein Bett, wo sie, unter schmerzhaften Bemühungen, Atem zu holen,
noch einige Tage lebte.
Nur
kurz vor ihrem Tode kehrte ihr noch einmal die
Besinnung wieder. Kohlhaas dachte: »so möge mir Gott nie vergeben, wie ich dem Junker vergebe!« küßte sie, indem ihm häufig die Tränen flossen, drückte ihr die Augen zu, und verließ das Gemach. Er nahm die hundert Goldgülden,
die ihm der Amtmann schon, für die Ställe in Dresden, zugefertigt
hatte, und bestellte ein
Leichenbegräbnis, das weniger für sie, als für
eine Fürstin, angeordnet schien: ein eichener Sarg, stark mit Metall
beschlagen, Kissen von Seide, mit goldnen und silbernen Troddeln, und
ein Grab von acht Ellen Tiefe, mit Feldsteinen gefüttert und Kalk. Als der
Begräbnistag
kam, ward die Leiche, weiß wie Schnee,
in einen Saal aufgestellt, den er mit schwarzem Tuch hatte beschlagen
lassen. Kohlhaas steckte den Brief ein, und ließ den Sarg auf den Wagen bringen. Sobald der Hügel geworfen, das Kreuz darauf gepflanzt, und die Gäste, die die Leiche bestattet hatten, entlassen waren, warf er sich noch einmal vor ihrem, nun verödeten Bette nieder, und übernahm sodann das Geschäft der Rache. Er setzte sich nieder und verfaßte einen Rechtsschluß, in welchem er den Junker Wenzel von Tronka, kraft der ihm angebotenen Macht, verdammte, die Rappen, die er ihm abgenommen, und auf den Feldern zu Grunde gerichtet, binnen drei Tagen nach Sicht, nach Kohlhaasenbrück zu führen, und in Person in seinen Ställen dick zu füttern. Diesen Schluß sandte er durch einen reitenden Boten an ihn ab, und instruierte denselben, flugs nach Übergabe des Papiers, wieder bei ihm in Kohlhaasenbrück zu sein. Da die drei Tage, ohne Überlieferung der Pferde, verflossen, so rief er Hersen; eröffnete ihm, was er dem Jungherrn, die Dickfütterung derselben anbetreffend, aufgegeben; fragte ihn zweierlei, ob er mit ihm nach der Tronkenburg reiten und den Jungherrn holen; auch, ob er über den Hergeholten, wenn er bei Erfüllung des Rechtsschlusses in den Ställen von Kohlhaasenbrück, faul sei, die Peitsche führen wolle? und da Herse, so wie er ihn nur verstanden hatte: »Herr, heute noch!« aufjauchzte, und, indem er die Mütze in die Höhe warf, versicherte: einen Riemen, mit zehn Knoten, um ihm das Striegeln zu lehren, lasse er sich flechten! so verkaufte Kohlhaas das Haus, schickte die Kinder, in einen Wagen gepackt, über die Grenze; rief, bei Anbruch der Nacht, auch die übrigen Knechte zusammen, sieben an der Zahl, treu ihm jedweder, wie Gold; bewaffnete und beritt sie, und brach nach der Tronkenburg auf. |
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cap. XI (Reclam S. 28) | |||||||||||||||||||
Er
fiel auch, mit diesem kleinen Haufen, schon,
beim Einbruch der dritten
Nacht, den Zollwärter und Torwächter, die im Gespräch unter dem Tor
standen, niederreitend,
in die
Burg, und während, unter plötzlicher
Aufprasselung aller Baracken im Schloßraum, die sie mit Feuer bewarfen,
Herse, über die Windeltreppe, in den Turm der Vogtei eilte, und den
Schloßvogt und Verwalter, die, halb entkleidet, beim Spiel saßen, mit
Hieben und Stichen überfiel, stürzte Kohlhaas zum Junker Wenzel ins
Schloß.
Der Engel des Gerichts fährt also vom Himmel herab; und der Junker, der eben, unter vielem Gelächter, dem Troß junger Freunde, der bei ihm war, den Rechtsschluß, den ihm der Roßkamm übermacht hatte, vorlas, hatte nicht sobald dessen Stimme im Schloßhof vernommen: als er den Herren schon, plötzlich leichenbleich: Brüder, rettet euch! zurief, und verschwand. Kohlhaas, der, beim Eintritt in den Saal, einen
Junker Hans von Tronka, der ihm entgegen kam, bei der Brust faßte, und
in den Winkel des Saals schleuderte, daß er sein Hirn an den Steinen
versprützte, fragte, während die Knechte die anderen Ritter, die zu
den Waffen gegriffen hatten, überwältigten, und zerstreuten:
wo der
Junker Wenzel von Tronka sei?
Inzwischen war, vom Feuer der Baracken ergriffen, nun schon das Schloß, mit allen Seitengebäuden, starken Rauch gen Himmel qualmend, angegangen, und während Sternbald, mit drei geschäftigen Knechten, alles, was nicht niet- und nagelfest war, zusammenschleppten, und zwischen den Pferden, als gute Beute, umstürzten, flogen, unter dem Jubel Hersens, aus den offenen Fenstern der Vogtei, die Leichen des Schloßvogts und Verwalters, mit Weib und Kindern, herab. Kohlhaas, dem sich, als er die Treppe vom Schloß niederstieg, die alte, von der Gicht geplagte Haushälterin, die dem Junker die Wirtschaft führte, zu Füßen warf, fragte sie, indem er auf der Stufe stehen blieb: wo der Junker Wenzel von Tronka sei? und da sie ihm, mit schwacher, zitternder Stimme, zur Antwort gab: sie glaube, er habe sich in die Kapelle geflüchtet; so rief er zwei Knechte mit Fackeln, ließ in Ermangelung der Schlüssel, den Eingang mit Brechstangen und Beilen eröffnen, kehrte Altäre und Bänke um, und fand gleichwohl, zu seinem grimmigen Schmerz, den Junker nicht. Es traf sich, daß ein junger, zum
Gesinde der Tronkenburg gehöriger
Knecht, in dem Augenblick, da
Kohlhaas aus der Kapelle zurückkam, herbeieilte, um aus einem weitläufigen,
steinernen Stall, den die Flamme bedrohte, die
Streithengste des Junkers
herauszuziehen. Gleichwohl, als der Knecht schreckenblaß, wenige Momente nachdem der Schuppen hinter ihm zusammenstürzte, mit den Pferden, die er an der Hand hielt, daraus hervortrat, fand er den Kohlhaas nicht mehr; und da er sich zu den Knechten auf den Schloßplatz begab, und den Roßhändler, der ihm mehreremal den Rücken zukehrte, fragte: was er mit den Tieren nun anfangen solle? - hob dieser plötzlich, mit einer fürchterlichen Gebärde, den Fuß, daß der Tritt, wenn er ihn getan hätte, sein Tod gewesen wäre: bestieg, ohne ihm zu antworten, seinen Braunen, setzte sich unter das Tor der Burg, und erharrte, inzwischen die Knechte ihr Wesen forttrieben, schweigend den Tag. |
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cap. XII (Reclam S. 30) | |||||||||||||||||||
Als
der Morgen anbrach, war
das ganze Schloß, bis auf die Mauern,
niedergebrannt, und niemand befand sich mehr darin, als Kohlhaas und
seine sieben Knechte.
Er stieg vom Pferde, und untersuchte noch einmal, beim hellen Schein der Sonne, den ganzen, in allen seinen Winkeln jetzt von ihr erleuchteten Platz, und da er sich, so schwer es ihm auch ward, überzeugen mußte, daß die Unternehmung auf die Burg fehlgeschlagen war, so schickte er, die Brust voll Schmerz und Jammer, Hersen mit einigen Knechten aus, um über die Richtung, die der Junker auf seiner Flucht genommen, Nachricht einzuziehen. Besonders beunruhigte ihn ein reiches Fräuleinstift, namens Erlabrunn, das an den Ufern der Mulde lag, und dessen Äbtissin, Antonia von Tronka, als eine fromme, wohltätige und heilige Frau, in der Gegend bekannt war; denn es schien dem unglücklichen Kohlhaas nur zu wahrscheinlich, daß der Junker sich, entblößt von aller Notdurft, wie er war, in dieses Stift geflüchtet hatte, indem die Äbtissin seine leibliche Tante und die Erzieherin seiner ersten Kindheit war. Kohlhaas, nachdem er sich von diesem Umstand unterrichtet hatte, bestieg den Turm der Vogtei, in dessen Innerem sich noch ein Zimmer, zur Bewohnung brauchbar, darbot, und verfaßte ein sogenanntes »Kohlhaasisches Mandat«, worin er das Land aufforderte, dem Junker Wenzel von Tronka, mit dem er in einem gerechten Krieg liege, keinen Vorschub zu tun, vielmehr jeden Bewohner, seine Verwandten und Freunde nicht ausgenommen, verpflichtete, denselben bei Strafe Leibes und des Lebens, und unvermeidlicher Einäscherung alles dessen, was ein Besitztum heißen mag, an ihn auszuliefern. Diese Erklärung streute er, durch Reisende und Fremde, in der Gegend aus; ja, er gab Waldmann, dem Knecht, eine Abschrift davon, mit dem bestimmten Auftrage, sie in die Hände der Dame Antonia nach Erlabrunn zu bringen. Hierauf besprach er einige Tronkenburgische Knechte, die mit dem Junker unzufrieden waren, und von der Aussicht auf Beute gereizt, in seine Dienste zu treten wünschten; bewaffnete sie, nach Art des Fußvolks, mit Armbrüsten und Dolchen, und lehrte sie, hinter den berittenen Knechten aufsitzen; und nachdem er alles, was der Troß zusammengeschleppt hatte, zu Geld gemacht und das Geld unter denselben verteilt hatte, ruhete er einige Stunden, unter dem Burgtor, von seinen jämmerlichen Geschäften aus. |
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cap. XIII (Reclam S. 31) | |||||||||||||||||||
Gegen
Mittag
kam Herse und bestätigte ihm,
was ihm sein Herz, immer auf die
trübsten Ahnungen gestellt, schon gesagt hatte: nämlich,
daß der
Junker in dem Stift zu Erlabrunn, bei der alten Dame Antonia von Tronka,
seiner Tante, befindlich sei.
Es schien, er hatte sich, durch eine Tür, die, an der hinteren Wand des Schlosses, in die Luft hinausging, über eine schmale, steinerne Treppe gerettet, die, unter einem kleinen Dach, zu einigen Kähnen in die Elbe hinablief. Wenigstens berichtete Herse, daß er, in einem Elbdorf, zum Befremden der Leute, die wegen des Brandes in der Tronkenburg versammelt gewesen, um Mitternacht, in einem Nachen, ohne Steuer und Ruder, angekommen, und mit einem Dorffuhrwerk nach Erlabrunn weiter gereiset sei. - - -
Kohlhaas seufzte bei
dieser Nachricht tief auf; er fragte, ob die Pferde gefressen hätten?
und da man ihm antwortete: ja: so ließ er den Haufen aufsitzen, und
stand schon in drei Stunden vor Erlabrunn. Kohlhaas, während Herse und Sternbald den Stiftsvogt, der kein Schwert in der Hand hatte, überwältigten, und als Gefangenen zwischen die Pferde führten, fragte sie: wo der Junker Wenzel von Tronka sei? und da sie, einen großen Ring mit Schlüsseln von ihrem Gurt loslösend: in Wittenberg, Kohlhaas, würdiger Mann! antwortete, und, mit bebender Stimme, hinzusetzte: fürchte Gott und tue kein Unrecht! - so wandte Kohlhaas, in die Hölle unbefriedigter Rache zurückgeschleudert, das Pferd, und war im Begriff: steckt an! zu rufen, als ein ungeheurer Wetterschlag, dicht neben ihm, zur Erde niederfiel. Kohlhaas, indem er sein Pferd zu ihr zurückwandte, fragte sie: ob sie sein Mandat erhalten? und da die Dame mit schwacher, kaum hörbarer Stimme, antwortete: eben jetzt! - »Wann?« - Zwei Stunden, so wahr mir Gott helfe, nach des Junkers, meines Vetters, bereits vollzogener Abreise! - - - und Waldmann, der Knecht, zu dem Kohlhaas sich, unter finsteren Blicken, umkehrte, stotternd diesen Umstand bestätigte, indem er sagte, daß die Gewässer der Mulde, vom Regen geschwellt, ihn verhindert hätten, früher, als eben jetzt, einzutreffen: so sammelte sich Kohlhaas; ein plötzlich furchtbarer Regenguß, der die Fackeln verlöschend, auf das Pflaster des Platzes niederrauschte, löste den Schmerz in seiner unglücklichen Brust; er wandte, indem er kurz den Hut vor der Dame rückte, sein Pferd, drückte ihm, mit den Worten: folgt mir meine Brüder; der Junker ist in Wittenberg! die Sporen ein, und verließ das Stift. |
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cap. XIV (Reclam S. 33) | |||||||||||||||||||
Er
kehrte, da die Nacht einbrach, in einem Wirtshause auf der Landstraße
ein, wo er, wegen großer Ermüdung der Pferde,
einen Tag ausruhen
mußte,
und da er wohl einsah, daß er mit einem Haufen von zehn Mann (denn so
stark war er jetzt), einem Platz wie Wittenberg war, nicht trotzen
konnte, so verfaßte er ein
zweites
Mandat, worin er, nach einer kurzen
Erzählung dessen, was ihm im Lande begegnet,
»jeden guten Christen«,
wie er sich ausdrückte,
»unter Angelobung eines Handgelds und anderer
kriegerischen Vorteile«, aufforderte
»seine Sache gegen den Junker von
Tronka, als dem allgemeinen Feind aller Christen, zu ergreifen«.
In einem anderen Mandat, das bald darauf erschien, nannte er sich: »einen Reichs- und Weltfreien, Gott allein unterworfenen Herrn«; eine Schwärmerei krankhafter und mißgeschaffener Art, die ihm gleichwohl, bei dem Klang seines Geldes und der Aussicht auf Beute, unter dem Gesindel, das der Friede mit Polen außer Brot gesetzt hatte, Zulauf in Menge verschaffte: dergestalt, daß er in der Tat dreißig und etliche Köpfe zählte, als er sich, zur Einäscherung von Wittenberg, auf die rechte Seite der Elbe zurückbegab. Er lagerte sich, mit Pferden und Knechten, unter dem Dache
einer alten verfallenen Ziegelscheune, in der Einsamkeit eines finsteren
Waldes, der damals diesen Platz umschloß, und hatte nicht sobald durch Sternbald, den er, mit dem Mandat, verkleidet in die Stadt schickte,
erfahren, daß das Mandat daselbst schon bekannt sei, als er auch mit
seinen Haufen schon, am heiligen Abend vor Pfingsten, aufbrach, und
den
Platz, während die Bewohner im tiefsten Schlaf lagen, an mehreren Ecken
zugleich, in Brand steckte.
Das Entsetzen der Einwohner, über diesen unerhörten Frevel, war unbeschreiblich; und die Flamme, die bei einer zum Glück ziemlich ruhigen Sommernacht, zwar nicht mehr als neunzehn Häuser, worunter gleichwohl eine Kirche war, in den Grund gelegt hatte, war nicht sobald, gegen Anbruch des Tages, einigermaßen gedämpft worden, als der alte Landvogt, Otto von Gorgas, bereits ein Fähnlein von funfzig Mann aussandte, um den entsetzlichen Wüterich aufzuheben. Der Hauptmann aber, der es führte, namens Gerstenberg, benahm sich so schlecht dabei, daß die ganze Expedition Kohlhaasen, statt ihn zu stürzen, vielmehr zu einem höchst gefährlichen kriegerischen Ruhm verhalf; denn da dieser Kriegsmann sich in mehrere Abteilungen auflösete, um ihn, wie er meinte, zu umzingeln und zu erdrücken, ward er von Kohlhaas, der seinen Haufen zusammenhielt, auf vereinzelten Punkten, angegriffen und geschlagen, dergestalt, daß schon, am Abend des nächstfolgenden Tages, kein Mann mehr von dem ganzen Haufen, auf den die Hoffnung des Landes gerichtet war, gegen ihm im Felde stand. Kohlhaas, der durch diese
Gefechte einige Leute eingebüßt hatte,
steckte die Stadt,
am Morgen
des nächsten Tages, von neuem in Brand,
und seine mörderischen
Anstalten waren so gut, daß wiederum eine Menge Häuser, und fast alle
Scheunen der Vorstadt, in die Asche gelegt wurden. Der
Landvogt, von diesem Trotz aufs äußerste entrüstet,
setzte sich selbst, mit mehreren Rittern, an die Spitze eines
Haufens
von hundert und funfzig Mann.
Diesen Haufen war der Roßkamm klug genug, zu vermeiden; und nachdem er den Landvogt, durch geschickte Märsche, fünf Meilen von der Stadt hinweggelockt, und vermitteltet mehrerer Anstalten, die er traf, zu dem Wahn verleitet hatte, daß er sich, von der Übermacht gedrängt, ins Brandenburgische werfen würde: wandte er sich plötzlich, beim Einbruch der dritten Nacht, kehrte, in einem Gewaltritt, nach Wittenberg zurück, und steckte die Stadt zum drittenmal in Brand. Herse, der sich verkleidet in die Stadt schlich, führte dieses entsetzliche Kunststück aus; und die Feuersbrunst war, wegen eines scharf wehenden Nordwindes, so verderblich und um sich fressend, daß, in weniger als drei Stunden, zwei und vierzig Häuser, zwei Kirchen, mehrere Klöster und Schulen, und das Gebäude der kurfürstlichen Landvogtei selbst, in Schutt und Asche lagen. Der Landvogt, der seinen Gegner, beim Anbruch des Tages, im Brandenburgischen glaubte, fand, als er von dem, was vorgefallen, benachrichtigt, in bestürzten Märschen zurückkehrte, die Stadt in allgemeinem Aufruhr; das Volk hatte sich zu Tausenden vor dem, mit Balken und Pfählen versammelten, Hause des Junkers gelagert, und forderte, mit rasendem Geschrei, seine Abführung aus der Stadt. Zwei Bürgermeister, namens Jenkens und Otto, die in Amtskleidern an der Spitze des ganzen Magistrats gegenwärtig waren, bewiesen vergebens, daß man platterdings die Rückkehr eines Eilboten abwarten müsse, den man wegen Erlaubnis den Junker nach Dresden bringen zu dürfen, wohin er selbst aus mancherlei Gründen abzugehen wünsche, an den Präsidenten der Staatskanzlei geschickt habe; der unvernünftige, mit Spießen und Stangen bewaffnete Haufen gab auf diese Worte nichts, und eben war man, unter Mißhandlung einiger zu kräftigen Maßregeln auffordernden Räte, im Begriff das Haus worin der Junker war zu stürmen, und der Erde gleich zu machen, als der Landvogt, Otto von Gorgas, an der Spitze seines Reuterhaufens, in der Stadt erschien. Diesem würdigen Herrn, der schon durch seine bloße Gegenwart dem Volk Ehrfurcht und Gehorsam einzuflößen gewohnt war, war es, gleichsam zum Ersatz für die fehlgeschlagene Unternehmung, von welcher er zurückkam, gelungen, dicht vor den Toren der Stadt drei zersprengte Knechte von der Bande des Mordbrenners aufzufangen; und da er, inzwischen die Kerle vor dem Angesicht des Volks mit Ketten belastet wurden, den Magistrat in einer klugen Anrede versicherte, den Kohlhaas selbst denke er in kurzem, indem er ihm auf die Spur sei, gefesselt einzubringen: so glückte es ihm, durch die Kraft aller dieser beschwichtigenden Umstände, die Angst des versammelten Volks zu entwaffnen, und über die Anwesenheit des Junkers, bis zur Zurückkunft des Eilboten aus Dresden, einigermaßen zu beruhigen. Er stieg, in Begleitung einiger Ritter, vom Pferde, und verfügte sich, nach Wegräumung der Palisaden und Pfähle, in das Haus, wo er den Junker, der aus einer Ohnmacht in die andere fiel, unter den Händen zweier Ärzte fand, die ihn mit Essenzen und Irritanzen wieder ins Leben zurück zu bringen suchten; und da Herr Otto von Gorgas wohl fühlte, daß dies der Augenblick nicht war, wegen der Aufführung, die er sich zu Schulden kommen lasse, Worte mit ihm zu wechseln: so sagte er ihm bloß, mit einem Blick stiller Verachtung, daß er sich ankleiden, und ihm, zu seiner eigenen Sicherheit, in die Gemächer der Ritterhaft folgen möchte. Als man dem Junker ein Wams angelegt, und einen Helm aufgesetzt hatte, und er, die Brust, wegen Mangels an Luft, noch halb offen, am Arm des Landvogts und seines Schwagers, des Grafen von Gerschau, auf der Straße erschien, stiegen gotteslästerliche und entsetzliche Verwünschungen gegen ihn zum Himmel auf. Das Volk, von den Landsknechten nur mühsam zurückgehalten, nannte ihn einen Blutigel, einen elenden Landplager und Menschenquäler, den Fluch der Stadt Wittenberg, und das Verderben von Sachsen; und nach einem jämmerlichen Zuge durch die in Trümmern liegende Stadt, während welchem er mehreremal, ohne ihn zu vermissen, den Helm verlor, den ihm ein Ritter von hinten wieder aufsetzte, erreichte man endlich das Gefängnis, wo er in einem Turm, unter dem Schutz einer starken Wache, verschwand. Mittlerweile setzte die Rückkehr
des Eilboten, mit der
kurfürstlichen
Resolution, die Stadt in neue
Besorgnis. Der Landvogt, der wohl einsah, daß eine Resolution dieser Art, das Volk keinesweges beruhigen konnte: denn nicht nur, daß mehrere kleine Vorteile, die der Roßhändler, an verschiedenen Punkten, vor der Stadt erfochten, über die Stärke, zu der er herangewachsen, äußerst unangenehme Gerüchte verbreiteten; der Krieg, den er, in der Finsternis der Nacht, durch verkleidetes Gesindel, mit Pech, Stroh und Schwefel führte, hätte, unerhört und beispiellos, wie er war, selbst einen größeren Schutz, als mit welchem der Prinz von Meißen heranrückte, unwirksam machen können: der Landvogt, nach einer kurzen Überlegung, entschloß sich, die Resolution, die er empfangen, ganz und gar zu unterdrücken. Er plackte bloß einen Brief, in welchem ihm der Prinz von Meißen seine Ankunft meldete, an die Ecken der Stadt an; ein verdeckter Wagen, der, beim Anbruch des Tages, aus dem Hofe des Herrenzwingers kam, fuhr, von vier schwer bewaffneten Reutern begleitet, auf die Straße nach Leipzig hinaus, wobei die Reuter, auf eine unbestimmte Art verlauten ließen, daß es nach der Pleißenburg gehe; und da das Volk über den heillosen Junker, an dessen Dasein Feuer und Schwert gebunden, dergestalt beschwichtigt war, brach er selbst, mit einem Haufen von dreihundert Mann, auf, um sich mit dem Prinzen Friedrich von Meißen zu vereinigen. Inzwischen war Kohlhaas in der Tat, durch die sonderbare Stellung, die er in der Welt einnahm, auf hundert und neun Köpfe herangewachsen; und da er auch in Jassen einen Vorrat an Waffen aufgetrieben, und seine Schar, auf das vollständigste, damit ausgerüstet hatte: so faßte er, von dem doppelten Ungewitter, das auf ihn heranzog, benachrichtigt, den Entschluß, demselben, mit der Schnelligkeit des Sturmwinds, ehe es über ihn zusammenschlüge, zu begegnen. Demnach griff er schon, Tags darauf, den Prinzen von Meißen, in einem nächtlichen Überfall, bei Mühlberg an; bei welchem Gefechte er zwar, zu seinem großen Leidwesen, den Herse einbüßte, der gleich durch die ersten Schüsse an seiner Seite zusammenstürzte: durch diesen Verlust erbittert aber, in einem drei Stunden langen Kampfe, den Prinzen, unfähig sich in dem Flecken zu sammeln, so zurichtete, daß er beim Anbruch des Tages, mehrerer schweren Wunden, und einer gänzlichen Unordnung seines Haufens wegen, genötigt war, den Rückweg nach Dresden einzuschlagen. Durch diesen Vorteil tollkühn gemacht, wandte
er sich,
ehe derselbe noch davon unterrichtet sein konnte, zu dem Landvogt zurück,
fiel ihn bei dem Dorfe Damerow, am hellen Mittag, auf freiem Felde an,
und schlug sich, unter mörderischem Verlust zwar, aber mit gleichen
Vorteilen, bis in die sinkende Nacht mit ihm herum. Er nannte sich in dem Mandat, das er, bei dieser Gelegenheit, ausstreute, »einen Statthalter Michaels, des Erzengels, der gekommen sei, an allen, die in dieser Streitsache des Junkers Partei ergreifen würden, mit Feuer und Schwert, die Arglist, in welcher die ganze Welt versunken sei, zu bestrafen«. Dabei rief er, von dem Lützner Schloß aus, das er überrumpelt, und worin er sich festgesetzt hatte, das Volk auf, sich zur Errichtung einer besseren Ordnung der Dinge, an ihn anzuschließen; und das Mandat war, mit einer Art von Verrückung, unterzeichnet: »Gegeben auf dem Sitz unserer provisorischen Weltregierung, dem Erzschlosse zu Lützen.« Das Glück der Einwohner von Leipzig wollte, daß das Feuer, wegen eines anhaltenden Regens der vom Himmel fiel, nicht um sich griff, dergestalt, daß bei der Schnelligkeit der bestehenden Löschanstalten, nur einige Kramläden, die um die Pleißenburg lagen, in Flammen aufloderten. Gleichwohl war die Bestürzung in der Stadt, über das Dasein des rasenden Mordbrenners, und den Wahn, in welchem derselbe stand, daß der Junker in Leipzig sei, unaussprechlich; und da ein Haufen von hundert und achtzig Reisigen, den man gegen ihn ausschickte, zersprengt in die Stadt zurückkam: so blieb dem Magistrat, der den Reichtum der Stadt nicht aussetzen wollte, nichts anderes übrig, als die Tore gänzlich zu sperren, und die Bürgerschaft Tag und Nacht, außerhalb der Mauern, wachen zu lassen. Vergebens ließ der Magistrat, auf den Dörfern der umliegenden Gegend, Deklarationen anheften, mit der bestimmten Versicherung, daß der Junker nicht in der Pleißenburg sei; der Roßkamm, in ähnlichen Blättern, bestand darauf, daß er in der Pleißenburg sei, und erklärte, daß, wenn derselbe nicht darin befindlich wäre, er mindestens verfahren würde, als ob er darin wäre, bis man ihm den Ort, mit Namen genannt, werde angezeigt haben, worin er befindlich sei. Der
Kurfürst, durch einen Eilboten, von der Not, in welcher sich die Stadt
Leipzig befand, benachrichtigt, erklärte, daß er bereits einen
Heerhaufen von zweitausend Mann zusammenzöge, und sich selbst an dessen
Spitze setzen würde, um den Kohlhaas zu fangen. |
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cap. XV (Reclam S. 40) | |||||||||||||||||||
Unter
diesen Umständen
übernahm der
Doktor Martin Luther
das Geschäft, den
Kohlhaas, durch die Kraft beschwichtigender Worte, von dem Ansehn, das
ihm seine Stellung in der Welt gab, unterstützt, in den Damm der
menschlichen Ordnung zurückzudrücken, und auf ein tüchtiges Element
in der Brust des Mordbrenners bauend, erließ er ein Plakat folgenden
Inhalts an ihn, das in allen Städten und Flecken des Kurfürstentums
angeschlagen ward:
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cap. XVI (Reclam S. 41) | |||||||||||||||||||
Kohlhaas
wälzte eben, auf dem Schlosse zu Lützen, einen
neuen Plan, Leipzig
einzuäschern,
in seiner zerrissenen Brust
herum: - denn auf die, in den
Dörfern angeschlagene Nachricht, daß der Junker Wenzel in Dresden sei,
gab er nichts, weil sie von niemand, geschweige denn vom Magistrat, wie
er verlangt hatte, unterschrieben war: - als Sternbald und Waldmann das
Plakat, das, zur Nachtzeit, an den Torweg des Schlosses, angeschlagen
worden war, zu ihrer großen Bestürzung, bemerkten.
Vergebens hofften sie, durch mehrere Tage, daß Kohlhaas, den sie nicht gern deshalb antreten wollten, es erblicken würde; finster und in sich gekehrt, in der Abendstunde erschien er zwar, aber bloß, um seine kurzen Befehle zu geben, und sah nichts: dergestalt, daß sie an einem Morgen, da er ein paar Knechte, die in der Gegend, wider seinen Willen, geplündert hatten, aufknöpfen lassen wollte, den Entschluß faßten, ihn darauf aufmerksam zu machen. Eben kam
er, während das Volk von beiden Seiten
schüchtern auswich, in dem
Aufzuge, der ihm, seit seinem letzten
Mandat, gewöhnlich war, von dem Richtplatz zurück,
ein großes
Cherubsschwert, auf einem rotledernen Kissen, mit Quasten von Gold
verziert, ward ihm vorangetragen, und zwölf Knechte, mit brennenden
Fackeln folgten ihm,
da traten die beiden Männer, ihre Schwerter unter
dem Arm, so, daß es ihn befremden mußte, um den Pfeiler, an welchen
das Plakat angeheftet war, herum. Mehr als dieser wenigen Worte bedurfte es nicht, um ihn, in der ganzen Verderblichkeit, in der er dastand, plötzlich zu entwaffnen. Er warf sich in die Verkleidung eines thüringischen Landpächters; sagte Sternbald, daß ein Geschäft, von bedeutender Wichtigkeit, ihn nach Wittenberg zu reisen nötige; übergab ihm, in Gegenwart einiger der vorzüglichsten Knechte, die Anführung des in Lützen zurückbleibenden Haufens; und zog, unter der Versicherung, daß er in drei Tagen, binnen welcher Zeit kein Angriff zu fürchten sei, wieder zurück sein werde, nach Wittenberg ab. |
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cap. XVII (Reclam S. 43) | |||||||||||||||||||
Er
kehrte, unter einem fremden Namen, in ein Wirtshaus ein, wo er, sobald
die Nacht angebrochen war, in seinem Mantel, und mit einem Paar Pistolen
versehen, die er in der Tronkenburg erbeutet hatte, zu Luthern ins
Zimmer trat.
Luther, der unter Schriften und Büchern an seinem Pulte saß, und den fremden, besonderen Mann die Tür öffnen und hinter sich verriegeln sah, fragte ihn: wer er sei? und was er wolle? und der Mann, der seinen Hut ehrerbietig in der Hand hielt, hatte nicht sobald, mit dem schüchternen Vorgefühl des Schreckens, den er verursachen würde, erwidert: daß er Michael Kohlhaas, der Roßhändler sei; als Luther schon: weiche fern hinweg! ausrief, und indem er, vom Pult erstehend, nach einer Klingel eilte, hinzusetzte: dein Odem ist Pest und deine Nähe Verderben! Kohlhaas, indem er, ohne sich vom Platz zu regen, sein Pistol zog, sagte: Hochwürdiger Herr, dies Pistol, wenn Ihr die Klingel rührt, streckt mich leblos zu Euren Füßen nieder! Setzt Euch und hört mich an; unter den Engeln, deren Psalmen Ihr aufschreibt, seid Ihr nicht sicherer, als bei mir. Luther, indem er sich niedersetzte, fragte: was
willst du? »Heilloser
und entsetzlicher Mann!« rief Luther, durch diese Worte verwirrt
zugleich und beruhigt: »wer gab dir das Recht, den Junker von Tronka,
in Verfolg eigenmächtiger Rechtsschlüsse, zu überfallen, und da du
ihn auf seiner Burg nicht fandst mit Feuer und Schwert die ganze
Gemeinschaft heimzusuchen, die ihn beschirmt?«
Wer hat dir den
Schutz
der Gesetze
versagt? rief Luther. Schrieb ich dir nicht, daß die Klage,
die du eingereicht, dem Landesherrn, dem du sie eingereicht, fremd ist? Wohlan, versetzte Kohlhaas, wenn mich der Landesherr nicht verstößt, so kehre ich auch wieder in die Gemeinschaft, die er beschirmt, zurück. Verschafft mir, ich wiederhol es, freies Geleit nach Dresden: so lasse ich den Haufen, den ich im Schloß zu Lützen versammelt, auseinander gehen, und bringe die Klage, mit der ich abgewiesen worden bin, noch einmal bei dem Tribunal des Landes vor. - Luther, mit einem verdrießlichen Gesicht, warf die
Papiere, die auf seinem Tisch lagen, übereinander, und schwieg. Luther sagte:
rasender, unbegreiflicher und entsetzlicher
Mensch!
und sah ihn an. Luther sagte: schau
her,
was du forderst, wenn anders die Umstände so sind, wie die öffentliche
Stimme hören läßt, ist gerecht;
und hättest du den Streit, bevor du
eigenmächtig zur Selbstrache geschritten, zu des Landesherrn
Entscheidung zu bringen gewußt, so wäre dir deine Forderung, zweifle
ich nicht, Punkt vor Punkt bewilligt worden.
Kohlhaas antwortete:
kann sein!
indem er ans Fenster trat:
kann sein, auch nicht!
Luther
sagte, indem er, unter mancherlei Gedanken, wieder zu seinen Papieren
griff:
er wolle mit dem Kurfürsten seinethalben in Unterhandlung
treten.
Und damit stand er auf, und machte Anstalt, ihn zu entlassen. Kohlhaas meinte, daß seine Fürsprache
ihn über diesen Punkt völlig beruhige; worauf Luther ihn mit der Hand
grüßte, jener aber plötzlich ein Knie vor ihm senkte und sprach: er
habe
noch eine Bitte auf seinem Herzen.
Zu Pfingsten nämlich, wo er an
den Tisch des Herrn zu gehen pflege, habe er die Kirche, dieser seiner
kriegerischen Unternehmungen wegen, versäumt; ob er die Gewogenheit
haben wolle, ohne weitere Vorbereitung,
seine Beichte
zu empfangen, und
ihm, zur Auswechselung dagegen, die
Wohltat des heiligen Sakraments
zu
erteilen? Bei diesen Worten kehrte ihm Luther, mit einem mißvergnüglichen Blick, den Rücken zu, und zog die Klingel. Kohlhaas, während, dadurch herbeigerufen, ein Famulus sich mit Licht in dem Vorsaal meldete, stand betreten, indem er sich die Augen trocknete, vom Boden auf; und da der Famulus vergebens, weil der Riegel vorgeschoben war, an der Türe wirkte, Luther aber sich wieder zu seinen Papieren niedergesetzt hatte: so machte Kohlhaas dem Mann die Türe auf. Luther, mit einem kurzen, auf den fremden Mann gerichteten Seitenblick, sagte dem Famulus: leuchte! worauf dieser, über den Besuch, den er erblickte, ein wenig befremdet, den Hausschlüssel von der Wand nahm, und sich, auf die Entfernung desselben wartend, unter die halboffene Tür des Zimmers zurückbegab. - Kohlhaas sprach, indem er seinen Hut bewegt zwischen
beide Hände nahm: und so kann ich, hochwürdigster Herr, der Wohltat
versöhnt zu werden, die ich mir von Euch erbat, nicht teilhaftig
werden? Und damit
winkte er dem Famulus, das Geschäft, das er ihm aufgetragen, ohne
weiteren Aufschub, abzumachen. |
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cap. XVIII (Reclam S. 48) | |||||||||||||||||||
Am
anderen Morgen
erließ Luther ein
Sendschreiben
an den
Kurfürsten von Sachsen, worin er, nach einem bitteren Seitenblick auf die seine Person
umgebenden Herren Hinz und Kunz, Kämmerer und Mundschenk von Tronka,
welche die Klage, wie allgemein bekannt war, untergeschlagen hatten, dem
Herrn, mit der Freimütigkeit, die ihm eigen war, eröffnete, daß bei
so ärgerlichen Umständen,
nichts anderes zu tun übrig sei, als den
Vorschlag des Roßhändlers anzunehmen, und ihm des Vorgefallenen wegen,
zur Erneuerung seines Prozesses,
Amnestie
zu erteilen. Die öffentliche Meinung, bemerkte er, sei auf eine höchst gefährliche Weise, auf dieses Mannes Seite, dergestalt, daß selbst in dem dreimal von ihm eingeäscherten Wittenberg, eine Stimme zu seinem Vorteil spreche; und da er sein Anerbieten, falls er damit abgewiesen werden sollte, unfehlbar, unter gehässigen Bemerkungen, zur Wissenschaft des Volks bringen würde, so könne dasselbe leicht in dem Grade verführt werden, daß mit der Staatsgewalt gar nichts mehr gegen ihn auszurichten sei. Er schloß, daß man, in diesem außerordentlichen Fall, über die Bedenklichkeit, mit einem Staatsbürger, der die Waffen ergriffen, in Unterhandlung zu treten, hinweggehen müsse; daß derselbe in der Tat durch das Verfahren, das man gegen ihn beobachtet, auf gewisse Weise außer der Staatsverbindung gesetzt worden sei; und kurz, daß man ihn, um aus dem Handel zu kommen, mehr als eine fremde, in das Land gefallene Macht, wozu er sich auch, da er ein Ausländer sei, gewissermaßen qualifiziere, als einen Rebellen, der sich gegen den Thron auflehne, betrachten müsse. - Der Kurfürst erhielt diesen Brief eben, als der Prinz Christiern von Meißen, Generalissimus des Reichs, Oheim des bei Mühlberg geschlagenen und an seinen Wunden noch daniederliegenden Prinzen Friedrich von Meißen; der Großkanzler des Tribunals, Graf Wrede; Graf Kallheim, Präsident der Staatskanzlei; und die beiden Herren Hinz und Kunz von Tronka, dieser Kämmerer, jener Mundschenk, die Jugendfreunde und Vertrauten des Herrn, in dem Schlosse gegenwärtig waren. Der Kämmerer,
Herr Kunz, der, in der Qualität eines Geheimenrats, des Herrn geheime
Korrespondenz, mit der Befugnis, sich seines Namens und Wappens zu
bedienen, besorgte, nahm zuerst das Wort, und nachdem er noch einmal
weitläufig auseinander gelegt hatte, daß er die Klage, die der Roßhändler
gegen den Junker, seinen Vetter, bei dem Tribunal eingereicht,
nimmermehr durch eine eigenmächtige Verfügung niedergeschlagen haben würde,
wenn er sie nicht, durch falsche Angaben verführt, für eine völlig
grundlose und nichtsnutzige Plackerei gehalten hätte,
kam er auf die
gegenwärtige Lage der Dinge. Der
Großkanzler des Tribunals, Graf Wrede, äußerte,
halb zu ihm gewandt, sein Bedauern, daß eine so zarte Sorgfalt, als er,
bei der Auflösung dieser allerdings mißlichen Sache, für den Ruhm des
Herrn zeige, ihn nicht, bei der ersten Veranlassung derselben, erfüllt
hätte. Der
Prinz Christiern von Meißen, auf die Frage des
Herrn, was er davon halte? äußerte, mit Verehrung gegen den Großkanzler
gewandt: die Denkungsart, die er an den Tag lege, erfülle ihn zwar mit
dem größesten Respekt; indem er aber dem Kohlhaas zu seinem Recht
verhelfen wolle, bedenke er nicht daß er Wittenberg und Leipzig, und
das ganze durch ihn mißhandelte Land, in seinem gerechten Anspruch auf
Schadenersatz, oder wenigstens Bestrafung, beeinträchtige. Der Kämmerer, indem er für ihn und den Kurfürsten Stühle von der Wand nahm, und auf eine verbindliche Weise ins Zimmer setzte, sagte: er freue sich, daß ein Mann von seiner Rechtschaffenheit und Einsicht mit ihm in dem Mittel, diese Sache zweideutiger Art beizulegen, übereinstimme. Der
Prinz, indem er den
Stuhl, ohne sich zu setzen, in der Hand hielt, und ihn ansah,
versicherte ihn: daß er gar nicht Ursache hätte sich deshalb zu
freuen, indem die damit verbundene Maßregel notwendig die wäre, einen
Verhaftungsbefehl vorher gegen ihn zu erlassen, und wegen Mißbrauchs
des landesherrlichen Namens den Prozeß zu machen. Der Kurfürst, den der Junker bei diesen Worten betroffen ansah, wandte sich, indem er über das ganze Gesicht rot ward, und trat ans Fenster. Der
Graf Kallheim, nach einer verlegenen
Pause von allen Seiten, sagte, daß man auf diese Weise aus dem
Zauberkreise, in dem man befangen, nicht herauskäme. Der
Mundschenk, Herr Hinz von Tronka, während der Kurfürst mit ungewissen Blicken an seinen Tisch
trat, nahm das Wort und sagte:
er begriffe nicht, wie der Staatsbeschluß,
der zu fassen sei, Männern von solcher Weisheit, als hier versammelt wären,
entgehen könne.
Der Kurfürst, da der Prinz sowohl als der Großkanzler dem Mundschenk, Herrn Hinz, auf diese Rede mit einem bloßen Blick antworteten, und die Verhandlung mithin geschlossen schien, sagte: daß er die verschiedenen Meinungen, die sie ihm vorgetragen, bis zur nächsten Sitzung des Staatsrats bei sich selbst überlegen würde. - Es schien, die Präliminar-Maßregel, deren der Prinz gedacht, hatte seinem für Freundschaft sehr empfänglichen Herzen die Lust benommen, den Heereszug gegen den Kohlhaas, zu welchem schon alles vorbereitet war, auszuführen. Wenigstens behielt er den Großkanzler, Grafen Wrede, dessen Meinung ihm die zweckmäßigste schien, bei sich zurück; und da dieser ihm Briefe vorzeigte, aus welchen hervorging, daß der Roßhändler in der Tat schon zu einer Stärke von vierhundert Mann herangewachsen sei; ja, bei der allgemeinen Unzufriedenheit, die wegen der Unziemlichkeiten des Kämmerers im Lande herrschte, in kurzem auf eine doppelte und dreifache Stärke rechnen könne: so entschloß sich der Kurfürst, ohne weiteren Anstand, den Rat, den ihm der Doktor Luther erteilt, anzunehmen. Dem gemäß übergab er dem Grafen Wrede die ganze Leitung der Kohlhaasischen Sache; und schon nach wenigen Tagen erschien ein Plakat, das wir, dem Hauptinhalt nach, folgendermaßen mitteilen: |
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cap. XIX (Reclam S. 52) | |||||||||||||||||||
»Wir etc, etc. Kurfürst von Sachsen, erteilen, in besonders gnädiger Rücksicht auf die an Uns ergangene Fürsprache des Doktors Martin Luther, dem Michael Kohlhaas, Roßhändler aus dem Brandenburgischen, unter der Bedingung, binnen drei Tagen nach Sicht die Waffen, die er ergriffen, niederzulegen, behufs einer erneuerten Untersuchung seiner Sache, freies Geleit nach Dresden; dergestalt zwar, daß, wenn derselbe, wie nicht zu erwarten, bei dem Tribunal zu Dresden mit seiner Klage, der Rappen wegen, abgewiesen werden sollte, gegen ihn, seines eigenmächtigen Unternehmens wegen, sich selbst Recht zu verschaffen, mit der ganzen Strenge des Gesetzes verfahren werden solle; im entgegengesetzten Fall aber, ihm mit seinem ganzen Haufen, Gnade für Recht bewilligt, und völlige Amnestie, seiner in Sachsen ausgeübten Gewalttätigkeiten wegen, zugestanden sein solle.« |
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cap. XX (Reclam S. 53) | |||||||||||||||||||
Kohlhaas
hatte nicht sobald, durch den Doktor Luther, ein Exemplar dieses in
allen Plätzen des Landes angeschlagenen Plakats erhalten, als er, so
bedingungsweise auch die darin geführte Sprache war,
seinen ganzen
Haufen schon, mit Geschenken, Danksagungen und zweckmäßigen
Ermahnungen auseinander gehen ließ.
Er legte alles, was er an Geld, Waffen und Gerätschaften erbeutet haben mochte, bei den Gerichten zu Lützen, als kurfürstliches Eigentum, nieder; und nachdem er den Waldmann mit Briefen, wegen Wiederkaufs seiner Meierei, wenn es möglich sei, an den Amtmann nach Kohlhaasenbrück, und den Sternbald zur Abholung seiner Kinder, die er wieder bei sich zu haben wünschte, nach Schwerin geschickt hatte, verließ er das Schloß zu Lützen, und ging, unerkannt, mit dem Rest seines kleinen Vermögens, das er in Papieren bei sich trug, nach Dresden. |
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cap. XXI (Reclam S. 53) | |||||||||||||||||||
Der
Tag brach eben an, und die ganze Stadt schlief noch, als er an die Tür
der kleinen, in der Pirnaischen Vorstadt gelegenen Besitzung, die ihm
durch die Rechtschaffenheit des Amtmanns übrig geblieben war,
anklopfte, und
Thomas, dem alten, die Wirtschaft führenden Hausmann,
der ihm mit Erstaunen und Bestürzung aufmachte, sagte: er möchte dem
Prinzen von Meißen auf dem Gubernium melden, daß er, Kohlhaas der Roßhändler,
da wäre.
Der Prinz von Meißen, der auf diese Meldung für zweckmäßig hielt, augenblicklich sich selbst von dem Verhältnis, in welchem man mit diesem Mann stand, zu unterrichten, fand, als er mit einem Gefolge von Rittern und Troßknechten bald darauf erschien, in den Straßen, die zu Kohlhaasens Wohnung führten, schon eine unermeßliche Menschenmenge versammelt. Die Nachricht, daß der Würgengel da sei, der die Volksbedrücker mit Feuer und Schwert verfolgte, hatte ganz Dresden, Stadt und Vorstadt, auf die Beine gebracht; man mußte die Haustür vor dem Andrang des neugierigen Haufens verriegeln, und die Jungen kletterten an den Fenstern heran, um den Mordbrenner, der darin frühstückte, in Augenschein zu nehmen. Sobald der
Prinz, mit Hülfe der ihm Platz
machenden Wache, ins Haus gedrungen, und in Kohlhaasens Zimmer getreten
war, fragte er diesen, welcher halb entkleidet an einem Tische stand:
ob
er Kohlhaas, der Roßhändler, wäre?
worauf Kohlhaas, indem er eine
Brieftasche mit mehreren über sein Verhältnis lautenden Papieren aus
seinem Gurt nahm, und ihm ehrerbietig überreichte, antwortete: ja! und
hinzusetzte:
er finde sich nach Auflösung seines Kriegshaufens, der ihm
erteilten landesherrlichen Freiheit gemäß, in Dresden ein, um seine
Klage, der Rappen wegen, gegen den Junker Wenzel von Tronka vor Gericht
zu bringen.
Inzwischen, sagte
der Prinz, nach einer Pause, indem er ans Fenster trat, und mit großen
Augen das Volk, das vor dem Hause versammelt war, überschaute: du wirst
auf die ersten Tage eine Wache annehmen müssen, die dich, in deinem
Hause sowohl, als wenn du ausgehst, schütze! - - |
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cap. XXII (Reclam S. 55) | |||||||||||||||||||
Gegen
Mittag begab sich Kohlhaas, von seinen drei Landsknechten begleitet,
unter dem Gefolge einer unabsehbaren Menge, die ihm aber auf keine
Weise, weil sie durch die Polizei gewarnt war, etwas zu Leide tat,
zu
dem Großkanzler des Tribunals, Grafen Wrede.
Der Großkanzler, der ihn mit Milde und Freundlichkeit in seinem Vorgemach empfing, unterhielt sich während zwei ganzer Stunden mit ihm, und nachdem er sich den ganzen Verlauf der Sache, von Anfang bis zu Ende, hatte erzählen lassen, wies er ihn, zur unmittelbaren Abfassung und Einreichung der Klage, an einen, bei dem Gericht angestellten, berühmten Advokaten der Stadt. Kohlhaas, ohne weiteren Verzug, verfügte sich in dessen Wohnung; und nachdem die Klage, ganz der ersten niedergeschlagenen gemäß, auf Bestrafung des Junkers nach den Gesetzen, Wiederherstellung der Pferde in den vorigen Stand, und Ersatz seines Schadens sowohl, als auch dessen, den sein bei Mühlberg gefallener Knecht Herse erlitten hatte, zu Gunsten der alten Mutter desselben, aufgesetzt war, begab er sich wieder, unter Begleitung des ihn immer noch angaffenden Volks, nach Hause zurück, wohl entschlossen, es anders nicht, als nur wenn notwendige Geschäfte ihn riefen, zu verlassen. |
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cap. XXIII (Reclam S. 55) | |||||||||||||||||||
Inzwischen
war
auch der Junker seiner Haft in Wittenberg entlassen,
und nach
Herstellung von einer gefährlichen Rose, die seinen Fuß entzündet
hatte, von dem Landesgericht unter peremtorischen Bedingungen
aufgefordert worden, sich zur Verantwortung auf die von dem Roßhändler
Kohlhaas gegen ihn eingereichte Klage, wegen widerrechtlich abgenommener
und zu Grunde gerichteter Rappen, in Dresden zu stellen.
Die
Gebrüder Kämmerer
und Mundschenk von Tronka, Lehnsvettern des Junkers, in deren Hause er
abtrat, empfingen ihn mit der größesten Erbitterung und Verachtung;
sie
nannten ihn einen Elenden und Nichtswürdigen, der Schande und
Schmach über die ganze Familie bringe,
kündigten ihm an, daß er
seinen Prozeß nunmehr unfehlbar verlieren würde, und forderten ihn
auf, nur gleich zur Herbeischaffung der Rappen, zu deren Dickfütterung
er, zum Hohngelächter der Welt, verdammt werden werde, Anstalt zu
machen. Am andern Tage schrieben die Herren Hinz und Kunz, die in der Gegend der eingeäscherten Tronkenburg Güter besaßen, auf Ansuchen des Junkers, ihres Vetters, weil doch nichts anders übrig blieb, an ihre dort befindlichen Verwalter und Pächter, um Nachricht über die an jenem unglücklichen Tage abhanden gekommenen und seitdem gänzlich verschollenen Rappen einzuziehn. Aber alles, was sie bei der gänzlichen Verwüstung des Platzes, und der Niedermetzelung fast aller Einwohner, erfahren konnten, war, daß ein Knecht sie, von den flachen Hieben des Mordbrenners getrieben, aus dem brennenden Schuppen, in welchem sie standen, gerettet, nachher aber auf die Frage, wo er sie hinführen, und was er damit anfangen solle, von dem grimmigen Wüterich einen Fußtritt zur Antwort erhalten habe. Die alte, von der Gicht geplagte Haushälterin des Junkers, die sich nach Meißen geflüchtet hatte, versicherte demselben, auf eine schriftliche Anfrage, daß der Knecht sich, am Morgen jener entsetzlichen Nacht, mit den Pferden nach der brandenburgischen Grenze gewandt habe; doch alle Nachfragen, die man daselbst anstellte, waren vergeblich, und es schien dieser Nachricht ein Irrtum zum Grunde zu liegen, indem der Junker keinen Knecht hatte, der im Brandenburgischen, oder auch nur auf der Straße dorthin, zu Hause war. Männer aus Dresden, die wenige Tage nach dem Brande der Tronkenburg in Wilsdruf gewesen waren, sagten aus, daß um die benannte Zeit ein Knecht mit zwei an der Halfter gehenden Pferden dort angekommen, und die Tiere, weil sie sehr elend gewesen wären, und nicht weiter fort gekonnt hätten, im Kuhstall eines Schäfers, der sie wieder hätte aufbringen wollen, stehen gelassen hätte. Es schien mancherlei Gründe wegen sehr wahrscheinlich, daß dies die in Untersuchung stehenden Rappen waren; aber der Schäfer aus Wilsdruf hatte sie, wie Leute, die dorther kamen, versicherten, schon wieder, man wußte nicht an wen, verhandelt; und ein drittes Gerücht, dessen Urheber unentdeckt blieb, sagte gar aus, daß die Pferde bereits in Gott verschieden, und in der Knochengrube zu Wilsdruf begraben wären. Die Herren Hinz und Kunz, denen diese Wendung der Dinge, wie man leicht begreift, die erwünschteste war, indem sie dadurch, bei des Junkers ihres Vetters Ermangelung eigener Ställe, der Notwendigkeit, die Rappen in den ihrigen aufzufüttern, überhoben waren, wünschten gleichwohl, völliger Sicherheit wegen, diesen Umstand zu bewahrheiten. Herr Wenzel von Tronka erließ demnach, als Erb-, Lehns- und Gerichtsherr, ein Schreiben an die Gerichte zu Wilsdruf, worin er dieselben, nach einer weitläufigen Beschreibung der Rappen, die, wie er sagte, ihm anvertraut und durch einen Unfall abhanden gekommen wären, dienstfreundlichst ersuchte, den dermaligen Aufenthalt derselben zu erforschen, und den Eigner, wer er auch sei, aufzufordern und anzuhalten, sie, gegen reichliche Wiedererstattung aller Kosten, in den Ställen des Kämmerers, Herrn Kunz, zu Dresden abzuliefern. Dem gemäß erschien auch wirklich, wenige Tage darauf, der Mann an den sie der Schäfer aus Wilsdruf verhandelt hatte, und führte sie, dürr und wankend, an die Runge seines Karrens gebunden, auf den Markt der Stadt; das Unglück aber Herrn Wenzels, und noch mehr des ehrlichen Kohlhaas wollte, daß es der Abdecker aus Döbbeln war. |
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cap. XXIV (Reclam S. 58) | |||||||||||||||||||
Sobald
Herr Wenzel, in Gegenwart des Kämmerers, seines Vetters, durch ein
unbestimmtes Gerücht vernommen hatte, daß ein Mann mit zwei schwarzen
aus dem Brande der Tronkenburg entkommenen Pferden in der Stadt
angelangt sei, begaben sich beide, in Begleitung einiger aus dem Hause
zusammengerafften Knechte, auf den Schloßplatz, wo er stand, um sie
demselben, falls es die dem Kohlhaas zugehörigen wären, gegen
Erstattung der Kosten abzunehmen, und nach Hause zu führen.
Aber wie betreten waren die Ritter, als sie bereits einen, von Augenblick zu Augenblick sich vergrößernden Haufen von Menschen, den das Schauspiel herbeigezogen, um den zweirädrigen Karren, an dem die Tiere befestigt waren, erblickten; unter unendlichem Gelächter einander zurufend, daß die Pferde schon, um derenthalben der Staat wanke, an den Schinder gekommen wären! Der Junker, der um den Karren herumgegangen war, und die jämmerlichen Tiere, die alle Augenblicke sterben zu wollen schienen, betrachtet hatte, sagte verlegen: das wären die Pferde nicht, die er dem Kohlhaas abgenommen; doch Herr Kunz, der Kämmerer, einen Blick sprachlosen Grimms voll auf ihn werfend, der, wenn er von Eisen gewesen wäre, ihn zerschmettert hätte, trat, indem er seinen Mantel, Orden und Kette entblößend, zurückschlug, zu dem Abdecker heran, und fragte ihn: ob das die Rappen wären, die der Schäfer von Wilsdruf an sich gebracht, und der Junker Wenzel von Tronka, dem sie gehörten, bei den Gerichten daselbst requiriert hätte? Der
Abdecker, der, einen Eimer
Wasser in der Hand, beschäftigt war, einen dicken, wohlbeleibten Gaul,
der seinen Karren zog, zu tränken, sagte: »die schwarzen?« - Der
Kämmerer, der, von den Blicken der hohnlachenden Menge umstellt, den
Kerl, der mit empfindungslosem Eifer seine Geschäfte betrieb, nicht
bewegen konnte, daß er ihn ansah, sagte: daß er der
Kämmerer, Kunz
von Tronka, wäre; die Rappen aber, die er an sich bringen solle, müßten
dem Junker, seinem Vetter, gehören; von einem Knecht, der bei
Gelegenheit des Brandes aus der Tronkenburg entwichen, an den Schäfer
zu Wilsdruf gekommen, und ursprünglich zwei dem Roßhändler Kohlhaas
zugehörige Pferde sein! Der Abdecker, der sich an den Wagen gestellt und sein Wasser
abgeschlagen hatte, sagte: »er wäre mit den Rappen nach Dresden
bestellt, um in dem Hause derer von Tronka sein Geld dafür zu
empfangen. Was er da vorbrächte, verstände er nicht; und ob sie, vor
dem Schweinehirten aus Hainichen, Peter oder Paul besessen hätte, oder
der Schäfer aus Wilsdruf, gelte ihm, da sie nicht gestohlen wären,
gleich.« Der Kämmerer, der auf der Welt Gottes nicht wußte, was er mit Pferden, die der Schweinehirte von Hainichen an den Schinder in Döbbeln verkauft, machen solle, falls es nicht diejenigen wären, auf welchen der Teufel durch Sachsen ritt, forderte den Junker auf, ein Wort zu sprechen; doch da dieser mit bleichen, bebenden Lippen erwiderte: das Ratsamste wäre, daß man die Rappen kaufe, sie möchten dem Kohlhaas gehören oder nicht: so trat der Kämmerer, Vater und Mutter, die ihn geboren, verfluchend, indem er sich den Mantel zurückschlug, gänzlich unwissend, was er zu tun oder zu lassen habe, aus dem Haufen des Volks zurück. Er rief den Freiherrn von Wenk, einen Bekannten, der über die Straße ritt, zu sich heran, und trotzig, den Platz nicht zu verlassen, eben weil das Gesindel höhnisch auf ihn einblickte, und, mit vor dem Mund zusammengedrückten Schnupftüchern, nur auf seine Entfernung zu warten schien, um loszuplatzen, bat er ihn, bei dem Großkanzler, Grafen Wrede, abzusteigen, und durch dessen Vermittelung den Kohlhaas zur Besichtigung der Rappen herbeizuschaffen. Es traf sich, daß Kohlhaas eben, durch einen Gerichtsboten herbeigerufen, in dem Gemach des Großkanzlers, gewisser, die Deposition in Lützen betreffenden Erläuterungen wegen, die man von ihm bedurfte, gegenwärtig war, als der Freiherr, in der eben erwähnten Absicht, zu ihm ins Zimmer trat; und während der Großkanzler sich mit einem verdrießlichen Gesicht vom Sessel erhob, und den Roßhändler, dessen Person jenem unbekannt war, mit den Papieren, die er in der Hand hielt, zur Seite stehen ließ, stellte der Freiherr ihm die Verlegenheit, in welcher sich die Herren von Tronka befanden, vor.
Der Großkanzler, indem er sich
eine Brille von der Nase nahm, sagte: daß
er in einem doppelten Irrtum
stünde;
einmal, wenn er glaube, daß der in Rede stehende Umstand
anders nicht, als durch eine Okular-Inspektion des Kohlhaas auszumitteln
sei; und dann, wenn er sich einbilde, er, der Kanzler, sei befugt, den
Kohlhaas durch eine Wache, wohin es dem Junker beliebe, abführen zu
lassen. Kohlhaas, der mit keiner Miene, was in seiner Seele vorging, zu erkennen gab, sagte: daß er bereit wäre, ihm zur Besichtigung der Rappen, die der Abdecker in die Stadt gebracht, auf den Markt zu folgen. Er trat, während der Freiherr sich betroffen zu ihm umkehrte, wieder an den Tisch des Großkanzlers heran, und nachdem er demselben noch, aus den Papieren seiner Brieftasche, mehrere, die Deposition in Lützen betreffende Nachrichten gegeben hatte, beurlaubte er sich von ihm; der Freiherr, der, über das ganze Gesicht rot, ans Fenster getreten war, empfahl sich ihm gleichfalls; und beide gingen, begleitet von den drei durch den Prinzen von Meißen eingesetzten Landsknechten, unter dem Troß einer Menge von Menschen, nach dem Schloßplatz hin. Der
Kämmerer, Herr Kunz, der
inzwischen den Vorstellungen mehrerer Freunde, die sich um ihn
eingefunden hatten, zum Trotz, seinen Platz, dem Abdecker von Döbbeln
gegenüber, unter dem Volke behauptet hatte, trat, sobald der Freiherr
mit dem Roßhändler erschien, an den letzteren heran, und fragte ihn,
indem er sein Schwert, mit Stolz und Ansehen, unter dem Arm hielt: ob
die Pferde, die hinter dem Wagen stünden, die seinigen wären? Und damit, indem er sich in dem ganzen Kreise der Herren umsah, rückte er den Hut noch einmal, und begab sich, von seiner Wache begleitet, wieder von dem Platz hinweg. Bei diesen Worten trat der Kämmerer, mit einem raschen, seinen Helmbusch erschütternden Schritt zu dem Abdecker heran, und warf ihm einen Beutel mit Geld zu; und während dieser sich, den Beutel in der Hand, mit einem bleiernen Kamm die Haare über die Stirn zurückkämmte, und das Geld betrachtete, befahl er einem Knecht, die Pferde abzulösen und nach Hause zu führen! Der
Knecht, der auf den Ruf
des Herrn, einen Kreis von Freunden und Verwandten, die er unter dem
Volke besaß, verlassen hatte, trat auch, in der Tat, ein wenig rot im
Gesicht, über eine große Mistpfütze, die sich zu ihren Füßen
gebildet hatte, zu den Pferden heran; doch kaum hatte er ihre Halftern
erfaßt, um sie loszubinden, als ihn Meister
Himboldt, sein
Vetter,
schon beim Arm ergriff, und mit den Worten: du rührst die Schindmähren
nicht an! von dem Karren hinwegschleuderte. Der Kämmerer, der, vor Wut schäumend, den Meister auf
einen Augenblick betrachtet hatte, kehrte sich um, und rief über die Häupter
der Ritter, die ihn umringten, hinweg, nach der Wache; Er verklagte den Meister, indem er ihn bei der Brust faßte: daß er seinen, die Rappen auf seinen Befehl losbindenden Knecht von dem Karren hinweggeschleudert und mißhandelt hätte. Der Meister,
indem er den Kämmerer mit einer geschickten Wendung, die ihn befreiete,
zurückwies, sagte: gnädigster Herr! einem Burschen von zwanzig Jahren
bedeuten, was er zu tun hat, heißt nicht, ihn verhetzen!
Bei diesen Worten wandte sich der Kämmerer zu dem Knecht herum, und
fragte ihn: ob er irgend Anstand nähme, seinen Befehl zu erfüllen, und
die Pferde, die dem Kohlhaas gehörten, loszubinden, und nach Hause zu führen?
und da dieser schüchtern, indem er sich unter die Bürger mischte,
erwiderte:
die Pferde müßten erst ehrlich gemacht werden,
bevor man
ihm das zumute; Vergebens rief der Junker Wenzel, indem er sich aus dem Tumult rettete, den Rittern zu, seinem Vetter beizuspringen; ehe sie noch einen Schritt dazu getan hatten, waren sie schon von dem Andrang des Volks zerstreut, dergestalt, daß der Kämmerer, der sich den Kopf beim Fallen verletzt hatte, der ganzen Wut der Menge preisgegeben war. Nichts, als die Erscheinung eines Trupps berittener Landsknechte, die zufällig über den Platz zogen, und die der Offizier der kurfürstlichen Trabanten zu seiner Unterstützung herbeirief, konnte den Kämmerer retten. Der Offizier, nachdem er den Haufen verjagt, ergriff den wütenden Meister, und während derselbe durch einige Reuter nach dem Gefängnis gebracht ward, hoben zwei Freunde den unglücklichen mit Blut bedeckten Kämmerer vom Boden auf, und führten ihn nach Hause. Einen so heillosen Ausgang nahm der wohlgemeinte und redliche Versuch, dem Roßhändler wegen des Unrechts, das man ihm zugefügt, Genugtuung zu verschaffen. Der Abdecker von Döbbeln, dessen Geschäft abgemacht war, und der sich nicht länger aufhalten wollte, band, da sich das Volk zu zerstreuen anfing, die Pferde an einen Laternenpfahl, wo sie, den ganzen Tag über, ohne daß sich jemand um sie bekümmerte, ein Spott der Straßenjungen und Tagediebe, stehen blieben; dergestalt, daß in Ermangelung aller Pflege und Wartung die Polizei sich ihrer annehmen mußte, und gegen Einbruch der Nacht den Abdecker von Dresden herbeirief, um sie, bis auf weitere Verfügung, auf der Schinderei vor der Stadt zu besorgen. |
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cap. XXV (Reclam S. 64) | |||||||||||||||||||
Dieser
Vorfall, so wenig der Roßhändler ihn in der Tat verschuldet hatte,
erweckte gleichwohl, auch bei den Gemäßigtern und Besseren,
eine, dem
Ausgang seiner Streitsache höchst gefährliche Stimmung im Lande.
Man fand das Verhältnis desselben zum Staat ganz unerträglich, und in Privathäusern und auf öffentlichen Plätzen, erhob sich die Meinung, daß es besser sei, ein offenbares Unrecht an ihm zu verüben, und die ganze Sache von neuem niederzuschlagen, als ihm Gerechtigkeit, durch Gewalttaten ertrotzt, in einer so nichtigen Sache, zur bloßen Befriedigung seines rasenden Starrsinns, zukommen zu lassen. Zum völligen Verderben des armen Kohlhaas mußte der Großkanzler selbst, aus übergroßer Rechtlichkeit, und einem davon herrührenden Haß gegen die Familie von Tronka, beitragen, diese Stimmung zu befestigen und zu verbreiten. Es war höchst unwahrscheinlich, daß die Pferde, die der Abdecker von Dresden jetzt besorgte, jemals wieder in den Stand, wie sie aus dem Stall zu Kohlhaasenbrück gekommen waren, hergestellt werden würden; doch gesetzt, daß es durch Kunst und anhaltende Pflege möglich gewesen wäre: die Schmach, die zufolge der bestehenden Umstände, dadurch auf die Familie des Junkers fiel, war so groß, daß bei dem staatsbürgerlichen Gewicht, den sie, als eine der ersten und edelsten, im Lande hatte, nichts billiger und zweckmäßiger schien, als eine Vergütigung der Pferde in Geld einzuleiten. Gleichwohl, auf einen Brief, in welchem der Präsident, Graf Kallheim, im Namen des Kämmerers, den seine Krankheit abhielt, dem Großkanzler, einige Tage darauf, diesen Vorschlag machte, erließ derselbe zwar ein Schreiben an den Kohlhaas, worin er ihn ermahnte, einen solchen Antrag, wenn er an ihn ergehen sollte, nicht von der Hand zu weisen; den Präsidenten selbst aber bat er, in einer kurzen, wenig verbindlichen Antwort, ihn mit Privataufträgen in dieser Sache zu verschonen, und forderte den Kämmerer auf, sich an den Roßhändler selbst zu wenden, den er ihm als einen sehr billigen und bescheidenen Mann schilderte. Der
Roßhändler, dessen Wille, durch den Vorfall, der
sich auf dem Markt zugetragen, in der Tat gebrochen war, wartete auch
nur, dem Rat des Großkanzlers gemäß, auf eine Eröffnung von Seiten
des Junkers, oder seiner Angehörigen, um ihnen mit völliger
Bereitwilligkeit und Vergebung alles Geschehenen, entgegenzukommen;
Der Kurfürst, nachdem er den Brief
gelesen hatte, fragte den Grafen Kallheim verlegen: ob das Tribunal
nicht befugt sei, ohne weitere Rücksprache mit dem Kohlhaas, auf den
Umstand, daß die Pferde nicht wieder herzustellen wären, zu fußen,
und dem gemäß das Urteil, gleich, als ob sie tot wären, auf bloße
Vergütigung derselben in Geld abzufassen? |
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cap. XXVI (Reclam S. 66) | |||||||||||||||||||
So
standen die Sachen in Dresden,
als sich über
den armen
Kohlhaas,
noch
ein anderes, bedeutenderes Gewitter,
von Lützen her, zusammenzog,
dessen Strahl die arglistigen Ritter geschickt genug waren, auf das unglückliche
Haupt desselben herabzuleiten.
Johann Nagelschmidt
nämlich, einer von
den durch den Roßhändler zusammengebrachten, und nach Erscheinung der
kurfürstlichen Amnestie wieder abgedankten Knechten, hatte für gut
befunden, wenige Wochen nachher, an der böhmischen Grenze, einen Teil
dieses zu allen Schandtaten aufgelegten Gesindels von neuem
zusammenzuraffen, und das Gewerbe, auf dessen Spur ihn Kohlhaas geführt
hatte, auf seine eigne Hand fortzusetzen. |
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Die
Ritter, sobald die ersten
Nachrichten davon nach Dresden kamen, konnten ihre Freude über diesen,
dem ganzen Handel eine andere Gestalt gebenden Vorfall nicht unterdrücken. Sie erinnerten mit weisen und mißvergnügten Seitenblicken an den Mißgriff, den man begangen, indem man dem Kohlhaas, ihren dringenden und wiederholten Warnungen zum Trotz, Amnestie erteilt, gleichsam als hätte man die Absicht gehabt Bösewichtern aller Art dadurch, zur Nachfolge auf seinem Wege, das Signal zu geben; und nicht zufrieden, dem Vorgeben des Nagelschmidt, zur bloßen Aufrechthaltung und Sicherheit seines unterdrückten Herrn die Waffen ergriffen zu haben, Glauben zu schenken, äußerten sie sogar die bestimmte Meinung, daß die ganze Erscheinung desselben nichts, als ein von dem Kohlhaas angezetteltes Unternehmen sei, um die Regierung in Furcht zu setzen, und den Fall des Rechtsspruchs, Punkt vor Punkt, seinem rasenden Eigensinn gemäß, durchzusetzen und zu beschleunigen. Ja, der Mundschenk, Herr Hinz, ging so weit, einigen Jagdjunkern und Hofherren, die sich nach der Tafel im Vorzimmer des Kurfürsten um ihn versammelt hatten, die Auflösung des Räuberhaufens in Lützen als eine verwünschte Spiegelfechterei darzustellen; und indem er sich über die Gerechtigkeitsliebe des Großkanzlers sehr lustig machte, erwies er aus mehreren witzig zusammengestellten Umständen, daß der Haufen, nach wie vor, noch in den Wäldern des Kurfürstentums vorhanden sei, und nur auf den Wink des Roßhändlers warte, um daraus von neuem mit Feuer und Schwert hervorzubrechen. Der Prinz Christiern von Meißen, über diese Wendung der Dinge, die seines Herrn Ruhm auf die empfindlichste Weise zu beflecken drohete, sehr mißvergnügt, begab sich sogleich zu demselben aufs Schloß; und das Interesse der Ritter, den Kohlhaas, wenn es möglich wäre, auf den Grund neuer Vergehungen zu stürzen, wohl durchschauend, bat er sich von demselben die Erlaubnis aus, unverzüglich ein Verhör über den Roßhändler anstellen zu dürfen. Der Roßhändler, nicht ohne Befremden, durch einen Häscher in das Gubernium abgeführt, erschien, den Heinrich und Leopold, seine beiden kleinen Knaben auf dem Arm; denn Sternbald, der Knecht, war Tags zuvor mit seinen fünf Kindern aus dem Mecklenburgischen, wo sie sich aufgehalten hatten, bei ihm angekommen, und Gedanken mancherlei Art, die zu entwickeln zu weitläufig sind, bestimmten ihn, die Jungen, die ihn bei seiner Entfernung unter dem Erguß kindischer Tränen darum baten, aufzuheben, und in das Verhör mitzunehmen. Der Prinz, nachdem er die Kinder, die Kohlhaas neben sich niedergesetzt hatte, wohlgefällig betrachtet und auf eine freundliche Weise nach ihrem Alter und Namen gefragt hatte, eröffnete ihm, was der Nagelschmidt, sein ehemaliger Knecht, sich in den Tälern des Erzgebirges für Freiheiten herausnehme; und indem er ihm die sogenannten Mandate desselben überreichte, forderte er ihn auf, dagegen vorzubringen, was er zu seiner Rechtfertigung vorzubringen wüßte. Der
Roßhändler, so schwer er auch
in der Tat über diese schändlichen und verräterischen Papiere
erschrak, hatte gleichwohl, einem so rechtschaffenen Manne, als der
Prinz war, gegenüber,
wenig Mühe, die Grundlosigkeit der gegen ihn auf
die Bahn gebrachten Beschuldigungen, befriedigend auseinander zu legen.
Kohlhaas, auf seinen von dem Prinzen angenommenen Vorschlag, setzte sich nieder, und erließ ein Sendschreiben an den Nagelschmidt, worin er das Vorgeben desselben zur Aufrechthaltung der an ihm und seinen Haufen gebrochenen Amnestie aufgestanden zu sein, für eine schändliche und ruchlose Erfindung erklärte; ihm sagte, daß er bei seiner Ankunft in Dresden weder eingesteckt, noch einer Wache übergeben, auch seine Rechtssache ganz so, wie er es wünsche, im Fortgang sei; und ihn wegen der, nach Publikation der Amnestie im Erzgebirge ausgeübten Mordbrennereien, zur Warnung des um ihn versammelten Gesindels, der ganzen Rache der Gesetze preis gab. Dabei wurden einige Fragmente der Kriminalverhandlung, die der Roßhändler auf dem Schlosse zu Lützen, in Bezug auf die oben erwähnten Schändlichkeiten, über ihn hatte anstellen lassen, zur Belehrung des Volks über diesen nichtsnutzigen, schon damals dem Galgen bestimmten, und, wie schon erwähnt, nur durch das Patent das der Kurfürst erließ, geretteten Kerl, angehängt. Dem gemäß beruhigte der Prinz den Kohlhaas über den Verdacht, den man ihm, durch die Umstände notgedrungen, in diesem Verhör habe äußern müssen; versicherte ihn, daß so lange er in Dresden wäre, die ihm erteilte Amnestie auf keine Weise gebrochen werden solle; reichte den Knaben noch einmal, indem er sie mit Obst, das auf seinem Tische stand, beschenkte, die Hand, grüßte den Kohlhaas und entließ ihn. Der
Großkanzler,
der gleichwohl die
Gefahr, die über den Roßhändler schwebte,
erkannte,
tat sein Äußerstes, um die Sache desselben, bevor sie durch
neue Ereignisse verwickelt und verworren würde, zu Ende zu bringen; Kohlhaas, der inzwischen von dem wackern Amtmann zu Kohlhaasenbrück seine Meierei, gegen eine geringe Vergütigung des dabei gehabten Schadens, käuflich wieder erlangt hatte, wünschte, wie es scheint wegen gerichtlicher Abmachung dieses Geschäfts, Dresden auf einige Tage zu verlassen, und in diese seine Heimat zu reisen; ein Entschluß, an welchem gleichwohl, wie wir nicht zweifeln, weniger das besagte Geschäft, so dringend es auch in der Tat, wegen Bestellung der Wintersaat, sein mochte, als die Absicht unter so sonderbaren und bedenklichen Umständen seine Lage zu prüfen, Anteil hatte: zu welchem vielleicht auch noch Gründe anderer Art mitwirkten, die wir jedem, der in seiner Brust Bescheid weiß, zu erraten überlassen wollen. Demnach verfügte er sich, mit Zurücklassung der Wache, die ihm zugeordnet war, zum Großkanzler, und eröffnete ihm, die Briefe des Amtmanns in der Hand: daß er willens sei, falls man seiner, wie es den Anschein habe, bei dem Gericht nicht notwendig bedürfe, die Stadt zu verlassen, und auf einen Zeitraum von acht oder zwölf Tagen, binnen welcher Zeit er wieder zurück zu sein versprach, nach dem Brandenburgischen zu reisen. Der Großkanzler, indem er mit einem mißvergnügten und bedenklichen Gesichte zur Erde sah, versetzte: er müsse gestehen, daß seine Anwesenheit grade jetzt notwendiger sei als jemals, indem das Gericht wegen arglistiger und winkelziehender Einwendungen der Gegenpart, seiner Aussagen und Erörterungen, in tausenderlei nicht vorherzusehenden Fällen, bedürfe; doch da Kohlhaas ihn auf seinen, von dem Rechtsfall wohl unterrichteten Advokaten verwies, und mit bescheidener Zudringlichkeit, indem er sich auf acht Tage einzuschränken versprach, auf seine Bitte beharrte, so sagte der Großkanzler nach einer Pause kurz, indem er ihn entließ: »er hoffe, daß er sich deshalb Pässe, bei dem Prinzen Christiern von Meißen, ausbitten würde.« - - Kohlhaas, der sich auf das Gesicht des Großkanzlers gar wohl verstand, setzte sich, in seinem Entschluß nur bestärkt, auf der Stelle nieder, und bat, ohne irgend einen Grund anzugeben, den Prinzen von Meißen, als Chef des Guberniums, um Pässe auf acht Tage nach Kohlhaasenbrück, und zurück. Auf dieses Schreiben erhielt er eine, von dem Schloßhauptmann, Freiherrn Siegfried von Wenk, unterzeichnete Gubernial-Resolution, des Inhalts: »sein Gesuch um Pässe nach Kohlhaasenbrück werde des Kurfürsten Durchlaucht vorgelegt werden, auf dessen höchster Bewilligung, sobald sie eingingen ihm die Pässe zugeschickt werden würden.« Auf die Erkundigung Kohlhaasens bei seinem Advokaten, wie es zuginge, daß die Gubernial-Resolution von einem Freiherrn Siegfried von Wenk, und nicht von dem Prinzen Christiern von Meißen, an den er sich gewendet, unterschrieben sei, erhielt er zur Antwort: daß der Prinz vor drei Tagen auf seine Güter gereist, und die Gubernialgeschäfte während seiner Abwesenheit dem Schloßhauptmann Freiherrn Siegfried von Wenk, einem Vetter des oben erwähnten Herren gleiches Namens, übergeben worden wären. - Kohlhaas, dem das Herz unter allen diesen Umständen unruhig zu klopfen anfing, harrte durch mehrere Tage auf die Entscheidung seiner, der Person des Landesherrn mit befremdender Weitläufigkeit vorgelegten Bitte; doch es verging eine Woche, und es verging mehr, ohne daß weder diese Entscheidung einlief, noch auch das Rechtserkenntnis, so bestimmt man es ihm auch verkündigt hatte, bei dem Tribunal gefällt ward: dergestalt, daß er am zwölften Tage, fest entschlossen, die Gesinnung der Regierung gegen ihn, sie möge sein, welche man wolle, zur Sprache zu bringen, sich niedersetzte, und das Gubernium von neuem in einer dringenden Vorstellung um die erforderten Pässe bat. Aber wie
betreten war er, als er am Abend des folgenden, gleichfalls ohne die
erwartete Antwort verstrichenen Tages, mit einem Schritt, den er
gedankenvoll, in Erwägung seiner Lage, und besonders der ihm von dem
Doktor Luther ausgewirkten Amnestie, an das Fenster seines Hinterstübchens
tat, in dem kleinen, auf dem Hofe befindlichen Nebengebäude, das er ihr
zum Aufenthalte angewiesen hatte,
die Wache nicht erblickte, die ihm bei
seiner Ankunft der Prinz von Meißen eingesetzt hatte.
Nachdem
er noch, unter dem
Vorwande, ein Geschirr auszugießen, den vordern Fensterladen eröffnet,
und sich von der Wahrheit des Umstands, den ihm der Alte entdeckt, überzeugt
hatte: denn
eben ward sogar in geräuschloser Ablösung die Wache
erneuert,
an welche Maßregel bisher, so lange die Einrichtung bestand,
noch niemand gedacht hatte: so legte er sich, wenig schlaflustig
allerdings, zu Bette, und sein Entschluß war für den kommenden Tag
sogleich gefaßt. Demnach ließ er, sobald der Morgen des nächsten Tages anbrach, durch Sternbald, seinen Knecht, den Wagen anspannen und vorführen, um wie er vorgab, zu dem Verwalter nach Lockewitz zu fahren, der ihn, als ein alter Bekannter, einige Tage zuvor in Dresden gesprochen und eingeladen hatte, ihn einmal mit seinen Kindern zu besuchen. Die Landsknechte, welche mit zusammengesteckten Köpfen, die dadurch veranlaßten Bewegungen im Hause wahrnahmen, schickten einen aus ihrer Mitte heimlich in die Stadt, worauf binnen wenigen Minuten ein Gubernial-Offiziant an der Spitze mehrerer Häscher erschien, und sich, als ob er daselbst ein Geschäft hätte, in das gegenüberliegende Haus begab. Kohlhaas der mit der Ankleidung seiner Knaben beschäftigt, diese Bewegungen gleichfalls bemerkte, und den Wagen absichtlich länger, als eben nötig gewesen wäre, vor dem Hause halten ließ, trat, sobald er die Anstalten der Polizei vollendet sah, mit seinen Kindern, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, vor das Haus hinaus; und während er dem Troß der Landsknechte, die unter der Tür standen, im Vorübergehen sagte, daß sie nicht nötig hätten, ihm zu folgen, hob er die Jungen in den Wagen und küßte und tröstete die kleinen weinenden Mädchen, die, seiner Anordnung gemäß, bei der Tochter des alten Hausmanns zurückbleiben sollten. Kaum hatte
er selbst den Wagen bestiegen, als der
Gubernial-Offiziant mit seinem Gefolge von Häschern, aus dem gegenüberliegenden
Hause, zu ihm herantrat, und ihn fragte: wohin er wolle? Der Offiziant versicherte ihn,
daß die Befehle des Schloßhauptmanns, Freiherrn von Wenk, der in
diesem Augenblick Chef der Polizei sei, ihm die unausgesetzte Beschützung
seiner Person zur Pflicht mache; und
bat ihn, falls er sich die
Begleitung nicht gefallen lassen wolle, selbst auf das Gubernium zu
gehen, um den Irrtum, der dabei obwalten müsse, zu berichtigen.
Es traf sich, daß der Schloßhauptmann, Freiherr Wenk eben mit der Besichtigung einer Bande, am Abend zuvor eingebrachter Nagelschmidtscher Knechte, die man in der Gegend von Leipzig aufgefangen hatte, beschäftigt war, und die Kerle über manche Dinge, die man gern von ihnen gehört hätte, von den Rittern, die bei ihm waren, befragt wurden, als der Roßhändler mit seiner Begleitung zu ihm in den Saal trat. Der Freiherr, sobald er den Roßhändler erblickte, ging, während die Ritter plötzlich still wurden, und mit dem Verhör der Knechte einhielten, auf ihn zu, und fragte ihn: was er wolle? und da der Roßkamm ihm auf ehrerbietige Weise sein Vorhaben, bei dem Verwalter in Lockewitz zu Mittag zu speisen, und den Wunsch, die Landsknechte deren er dabei nicht bedürfe zurücklassen zu dürfen, vorgetragen hatte, antwortete der Freiherr, die Farbe im Gesicht wechselnd, indem er eine andere Rede zu verschlucken schien: »er würde wohl tun, wenn er sich still in seinem Hause hielte, und den Schmaus bei dem Lockewitzer Amtmann vor der Hand noch aussetzte.« - Dabei wandte er sich, das ganze Gespräch zerschneidend, dem Offizianten zu, und sagte ihm: »daß es mit dem Befehl, den er ihm, in Bezug auf den Mann gegeben, sein Bewenden hätte, und daß derselbe anders nicht, als in Begleitung sechs berittener Landsknechte die Stadt verlassen dürfe.« - Kohlhaas fragte: ob er ein Gefangener wäre, und ob er glauben solle, daß die ihm feierlich, vor den Augen der ganzen Welt angelobte Amnestie gebrochen sei? worauf der Freiherr sich plötzlich glutrot im Gesichte zu ihm wandte, und, indem er dicht vor ihn trat, und ihm in das Auge sah, antwortete: ja! ja! ja! - ihm den Rücken zukehrte, ihn stehen ließ, und wieder zu den Nagelschmidtschen Knechten ging. Hierauf verließ Kohlhaas den Saal, und ob er schon einsah, daß er sich das einzige Rettungsmittel, das ihm übrig blieb, die Flucht, durch die Schritte die er getan, sehr erschwert hatte, so lobte er sein Verfahren gleichwohl, weil er sich nunmehr auch seinerseits von der Verbindlichkeit den Artikeln der Amnestie nachzukommen, befreit sah. Er ließ, da er zu Hause kam, die Pferde ausspannen, und begab sich, in Begleitung des Gubernial-Offizianten, sehr traurig und erschüttert in sein Zimmer; und während dieser Mann auf eine dem Roßhändler Ekel erregende Weise, versicherte, daß alles nur auf einem Mißverständnis beruhen müsse, das sich in Kurzem lösen würde, verriegelten die Häscher, auf seinen Wink, alle Ausgänge der Wohnung die auf den Hof führten; wobei der Offiziant ihm versicherte, daß ihm der vordere Haupteingang nach wie vor, zu seinem beliebigen Gebrauch offen stehe. |
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cap. XXVII (Reclam S. 76) | |||||||||||||||||||
Inzwischen
war der Nagelschmidt in den Wäldern des Erzgebirgs, durch Häscher und
Landsknechte von allen Seiten so gedrängt worden, daß er bei dem gänzlichen
Mangel an Hülfsmitteln, eine Rolle der Art, wie er sie übernommen,
durchzuführen,
auf den Gedanken verfiel, den
Kohlhaas in der Tat ins
Interesse zu ziehen;
und da er von der Lage seines Rechtsstreits in
Dresden durch einen Reisenden, der die Straße zog, mit ziemlicher
Genauigkeit unterrichtet war: so glaubte er, der offenbaren Feindschaft,
die unter ihnen bestand, zum Trotz, den Roßhändler bewegen zu können,
eine neue Verbindung mit ihm einzugehen.
Demnach schickte er einen Knecht, mit einem, in kaum leserlichem Deutsch abgefaßten Schreiben an ihn ab, des Inhalts:
Nun hatte der, mit diesem Brief beauftragte Kerl das Unglück, in einem Dorf dicht vor Dresden, in Krämpfen häßlicher Art, denen er von Jugend auf unterworfen war, niederzusinken; bei welcher Gelegenheit der Brief, den er im Brustlatz trug, von Leuten, die ihm zu Hülfe kamen, gefunden, er selbst aber, sobald er sich erholt, arretiert, und durch eine Wache unter Begleitung vielen Volks, auf das Gubernium transportiert ward. Sobald der Schloßhauptmann von Wenk diesen Brief gelesen hatte, verfügte er sich unverzüglich zum Kurfürsten aufs Schloß, wo er die Herren Kunz und Hinz, welcher ersterer von seinen Wunden wieder hergestellt war, und den Präsidenten der Staatskanzelei, Grafen Kallheim, gegenwärtig fand. Die Herren waren der Meinung, daß der Kohlhaas ohne weiteres arretiert, und ihm, auf den Grund geheimer Einverständnisse mit dem Nagelschmidt, der Prozeß gemacht werden müsse; indem sie bewiesen, daß ein solcher Brief nicht, ohne daß frühere auch von Seiten des Roßhändlers vorangegangen, und ohne daß überhaupt eine frevelhafte und verbrecherische Verbindung, zu Schmiedung neuer Greuel, unter ihnen statt finden sollte, geschrieben sein könne. Der Kurfürst weigerte sich standhaft, auf den Grund bloß dieses Briefes, dem Kohlhaas das freie Geleit, das er ihm angelobt, zu brechen; er war vielmehr der Meinung, daß eine Art von Wahrscheinlichkeit aus dem Briefe des Nagelschmidt hervorgehe, daß keine frühere Verbindung zwischen ihnen statt gefunden habe; und alles, wozu er sich, um hierüber aufs Reine zu kommen, auf den Vorschlag des Präsidenten, obschon nach großer Zögerung entschloß, war, den Brief durch den von dem Nagelschmidt abgeschickten Knecht, gleichsam als ob derselbe nach wie vor frei sei, an ihn abgeben zu lassen, und zu prüfen, ob er ihn beantworten würde. Dem gemäß ward der Knecht, den man in ein Gefängnis gesteckt hatte, am andern Morgen auf das Gubernium geführt, wo der Schloßhauptmann ihm den Brief wieder zustellte, und ihn unter dem Versprechen, daß er frei sein, und die Strafe die er verwirkt, ihm erlassen sein solle, aufforderte, das Schreiben, als sei nichts vorgefallen, dem Roßhändler zu übergeben; zu welcher List schlechter Art sich dieser Kerl auch ohne weiteres gebrauchen ließ, und auf scheinbar geheimnisvolle Weise, unter dem Vorwand, daß er Krebse zu verkaufen habe, womit ihn der Gubernial-Offiziant, auf dem Markte, versorgt hatte, zu Kohlhaas ins Zimmer trat. Kohlhaas, der den Brief, während die Kinder mit den Krebsen spielten, las, würde den Gauner gewiß unter andern Umständen beim Kragen genommen, und den Landsknechten, die vor seiner Tür standen, überliefert haben; doch da bei der Stimmung der Gemüter auch selbst dieser Schritt noch einer gleichgültigen Auslegung fähig war, und er sich vollkommen überzeugt hatte, daß nichts auf der Welt ihn aus dem Handel, in dem er verwickelt war, retten konnte: so sah er dem Kerl, mit einem traurigen Blick, in sein ihm wohlbekanntes Gesicht, fragte ihn, wo er wohnte, und beschied ihn, in einigen Stunden, wieder zu sich, wo er ihm, in Bezug auf seinen Herrn, seinen Beschluß eröffnen wolle. Er hieß dem Sternbald, der zufällig in die Tür trat, dem Mann, der im Zimmer war, etliche Krebse abkaufen; und nachdem dies Geschäft abgemacht war, und beide sich ohne einander zu kennen, entfernt hatten, setzte er sich nieder und schrieb einen Brief folgenden Inhalts an den Nagelschmidt:
Diesen Brief, als der Knecht gegen Abend kam, überlieferte er ihm; beschenkte ihn selbst reichlich, und schärfte ihm ein, denselben wohl in acht zu nehmen. - Seine Absicht war mit seinen fünf Kindern nach Hamburg zu gehen, und sich von dort nach der Levante oder nach Ostindien, oder so weit der Himmel über andere Menschen, als die er kannte, blau war, einzuschiffen: denn die Dickfütterung der Rappen hatte seine, von Gram sehr gebeugte Seele auch unabhängig von dem Widerwillen, mit dem Nagelschmidt deshalb gemeinschaftliche Sache zu machen, aufgegeben. - Kaum hatte der Kerl diese Antwort dem Schloßhauptmann überbracht, als der Großkanzler abgesetzt, der Präsident, Graf Kallheim, an dessen Stelle, zum Chef des Tribunals ernannt, und Kohlhaas, durch einen Kabinettsbefehl des Kurfürsten arretiert, und schwer mit Ketten beladen in die Stadttürme gebracht ward. Man machte ihm auf den Grund dieses Briefes , der an alle Ecken der Stadt angeschlagen ward, den Prozeß; und da er vor den Schranken des Tribunals auf die Frage, ob er die Handschrift anerkenne, dem Rat, der sie ihm vorhielt, antwortete: »ja!« zur Antwort aber auf die Frage, ob er zu seiner Verteidigung etwas vorzubringen wisse, indem er den Blick zur Erde schlug, erwiderte, »nein!« so ward er verurteilt, mit glühenden Zangen von Schinderknechten gekniffen, gevierteilt, und sein Körper, zwischen Rad und Galgen, verbrannt zu werden. |
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cap. XXVIII (Reclam S. 80) | |||||||||||||||||||
So
standen die Sachen für den armen Kohlhaas in Dresden, als der Kurfürst
von Brandenburg zu seiner Rettung aus den Händen der Übermacht und
Willkür auftrat, und ihn, in einer bei der kurfürstlichen
Staatskanzlei daselbst eingereichten Note, als brandenburgischen
Untertan reklamierte.
Denn der wackere Stadthauptmann, Herr Heinrich von Geusau, hatte ihn, auf einem Spaziergange an den Ufern der Spree, von der Geschichte dieses sonderbaren und nicht verwerflichen Mannes unterrichtet, bei welcher Gelegenheit er von den Fragen des erstaunten Herrn gedrängt, nicht umhin konnte, der Schuld zu erwähnen, die durch die Unziemlichkeiten seines Erzkanzlers, des Grafen Siegfried von Kallheim, seine eigene Person drückte: worüber der Kurfürst schwer entrüstet, den Erzkanzler, nachdem er ihn zur Rede gestellt und befunden, daß die Verwandtschaft desselben mit dem Hause derer von Tronka an allem schuld sei, ohne weiteres, mit mehreren Zeichen seiner Ungnade entsetzte, und den Herrn Heinrich von Geusau zum Erzkanzler ernannte. |
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cap. XXIX (Reclam S. 80) | |||||||||||||||||||
Es
traf sich aber, daß
die Krone Polen grade damals,
indem sie mit dem
Hause Sachsen,
um welchen Gegenstandes willen wissen wir nicht,
im
Streit lag,
den Kurfürsten von Brandenburg, in wiederholten und
dringenden Vorstellungen anging, sich mit ihr in gemeinschaftlicher
Sache gegen das Haus Sachsen zu verbinden;
dergestalt, daß der
Erzkanzler, Herr Geusau, der in solchen Dingen nicht ungeschickt war,
wohl hoffen durfte, den
Wunsch seines Herrn, dem Kohlhaas, es koste was
es wolle, Gerechtigkeit zu verschaffen,
zu erfüllen, ohne die Ruhe des
Ganzen auf eine mißlichere Art, als die Rücksicht auf einen einzelnen
erlaubt, aufs Spiel zu setzen.
Demnach forderte der Erzkanzler nicht nur wegen gänzlich willkürlichen, Gott und Menschen mißgefälligen Verfahrens, die unbedingte und ungesäumte Auslieferung des Kohlhaas, um denselben, falls ihn eine Schuld drücke, nach brandenburgischen Gesetzen, auf Klageartikel, die der Dresdner Hof deshalb durch einen Anwalt in Berlin anhängig machen könne, zu richten; sondern er begehrte sogar selbst Pässe für einen Anwalt, den der Kurfürst nach Dresden zu schicken willens sei, um dem Kohlhaas, wegen der ihm auf sächsischem Grund und Boden abgenommenen Rappen und anderer himmelschreienden Mißhandlungen und Gewalttaten halber, gegen den Junker Wenzel von Tronka, Recht zu verschaffen. Der Kämmerer, Herr Kunz, der bei der Veränderung der Staatsämter in Sachsen zum Präsidenten der Staatskanzlei ernannt worden war, und der aus mancherlei Gründen den Berliner Hof, in der Bedrängnis in der er sich befand, nicht verletzen wollte, antwortete im Namen seines über die eingegangene Note sehr niedergeschlagenen Herrn: »daß man sich über die Unfreundschaftlichkeit und Unbilligkeit wundere, mit welcher man dem Hofe zu Dresden das Recht abspreche, den Kohlhaas wegen Verbrechen, die er im Lande begangen, den Gesetzen gemäß zu richten, da doch weltbekannt sei, daß derselbe ein beträchtliches Grundstück in der Hauptstadt besitze, und sich selbst in der Qualität als sächsischen Bürger gar nicht verleugne.« Doch da die Krone Polen bereits zur Ausfechtung ihrer Ansprüche einen Heerhaufen von fünftausend Mann an der Grenze von Sachsen zusammenzog, und der Erzkanzler, Herr Heinrich von Geusau, erklärte: »daß Kohlhaasenbrück, der Ort, nach welchem der Roßhändler heiße, im Brandenburgischen liege, und daß man die Vollstreckung des über ihn ausgesprochenen Todesurteils für eine Verletzung des Völkerrechts halten würde«: so rief der Kurfürst, auf den Rat des Kämmerers, Herrn Kunz selbst, der sich aus diesem Handel zurückzuziehen wünschte, den Prinzen Christiern von Meißen von seinen Gütern herbei, und entschloß sich, auf wenige Worte dieses verständigen Herrn, den Kohlhaas, der Forderung gemäß, an den Berliner Hof auszuliefern. Der Prinz, der obschon mit den Unziemlichkeiten die vorgefallen waren, wenig zufrieden, die Leitung der Kohlhaasischen Sache auf den Wunsch seines bedrängten Herrn, übernehmen mußte, fragte ihn, auf welchen Grund er nunmehr den Roßhändler bei dem Kammergericht zu Berlin verklagt wissen wolle; und da man sich auf den leidigen Brief desselben an den Nagelschmidt, wegen der zweideutigen und unklaren Umstände, unter welchen er geschrieben war, nicht berufen konnte, der früheren Plünderungen und Einäscherungen aber, wegen des Plakats, worin sie ihm vergeben worden waren, nicht erwähnen durfte: so beschloß der Kurfürst, der Majestät des Kaisers zu Wien einen Bericht über den bewaffneten Einfall des Kohlhaas in Sachsen vorzulegen, sich über den Bruch des von ihm eingesetzten öffentlichen Landfriedens zu beschweren, und sie, die allerdings durch keine Amnestie gebunden war, anzuliegen, den Kohlhaas bei dem Hofgericht zu Berlin deshalb durch einen Reichsankläger zur Rechenschaft zu ziehen. Acht Tage darauf ward der Roßkamm durch den Ritter Friedrich von Malzahn, den der Kurfürst von Brandenburg mit sechs Reutern nach Dresden geschickt hatte, geschlossen wie er war, auf einen Wagen geladen, und mit seinen fünf Kindern, die man auf seine Bitte aus Findel- und Waisenhäusern wieder zusammengesucht hatte, nach Berlin transportiert. Es traf sich daß der Kurfürst von Sachsen auf die Einladung des Landdrosts, Grafen Aloysius von Kallheim, der damals an der Grenze von Sachsen beträchtliche Besitzungen hatte, in Gesellschaft des Kämmerers, Herrn Kunz, und seiner Gemahlin, der Dame Heloise, Tochter des Landdrosts und Schwester des Präsidenten, andrer glänzenden Herren und Damen, Jagdjunker und Hofherren, die dabei waren, nicht zu erwähnen, zu einem großen Hirschjagen, das man, um ihn zu erheitern, angestellt hatte, nach Dahme gereist war; dergestalt, daß unter dem Dach bewimpelter Zelte, die quer über die Straße auf einem Hügel erbaut waren, die ganze Gesellschaft vom Staub der Jagd noch bedeckt unter dem Schall einer heitern vom Stamm einer Eiche herschallenden Musik, von Pagen bedient und Edelknaben, an der Tafel saß, als der Roßhändler langsam mit seiner Reuterbedeckung die Straße von Dresden daher gezogen kam. Denn die Erkrankung eines der kleinen, zarten Kinder des Kohlhaas, hatte den Ritter von Malzahn, der ihn begleitete, genötigt, drei Tage lang in Herzberg zurückzubleiben; von welcher Maßregel er, dem Fürsten dem er diente deshalb allein verantwortlich, nicht nötig befunden hatte, der Regierung zu Dresden weitere Kenntnis zu geben. Der
Kurfürst, der mit halboffener Brust, den
Federhut, nach Art der Jäger, mit Tannenzweigen geschmückt, neben der
Dame Heloise saß, die, in Zeiten früherer Jugend, seine erste Liebe
gewesen war, sagte von der Anmut des Festes, das ihn umgaukelte, heiter
gestimmt: Der Landdrost, sobald sich der Kurfürst niedergelassen hatte, schickte unter der Hand nach Dahme, um bei dem Magistrat daselbst die unmittelbare Weiterschaffung des Roßhändlers bewirken zu lassen; doch da der Ritter, wegen bereits zu weit vorgerückter Tageszeit, bestimmt in dem Ort übernachten zu wollen erklärte, so mußte man sich begnügen, ihn in einer dem Magistrat zugehörigen Meierei, die, in Gebüschen versteckt, auf der Seite lag, geräuschlos unterzubringen. |
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cap. XXX (bei Reclam S. 84, Z. 7) | |||||||||||||||||||
Nun
begab es sich, daß
gegen
Abend, da die Herrschaften vom Wein und dem
Genuß eines üppigen Nachtisches zerstreut, den ganzen Vorfall wieder
vergessen hatten, der Landdrost den
Gedanken auf die Bahn brachte, sich
noch einmal, eines Rudels Hirsche wegen, der sich hatte blicken lassen,
auf den Anstand zu stellen;
welchen Vorschlag die ganze Gesellschaft mit
Freuden ergriff, und paarweise nachdem sie sich mit Büchsen versorgt,
über Gräben und Hecken in die nahe Forst eilte: dergestalt, daß der
Kurfürst und die Dame Heloise, die sich, um dem Schauspiel beizuwohnen,
an seinen Arm hing, von einem Boten, den man ihnen zugeordnet hatte,
unmittelbar, zu ihrem Erstaunen, durch den Hof des Hauses geführt
wurden, in welchem Kohlhaas mit den brandenburgischen Reutern befindlich
war.
Die
Dame als sie dies hörte, sagte: »kommt, gnädigster Herr,
kommt!« und versteckte die Kette, die ihm vom Halse herabhing, schäkernd
in seinen seidenen Brustlatz: »laßt uns ehe der Troß nachkommt in die
Meierei schleichen, und den wunderlichen Mann, der darin übernachtet,
betrachten!« Es traf sich daß Kohlhaas eben mit dem Rücken gegen die Wand auf einem Bund Stroh saß, und sein, ihm in Herzberg erkranktes Kind mit Semmel und Milch fütterte, als die Herrschaften, um ihn zu besuchen, in die Meierei traten; und da die Dame ihn, um ein Gespräch einzuleiten, fragte: wer er sei? und was dem Kinde fehle? auch was er verbrochen und wohin man ihn unter solcher Bedeckung abführe? so rückte er seine lederne Mütze vor ihr, und gab ihr auf alle diese Fragen, indem er sein Geschäft fortsetzte, unreichliche aber befriedigende Antwort. Der
Kurfürst,
der hinter den Jagdjunkern stand, und eine kleine bleierne
Kapsel, die
ihm an einem seidenen Faden vom Halse herabhing, bemerkte, fragte ihn,
da sich grade nichts Besseres zur Unterhaltung darbot: was diese zu
bedeuten hätte und was darin befindlich wäre?
Nun!« fuhr Kohlhaas gutmütig fort: »die Wahrheit zu gestehen, hats mir in Dresden, so scharf es herging, das Leben nicht gekostet; und wie es mir in Berlin gehen wird, und ob ich auch dort damit bestehen werde, soll die Zukunft lehren.« - Bei diesen Worten setzte sich der
Kurfürst auf eine Bank;
und ob er schon auf die betretne Frage der Dame: was ihm fehle?
antwortete: nichts, gar nichts! so fiel er doch schon ohnmächtig auf
den Boden nieder, ehe sie noch Zeit hatte ihm beizuspringen, und in ihre
Arme aufzunehmen. Sobald er seiner Sinne mächtig
geworden war, richtete er sich halb im Bette auf, und seine erste Frage
war gleich: wo der Kohlhaas sei?
Der Kämmerer, der Mühe hatte, seine Verlegenheit zu verbergen,
versicherte ihn: daß, falls dieser Zettel einigen Wert für ihn hätte,
nichts auf der Welt notwendiger wäre, als dem Kohlhaas diesen Umstand
zu verschweigen; indem, sobald derselbe durch eine unvorsichtige Äußerung
Kenntnis davon nähme, alle Reichtümer, die er besäße, nicht
hinreichen würden, ihn aus den Händen dieses grimmigen, in seiner
Rachsucht unersättlichen Kerls zu erkaufen. Der
Kurfürst, indem er sich den
Schweiß abtrocknete, fragte: ob man nicht unmittelbar zu diesem Zweck
nach Dahme schicken, und den weiteren Transport des Roßhändlers, vorläufig,
bis man des Blattes, auf welche Weise es sei, habhaft geworden,
einstellen könne? Er fragte ihn, da der
Kurfürst sich schweigend, mit
der Gebärde eines ganz Hoffnungslosen, auf das Kissen zurücklegte: was
denn der Zettel enthalte? und durch welchen Zufall befremdlicher und
unerklärlicher Art ihm, daß der Inhalt ihn betreffe, bekannt sei? Den Jagdjunker, nachdem er ihm die Sache auseinandergelegt, und von der Wichtigkeit des Zettels, in dessen Besitz der Kohlhaas war, unterrichtet hatte, fragte er, ob er sich ein ewiges Recht auf seine Freundschaft erwerben, und ihm den Zettel, noch ehe derselbe Berlin erreicht, verschaffen wolle? und da der Junker, sobald er das Verhältnis nur, sonderbar wie es war, einigermaßen überschaute, versicherte, daß er ihm mit allen seinen Kräften zu Diensten stehe: so trug ihm der Kurfürst auf, dem Kohlhaas nachzureiten, und ihm, da demselben mit Geld wahrscheinlich nicht beizukommen sei, in einer mit Klugheit angeordneten Unterredung, Freiheit und Leben dafür anzubieten, ja ihm, wenn er darauf bestehe, unmittelbar, obschon mit Vorsicht, zur Flucht aus den Händen der brandenburgischen Reuter, die ihn transportierten, mit Pferden, Leuten und Geld an die Hand zu gehen. Der Jagdjunker, nachdem er sich ein Blatt von der Hand des Kurfürsten zur Beglaubigung ausgebeten, brach auch sogleich mit einigen Knechten auf, und hatte, da er den Odem der Pferde nicht sparte, das Glück, den Kohlhaas auf einem Grenzdorf zu treffen, wo derselbe mit dem Ritter von Malzahn und seinen fünf Kindern ein Mittagsmahl, das im Freien vor der Tür eines Hauses angerichtet war, zu sich nahm. Der Ritter von Malzahn, dem der Junker sich als einen Fremden, der bei seiner Durchreise den seltsamen Mann, den er mit sich führe, in Augenschein zu nehmen wünsche, vorstellte, nötigte ihn sogleich auf zuvorkommende Art, indem er ihn mit dem Kohlhaas bekannt machte, an der Tafel nieder; und da der Ritter in Geschäften der Abreise ab und zuging, die Reuter aber an einem, auf des Hauses anderer Seite befindlichen Tisch, ihre Mahlzeit hielten: so traf sich die Gelegenheit bald, wo der Junker dem Roßhändler eröffnen konnte, wer er sei, und in welchen besonderen Aufträgen er zu ihm komme. Der
Roßhändler, der
bereits Rang und Namen dessen, der beim Anblick der in Rede stehenden
Kapsel, in der Meierei zu Dahme in Ohnmacht gefallen war, kannte, und
der zur Krönung des Taumels, in welchen ihn diese Entdeckung versetzt
hatte, nichts bedurfte, als Einsicht in die Geheimnisse des Zettels, den
er, um mancherlei Gründe willen, entschlossen war, aus bloßer
Neugierde nicht zu eröffnen: der Roßhändler sagte, eingedenk der
unedelmütigen und unfürstlichen Behandlung, die er in Dresden, bei
seiner gänzlichen Bereitwilligkeit, alle nur möglichen Opfer zu
bringen, hatte erfahren müssen: »daß er den Zettel behalten wolle.«
Und damit, im Antlitz den Tod, rief er einen Reuter herbei, unter der Aufforderung, ein gutes Stück Essen, das in der Schüssel übrig geblieben war, zu sich zu nehmen; und für den ganzen Rest der Stunde, die er im Flecken zubrachte, für den Junker, der an der Tafel saß, wie nicht vorhanden, wandte er sich erst wieder, als er den Wagen bestieg, mit einem Blick, der ihn abschiedlich grüßte, zu ihm zurück. |
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cap. XXXI (bei Reclam S. 90, Z. 34) | |||||||||||||||||||
Der Zustand des
Kurfürsten, als er
diese Nachricht bekam, verschlimmerte sich
in dem Grade, daß der Arzt,
während drei verhängnisvoller Tage, seines Lebens wegen, das zu
gleicher Zeit, von so vielen Seiten angegriffen ward, in der größesten
Besorgnis war.
Gleichwohl stellte er sich, durch die Kraft seiner natürlichen Gesundheit, nach dem Krankenlager einiger peinlich zugebrachten Wochen wieder her; dergestalt wenigstens, daß man ihn in einen Wagen bringen, und mit Kissen und Decken wohl versehen, nach Dresden zu seinen Regierungsgeschäften wieder zurückführen konnte. Sobald er in dieser
Stadt angekommen war, ließ er den Prinzen Christiern von Meißen rufen,
und fragte denselben: wie es mit der Abfertigung des Gerichtsrats
Eibenmayer stünde, den man, als Anwalt in der Sache des Kohlhaas, nach
Wien zu schicken gesonnen gewesen wäre, um kaiserlicher Majestät
daselbst die Beschwerde wegen gebrochenen, kaiserlichen Landfriedens,
vorzulegen? Der Kurfürst, indem er errötend an seinen Arbeitstisch trat, wunderte sich über diese Eilfertigkeit, indem er seines Wissens erklärt hätte, die definitive Abreise des Eibenmayer, wegen vorher notwendiger Rücksprache mit dem Doktor Luther, der dem Kohlhaas die Amnestie ausgewirkt, einem näheren und bestimmteren Befehl vorbehalten zu wollen. Dabei warf er einige Briefschaften und Akten, die auf dem Tisch lagen, mit dem Ausdruck zurückgehaltenen Unwillens, über einander. Der Prinz, nach einer Pause, in welcher er ihn mit großen
Augen ansah, versetzte, daß es ihm leid täte, wenn er seine
Zufriedenheit in dieser Sache verfehlt habe; inzwischen könne er ihm
den Beschluß des Staatsrats vorzeigen, worin ihm die Abschickung des
Rechtsanwalts, zu dem besagten Zeitpunkt, zur Pflicht gemacht worden wäre. Der
Kurfürst sagte: das Versehen, den Eibenmayer abgeschickt zu haben, wäre
auch in der Tat nicht groß; inzwischen wünsche er, daß derselbe vorläufig,
bis auf weiteren Befehl, in seiner Eigenschaft als Ankläger zu Wien
nicht aufträte, und bat den Prinzen, deshalb das Erforderliche unverzüglich
durch einen Expressen, an ihn zu erlassen. Der Kurfürst, indem er die Klingel zog, sagte: »gleichviel! es hätte nichts zu bedeuten!« und nachdem er sich mit gleichgültigen Fragen: wie es sonst in Dresden stehe? und was in seiner Abwesenheit vorgefallen sei? zu dem Prinzen zurückgewandt hatte: grüßte er ihn, unfähig seinen innersten Zustand zu verbergen, mit der Hand, und entließ ihn. Er forderte ihm
noch an demselben Tage schriftlich, unter dem Vorwande, daß er die
Sache, ihrer politischen Wichtigkeit wegen, selbst bearbeiten wolle, die
sämtlichen Kohlhaasischen Akten ab; und da ihm der Gedanke, denjenigen
zu verderben, von dem er allein über die Geheimnisse des Zettels
Auskunft erhalten konnte, unerträglich war: so verfaßte er einen
eigenhändigen Brief an den Kaiser, worin er ihn auf herzliche und
dringende Weise bat, aus wichtigen Gründen, die er ihm vielleicht in
kurzer Zeit bestimmter auseinander legen würde, die Klage, die der
Eibenmayer gegen den Kohlhaas eingereicht, vorläufig bis auf einen
weitern Beschluß, zurücknehmen zu dürfen.
Dieser Brief
schlug den Kurfürsten
völlig nieder;
und da, zu seiner äußersten
Betrübnis, in einiger Zeit
Privatschreiben
aus Berlin einliefen, in
welchen die Einleitung des Prozesses bei dem Kammergericht gemeldet, und
bemerkt ward,
daß der Kohlhaas
wahrscheinlich, aller Bemühungen des
ihm zugeordneten Advokaten ungeachtet, auf dem Schafott enden werde:
so
beschloß dieser unglückliche Herr noch einen Versuch zu machen, und
bat den Kurfürsten von Brandenburg, in einer eigenhändigen
Zuschrift,
um des Roßhändlers Leben. Der Kurfürst von Brandenburg, dem in dieser
Angabe mancherlei zweideutig und unklar schien, antwortete ihm: »daß
der Nachdruck, mit welchem der Anwalt kaiserlicher Majestät verführe,
platterdings nicht erlaube, dem Wunsch, den er ihm geäußert, gemäß,
von der strengen Vorschrift der Gesetze abzuweichen. Der Kurfürst, aus Gram und Ärger über alle diese mißglückten Versuche,
verfiel in eine neue Krankheit; und da der Kämmerer ihn an einem Morgen
besuchte, zeigte er ihm die Briefe, die er, um dem Kohlhaas das Leben zu
fristen, und somit wenigstens Zeit zu gewinnen, des Zettels, den er besäße,
habhaft zu werden, an den Wiener und Berliner Hof erlassen.
Und damit ließ er die Hand des Kämmerers
fahren; und während er sich den Schweiß abtrocknete, sank er wieder
auf das Lager zurück. Nun traf es sich, daß der Kämmerer, mehrerer beträchtlichen Güter wegen, die seiner Frau aus der Hinterlassenschaft des abgesetzten und bald darauf verstorbenen Erzkanzlers, Grafen Kallheim, in der Neumark zugefallen waren, nach Berlin reisen wollte; dergestalt, daß, da er den Kurfürsten in der Tat liebte, er ihn nach einer kurzen Überlegung fragte: ob er ihm in dieser Sache freie Hand lassen wolle? und da dieser, indem er seine Hand herzlich an seine Brust drückte, antwortete: »denke, du seist ich, und schaff mir den Zettel!« so beschleunigte der Kämmerer, nachdem er seine Geschäfte abgegeben, um einige Tage seine Abreise, und fuhr, mit Zurücklassung seiner Frau, bloß von einigen Bedienten begleitet, nach Berlin ab. |
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cap. XXXII (bei Reclam cap. XXX, S. 99) | |||||||||||||||||||
Kohlhaas,
der inzwischen, wie schon gesagt,
in Berlin angekommen,
und, auf einen
Spezialbefehl des Kurfürsten,
in ein ritterliches Gefängnis gebracht
worden war, das ihn mit seinen fünf Kindern, so bequem als es sich tun
ließ, empfing, war gleich nach Erscheinung des kaiserlichen Anwalts aus
Wien, auf den Grund wegen Verletzung des öffentlichen, kaiserlichen
Landfriedens, vor den Schranken des Kammergerichts zur Rechenschaft
gezogen worden; und ob er schon in seiner Verantwortung einwandte, daß
er wegen seines bewaffneten Einfalls in Sachsen, und der dabei verübten
Gewalttätigkeiten, kraft des mit dem Kurfürsten von Sachsen zu Lützen
abgeschlossenen Vergleichs, nicht belangt werden könne:
so erfuhr er
doch, zu seiner Belehrung, daß des Kaisers Majestät, deren
Anwalt hier
die Beschwerde führe, darauf keine Rücksicht nehmen könne: ließ sich
auch sehr bald, da man ihm die Sache auseinander setzte und erklärte,
wie ihm dagegen von Dresden her, in seiner Sache gegen den Junker Wenzel
von Tronka, völlige Genugtuung widerfahren werde, die Sache gefallen.
Demnach traf es sich, daß grade am Tage der Ankunft des Kämmerers, das Gesetz über ihn sprach, und er verurteilt ward mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht zu werden; ein Urteil, an dessen Vollstreckung gleichwohl, bei der verwickelten Lage der Dinge, seiner Milde ungeachtet, niemand glaubte, ja, das die ganze Stadt, bei dem Wohlwollen das der Kurfürst für den Kohlhaas trug, unfehlbar durch ein Machtwort desselben, in eine bloße, vielleicht beschwerliche und langwierige Gefängnisstrafe verwandelt zu sehen hoffte. Der Kämmerer, der gleichwohl einsah, daß keine Zeit zu verlieren sein möchte, falls der Auftrag, den ihm sein Herr gegeben, in Erfüllung gehen sollte, fing sein Geschäft damit an, sich dem Kohlhaas, am Morgen eines Tages, da derselbe in harmloser Betrachtung der Vorübergehenden, am Fenster seines Gefängnisses stand, in seiner gewöhnlichen Hoftracht, genau und umständlich zu zeigen; und da er, aus einer plötzlichen Bewegung seines Kopfes, schloß, daß der Roßhändler ihn bemerkt hatte, und besonders, mit großem Vergnügen, einen unwillkürlichen Griff desselben mit der Hand auf die Gegend der Brust, wo die Kapsel lag, wahrnahm: so hielt er das, was in der Seele desselben in diesem Augenblick vorgegangen war, für eine hinlängliche Vorbereitung, um in dem Versuch, des Zettels habhaft zu werden, einen Schritt weiter vorzurücken. Er bestellte ein altes, auf Krücken herumwandelndes Trödelweib zu sich, das er in den Straßen von Berlin, unter einem Troß andern, mit Lumpen handelnden Gesindels bemerkt hatte, und das ihm, dem Alter und der Tracht nach, ziemlich mit dem, das ihm der Kurfürst beschrieben hatte, übereinzustimmen schien; und in der Voraussetzung, der Kohlhaas werde sich die Züge derjenigen, die ihm in einer flüchtigen Erscheinung den Zettel überreicht hatte, nicht eben tief eingeprägt haben, beschloß er, das gedachte Weib statt ihrer unterzuschieben, und bei Kohlhaas, wenn es sich tun ließe, die Rolle, als ob sie die Zigeunerin wäre, spielen zu lassen. Dem gemäß, um sie dazu in Stand zu setzen, unterrichtete er sie umständlich von allem, was zwischen dem Kurfürsten und der gedachten Zigeunerin in Jüterbock vorgefallen war, wobei er, weil er nicht wußte, wie weit das Weib in ihren Eröffnungen gegen den Kohlhaas gegangen war, nicht vergaß, ihr besonders die drei geheimnisvollen, in dem Zettel enthaltenen Artikel einzuschärfen; und nachdem er ihr auseinandergesetzt hatte, was sie, auf abgerissene und unverständliche Weise, fallen lassen müsse, gewisser Anstalten wegen, die man getroffen, sei es durch List oder durch Gewalt, des Zettels, der dem sächsischen Hofe von der äußersten Wichtigkeit sei, habhaft zu werden, trug er ihr auf, dem Kohlhaas den Zettel, unter dem Vorwand, daß derselbe bei ihm nicht mehr sicher sei, zur Aufbewahrung während einiger verhängnisvollen Tage, abzufordern. Das Trödelweib übernahm auch sogleich gegen die Verheißung einer beträchtlichen Belohnung, wovon der Kämmerer ihr auf ihre Forderung einen Teil im voraus bezahlen mußte, die Ausführung des besagten Geschäfts; und da die Mutter des bei Mühlberg gefallenen Knechts Herse, den Kohlhaas, mit Erlaubnis der Regierung, zuweilen besuchte, diese Frau ihr aber seit einigen Monden her, bekannt war: so gelang es ihr, an einem der nächsten Tage, vermittelst einer kleinen Gabe an den Kerkermeister, sich bei dem Roßkamm Eingang zu verschaffen. - Kohlhaas aber, als diese Frau zu ihm eintrat, meinte, an einem Siegelring, den sie an der Hand trug, und einer ihr vom Hals herabhängenden Korallenkette, die bekannte alte Zigeunerin selbst wieder zu erkennen, die ihm in Jüterbock den Zettel überreicht hatte; und wie denn die Wahrscheinlichkeit nicht immer auf Seiten der Wahrheit ist, so traf es sich, daß hier etwas geschehen war, das wir zwar berichten: die Freiheit aber, daran zu zweifeln, demjenigen, dem es wohlgefällt, zugestehen müssen: der Kämmerer hatte den ungeheuersten Mißgriff begangen, und in dem alten Trödelweib, das er in den Straßen von Berlin aufgriff, um die Zigeunerin nachzuahmen, die geheimnisreiche Zigeunerin selbst getroffen, die er nachgeahmt wissen wollte. Wenigstens berichtete das Weib, indem sie, auf ihre Krücken gestützt, die Wangen der Kinder streichelte, die sich, betroffen von ihrem wunderlichen Anblick, an den Vater lehnten: daß sie schon seit geraumer Zeit aus dem Sächsischen ins Brandenburgische zurückgekehrt sei, und sich, auf eine, in den Straßen von Berlin unvorsichtig gewagte Frage des Kämmerers, nach der Zigeunerin, die im Frühjahr des verflossenen Jahres, in Jüterbock gewesen, sogleich an ihn gedrängt, und, unter einem falschen Namen, zu dem Geschäfte, das er besorgt wissen wollte, angeraten habe. Der Roßhändler, der eine sonderbare Ähnlichkeit zwischen ihr und seinem verstorbenen Weibe Lisbeth bemerkte, dergestalt, daß er sie hätte fragen können, ob sie ihre Großmutter sei: denn nicht nur, daß die Züge ihres Gesichts, ihre Hände, auch in ihrem knöchernen Bau noch schön, und besonders der Gebrauch, den sie davon im Reden machte, ihn aufs lebhafteste an sie erinnerten: auch ein Mal, womit seiner Frauen Hals bezeichnet war, bemerkte er an dem ihrigen - der Roßhändler nötigte sie, unter Gedanken, die sich seltsam in ihm kreuzten, auf einen Stuhl nieder, und fragte, was sie in aller Welt in Geschäften des Kämmerers zu ihm führe? Die
Frau, während der alte Hund des Kohlhaas
ihre Kniee umschnüffelte, und von ihrer Hand gekraut, mit dem Schwanz
wedelte, antwortete: »der Auftrag, den ihr der
Kämmerer gegeben, wäre,
ihm zu eröffnen, auf welche drei dem sächsischen Hofe wichtigen Fragen
der Zettel geheimnisvolle Antwort enthalte; ihn vor einem Abgesandten,
der sich in Berlin befinde, um seiner habhaft zu werden, zu warnen: und
ihm den Zettel, unter dem Vorwande, daß er an seiner Brust, wo er ihn
trage, nicht mehr sicher sei, abzufordern. Kohlhaas,
der über
die Macht jauchzte, die ihm gegeben war, seines Feindes Ferse, in dem
Augenblick, da sie ihn in den Staub trat, tödlich zu verwunden,
antwortete: nicht um die Welt, Mütterchen, nicht um die Welt! und drückte
der Alten Hand, und wollte nur wissen, was für Antworten auf die
ungeheuren Fragen im
Zettel
enthalten wären?
Die Frau, indem sie das Kind auf den Boden setzte, sagte: daß er in mancherlei Hinsicht recht hätte, und daß er tun und lassen könnte, was er wollte! Und damit nahm sie ihre Krücken wieder zur Hand, und wollte gehn. Kohlhaas wiederholte seine Frage, den Inhalt des wunderbaren Zettels betreffend; er wünschte, da sie flüchtig antwortete: »daß er ihn ja eröffnen könne, obschon es eine bloße Neugierde wäre«, noch über tausend andere Dinge, bevor sie ihn verließe, Aufschluß zu erhalten; wer sie eigentlich sei, woher sie zu der Wissenschaft, die ihr inwohne, komme, warum sie dem Kurfürsten, für den er doch geschrieben, den Zettel verweigert, und grade ihm, unter so vielen tausend Menschen, der ihrer Wissenschaft nie begehrt, das Wunderblatt überreicht habe? - - Nun traf es sich, daß in
eben diesem Augenblick ein Geräusch hörbar ward, das einige
Polizei-Offizianten, die die Treppe heraufstiegen, verursachten;
dergestalt, daß das Weib, von plötzlicher Besorgnis, in diesen Gemächern
von ihnen betroffen zu werden, ergriffen, antwortete: »auf Wiedersehen Kohlhaas, auf Wiedersehn! Und damit, indem sie sich gegen die Tür wandte, rief sie: »lebt wohl, Kinderchen, lebt wohl!« küßte das kleine Geschlecht nach der Reihe, und ging ab. |
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cap. XXXIII (bei Reclam cap. XXXI, S. 104) | |||||||||||||||||||
Inzwischen
hatte der Kurfürst von Sachsen, seinen jammervollen Gedanken
preisgegeben, zwei
Astrologen, namens Oldenholm und Olearius, welche
damals in Sachsen in großem Ansehen standen, herbeigerufen, und wegen
des Inhalts des geheimnisvollen, ihm und dem ganzen Geschlecht seiner
Nachkommen so wichtigen
Zettels
zu Rate gezogen; und
da die Männer,
nach einer, mehrere Tage lang im Schloßturm zu Dresden fortgesetzten,
tiefsinnigen Untersuchung, nicht einig werden konnten,
ob die
Prophezeiung sich auf späte Jahrhunderte oder aber auf die jetzige Zeit
beziehe, und vielleicht die Krone Polen, mit welcher die Verhältnisse
immer noch sehr kriegerisch waren, damit gemeint sei:
so wurde durch
solchen gelehrten Streit, statt sie zu zerstreuen, die Unruhe, um nicht
zu sagen, Verzweiflung, in welcher sich dieser unglückliche Herr
befand, nur geschärft,
und zuletzt bis auf einen Grad, der seiner Seele
ganz unerträglich war, vermehrt.
Dazu kam, daß der Kämmerer um diese Zeit seiner Frau, die im Begriff stand, ihm nach Berlin zu folgen, auftrug, dem Kurfürsten, bevor sie abreiste, auf eine geschickte Art beizubringen, wie mißlich es nach einem verunglückten Versuch, den er mit einem Weibe gemacht, das sich seitdem nicht wieder habe blicken lassen, mit der Hoffnung aussehe, des Zettels in dessen Besitz der Kohlhaas sei, habhaft zu werden, indem das über ihn gefällte Todesurteil, nunmehr, nach einer umständlichen Prüfung der Akten, von dem Kurfürsten von Brandenburg unterzeichnet, und der Hinrichtungstag bereits auf den Montag nach Palmarum festgesetzt sei; auf welche Nachricht der Kurfürst sich, das Herz von Kummer und Reue zerrissen, gleich einem ganz Verlorenen, in seinem Zimmer verschloß, während zwei Tage, des Lebens satt, keine Speise zu sich nahm, und am dritten plötzlich, unter der kurzen Anzeige an das Gubernium, daß er zu dem Fürsten von Dessau auf die Jagd reise, aus Dresden verschwand. Wohin er eigentlich ging, und ob er sich nach Dessau wandte, lassen wir dahin gestellt sein, indem die Chroniken, aus deren Vergleichung wir Bericht erstatten, an dieser Stelle, auf befremdende Weise, einander widersprechen und aufheben. Gewiß ist, daß der Fürst von Dessau, unfähig zu jagen, um diese Zeit krank in Braunschweig, bei seinem Oheim, dem Herzog Heinrich, lag, und daß die Dame Heloise, am Abend des folgenden Tages, in Gesellschaft eines Grafen von Königstein, den sie für ihren Vetter ausgab, bei dem Kämmerer Herrn Kunz, ihrem Gemahl, in Berlin eintraf. - Inzwischen war dem Kohlhaas, auf Befehl des Kurfürsten, das Todesurteil vorgelesen, die Ketten abgenommen, und die über sein Vermögen lautenden Papiere, die ihm in Dresden abgesprochen worden waren, wieder zugestellt worden; und da die Räte, die das Gericht an ihn abgeordnet hatte, ihn fragten, wie er es mit dem, was er besitze, nach seinem Tode gehalten wissen wolle: so verfertigte er, mit Hülfe eines Notars, zu seiner Kinder Gunsten ein Testament, und setzte den Amtmann zu Kohlhaasenbrück, seinen wackern Freund, zum Vormund derselben ein. Demnach glich nichts der Ruhe und Zufriedenheit seiner letzten Tage; denn auf eine sonderbare Spezial-Verordnung des Kurfürsten war bald darauf auch noch der Zwinger, in welchem er sich befand, eröffnet, und allen seinen Freunden, deren er sehr viele in der Stadt besaß, bei Tag und Nacht freier Zutritt zu ihm verstattet worden. Ja, er hatte noch die Genugtuung, den Theologen Jakob Freising, als einen Abgesandten Doktor Luthers, mit einem eigenhändigen, ohne Zweifel sehr merkwürdigen Brief, der aber verloren gegangen ist, in sein Gefängnis treten zu sehen, und von diesem geistlichen Herrn in Gegenwart zweier brandenburgischen Dechanten, die ihm an die Hand gingen, die Wohltat der heiligen Kommunion zu empfangen. Hierauf erschien nun, unter einer allgemeinen Bewegung der Stadt, die sich immer noch nicht entwöhnen konnte, auf ein Machtwort, das ihn rettete, zu hoffen, der verhängnisvolle Montag nach Palmarum, an welchem er die Welt, wegen des allzuraschen Versuchs, sich selbst in ihr Recht verschaffen zu wollen, versöhnen sollte. Eben trat er, in Begleitung einer starken Wache, seine beiden Knaben auf dem Arm (denn diese Vergünstigung hatte er sich ausdrücklich vor den Schranken des Gerichts ausgebeten), von dem Theologen Jakob Freising geführt, aus dem Tor seines Gefängnisses, als unter einem wehmütigen Gewimmel von Bekannten, die ihm die Hände drückten, und von ihm Abschied nahmen, der Kastellan des kurfürstlichen Schlosses, verstört im Gesicht, zu ihm herantrat, und ihm ein Blatt gab, das ihm, wie er sagte, ein altes Weib für ihn eingehändigt. Kohlhaas, während er den Mann der ihm nur wenig bekannt war, befremdet ansah, eröffnete das Blatt, dessen Siegelring ihn, im Mundlack ausgedrückt, sogleich an die bekannte Zigeunerin erinnerte. Aber wer beschreibt das Erstaunen, das ihn ergriff, als er folgende Nachricht darin fand:
Kohlhaas, indem er sich auf das äußerste
bestürzt zu dem Kastellan umwandte, fragte ihn: ob er das wunderbare
Weib, das ihm den Zettel übergeben, kenne? Als er auf dem Richtplatz ankam, fand er den Kurfürsten von Brandenburg mit seinem Gefolge, worunter sich auch der Erzkanzler, Herr Heinrich von Geusau befand, unter einer unermeßlichen Menschenmenge, daselbst zu Pferde halten: ihm zur Rechten der kaiserliche Anwalt Franz Müller, eine Abschrift des Todesurteils in der Hand; ihm zur Linken, mit dem Konklusum des Dresdner Hofgerichts, sein eigener Anwalt, der Rechtsgelehrte Anton Zäuner; ein Herold in der Mitte des halboffenen Kreises, den das Volk schloß, mit einem Bündel Sachen, und den beiden, von Wohlsein glänzenden, die Erde mit ihren Hufen stampfenden Rappen. Denn der Erzkanzler, Herr Heinrich, hatte die Klage, die er, im Namen seines Herrn, in Dresden anhängig gemacht, Punkt für Punkt, und ohne die mindeste Einschränkung gegen den Junker Wenzel von Tronka, durchgesetzt; dergestalt, daß die Pferde, nachdem man sie durch Schwingung einer Fahne über ihre Häupter, ehrlich gemacht, und aus den Händen des Abdeckers, der sie ernährt, zurückgezogen hatte, von den Leuten des Junkers dickgefüttert, und in Gegenwart einer eigens dazu niedergesetzten Kommission, dem Anwalt, auf dem Markt zu Dresden, übergeben worden waren. Demnach sprach der
Kurfürst, als Kohlhaas von der Wache
begleitet, auf den Hügel zu ihm heranschritt: Kohlhaas, während er das, ihm auf den Wink des
Erzkanzlers
eingehändigte Konklusum, mit großen, funkelnden Augen überlas, setzte
die beiden Kinder, die er auf dem Arm trug, neben sich auf den Boden
nieder; und da er auch einen Artikel darin fand, in welchem der
Junker
Wenzel zu zweijähriger Gefängnisstrafe verurteilt ward: so ließ er
sich, aus der Ferne, ganz überwältigt von Gefühlen, mit kreuzweis auf
die Brust gelegten Händen, vor dem Kurfürsten nieder. Der Kanzler, Herr Heinrich von Geusau, vom Pferde herab mild zu ihm gewandt, versprach ihm, in des Kurfürsten Namen, daß sein letzter Wille heilig gehalten werden solle: und forderte ihn auf, auch über die übrigen im Bündel befindlichen Sachen, nach seinem Gutdünken zu schalten. Hierauf rief Kohlhaas die alte Mutter Hersens, die er auf dem Platz wahrgenommen hatte, aus dem Haufen des Volks hervor, und indem er ihr die Sachen übergab, sprach er: »da, Mütterchen; das gehört dir!« - die Summe, die, als Schadenersatz für ihn, bei dem im Bündel liegenden Gelde befindlich war, als ein Geschenk noch, zur Pflege und Erquickung ihrer alten Tage, hinzufügend. - - Der Kurfürst rief: »nun, Kohlhaas, der Roßhändler, du, dem solchergestalt Genugtuung geworden, mache dich bereit, kaiserlicher Majestät, deren Anwalt hier steht, wegen des Bruchs ihres Landfriedens, deinerseits Genugtuung zu geben!« Kohlhaas, indem er seinen Hut abnahm, und auf die Erde warf, sagte: daß er bereit dazu wäre! übergab die Kinder, nachdem er sie noch einmal vom Boden erhoben, und an seine Brust gedrückt hatte, dem Amtmann von Kohlhaasenbrück, und trat, während dieser sie unter stillen Tränen, vom Platz hinwegführte, an den Block. Eben knüpfte er sich das Tuch vom Hals ab und öffnete seinen Brustlatz: als er, mit einem flüchtigen Blick auf den Kreis, den das Volk bildete, in geringer Entfernung von sich, zwischen zwei Rittern, die ihn mit ihren Leibern halb deckten, den wohlbekannten Mann mit blauen und weißen Federbüschen wahrnahm. Kohlhaas löste sich, indem er mit einem plötzlichen, die Wache, die ihn umringte, befremdenden Schritt, dicht vor ihn trat, die Kapsel von der Brust; er nahm den Zettel heraus, entsiegelte ihn, und überlas ihn: und das Auge unverwandt auf den Mann mit blauen und weißen Federbüschen gerichtet, der bereits süßen Hoffnungen Raum zu geben anfing, steckte er ihn in den Mund und verschlang ihn. Der Mann mit blauen und weißen Federbüschen sank, bei diesem Anblick, ohnmächtig, in Krämpfen nieder. Kohlhaas aber, während die bestürzten Begleiter desselben sich herabbeugten, und ihn vom Boden aufhoben, wandte sich zu dem Schafott, wo sein Haupt unter dem Beil des Scharfrichters fiel. Hier endigt die Geschichte vom Kohlhaas. Man legte die Leiche unter einer allgemeinen Klage des Volks in einen Sarg; und während die Träger sie aufhoben, um sie anständig auf den Kirchhof der Vorstadt zu begraben, rief der Kurfürst die Söhne des Abgeschiedenen herbei und schlug sie, mit der Erklärung an den Erzkanzler, daß sie in seiner Pagenschule erzogen werden sollten, zu Rittern. Der Kurfürst von Sachsen kam bald darauf, zerrissen an Leib und Seele, nach Dresden zurück, wo man das Weitere in der Geschichte nachlesen muß. Vom Kohlhaas aber haben noch im vergangenen Jahrhundert, im Mecklenburgischen, einige frohe und rüstige Nachkommen gelebt. |