PAGINA CARIONIS

JOHANNES CARION AN HERZOG ALBRECHT VON PREUSSEN,
2. Beilage in Schönschrift zum Brief vom 22. August 1527:

Erklärung des Quadranten und des Jakobsstabs

1,1 Ein verstantnus vber den quadranten vnd Baculum Jacob.

1,1 Erklärung von Quadrant und Jakobsstab

Auf die Facies des Quadrans geometricus ist in der Regel ein Quadratum geometricum und ein Viertelkreis aufgezeichnet. Der Viertelkreis trägt Unterteilung in Grade, zwei Seiten des Quadratum geometricum sind unterteilt, häufig in 12 gleiche Teile. Man misst
entweder das Kathetenverhältnis eines rechtwinkligen Dreiecks: s : 12 (s = Anzahl der von der Schnur abgeschnittenen Teile)
oder den Winkel zwischen einem Schenkel des Quadrans und der Schnur.

a = Augenhöhe des Beobachters

h : d = s : 12, also h = (s/12) · d
Beachte: Carion berücksichtigt nicht die Augenhöhe a. Er argumentiert, als ob der Beobachter auf der Erde liegen würde (a = 0).

2,1 Wiltu prunnen wegen, nim den quadranten, laß die wag vff die fordersten linien einschlahen. 2 Vnd dis ort vnd end, das dan du durch die beiden lechlen sichst, da hin reicht das wasser vnd nicht hoher, aber du must sten, da das wasser entspringt etc.

2,1 Willst du Brunnen messen, nimm den Quadranten, lass die Lotschnur auf die vordersten Linien einschlagen. 2 Und bis zu diesem Ort und Ende, das du durch die beiden Blenden siehst, dahin reicht das Wasser und nicht höher, aber du musst dort stehen, wo das Wasser einfließt usw.

3,1 Wiltu die hohin eins thurms, Boms oder hauses messen, so stich die hohin durch die ij lochlen vnd gehe hindersich vnd vorsich, wie es dan die wag erheÿscht, so lang vnd vil, bis die wag vff der mitlen linien einschlecht. 2 Vnd du alzo mit das ort stichst, das du wissen wilt etc., dann so stehe still. 3 So hastu eben so weÿt hin zu, so vil schrit, eln oder schuch, als der thurm, haus oder bom hoch ist.

3,1 Willst du die Höhe eines Turms, Baums oder Hauses messen, so peile die Höhe durch die zwei Blenden und gehe vor und zurück, wie es die Waage verlangt, so lang und viel, bis die Lotschnur auf der mittleren Linie einschlägt. 2 Und wenn du damit den Ort triffst, den du wissen willst, dann bleib stehen. 3 Jetzt bist du ebenso weit weg (Schritt, Ellen oder Schuh), wie der Turm, das Haus oder der Baum hoch ist.

Man wählt eine Position, an der die Schnur des Bleilots auf der Mittellinie des Quadratum geometricum liegt. Dann ist d = h. Dabei kommt es auf die Maßeinheiten (Schritt, Elle, Schuh) nicht an.

4,1 Wiltu aber wissen, wie breÿt ein wasser sÿhe, so kehr schlecht dein quadranten vmb vnd stich zu dem lochlin hinein, do die wag oben beÿ stet, vnd stee an das gestat oder strandt vnd stich durch die lochlen den andern strandt gegenvber vnd merck vff, wie vil grad die wag felt. 2 Darnach gehe an ein hohen maurn oder thurm oder haus vnd kehr den quadranten also, das das lochlin, do die wag hangt, vom ougen stehe, vnd las die wag vff den selben grad fallen, vnd stich durch die lochlen. 3 Da merck an dem thurm oder haus das mal, das du stichst, vnd mis durch dein kunst, wie hoch es sÿhe. 4 So hastu die breiten des wassers jn dem zugang, das ist zwischen deinen fuesen vnd dem thorm

4,1 Willst du aber wissen, wie breit ein Wasser ist, so drehe einfach deinen Quadranten um und peile durch die Blende, an der die Lotschnur oben befestigt ist, stell dich ans Ufer oder den Strand und peile durch die Blenden auf den andern Strand gegenüber und halte fest, wie viel Grad die Waage fällt. 2 Danach gehe an eine hohe Mauer, einen Turm oder ein Haus und drehe den Quadranten so, dass die Blende, an der die Lotschnur hängt, vorm Auge stehe, und lass die Lotschnur auf den selben Grad fallen, und peile durch die Blenden. 3 Merke dir am Turm oder Haus die Stelle, die du anpeilst, und miss mit der jeweiligen Technik, wie hoch das ist. 4 Damit hast die Breite des Wassers in deinem Zugang, d. h. dem Abstand zwischen deinen Füßen und dem Turm.

Rechnung: b : a = 12 : s, also: b = (12/s) · a

Mit Rücksicht auf den Empfänger des Briefs möchte Carion Rechnungen möglichst vermeiden; dann ergäbe sich folgende einfachste Lösung:

Carion schlägt ein ziemlich unbequemes Verfahren vor:

5,1 Wiltu wissen, wie hoch der mehrstern oder polus jn allen landen seÿhe, so stich jn an durch die ij lochlen, vnd wa die wag hin schlecht, so vil grad ist ehr hoch. 2 Die zel nach der Zal 5 10 15 20 25 30 etc. 3 Solcher mas magstu Son, Mann vnd ander sternen auch messen. 4 Vnd bedeut bÿ vns ein ÿglicher grad xv groser teutscher meÿl etc.

5,1 Willst du wissen, wie hoch der Meerstern oder Polarstern in allen Ländern steht, so peile ihn durch die zwei Blenden an, und wo die Lotschnur hin schlägt, so viel Grad steht er hoch. 2 Zähle die nach der Zahl 5, 10, 15, 20, 25, 30 usw. 3 Auf diese Weise kannst du Sonne, Mond und auch andere Sterne messen. 4 Und bei uns bedeutet jeweils ein Grad 15 große deutsche Meilen usw.

Hier benützt man nicht das Quadratum geometricum, das auf die Facies des Quadrans aufgezeichnet ist, sondern den Viertelkreis mit Winkelteilung.

Setzt man einen mittleren Erdumfang zu 40 041 km, so hat ein Gradbogen die Länge 111,225 km, 1 Meile 1/15 davon, also 7,415 km. Dies entspricht etwa einer hannoverischen Meile. 1 Seemeile ist die Länge eines Sekundenbogens auf einem "Großkreis der Erdkugel"; gemäß Norm ISO 31-1 ist 1 sm = 1852 m.

6,1 Bacculus Jacob.

2 Wiltu wissenn, wie hoch ein thorm, Bam, hauß oder schloss sÿhe, so wende den leuffer vff den baculo jn die leng also, das du an einem ort des leufers den spitzen oben sechst | vnd am andern ort vnden den grundt, vnd der leuffer sol alwegen gerad vff einer theilung stehn. 3 So geh hinzu oder darvon oder ruck den leuffer, wie es sich am besten schickt, so lang, bis ehr an beÿden orten inschlecht oben vnd vnden. 4 Dan zeichen deinen standt. 5 Vnd wiltu hindersich gehn, so ruck den leuffer vmb ein teilung forsich, wiltu aber vorsich gen, so ruck den Leufer vmb ein theÿlung hindersich vnd gehe so lang, bis es widerumb recht ausschlecht. 6 So ist die hohin des thorms, hauß oder schloss eben so hoch, als weit vom letsten standt bis zum ersten ist etc.

6,1 Jakobsstab

2 Willst du wissen, wie hoch ein Turm, Baum, Haus oder Schloss ist, so ziehe den Läufer auf dem Stab in die Länge, so dass du am einen Ende des Läufers die Spitze oben siehst und am andern Ende den Boden, und der Läufer soll immer rechtwinklig auf einem Abschnitt stehen. 3 Geh vor oder zurück oder verrücke den Läufer, wie es am geschicktesten ist, so lange, bis er an beiden Enden - oben und unten - einschlägt. 4 Dann bezeichne deinen Standort. 5 Und willst du rückwärts gehen, verrücke den Läufer um einen Abschnitt nach vorn, willst du aber vorwärts gehen, verrücke den Läufer einen Abschnitt nach hinten und gehe so lange, bis es wieder richtig ausschlägt. 6 Dann ist die Höhe des Turms, des Hauses oder Schlosses gerade so hoch, wie weit es vom letzten Standort bis zum ersten ist usw.

Hier wird ein gewöhnlicher Jakobsstab gezeigt.

Ein vereinfachter Jakobsstab besteht aus einem Stab mit Bohrungen im festen Abstand (l), in die ein Stab der Länge l gesteckt wird.

Man steckt den Stab zunächst in Loch Nr. n (in der Zeichnung n = 2) und wählt Standort I, von wo man zur Spitze des Turms peilen kann. Dann geht man auf der Geraden von I zum Turm zurück bis zu einer Stelle II, von wo man wieder zur Turmspitze peilen kann, aber von der Blende über einen Stab im Loch Nr. n + 1.
A1 und A2 jeweils Auge des Beobachters
. Die Augenhöhe ist hier aber nicht berücksichtigt.
b = Entfernung von I und II
Ergebnis: b = h

Begründung:

Bei der theoretischen Peilung vom Punkt I trifft der Peilstrahl 2' die Höhe des Turms (TS') genau im Abstand x von TS, da das Dreieck I-TS-TS' dem kleinen Peildreieck mit der Höhe l und der oberen Seitenlänge l ähnlich ist. Die tatsächliche Peilung durch Peilstrahl 2 von Punkt II aus ist im Grunde eine Parallelverschiebung um x; deshalb kann man am Boden die Höhe des Turmes ausmessen.

Was Carion nicht sagt, ist, dass man bei solch einer Höhenmessung am besten über den Jakobsstab (entspricht in der Skizze der Grundlinie) und über das eine Ende des Läufers peilt. Da man sich ja auf den Boden bücken kann, kann man die Augenhöhe minimieren und bekommt dann ein relativ genaues Ergebnis. Um bei Carions Messmethode ein genaues Ergebnis zu erhalten, müsste man auf der halben Turmhöhe messen. Bei der unter 7 beschriebenen Breitenmessung sollte der Messende auf der Senkrechten zur Mitte des Objekts stehen; die Augenhöhe spielt keine Rolle.

7,1 Wiltu aber die breitin haben von einem hauß, schloss oder thorm: so richt den leufer jn die zwar vnd thu mit deinen stenden wie vor etc. 2 Solcher mas mist man laden, fenster, vnd thur: wie ÿetzundt gesagt. vnd mit keinem andern bescheid etc.

3 Telos

7,1 Willst du aber die Breite haben eines Hauses, Schlosses oder Turms: dann richte den Läufer in die Horizontale und verfahre mit deinen Standorten wie gerade eben. 2 So misst man Läden, Fenster und Türen, wie hier gesagt, und nicht anders usw.

3 Ende

Quelle der modernen Erklärung

Die Skizzen und den Kommentar zu ihnen verdanke ich Dr. Gerhard Betsch, Weil im Schönbuch. Damit die modernen Zutaten leichter erkennbar sind, habe ich sie kursiv gesetzt. Erklärung des Hintergrunds des Jakobsstabs mit dortigem Kommentar von mir.

Zeilen- und buchstabengerechte Transkription auf der Grundlage der Lesung von Stefan Benning

1.      Ein verstantnus

2.      vber den quadra[n]=

3.      tenn vnd Baculu[m]

4.      Jacob. [1]

5.      Wiltû prûnne[n] wege[n] Nim

6.      den quadrante[n] laß die wag

7.      vff die forderstenn linien

8.      einschlahenn. vnd dis ort

9.      vnd ennd das dan

10.  dûrch die beiden lechlenn

11.  sichst da hin reicht das

12.  wasser vnd nicht hoher aber

13.  mûst sten da das

14.  wasser entspringt etc.

15.  Wiltû die hohin eins

16.  thûrms Boms od[er] haûses

17.  messenn. so stich die hohin

18.  dûrch die ij lochlen vnd

19.  gehe hindersich vnd vorsich

20.  wie es dan die wag erheÿscht

21.  So lanng vnd vil bis

22.  die wag vff d[er] mitlen

23.  linien einschlecht. vnd

24.  alzo mit das ort stichst das

25.  wissenn wilt etc dann

26.  so stehe still. so hastû

27.  ebenn so weÿt hin

28.  so vil schrit eln od[er] schûch

29.  als der thûrm haûß od[er]

30.  bom Hoch ist.

31.  Wiltû aber wissenn wie

32.  breÿt ein wasser sÿhe

33.  so kehr schlecht dein qûa=

34.  drantenn vmb vnd stich

35.  dem lochlin hinein

36.  do die wag oben beÿ stet

37.  vnd stee an das gestat od[er]

38.  strandt vnd stich dûrch

39.  die lochlen den andern strandt

40.  gege[n]vber vnd merck vff

41.  wie vil grad die wag felt.

42.  Darnach gehe an ein hohen

43.  maûrn od[er] thûrm od[er] hauß

44.  vnd kehr den quadranten

45.  also das das lochlin do die

46.  wag hangt vom oûge[n] stehe

47.  vnd laß die wag vff den

48.  selbenn grad fallen vnd

49.  stich dûrch die lochlen da

50.  merck an dem thûrn oder

51.  haûß das mal das stichst

52.  vnd mis dûrch dein kûnst

53.  wie hoch es sÿhe. so hastû

54.  die breite[n] des wassers Jn

55.  dem zûgang das ist zwische[n]

56.  deine[n] fuesen vnd dem thorm

Anmerkungen:

1.) "Ein verstantnus vber den quadra[n]= tenn vnd Baculu[m] Jacob." befindet sich auf dem Blatt 7; auf Blatt 8 beginnt der Text.

2.) "Telos" in griechischen Buchstaben.

(Rot: Änderungen Hirth)

57.  Wiltû wissenn wie hoch

58.  der mehrstern od[er] polûs Jn

59.  allen lannd[en] seÿhe so stich

60.  Jn an durch die ij lochlen

61.  vnd wa die wag hin

62.  schlecht so vil grad ist ehr

63.  hoch. die zel nach der Zal

64.  5 10 15 20 25 30 etc

65.  Solcher maß magstû Son

66.  Mann vnd annder sterne[n]

67.  oûch messenn. Vnd bedeût

68.  bÿ vns ein ÿglich[er] grad

69.  xv groser teûtscher meÿl etc.

70.  Baccûlûs Jacob.

71.  Wiltû wissenn wie hoch ein

72.  thorm Bam haûß oder

73.  schlosß sÿhe so wennde

74.  den leûffer vff den bacûlo

75.  Jn die leng also das

76.  an eine[m] ort des leûfers den

77.  spitze[n] oben sechst | vnd am

78.  andernn ort vnd[en] den grûndt

79.  vnd der leuffer sol alwege[n]

80.  gerad vff einer theilûng

81.  stehnn. so geh hinzû od[er]

82.  daruo[n] od[er] rûck den leûffer

83.  wie es sich am bestenn

84.  schickt so lang bis ehr an

85.  beÿdenn ort[en] inschlecht obe[n]

86.  vnd vnd[en]. dan zeichenn

87.  deine[n] standt. vnd wiltû

88.  hindersich gehn so rûck den

89.  leûffer vmb ein teilu[n]g. for=

90.  sich wiltû aber vorsich gen

91.  So Rûck den Leûfer vmb

92.  ein theÿlûng hindersich

93.  vnd gehe so lang bis es

94.  widerûmb recht aûsschlecht

95.  So ist die hohin des thorms

96.  haûß od[er] schlosß eben so hoch

97.  Als weit vom letste[n] standt

98.  bis zûm ersten ist etc.

99.  Wiltû aber die breitin habe[n]

100.                     von eine[m] haûß schloß oder

101.                     thorm. so richt den leûfer

102.                     Jn die zwar vnd thû mit

103.                     deinenn stend[en] wie vor etc.

104.                     Solcher maß mist ma[n] lad[en],

105.                     fenster, vnd thûr: wie

106.                     ÿetzûndt gesagt. vnd mit

107.                     keinem andern bescheid etc.

108.                     Telos [2]

 

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