PAGINA CARIONIS

PHILIPP MELANCHTHON AN KONRAD HERESBACH, 18. NOVEMBER 1559

D. Conrado Heresbacchio

 

S. D.

An Herrn Konrad Heresbach

 

Ich grüße dich!

1,1 Tuarum literarum brevitas, ut ego iudico, significatio est ingentis moestitiae tuae, qua te adfici non dubito, propter horribiles confusiones et Ecclesiae et Politiarum. 2 Excrucior et ego similibus doloribus, ac praecipue, quia rerum maximarum explicationem impediri video, ab illis ipsis qui semidei haberi volunt. 3 Sed studeamus, Deo iuvante, moderari si qua nostra voce leniri possunt, et foveamus miserum et saucium coetum, quantum fieri potest. 4 Haec in his tantis miseriis cogito.
5 De Chronico libello non libet scribere, quia non ratiocinor me ad illas recentiores historias perventurum esse. 6 Donec vivo adolescentiae proponi curabo res utiles. 7 Et haec ipsa
cronologika repeto, ut invitem plures ad legendas veteres historias. 8 Nam novum et integrum opus condere, non est mearum virium. 9 Scis sapientiae et eloquentiae non mediocris esse vel exiguam historiam scribere, quid de illa amplitudine integrae historiae, qualis est Polybii, non multorum annorum cogitare possumus? 10 sed hoc omitto. 11 Tuas literas flagito. 12 Bene vale. 13 18. Novembris.

1,1 Die Kürze deines Briefes zeigt, wie ich meine, deine gewaltige Trauer, die dich zweifelsohne befällt wegen der grässlichen Verwirrungen in Kirche und Politik. 2 Auch ich werde von ähnlichen Schmerzen gequält, und das vor allem, weil ich sehe, dass die Erklärung der wichtigsten Dinge von denen behindert wird, die als Halbgötter erscheinen wollen. 3 Bemühen wir uns aber mit Gottes Hilfe um Mäßigung, falls etwas von unserer Stimme entschärft werden kann, und fördern wir die arme, wunde Versammlung soweit möglich! 4 Das denke ich in diesem so großen Elend.

5 Über das Chronik-Büchlein mag ich nicht schreiben, weil ich vermutlich zu jener neuen Geschichte gar nicht kommen werde. 6 Solange ich lebe, will ich dafür sorgen, der Jugend Nützliches zu bieten. 7 Und gerade die Chronologie wiederhole ich, um noch mehr Leute zur Lektüre der alten Geschichte einzuladen. 8 Denn ein neues, vollständiges Werk zu konzipieren übersteigt meine Kräfte. 9 Du weißt, dass es ein gehöriges Maß an Weisheit und Beredsamkeit erfordert, auch nur eine kleine "Geschichte" zu schreiben, warum können wir bei jenem Umfang der vollständigen Geschichte, wie sie Polybius bietet, nicht an eine Leistung vieler Jahre denken? 10 Ich breche hier ab. 11 Ich bitte dringend um deinen Brief. 12 Leb wohl! 13 18. November.

 

<[1] M. versteht die Kürze von H.s Brief als Zeichen der Trauer um Kirche und Staat, die auch er empfindet.
[2] Über M.s Arbeit am Chronicon [Carionis], ihren pädagogischer Zweck und die Schwierigkeit der Geschichtsschreibung (Polybios).>

Corpus Reformatorum IX, Sp. 975f., "No. 6869"

<Dickdruck von mir.>

 

 

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