PAGINA CARIONIS

PHILIPP MELANCHTHON AN JOACHIM CAMERARIUS, 29. JUNI 1532

Viro optimo Ioachimo Camerario , Bambergensi, amico suo summo,

 

S. D.

Dem besten Mann, Joachim Camerarius , dem Bamberger, seinem besten Freund.

Ich grüße Dich.

1,1 Tuas literas accepi hodie, in quibus Genesin Regiam petis. 2 Quod autem de Gaurico significas, quale sit, non plane potui intelligere. 3 Aberat enim epistola illa, nescio cuius amici tui, quam te mittere ais de illius sermonibus. 4 Id eo scribo, ut scias eam periisse, nisi consulto retinuisti. 5 Quicquid autem est, non valde moror, novimus enim totius illius gentis ingenia et voluntates erga nos. 6 Ego quicquid ei tribui officii, propterea feci, ne prorsus feri et contemptores earum artium videremus, in quibus iste quadam cum laude versatur. 7 Iure autem in eo humanitas desiderari potest, si omnia nostrorum hominum vel studia vel officia contemnit.
8 Sequitur quaedam disputatio de periculis illorum, qui nostra pacificatione videntur excludi. 9 Legisti, quantum intelligo, nostras rationes, quae a nobis ita perscriptae sunt, ne per nos stare videretur, quo minus pax coiret, non solum nobis, sed hoc quidem tempore universae Germaniae valde necessaria, etsi vix ullam spem pacis habuimus unquam. 10 Scripsi enim tibi de quodam, quare putem eum impedire istam pacificationem, qui etsi audax non est, id quod et genesis illius videtur ostendere, tamen publico quodem fato videtur trahi ad efficiendam conversionem reipubl. maximam. 11 Et non solum Romani, sed etiam vicini nostri malunt omnia deflagrare, quam nos incolumes esse. 12 Sed quicquid erit, Ecclesiae video plurimum impendere mali. 13 Res sic agitur, quasi studio quidam veritatem obruere velint. 14 Quam sceleste etiam sinant disciplinam omnem universam Ecclesiae interire, vides. 15 Cur hoc non agitur, ut cum dubitationes de maximis rebus haereant tacite in animis omnium ubique, de dogmatibus explicandis ratio ineatur? 16 O mi Ioachime, quam velim hoc fieri et rite fieri. 17 Et mea consilia semper eo tantum spectarunt, donec spem aliquam habui, haec fore meliora. 18 Sed omitto has querelas, nam meus animus est tibi satis cognitus, et non ignoras haec mala diu iam
anhkesta esse.

1,1 Heute habe ich deinen Brief erhalten, in dem du um die Nativität des Königs bittest. 2 Was du aber über Gauricus sagst, so kann ich nicht ganz verstehen, was das sein soll. 3 Jener Brief nämlich von irgendeinem deiner Freunde, den du, wie du sagst, über seine Gespräche schickst, ist weg. 4 Das schreibe ich deshalb, damit du weißt, dass er verloren ist, es sei denn, du hast ihn absichtlich zurückbehalten. 5 Was es aber auch ist, ich halte mich nicht lange damit auf; wir kennen ja die Vorurteile und Absichten jenes ganzen Volkes gegen uns. 6 Was ich ihm an Pflicht erwiesen habe, habe ich deshalb gemacht, damit wir nicht geradezu als Wilde und Verächter der Künste erscheinen, in denen dieser mit einem gewissen Ruhm dasteht. 7 Zu Recht aber kann man bei ihm Bildung vermissen, wenn er alle Bemühungen oder erfüllten Pflichten unserer Leute verachtet.

8 Es folgt eine Art Diskussion über die Gefahren für die, die von unserem Friedensschluss scheinbar ausgeschlossen sind. 9 Soweit ich weiß, hast du unsere Gründe gelesen, die von uns so dargestellt sind, dass es anscheinend nicht an uns liegt, ob es zum Frieden kommt, der zu dieser Zeit allerdings nicht nur für uns, sondern für ganz Deutschland sehr nötig wäre, auch wenn wir kaum einmal Hoffnung auf Frieden hatten. 10 Ich habe dir nämlich von Herrn XY geschrieben, weshalb ich meine, dass er diesen Friedensschluss behindere, der, auch wenn ihm der Mut fehlt – was auch seine Nativität zu zeigen scheint - , trotzdem vom allgemeinen Schicksal anscheinend herangezogen wird, den größten Wandel des Staates durchzuführen. 11 Und nicht nur die Römer, sondern auch unsere Nachbarn hätten lieber, dass alles abbrennt, als dass es uns gut ginge. 12 Aber wie auch immer: ich sehe, dass der Kirche sehr viel Übles droht. 13 Die Sache wird so betrieben, als ob manche mit Absicht die Wahrheit verschütten wollten. 14 Du siehst ja, wie verbrecherisch sie auch die ganze, umfassende Disziplin der Kirche untergehen lassen. 15 Warum kümmert man sich nicht darum, die Dogmen zu erklären, wo doch stumme Zweifel in den Herzen aller an den wichtigsten Fragen bestehen? 16 Mein lieber Joachim, wie wünsche ich, dass das geschieht und dass es richtig geschieht! 17 Und meine Absichten zielten immer nur darauf, solange ich nur irgendeine Hoffnung hatte, dass das besser wird. 18 Ich höre aber mit meinen Klagen auf, denn meine Gedanken sind dir hinlänglich bekannt, und du weißt genau, dass diese Übel schon lange unheilbar sind.

 

<[1] Heute traf ein Brief des C. ein, in welchem C. das Horoskop [Kg.] Ferdinands verlangt. Die Andeutungen über [Lucas] Gauricus konnte M. nicht verstehen, da der von C. erwähnte Brief eines Freundes [NN] fehlte. M. urteilt negativ über [Gauricus].
[2] Zu C.s Sorge um diejenigen, die vom [Nürnberger Religions]frieden ausgeschlossen bleiben, verweist M. auf ein dem C. bekanntes Gutachten der [Wittenberger Theologen] und auf seine briefliche Äußerung über [Lgf. Philipp von Hessen] und sein Horoskop, der den Frieden gefährdet wie andererseits die Römer und [Hz. Georg von Sachsen]. M. sieht die Kirche von beiden Parteien bedroht, und er wünscht eine Erörterung der dogmatischen Probleme.>

2,1 Mitto tibi geneses eorum, quorum petiisti, ac alterius quidem et altera circumfertur, sed Gauricus affirmabat hanc veram esse, si recte memini. 2 Mars erat in fovea, in eo catalogo, quem Cornelius Scepperus habebat. 3 Neque hic multo aliter se habet.

2,1 Ich schicke dir die Nativitäten der von dir gewünschten Leute; die des einen und die andere ist im Umlauf, aber Gauricus versicherte, diese sei wahr, wenn ich mich recht erinnere. 2 Mars war in der Grube, in dem Katalog, den Cornelius Schepper hatte. 3 Und der verhält sich nicht viel anders.

3,1 Carion  habet tou kroniwnoV, quae paululum ab hac differt, in qua Saturnus et Mars sunt in Quinta, sed exemplum non habeo; misissem enim alioqui.
2 Postremo, ut etiam laeti aliquid scribam, vidi carmen cuiusdam Itali, quem Gauricus dicebat fuisse Pontani praeceptorem, in quo planetarum motus mirifice describuntur.
3 In fine addit vaticinium de coniunctione quadam magna, in qua de his ecclesiasticis discordiis satis clementer vaticinatur, caetera quo pertineant, mantikhV ergon.

3,1 Carion hat von Jupiter, was ein wenig von dieser abweicht, in der Saturn und Mars im 5. Haus sind, aber ich habe kein Beispiel, sonst hätte ich es nämlich geschickt.

2 Schließlich, um auch etwas Fröhliches zu schreiben, sah ich das Gedicht eines gewissen Italieners, den Gauricus als Lehrer des Pontanus bezeichnete, in dem die Planetenbewegungen wunderbar beschrieben werden. 3 Am Ende fügt er einen Seherspruch über eine bestimmte große Konjunktion an, in dem über diese kirchlichen Zwistigkeiten mild genug prophezeit wird; wohin der Rest gehört, ist Werk der Mantik.

 

<[3] M. schickt die Horoskope von [Kaiser] Karl und [Kg.] Ferdinand, wozu er Gauricus, Cornelius [Duplicius] Schepper und [Johannes] Carion erwähnt,
[4] sowie ein Gedicht des Laurentius [Bonincontri] Miniatensis, der laut Gauricus Lehrer des [Johannes Jovianus] Pontanus war. >

4,1 In V. Ethicorum deprehendi quaedam errata, quae tamen valde difficile erit epanorqoun. 2 Si adhuc Noribergae sunt nostri, dices salutem Doct. Ioanni, Pontano et aliis, et dices eorum familias salvas esse. 3 Bene vale. 4 III. Cal. Iulii.

4,1 Im 5. Buch der Ethik entdeckte ich einige Fehler, deren Verbesserung dennoch schwer sein wird. 2 Wenn unsere Leute noch in Nürnberg sind, dann grüße Doktor Johannes, Pontanus und die anderen, und sag ihnen, ihre familien seien gesund. 3 Leb wohl! 4 Am 29. Juni.

 

<[5] M. fand in seiner [Aristoteles-Übersetzung] einige Fehler. Er läßt Dr. Johannes [Rühel] und [Gregor] Brück grüßen.>

5,1 Pontani praeceptor Laurentius Miniatensis.

2 At quoque quae nostris iam iam ventura sub annis
3 Est melior, nostrae legis vix pauca refringet.
4 Aspera quae nimium sacris et dura ferendis,
5 Et genus omne mali tollet, pompasque sacrorum,
6 Ac regem dabit innocuum, qui terminet orbem.
7 Hic reget Imperio populos, gentemque rebellem
8 Imperio subdet, toti et dominabitur orbi.

Philippus.

5,1 Des Pontanus Lehrer Laurentius Miniatensis

2 Aber auch die, die innerhalb unserer Jahre bald kommen wird,

3 ist besser, sie wird mit Mühe einiges unseres Gesetzes aufbrechen.

4 Was allzu rau und hart beim Bringen der heiligen Gaben

5 Und jede Art Übel wird sie beseitigen und die Opferfestzüge,

6 und sie wird schenken einen rechtschaffenen König, der den Erdkreis begrenze.

7 Dieser wird mit seiner Herrschaft die Völker lenken, das aufmüpfige Volk

8 wird er seiner Herrschaft unterwerfen und den ganzen Erdkreis beherrschen.

Philipp

 

<[6] Das in § 4 besprochene Gedicht.>

Corpus Reformatorum II, Sp. 600ff., "No. 1064"

<Dickdruck von mir.>

 

 

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