PAGINA CARIONIS

PHILIPP MELANCHTHON AN JOACHIM CAMERARIUS, 22. DEZEMBER 1531

Viro optimo Ioachimo Camerario , Noribergae

 

S. D.

Dem besten Mann, Joachim Camerarius in Nürnberg.

 

Ich grüße Dich.

1,1 De rebus Helveticis nihil certi diu iam habemus. 2 Huc nuper allata fama est, Duregum captum esse ab Hispanis, et Cinglianorum octo millia caesa est. 3 Haec etsi nondum credo, tamen affirmantur a multis axiopistoiV. 4 Quaeso itaque te, ut quicquid habes de his rebus, mihi significes. 5 Quanquam quoquomodo illa se habent, vix potest sperari pax in hanc aestatem. 6 Illud est orandum, ut Deus det mollem katastrofhn.
7 Sane casus mirabilis est, et vidi somnium horribili specie. 8 Erat testudo quae paulatim crescebat, et accipiebat draconis formam: 9 hic intumescens crepabat, interim stridens horrendum, sicut rotae novae stridunt. 10 Aderant autem percussores, qui feriebant draconem, postquam crepuisset, et paulatim aperiens se draco, continebat humanum cadaver, quod totum sanie taboque plenum erat, et cum videret sibi moriendum esse, faciem tegebat, pelle a capite super faciem retracta; sic experrectus sum. 11 Mira ista imaginum confusio rerum scilicet maximam perturbationem indicat. 12 De qua tamen nihil opus est somniis, cum sit illa ante oculos. 13 Nondum scio
thV nuni ginomenhV sunodou pragmata. 14 Vides quo ruat res.

1,1 Von den Schweizer Verhältnissen wissen wir schon lange nichts Sicheres mehr. 2 Neulich kam das Gerücht hierher, Zürich sei von den Spaniern eingenommen und 8000 Zwinglianer seien tot. 3 Auch wenn ich das noch nicht glaube, so wird es doch von vielen Vertrauenswürdigen bestätigt. 4 Deshalb bitte ich dich, teile mir alles mit, was du weißt. 5 Wie auch immer es um jene Dinge steht, kann man trotzdem kaum auf Frieden für diesen Sommer hoffen. 6 Man kann nur darum beten, Gott gebe eine sanfte Katastrophe.
7 Der Fall ist wirklich seltsam, und ich habe einen grässlichen Traum gesehen. 8 Da war eine Schildkröte, die langsam wuchs und die Gestalt eines Drachens annahm: 9 Anschwellend dröhnte er, quietschte bisweilen grässlich, so wie neue Räder quietschen. 10 Da waren aber Jäger, die den Drachen erschossen, nachdem er gedröhnt hatte, und langsam ging der Drache auf und hatte in sich einen menschlichen Leichnam, der ganz voll war von giftiger Blutjauche, und als er sah, dass er sterben müsse, bedeckte er sein Gesicht, dabei war die Haut vom Kopf übers Gesicht gezogen; so bin ich aufgewacht. 11 Diese seltsame Vermengung der Bilder zeigt natürlich größte Verwirrung der Wirklichkeit an. 12 Davon braucht es trotzdem keine Träume, wir haben sie ja vor Augen. 13 Von der laufenden Versammlung habe ich noch keine Fakten. 14 Du siehst, wohin die Sache stürzt.

 

<[1] Keine Gewißheit über die Lage in der Schweiz. Gerücht von der Einnahme Zürichs durch die Spanier. M. hat keine Friedenshoffnung.
[2] Den Tod Zwinglis sah M. am Tag danach in einem scheußlichen Traum.
[3] Noch keine Nachricht von der gegenwärtigen Versammlung [des Schmalkaldischen Bundes in Frankfurt/Main].>

2,1 Georgius Vorchemius tuus praeceptor nunc meus est conviva, mansurus aliquamdiu nobiscum, cui velim te scribere: 2 dedi ei tuum Theocritum, nondum enim viderat. 3 Bene vale. 4 X. Calend. Ian.
5 Sebaldus misit hunc tabellarium ad vos, per quem ut mihi respondeas, te etiam atque etiam oro.

FilippoV.

2,1 Georg Forchemius, dein Lehrer, ist jetzt mein Gast und will ein paar Tage bei uns bleiben; schreib ihm, bitte. 2 Ich habe ihm deinen Theokrit gegeben, den hatte er nämlich noch nicht gesehen. 3 Leb wohl! 4 23. Dezember.
5 Sebald schickte diesen Boten zu euch; ich bitte dich dringend, antworte mir durch diesen!

Philipp

 

<[4] Georg [Helt] wohnt jetzt bei M. Er kannte die [ihm gewidmete] Theokrit-Ausgabe des C. [Hagenau, Johannes Setzer, 1530] noch nicht.
[5] C. soll durch diesen Boten des Sebald [Münsterer] antworten.>

Corpus Reformatorum II, Sp. 553f., "No. 1020"

<Dickdruck von mir.>

 

 

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