PAGINA CARIONIS

PHILIPP MELANCHTHON AN JOACHIM CAMERARIUS, 29. SEPTEMBER 1531

Viro optimo Ioachimo Camerario Bambergensi

 

S. D.

Dem besten Mann, Joachim Camerarius aus Bamberg.

 

Ich grüße Dich.

1,1 Reddidit mihi tuas literas gravissime scriptas discipulus tuus, de quibus, quoniam nunc non vacabat multa scribere, breviter respondebo. 2 Ego si recte calleo sensum tuorum hominum, ita existimo, haud iniquo animo illos laturos, non enim dicam, quod quosdam suspicari animadverto, etiam beneficii loco ducturos esse discessum vestrum. 3 Quare non est, quod arbitreris te aliqua officii ratione alligari. 4 Invidiae velim te, si queam, eripere, etsi profecto illi urbi optime volo, quam etiam hoc nomine magis amo, quia tibi non ingratam sedem atque hospitium aliquamdiu praebuit. 5 Sed ego ita ratiocinor, neque illos cupere vos retinere, neque ut nunc cupiant, diu vos ibi esse posse, aut futuram ibi frequentem scholam. 6 Postremo alibi melius de studiis publicis mereri poteris. 7 Accedit et to kalon, honestius est artem factitare in illa frequentia Publicorum Gymnasiorum, quam ut spero restituetis. 8 Sunt alia multa, quae me movent, quae nisi arbitrarer tibi homini prudentissimo atque omnium momenta officiorum perpendenti, venire in mentem, scriberem longius. 9 Sed potes tu quoque pertentare istic quorundam animos, quid iudicaturi sint, nisi habes exploratos animos istorum, quorum iudicia plurimum ibi valent. 10 Doctor Hieronymus iussit, ut mihi significetis de stipendiis, quanta mercede istinc abstrahi possitis. 11 Ita pollicetur, se non defuturum negotio. 12 Nosti autem ingenia eius urbis, et stipendiorum modum in scholis publicis. 13 Itaque optarim vos civiliter petere. 14 Nam ego ita sentio, etiam mediocri mercede honestius vos in tali loco victuros esse. 15 Scribam et Othoni, sed quam maxime potero asteiwV.

1,1 Dein Schüler hat mir deinen bedeutungsschweren Brief gegeben, auf den ich dir nur kurz antworten will, weil ich jetzt nicht viel schreiben kann. 2 Wenn ich die Meinung deiner Leute richtig einschätze, dann denke ich, sie hätten es nicht ungern, ich will nicht sagen, was manche, wie ich bemerke, vermuten: sie sähen es sogar als Wohltat an, wenn ihr fortginget. 3 Deshalb brauchst du nicht zu glauben, du würdest von irgendeiner Art Pflicht gehalten. 4 Der Missgunst würde ich dich gerne, wenn ich könnte, entreißen, auch wenn ich für jene Stadt wirklich nur das Beste will, die ich auch deshalb mehr liebe, weil sie dir eine Zeitlang einen nicht unwillkommenen Wohnsitz und Gastfreundschaft schenkte. 5 Aber ich schätze das so ein, jene wollen euch weder behalten, noch könnt ihr, auch wenn sie es jetzt wollen, lange dort sein oder dort eine gutbesuchte Schule sein. 6 Schließlich kannst du dich anderswo besser um die öffentlichen Studien verdient machen. 7 Es kommt noch der Vorteil dazu, ehrenwerter ist es, die Kunst bei jener zahlreichen Zuhörerschaft der öffentlichen Gymnasien zu betreiben, die ihr hoffentlich wiederherstellen werdet. 8 Es gibt noch viel anderes, was mich bewegt, was ich dir länger schreiben würde, wenn ich nicht glauben würde, dass es dir als überaus klugem und die Bedeutung aller Pflichten bedenkendem Mann in den Sinn käme. 9 Aber auch du kannst dort die Herzen einiger Leute prüfen, was sie meinen werden, wenn du nicht die Herzen derer erforscht hast, deren Urteile dort sehr viel gelten. 10 Doktor Hieronymus befahl, ihr solltet mir von der Belohnung schreiben, mit welchem Gehalt ihr von dort abgezogen werden könnt. 11 Er verspricht, er werde es beim Geschäft nicht fehlen lassen. 12 Du kennst ja die Denkweise dieser Stadt und die Gehaltsgrenzen an öffentlichen Schulen. 13 Deshalb hätte ich gerne, ihr stelltet zivile Forderungen. 14 Denn ich bin der Meinung, auch ohne Spitzengehalt könnt ihr recht ehrenvoll an solch einem Ort leben. 15 Ich werde auch Otto schreiben, aber möglichst urban.

 

<[1] M. beantwortet den von [Hieronymus Hofmann] überbrachten Brief des C. [über die mögliche Berufung nach Erfurt]. Er hat den Eindruck, daß die [Nürnberger] C. und [Eobanus Hessus] ganz gern los würden, und befürwortet den Wechsel. Hieronymus [Schurff] fragt nach den Gehaltswünschen. M. will auch an Otto [Beckmann?] schreiben.>

2,1 De versiculo graeco habeo tibi gratiam, suspicabar enim komhthn ibi comatulum esse, sed movebat me Suidas, qui in astro recenset versum. 2 Livio ita respondi, ut non sperem eos epistolam edituros esse. 3 Confero enim in Campegium culpam, quod non coierit concordia, et recito quosdam illius sermones, neque metuo iam odia istorum, nihil enim expecto ab eis pacati. 4 Videoque tantum a Deo expetendam esse mediocrem katastrofhn harum rerum. 5 Quod Caesar petit, ut Papa conditiones accipiat, non impetrabit, ac quo magis videas pertinax in Pontifice ingenium esse, mitto tibi eius genesim.

2,1 Für das griechische Verschen danke ich dir, ich vermutete nämlich, der Komet sei dort ein "kleiner Behaarter", aber Suidas brachte mich in Unruhe, der am Stern einen Vers durchmustert. 2 Dem Livius habe ich so geantwortet, dass sie hoffentlich den Brief nicht veröffentlichen. 3 Ich schiebe nämlich die Schuld auf Campeggio, dass es nicht zur Eintracht kam, und ich lese einige seiner Predigten und fürchte nicht mehr den Hass der Leute, denn ich erwarte von ihnen nichts Friedliches. 4 Und ich sehe, dass man von Gott nur eine mittelmäßige Katastrophe in jenen Dingen wünschen darf. 5 Der Kaiser verlangt zwar, dass der Papst seine Bedingungen annehme, das wird er aber nicht durchsetzen, und damit du besser siehst, dass der Papst zur Sturheit neigt, schicke ich dir seine Nativität.

 

<[2] Dank für einen griechischen Vers bezüglich Komet und Suidas.
[3] M.s Antwort an [Julius Pflug] ist derart, daß sie nicht verbreitet werden wird, denn er gibt [Lorenzo] Campeggio alle Schuld am Scheitern der Verständigung [auf dem Augsburger Reichstag 1530]. Papst [Clemens] wird dem Kaiser nicht entgegenkommen, was auch dessen beiliegendes Horoskop anzeigt.>

3,1 Milichio puerum, quem huc misisti, commendavi, neque enim puto quenquam magis idoneum esse praeceptorem hic istis, qui iam aliquo usque in literis progressi exercendi sunt etiam in philosophiae rudimentis. 2 Et est vir ingenio sedato et humano.

3,1 Dem Milichius habe ich den Jungen, den du hierher geschickt hast, empfohlen, denn ich glaube nicht, dass es hier einen besser geeigneten Lehrer gibt für die, die schon ein wenig in der Literatur vorangeschritten sind und die man auch in den Grundlagen der Philosophie üben muss. 2 Er ist auch ein gelassener und humaner Mann.

 

<[4] Der von C. entsandte Student [Hieronymus Hofmann?] wird von [Jakob] Milichius betreut.>

4,1 De Cometarum motu proprio nihil ambigo, quin sequantur stellas, neque id tantum de illis intelligo, quos sub certis stellis velut alwV fieri scribit Aristoteles, sed de hac re alias. 2 Nuntius enim properabat, ita ut Eobano scribere non liceret, cui dicas meis verbis salutem, et summa fide me acturum esse negotium. 3  De Erasmi floridis epistolis alias. 4 Mitto tibi huius anni prognostikon scriptum a Carione, teque rogo, mihi ut vicissim huius generis mittas quaecunque digna lectione putabis. 5 Bene vale. 6 III. Cal. Octobris.

FilippoV.

4,1 Bezüglich der Eigenbewegung der Kometen bin ich mir sicher, dass sie den Sternen folgen, und das weiß ich nicht nur von jenen, die, wie Aristoteles schreibt, unter bestimmten Sternen wie ein Dreschplatz entstehen; ein ander Mal darüber mehr. 2 Der Bote hat es nämlich so eilig, dass ich dem Eobanus nicht schreiben kann; grüße ihn mit meinen Worten; sag ihm, ich würde äußerst zuverlässig handeln. 3 Von den "Epistulae floridae" des Erasmus ein ander Mal. 4 Ich schicke dir hier das Prognostikon dieses Jahres aus Carions Feder und bitte dich, schicke mir dafür derartiges, das deiner Meinung nach lesenswürdig ist. 5 Leb wohl! 6 Am 29. September.

Philipp

 

<[5] Kurz über Kometen. Gruß an Eobanus [Hessus]. Des Erasmus [von Rotterdam] Epistolae floridae [Basel, Johannes Herwagen, September 1531]. Anbei [Johannes] Carions Prognostik für [1531] mit Bitte um Mitteilung von dergleichen.>

Corpus Reformatorum II, Sp. 545f., "No. 1008"

<Dickdruck von mir.>

 

 

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