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PHILIPP MELANCHTHON an CARION: 1531, 17. August

Dieser Brief ist im Corpus Reformatorum nicht enthalten. Er wird bei Warburg, S. 204ff. besprochen und übersetzt, das lateinische Original zitiert Warburg im Anhang S. 269.

Über den Fund des Briefes teilt Warburg folgendes mit: "Auf der Suche nach Carions Briefen verwies mich die Sammlung von Johannes Voigt auf das Staatsarchiv zu Königsberg und diesem verdanke ich die Möglichkeit, eine Reihe von seinen Briefen in der Hamburgischen Stadtbibliothek studieren zu können. Dabei fand sich als Beilage ein lateinisches Schreiben, das Melanchthon am 17. August 1531 an ihn richtete. Dank der Freundschaft von Prof. Flemming in Pforta konnte ich den lateinischen Text unter Benutzung der Textverbesserungen von Nikolaus Müller + sicherstellen."

Links der von Warburg zitierte Text, rechts seine "freie Übersetzung", wie er sagt; sie ist aber recht wörtlich.

Viro doctissimo / D. Johanni Carioni / philosopho, amico et / conterreaneo suo / Carissimo. / Zu eigen handen /

Dem hochgelehrten Herrn Johann Carion, dem Philosophen, seinem Freund und lieben Landsmann "zu eigen handen".

... ornare honestissimis laudibus conatus sum. Quid / assecutus sim aliorum sit iudicium.

... Ich habe versucht, [den Text] mit den angesehensten Zitaten auszustatten. Was ich erreicht habe, mögen andere beurteilen.

Dictum Heliae extat non in Biblijs, sed apud / Rabinos, et est celeberrimum. Burgensis <Anm. 135: ausführliche Erklärung der Textquelle> / allegat, et disputat ex eo contra Judaeos / quod Messias apparuerit. Receptissima apud / Ebraeos sentencia est, et a me posita / in principio tuae historiae [Carions Chronica], vt omnibus / fieret notissima et afferret commendationem / tuo operi. Tales locos multos dein / ceps admiscebo. vides autem prorsus esse / propheticam vocem. Tam concinna temporum / distributio est. /

Der Spruch des Elias kommt nicht in der Bibel vor, sondern bei den Rabbinen und ist sehr berühmt. Burgensis (Paulus) <Anm. 6: Stellennachweis> zitiert ihn und verficht unter Berufung auf ihn gegen die Juden (die Ansicht), daß der Messias schon erschienen sei. Den Hebräern ist dieser Ausspruch sehr geläufig und von mir an den Anfang Deiner Historia [Carions Chronica] gesetzt, um allgemeiner bekannt zu werden und Deinem Werke Empfehlung zu verschaffen. Solche Zitate werde ich später noch viele hinzusetzen. Du siehst (aber), wie die prophetische Stimme vorausweist; so zutreffend (concinna; harmonisch?) ist die Verteilung der Zeitalter.

Historiam, vt spero, hac hyeme absoluemus / Nam hactenus fui impeditus recognitione meae Apologiae <Anm. 136: Textnachweis>, quam in certis locis / feci meliorem. sed vix credas quam / tenui valetudine vtar, consumor enim / curis, et laboribus. /

Die Historia werden wir diesen Winter, wie ich hoffe, vollenden, denn bis jetzt wurde ich durch die Überarbeitung meiner Apologie, die ich an einzelnen Stellen verbesserte, daran verhindert. Du glaubst kaum, wie schwach meine Gesundheit ist; ich werde auch durch Sorge und Arbeit aufgerieben.

Mea vxor, dei beneficio filiam enixa est, / cuius Thema tibi mitto, non vt faciam / tibi negocium, video enim monacham fore ¦

Meine Frau genas mit Gottes Hülfe einer Tochter, deren Geburtszeit (Thema) ich Dir schicke, nicht etwa, um Dir Mühe zu machen. Ich sehe nämlich, dass sie Nonne werden wird <Anm. 7: Nachweis des Melanchthon-Briefs>.

... Cometen vidimus diebus plus octo. Tu / quid iudicas. videtur supra cancrum / constitisse occidit enim statim post solem, / et paulo ante solem exoritur. / Quod si ruberet, magis / me terreret. Haud dubie principum / mortem significat. Sed videtur / caudam vertere versus poloniam. / Sed expecto tuum iudicium. Amabo te / significa mihi quid sencias. /

Seit mehr als acht Tagen sehen wir einen Kometen. Wie urteilst Du darüber? Er scheint über dem Krebs zu stehen, da er gleich nach der Sonne untergeht und kurz vor Sonnenaufgang aufgeht. Wenn er eine rote Farbe hätte, würde er mich mehr erschrecken. Ohne Zweifel bedeutet er den Tod von Fürsten, er scheint aber den Schweif nach Polen zu wenden. Aber ich erwarte Dein Urteil. ich wäre Dir von ganzem Herzen dankbar, wenn Du mir mitteiltest, was Du meinst.

Nunc venio ad hodiernas literas. Si / scirem aliquid de nostrorum aduersariorum / conatibus, totum tibi scriberem, / quidquid illud esset. Nihil enim opus / est nos celare aduersariorum <Anm. 137: Kommentar über Carions von Melanchthon angenommene Parteizugehörigkeit> consilia, / magis prodest nobis ea traducere. /

Nun komme ich zu den heutigen Mitteilungen. Wenn ich etwas über die Versuche unserer Gegner wüßte, so würde ich Dir alles schreiben, was daran wäre, denn wir brauchen die Pläne unserer Gegner nicht zu verbergen; für uns ist im Gegenteil nützlicher, sie zu enthüllen.

Nihil itaque certi audiui diu iam de / vllo apparatu, preter suspiciones quas / concipiunt nostri propter illum exiguum numerum / peditum qui sunt in Frisia. Fortasse / pretextu belli Danici, nos quoque adoriri / cogitant. At Palatinus et Moguntinus ¦ iam agunt de pacificatione cum nostris, etsi / ego spem pacis nullam habeo, moueor enim non / solum astrologicis predictionibus sed etiam vaticiniis. / Hasfurd predixit Regi chrestierno <Anm. 138: Erklärung zu Haßfurts Berufung zum König Christian> reditum hone / stum, Schepperus negat reditururm esse. Sed / me non mouet Schepperus. Sepe enim fallitur. / predixit item Hasfurd Landgrauio maximas vi / ctorias. Et quidem ciuis Smalcaldensis / mihi notus habuit mirabile visum, de / his motibus quod vaticinium plurimi / facio. Catastrophen satis mollem habet. / Sed tamen significat perculsos terrore / aduersarios nostros illi Leoni cedere. Quaedam / mulier in Kizingen de Ferdinando / horribilia predixit, quomodo bellum / contra nos moturus sit, sed ipsi infoelix / In Belgico quaedam virgo Caesari / eciam vaticinata est, quae tamen non satis / habeo explorata. Omnino puto motum / aliquem fore. Et deum oro, vt ipse guber / net, et det bonum exitum vtilem Ecclesiae / et reipublicae. Ego ante annum laborabam / diligenter vt nobiscum pacem facerent. Quod. / si fecissent, minus esset turbarum in Sue / uia, quae magna ex parte iam amplectitur / Helueticam theologiam et licentiam. Sed Campegius ¦ cupit inuoluere et implicare Caesarem germanico / bello, vt vires eius labefactent, et Campegij / consilium probant nonnulli odio nostri priuato. / Sed deus habet iustum oculum. Nos enim certe / nihil mali docuimus. et libera / uimus multas bonas mentes a multis / perniciosis erroribus. Sabinus mittit tibi prefaci / onem <Anm. 139: Vermutung eines Zusammenhangs mit Johannes de Sacro Busto> meam de laudibus astronomiae et Astro / logiae, de qua expecto quid sencias. Bene vale / donerstag post Assumptionem b. Marie 1531 / Remitto tibi literas (hierauf folgen 2 bis 3 ausgestrichene Wörter). Phílippos. <in griechischer Schrift>/

Ich habe nämlich schon lange nichts Sicheres über irgendwelche Vorbereitungen gehört, außer Befürchtungen, die die unsrigen hegen wegen jener [nicht?] kleinen Anzahl von Fußsoldaten, die in Friesland sind. Vielleicht denken sie daran, unter dem Vorwand des dänischen Krieges auch über uns herzufallen. Aber der Pfälzer und der Mainzer verhandeln mit den Unsrigen schon über friedliche Beilegung, obwohl ich keine Friedenhoffnungen habe. Ich werde nämlich nicht allein durch astrologische Voraussagen beeindruckt, sondern auch durch Weissagungen. Haßfurt sagte dem König Christian eine ehrenvolle Rückkehr voraus. Schepperus leugnet, daß er zurückkommen würde. Auf mich macht Schepperus keinen Eindruck. Er täuscht sich oft. Haßfurt sagte auch dem Landgrafen die größten Siege voraus und ein Bürger in Schmalkalden, der mir bekannt ist, hatte ein Wundergesicht über diese (politischen) Unruhen, eine Weissagung, auf die ich den größten Wert lege. Sie enthält die Voraussage auf eine glimpflich verlaufende Katastrophe, deutet dabei aber doch an, daß unsere Gegner, von Schrecken gepackt, jenem Löwen [dem hessischen Landgrafen] weichen. Ein Weib in Kitzingen hat Schreckliches über Ferdinand vorausgesagt. Er werde Krieg gegen uns führen, der für ihn aber unglücklicher verlaufen werde. In Belgien hat eine Jungfrau dem Kaiser auch geweissagt, was ich aber noch nicht genügend nachgeprüft habe. Im ganzen meine ich, daß irgend eine Bewegung auftreten wird und ich flehe zu Gott, daß er sie zu gutem Ende lenkt und ihr einen der Kirche und dem Staate günstigen Ausgang verleiht. Ich arbeitete schon vor Jahresfrist eifrig daran, daß sie mit uns Frieden machten. Hätten sie es getan, dann würde es weniger Aufruhr in Schwaben geben, das (jetzt) zum großen Teil der Schweizer Theologie und Vermessenheit (licentia) anhängt. Aber Campeggi will den Kaiser in einen deutschen Krieg hineinreißen und verstricken, um seine Macht zu erschüttern, und die Ratschläge des Campeggi billigen einige aus persönlichem Hass gegen die Unsrigen. Gottes Auge aber ist gerecht. Wir haben sicherlich nichts Schlechtes gelehrt und befreiten viele fromme Seelen von vielen verderblichen Irrlehren. Sabinus schickt dir meine Vorrede über das Lob der Astronomie und Astrologie, über die ich Dein Urteil erwarte. Lebe wohl. Am Donnerstag nach Mariae Himmelfahrt 1531. Ich schicke Dir die Briefe zurück. ... Phílippos. <in griechischer Schrift>

Darunter gibt Warburg noch einen kritischen Apparat; unter diesem heißt es noch:
"Original, 2 Folioblätter mit erhaltener Siegelabdruckstelle
<Anm. 140>. Bei dem ersten Blatt fehlt das oberste Stück mit etwa 4-5 Zeilen auf jeder Seite.
Königsberg, Herzogliches Briefarchiv A. Z. 3. 35. 125 (II)."

<Dickdruck von mir.>

 

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