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Literarischer Niederschlag: Willibald Alexis, Der Werwolf

Kurzcharakteristik in Wikipedia: 
Willibald Alexis
(eigentlich Georg Wilhelm Heinrich Häring; * 29. Juni 1798 in Breslau; † 16. Dezember 1871 in Arnstadt) war ein deutscher Schriftsteller, der als Begründer des realistischen historischen Romans in der deutschen Literatur gilt.
In der Reihe seiner "Vaterländischen Romane" erschien 1848 als vierter Band der Roman "Der Werwolf", in dem Carion eine Rolle spielt. Der Roman ist aber, im Unterschied zu Bergengruens Werk, kein Carion-Roman, sondern entwirft ein Zeitbild um den Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg, der als altgläubiger Fels in der Brandung des neuen Glaubens dargestellt wird. Wie an mehreren Stellen erkennbar, schreibt Alexis sehr stark seine Quelle "Haftiz" aus; am Ende des ersten Bandes, damit auch am Ende des Berichts vom Wettergeschehen am 15. Juli 1525 (S. 245) zitiert Alexis Haftiz ausführlich.

Alexis hat vom historischen Carion, also unserem Johannes Nägele aus Bietigheim, keine Ahnung; bei ihm ist "Carrion" (mit zwei R!) ein jüdischer Zwerg, der auf Joachim als dämonischer Kobold einwirkt. Folgende Auszüge sollen einen Eindruck von Alexis' Werk verschaffen:

Der Roman "Der Werwolf" hat zwei Teilbände, deren erster wieder aus den zwei Teilen "Hake von Stülpe" und "Die Sündflut und der Tempelhoffsche Berg" besteht.
Der erste Teil ("Hake von Stülpe") umkreist die Handlungszeit, entwickelt auch das Symbol des "Werwolfs" als des Bedrohlichen in der Gegenwart und zeigt vor allem das Wirken Tezels. Erst im zweiten Teil ("Die Sündflut und der Tempelhoffsche Berg") wird dann Joachim als Hauptperson gegenwärtig. In dessen erstem Kapitel ("Vor der Tafel") referiert der Erzähler eine Lobrede des Kanzlers auf Joachim, deren Anfang ihres judenfeindlichen Gehalts wegen zitiert sei; der Astrologe Carrion ist ja Jude!

"Glänzend war allerdings das Bild, was er entworfen. Rühmend hatte er gedacht, wie der Kurfürst das Land von den gottlosen Juden nun ganz befreit, wie er sie fast ausgereutet und die Ausgewiesenen Urfehde schwören lassen, nimmer zurückzukehren; nun könnten Handel und Wandel blühen, reich und arm wären der Sorge quitt, von diesen Blutsaugern ausgesogen zu werden. Linder ging er darüber hinweg, daß Joachim auch die Straßen fast ganz gesäubert und die ritterlichen Placker und Landschädiger sich itzo in keinem Schloß mehr halten dürften. Er hatte erwähnt der Blüte der Universität Frankfurt, wohin über tausend Jünglinge, Weisheit zu lernen, auch aus den entferntesten Ländern, alljährlich strömten; wie das brandenburgische Erbrecht durch Joachims Konstitution nun für alle Zeiten festgestellt worden, und in dem Kammergericht für jedermann, niedrig und hoch, gleiches Recht gesprochen werde, daß er nicht mehr brauche mit schweren Unkosten außer Landes es zu suchen. Er hatte leise angedeutet, daß die hohe Kenntnis des Kurfürsten in allen Dingen, ja weiter hinaus als das gewöhnliche Auge dringt, seinen Unterthanen Bürgschaft sei, wie sie ruhig der Zukunft entgegenblicken könnten. Was diese Zukunft auch bringe, welche schwarze Wolken auch am Horizont schwebten, Brandenburg dürfe nicht bange sein; sein Herr wache darüber." (S. 97f.)

Im weiteren Verlauf lernt man Joachim an seinem Hof kennen, sieht ihn gleichsam umarmt von altgläubiger Geistlichkeit. Er glaubt an die kommende Sintflut, er lässt auch den Doktor Faustus bei sich ein. Im 4. Kapitel ("Der Bischof und der Kurfürst") begegnet der Leser zum ersten Mal dem Astrologen "Carrion":

"In einer Ecke des halb verdunkelten Gemachs, wo Himmels- und Erdgloben, Triangel, Fernröhre <sic!!> , Pendel- und Sanduhren und andere astronomische und astrologische Gerätschaften in scheinbarer Unordnung umherstanden, daneben aufgeschlagene oder übereinandergetürmte Folianten, auch wohl Gerippe sichtbar wurden von Krokodilen, Schildkröten und Einhörnern an der Decke oder zwischen dunkel wallenden, schweren Vorhängen, - im Zwielicht dieses Winkels bewegte sich leise eine Gestalt, die man geneigt war, auf den ersten Blick für eine Puppe oder ein Bild zu halten, das in diesen Dunst- und Nebelkreis gehörte, und ein Mechanismus bringe die Bewegung hervor. Es war auch ein blasses Gesicht, auf einem großen Kopfe, mit scharf geschnittenen Zügen, aber diese Züge waren so bewegungslos, daß sie einer Holzpuppe angehören konnten, eine Vermutung, die durch den mehr als vollständig ausgewachsenen Kopf gerechtfertigt schien, der hinter dem bepackten Tische allein zum Vorschein kam, während der dahinter verborgenen Leib der eines Kindes hätte sein müssen; aber wenn das Gesicht die blaßgelben Wimpern aufschlug, schoß aus den rötlich umränderten Augen, die von langen Nachtstudien sprachen, ein stechender und forschender Blick hervor, den keine mechanische Vorrichtung der Natur nachbilden konnte.
Ein solcher stechender und forschender Blick hatte eben den Kurfürsten getroffen, als dieser auch seine Augen aufschlug.
'Nichts?' fragte Joachim.
'Nichts mehr.'
'So war es Täuschung? Deine Augen, Carrion, werden trüb von den Nachtwachen.'
'Die Sterne täuschen nie,' entgegnete der Astrolog, 'und meine Augen sind noch scharf. Der Wassermann ist's, der's am wahrhaftesten mit uns meint; wir mögen uns nur in Zeit und Raum verrechnen. - Unsere Instrumente sind Arbeit von Menschenhänden.'
'Ich will dir bessere verschreiben lassen, aus Venedig. - Es wird noch Zeit sein?'
Carrion nickte.
'Wohlan, wenn es noch Zeit ist, zu anderen Sorgen! - Verschwinde.' " (S. 137f.)

Danach diskutiert Joachim mit Hieronymus, dem Bischof von Brandenburg, über Luther. Aus Sicht des Bischofs ist Luther ein ferngesteuertes Werkzeug, Joachim sieht aber in ihm die "Kraft des Ursprünglichen", die außergewöhnliche Persönlichkeit. Aber als Luther die päpstliche Bulle verbrennt, ist Joachim bereit zum Kampf gegen ihn.
Im 10. Kapitel ("In Berlin") wird das Wettergeschehen des 15. Juli 1525 dargestellt. In der Stadt Berlin herrscht Aufruhrstimmung, aber Joachim ist ja außerhalb der Stadt auf sicherer Höhe. Todkrank war Bischof Hieronymus in die Stadt gebracht worden, da predigt ein Dominikaner. Seine Kritik an der Astrologie bezieht sich auf deren elitäre Grundlage:

"Nur das war gewiß, daß Hieronymus' traurig Erscheinen der Volksunruhe eine andere Richtung gab. Der Zorn ging über in religiöse Zerknirschung. Die Häuser der Reichen waren gesichert; sie strömten in die offenen Kirchen und Kapellen, sie knieeten um die Heiligenbilder, sie zerschlugen sich die Brust. Was hat ein Priester Macht, wo das Volk von Fieberangst bebt. Wie lauschten sie offenen Mundes jenem Dominikaner, der alles Unheil der Welt von dem Treiben verbotener Künste herleitete. Mit lebendigen Strichen malte er die Umgebungen des Fürsten, welche als Nekromanten galten, und verweilte endlich bei einem kleinen, unterwachsenen Manne, dessen Konterfei einem jeden, welcher ihn nur einmal gesehen, in die Augen sprang. Er malte ihn, wie er in dunklem Gemache mit seinen roten Augen über großen Folianten lag, Kreise zog, Winkel und Zickzacke, und hustend die Wendeltreppe hinaufstieg auf den Turm. 'Dort, seht ihn, richtet er Stangen und goldene Kugeln, schraubt und dreht und schaut durch lange Fernröhre in die Sterne, die Ihr nicht seht. Hat das der Herr gewollt? Warum gab er Dir, und Dir, und mir nicht auch so scharfe Augen? Was verbarg er den Teppich, darauf er die Sterne gesäet, unsern Augen, so lange er sein Sonnenlicht leuchten läßt? - Es muß doch sein Wille gewesen sein, er muß seinen Grund dafür haben, und der Nekromant stahl sich wider Gottes Willen in Gottes Geheimnis, er riß den Vorhang nieder und las die Schrift, so uns verborgen bleiben sollte. Oder war's nicht gegen Gottes Willen? Hat sein allmächtiger Finger etwa selbst einen kleinen Riß in den Vorhang geschlitzt, damit der kleine Mann sein Auge daran lege? Wenn hat er denn die Schrift gelesen? - Heut? - Nein, gestern, ehegestern, vorgestern. Sein lebelang liest er schon daran, hat Schriften davon abgefaßt und Bücher drucken lassen. So mußte er ja schon gestern, ehegestern, vor Monden und Jahren schon mußte er wissen, was dieser Stadt bevorstand. Freilich wußte er's. Die Sterne wandeln nimmer. Was der Wassermann und der Skorpion heute sagen, das sagten sie seit die Welt steht, und bis die Welt untergeht. Er hat's gewußt; und was that er den Mund nicht auf, was sprach er erst heut, da die Donner schon rollen in der Ferne, die Wolken den Himmel verdüstern, die Luft nach Schwefel dampft; was heut erst seine Warnung, da es zu spät ist? - Hört Ihr nicht Satans Hohngelächter im Knarren des Wetterhahns. O es ist ein gräßlich Gelächter, wenn Satan lacht, daß er dem Herrn eine Menschenseele entrückt hat! Seht, Ihr Thoren der Weisheit, ruft seine heisere Stimme, ich leite Euch an, des Himmels Wissenschaft zu stehlen, erstens damit Ihr sündigt gegen Gottes Gebot, und zweitens um Euch die Hoffnung zu verwirren, die Euch sein offenbartes Wort schenkt, und drittens, wenn der Abgrund sich öffnet, daß Ihr mit Verzweiflung und Pein in die Flammen stürzt. Dazu kauft Ihr Bücher und Instrumente, dazu ruft und bezahlt Ihr Gelehrte und Schwarzkünstler und speist sie an Eurem Tische und wärmt sie an Eurem Busen und nährt sie mit Eurem Vertrauen; ihnen öffnet Ihr das Ohr und verschließt es den Bitten und Vermahnungen Eurer andern getreuen Unterthanen, damit sie Euch Wahrheit sagen, wenn sie Euch nicht mehr hilft. So, Ihr armen Verlorenen, herrscht Satan auf Erden.' " (S. 219f.)

Vom aufgewühlten Berlin geht dann der Blick im nächsten Kapitel (" Der Tempelhoffsche Berg") hinauf zum Aufenthaltsort Joachims, der auf dem Berg mit seinem Hofprediger Andreas Musculus über die Möglichkeit einer erneuten Sintflut diskutiert. Gleich danach (12. Kapitel, "Der Blitz") wird Carrions teuflische Schadenfreude deutlich:

"Unterwegs hatte der Kurfürst erst erfahren, daß der Bischof von Brandenburg nach Berlin gekommen und schwer erkrankt im Schloß seiner warte. Darum hieß Joachim die Pferde antreiben, und die Brücke am Thor nach Teltow dröhnte schon unter ihren Hufschlägen, ja die Vorreiter näherten sich bereits dem Punkte auf dem heutigen Schloßplatz, wo jetzt die große Laterne mit den vielen Armen steht, als der Himmel abermals finster ward und neue Blitze zuckten.
Und zur selben Zeit sah oben aus dem Eckturm des Schlosses an der Spree das blasse Gesicht des kurfürstlichen Sterndeuters auf den Platz herab und der heranfliegenden Karosse entgegen. Niemand sah den stillen Zwerg jemals in Aufregung; er war nichts als eine Maschine, wenn sein Herr mit ihm sprach, welche nur die Laute von sich giebt und mit dem Ton, wie es gefordert wird. Darum aber war Carrion keine Höflingsmaschine, die immer angenehme Bilder zeigt und angenehme Weisen spielt; auf den Druck des Fingers gab er nur die Wahrheit, ob sie Joachim gut gefiel oder übel; das mußten auch Carrions Feinde rühmen. Auf seinem Gesicht fand man so wenig einen Ausdruck des Schrecks, wenn Joachim auffuhr, als auf dem des hölzernen Götzen Triglaf, dessen Figur in des Kurfürsten Zimmer stand und mit ihrem greulichen, heidnischen Gesichte oft die zarten Frauen erschreckte, welche auf den Zehen über die Teppiche huschten. So freute es ihn auch nicht, wenn der Herr über eine frohe Botschaft aus den Sternen aufjubelte. Ob es doch nie zu Carrions Schaden war, wenn er Gutes meldete, schien doch eher ein Zug wie Schmerz oder Verachtung ihm über die Lippen zu spielen, daß einer sich noch freuen könne.
Niemand hatte je den Zwerg in Aufregung gesehen; heute war er's, als er, das blasse Gesicht zwischen beiden Händen, auf das Fensterbrett gestützt, ein heiseres Gelächter ausstieß. Das Rot um seine Augen, was sie so häßlich machte, verschwand vor dem satanischen Blicke, vor dem breit geöffneten Munde, welcher das heisere Lachen rausließ. - Hier oben sah ihn niemand; hier war Carrion keine Maschine, er war ein Mensch, aber einer, vor dessen Blick ein harmlos umtobender Kobold sich geflüchtet hätte. Es war das Gelächter der Schadenfreude, ein tief innerliches; so giftiger, als er es lang verhalten, so heftig, daß es den Donner gern übertönt hätte:
'Da kommt er zurück, der große Fürst, der Überwinder, stolze, hohe Geist, übersprudelnd von kühnen Gedanken und Bildern, die dem Himmel seine Seligkeit abstahlen; Joachim von Brandenburg, Du Licht und Seele Germaniens! Wie kommst Du zurück? Ich führe nicht durch die breite Gasse, nicht wie am hellen Tag. Ich schliche mich an Deiner Statt abends im Mantel durch ein Hinterpförtchen. - Wirst Du den Streich verwinden können, Du große, schöne, von Gott begabte Natur, den Stich, den Dir ein kleiner Wurm in die Ferse gab, und der große Gottmensch knickte zusammen wie die geflickte Puppe des Goliath, den die Gewandschneider um Mummenschanz genäht. Er ragt, wie der Riese, bis an die Dächer; ein Schnitt mit einer langen Schere, wo die Knoten sich nesteln, und der Koloß knickt und stürzt und die Buben lachen über den Strohmann, der sie erschreckte. - Wirst Du's überwinden? - Wieder aufstehen? - Den Spott schüttelst Du nicht ab. - Blase nur Deine Backen auf, laß Deine Stimme tönen wie die Trompeten von Jericho, das Gelächter klingelt lauter um Deine Ohren. Schüttle die Mähnen Deines Zornes, Worte und Reden, die Rinderrücken brechen; es ist vorbei, der Zauber gelöst. Die Spittelweiber kichern, beim brennenden Kienspan erzählen sie sich's, die barfüßigen Buben weisen mit den Fingern auf Dich. Der floh vor der Sündflut auf den Sandhaufen von Tempelhof. Sein Volk ließ er unten, das konnte ertrinken. Wo findest Du hochtönende Reden, das wegzudisputieren! Der Sandhaufen unter Deiner Majestät sinkt zusammen.'
Der kurfürstliche Wagen kam noch nicht um die Ecke; die Pferde scheuten vor einem alten Bettelweibe, das an der schwarzen Brüderkirche ihre Lumpen erhob. Sie schlugen aus, daß das Gestränge riß und die Deichsel brach. Hundert Arme von der Stechbahn und der Brüdergasse stürzten hinzu, die Pferde zu halten, das Gestränge zu knüpfen und die Deichsel zu binden.
'So ist's recht,' fuhr der grinsende Gnom fort, 'Du zauderst noch. Ist's der Instinkt? - Da ist der Platz, wo ich Dich hin haben will; Du könntest ja aussteigen, wie viel hundert Schritte sind es bis zur Schwelle Deines Hauses? Nein, Du fürchtest ihre Gesichter. Birg Dich tief in die Ecke, sie sehen Dich doch. Durch Holz und Leder brennen ihre Blicke Dich schamrot. O aber, es wird noch besser kommen. Jetzt bist Du noch berauscht von Furcht und Grimm, aber wenn Du zur Besinnung kommst, zu Deiner stolzen Besinnung, und die Nachwehen nagen an Deinem Hochmut! Wenn Du die Hand aufhebst und fühlst, der Nerv ist gelähmt; wenn Du die Lippen öffnest, die Zunge stockt, die kühnsten Gedanken, Stimmungen wie Lerchengewirbel und Posaunenschall, die Unken heulen drein, die Fledermäuse flattern durch die Choräle. Das sind Flammen, spitze, brennende, bohrende Flammen; sie prickeln und nagen schärfer und langsamer als die Brandfackeln Deiner Büttel, als die knisternden und dampfenden Balken von frischem Kienholz an deinem schönen Turme. Und der Wurm wird nachheizen, wenn die Flammen matt werden, und in Deiner Qual wirst Du Dich auf ihn lehnen, als einen Trost. Ich will Dir Stütze sein, wie der glimmende Querbalken, an den Du meines Vaters Hals geschmiedet, und in der Todesangst schlug er mit dem Schädel dagegen, bis - es war ja nicht mein Vater allein! - Bin ich denn allein?'
Der Astrolog sah an der Treppe den Mann sitzen mit der roten Hahnenfeder und den gläsernen kleinen Augen.
'Du meinst doch nicht, Don Holofern, daß mir die Wimpern naß werden, wenn ich an den Turm denke? Oder daß es Rache ist, um solche Kleinigkeit? Was that mir damit Joachim, daß er meinen Vater und etliche dreißig dazu in die Rauchkammer hängte, und drunten heizen ließ, nur um zu sehen, wie lange ein Jude im Rauch aushält? Ein wissenschaftlich Exempel, ein mutwilliger Judenspaß. Pfui, wer so gemeinen Sinnes wäre, einem jungen vornehmen Herrn seinen Zeitvertreib zu mißgönnen. Auch ein paar Vettern, ein Bruder hing drunter. - Sind wir nicht alle Fraß der Würmer - selbst Würmer! Der Fuß des Menschen zertritt ihn; das geschieht täglich, stündlich, ja in diesem Atemzuge werden tausend, vielleicht tausendmal tausend Würmer und Insekten zertreten, an die Wand geklatscht, verschluckt. Das kleine Mädchen mit dem Engelkopf und den blauen Augen schleicht auf den Zehen mit dem Licht und verbrennt die Mücke, die an der getünchten Mauer schläft. Die kleine Mücke schmerzt der Feuertod, gerad' wie meinen Vater, und doch lacht das Engelskind voll Unschuld, daß ihr die List gelang, und die Mutter herzt sie vor Freude, daß das unschuldige Kind ein so hübsches Vergnügen ersann. Darum kräht kein Hahn, Gottes Odem schläft, die Natur schläft auch und verdaut, und ihr ist's recht; je mehr Leichname faulen, so geiler wird die Erde. Wenn nun einmal ein Wurm einem Menschen in die Ferse stach, daß er vor Schmerz Sprünge thut, darüber die Majestät von Gottes Ebenbild aus dem Gleichgewicht rutscht, etwas possierlich sogar, das nennst Du Rache, Mephisto? - Ein kleiner Zeitvertreib dem Wurme, weiter nichts!'
Der Mann mit der roten Hahnenfeder schüttelte den Kopf.
'Du hast recht, Don Moloch, 's ist ein groß Vergnügen, einen solchen großen Menschen, so eine schöne von Gott begabte Natur in der Sprache der Affen, so allmählich untergehen zu sehen. Warum ragt sie über die andern? Jeder Riese ist bestimmt, von einem andern, einem größern, zertreten zu werden. Bisweilen macht sich dann das kleine Gewürm den Spaß, den großen Riesen zu spielen und dem kleinen ein Bein unterzuschlagen. Lust muß jede Kreatur haben, das ist ihr mehr als Luft, das Essen, das Trinken, - einen kleinen Zeitvertreib, um das lange Folterseil zwischen Wiege und Grab kürzer zu machen. - Ich habe meinen Zeitvertreib mir selbst erfunden, und denke nicht, Don Lucifer, daß es mit dem Wurfe ausgespielt ist! - Meinst, er werde erwachen! Du bist ein schlechter Seelenkenner, weil Du nur die schlechten Seelen in Dein Reich bekommst, die Gimpel, die sich fangen lassen mit etwas Honig und Goldstaub. Mein Don Joachim ist ein besserer Vogel; wenn einer ihn aus dem Netze ziehen will, flattert er von selber wieder hinein. O diese schöne von Gott begabte Natur ist so eigensinnig, wie Du und die schlauesten Deiner Heerschar es nicht ersinnen könnten. Meinst, er werde mich's entgelten lassen. Ich schweige, ich unterwerfe mich ihm. Nun denn, je heftiger die andern mich anklagen, so heftiger ist mein Verteidiger. Je schwärzer sie mich machen, desto leuchtender werd ich durch ihn. Und wenn die Sterne selbst aus ihren Sphären träten, gegen mich zu zeugen, er sieht den hellen Tag nicht, er wird sie fassen, schütteln, ihnen die Köpfe zurecht setzen und sprechen: Der ist mein treuer Diener, und das ist mir genug. Was wollt Ihr gegen ihn! Ungläubiger Don Satanas, was willst Du gegen solchen Glauben?'
Der Mann mit der Hahnenfeder stierte ihn mit einem Hohngelächter an.
'Ärgert es Dich, daß ich Glauben habe? Ich glaube an mich selbst. Wie sollt ich nicht! Wie käme der kleine getretene Jude dazu, den sie, nicht aus Barmherzigkeit, nein weil sie sich schämten, die Mißgeburt in die Flammen zu werfen, nur mit einem Fußtritt aus dem Lande stießen, wie käme er dazu, dies Land und seinen weisesten Fürsten zu gängeln! Haben etwa reiche Verwandte, Freunde sich mein erbarmt? Sie stießen mich auch von sich wie ein Wechselbalg. Ich habe mich selbst erzogen; ein Schemel für ihre Füße, eine Bürste für ihre Schuhe, habe ich den Glauben und die Weisheit der Völker studiert, in Amsterdam und Paris, in Bologna, Salamanca und Cairo die große Weisheit, daß man den Dummen ihre Wünsche ablauschen muß, ihre Träume und ihr Spielzeug, und man hat sie gefangen. - Ich nicht an mich glauben! Der ihnen eine Puppe anzog, davor sie auf den Knien liegen, und mich selbst zog ich aus, daß keiner den Juden wittert. Ich nicht Achtung vor mir selbst, der ich mit glühendem Eisen die Züge mir ausbrannte, langsam, schmerzhaft, die Abrahams Stamm verrieten, einätzte Farben in meine Haut. Mein Gesicht ist nicht mehr Gottes, es ist mein.
Lachst Du wieder, Don Negatio, drohst Du den Juden anzugeben? Thue es. Wo ist denn ein Jude? Ich schwor ab dem Gott Jehovah, der die Würmer gemacht, daß sie von der Menschen Füße zertreten würden. Mein Gott ist die Schlange, die sich unter dem Drucke krümmt und windet, bis sie dem Unterdrücker ins Bein fährt. Mein Gott ist der Nebeltau, der die Samen verdirbt, mein Gott ist nirgend, mein Gott giebt keine Zeichen, steckt keine Zornruten am Himmel aus, er erweckt nicht Propheten, die dem blöden Volke ein Licht anzünden und ihm den Staar stechen, wie der alberne Doktor in Wittenberg will; denn es ist gut für die Sehenden, wenn die Blinden regieren, und vorteilhaft für die Klugen, wenn den Thoren die Welt gehört. - O, Don Infernatis <Infernalis?>, mit meinen Kneifzangen, mit meinem ätzenden Pulver, mit Höllenstein und Glüheisen zog ich mehr aus mir als den Juden. Ich habe auch meinen Rosengarten; darin schwelge ich, trotz Salomon und Hafis in seinem von Schiras. Wenn das gottfromme Gemüt bei den Düften, die der Abendwind sammelt, beim Läuten der Abendmette, Thränen der Rührung vergießt, wie der Herr so schön die Welt gemacht und das Aug' der Vorsehung über alles wacht, zähle ich die Läuse an den Blättern der Rose, ich pflege die Nester der Wickelraupen und rechne aus, das ist so mein still Vergnügen, wie die Brut sich entwickelt, bis wann sie die duftenden Blätter und Knospen umsponnen und zerfressen haben wird, und wann der Gärtner den unnützen Strauch aus dem Boden reißt und auf den Kehricht wirft. Von allem Häßlichen ist mir das Schöne das allerhäßlichste und darum das liebste, wenn ich's zerpflücken, fressende Säure in den Blütenkelch spritzen kann. Warum hat der Schöpfer zwei Fuß an mir gespart und einen Klumpen zu viel auf meine Schultern gesetzt? Was machte er mich nicht zu einem schönen Mädchen? Da, wenn ich Rosen pflückte und der Dorn meine weiße Haut ritzte, würden die jungen Leute in Verzückung aufjauchzen, nur das Blut von den Fingern zu küssen. O dann hätte ich auch ganz andere erhabene und schöne Empfindungen, da seufzte ich beim Mondenschein und liebte Gott; die ganze Menschheit möchte ich ans Herz schließen. Ha! ha! - Meine Schwester war ein solch Wesen, von Wonnedüften genährt und mit Rosenhauch gefärbt. Die hob sich auf den Zehen, hat man mir erzählt, und gab dem lieben Gott in der Luft einen Kuß vor lauter Daseins-Seligkeit. Was half's der armen Judith, daß sie so schön und gut war, und sie liebte die ganze Welt, nur vor mir erschrak sie, weil ich so ungestalt war und häßlichen Gemüts. Ihr göttliches Gemüt war in dem Gefäß des Judenmädchens verloren, so schön das Gefäß war. Ich weiß nicht, haben sie sie verbrannt, oder ersäuft, oder ist sie am Wege verkommen? - Und der Wurm soll glauben, und lieben und hoffen! Ich hoffe auch, ich liebe auch, mich, ich glaube - an die Würfel im Becher, aber nicht an den, und daß Du's weißt, auch nicht an Dich, Du mit der Hahnenfeder. Du bist ein Nichts, ein eitel Gespenst unseres kranken Hirns. - Verschwinde!'
Als er nach der kleinen Himmelskugel griff und sie nach der Treppenmündung werfen wollte, ward Himmel und Erde ein zückendes Schwefelblau, als stürze der Himmel nieder; von dem Gerassel zitterte der Turm, und die Himmelskugel rollte im kleinen runden Gemach, derweil der Astrolog besinnungslos am Boden lag. Der Sturm hatte das Fenster aufgerissen und der Platzregen strömte herein." (S. 236 - 242)

Kurz nach dieser Selbsteröffnung Carrions als des Juden, der wegen der tödlichen Diskriminierung seines Volkes seinem Jude-Sein und damit dem Gottglauben abgeschworen hat, endet der erste Band mit der Rückkehr Joachims nach Berlin, während der sein Kutscher vom Blitz erschlagen wird. Kurz davor hat in Berlin Hieronymus im Sterben Mathias von Jagow zu seinem Nachfolger geweiht.
Im zweiten Band nimmt Joachim erst die Berichte entgegen, wie es um sein Land steht. Dabei erfährt er auch von den Aktivitäten eines Kapuzinerbruders aus Landsberg an der Warthe, eines Bruders Eustach, der bald danach bei ihm im Schloss auftaucht und ihn zuerst an das Bild des "Wendengötzen Triglaf" erinnert. In diesem 3. Kapitel: "Mundus vult decipi", "Die Welt will betrogen werden", von Joachim zur Rede gestellt, kann sich Eustach ihm empfehlen. In der folgenden Stelle fragt Joachim den Eustach erst nach Carrion; nach einem kleinen Blick auf das abmarschbereite Militär erfährt man dann, dass Eustach und Carrion unter einer Decke stecken:

"Er <Joachim> hörte nicht die Pendelschläge der Uhr, die schon viele sechzigmal getickt hatten. Er hatte auch den Mönch <Eustach> vergessen, der wieder wie eine Holzfigur an der Mauer stand. Nur seine lauernden Blicke, und ein schadenfrohes Lächeln um die wulstigen Lippen zeigten das innere Leben an.
'Was willst Du noch hier!' sprach Joachim, wie aus einem Traume erwachend.
'Ich warte auf Dein Urteil.'
Der Kurfürst warf ihm eine Börse hin, die der Mönch mit einer Gelenkigkeit, welche einem Taschenspieler Ehre gebracht, auffing. Das verächtliche Lächeln, welches auf Joachims Lippen schwebte, nahm einen stärkeren Ausdruck an.
'Damit ist Dein Schweigen bezahlt!' Er hob drohend den Finger. - 'Ein Laut nur, und so erbärmlich Dein Leben ist, ich muß es fordern. Nun fort aus meinen Augen. Ich werde für Dich sorgen, daß Du der Gauklerkünste nicht mehr bedarfst.'
Der Mönch verneigte sich, daß sein Gesicht fast die Erde berührte. An der Thür rief er ihn zurück:
'Du bist nun in meinem Dienst. Mir gehört Deine Wissenschaft. Ich will Dich - '
'Noch prüfen!'
'Nur nutzen. Kann Dein Auge dem Lauf der Gestirne folgen?'
'Wenn Du mir die Nativität eines Menschen vorlegst, steigt sein Thun und Sinnen vor mir auf, wenn die Stunde gut ist.'
'Ich habe einen Mann, dem ich viel vertraute. Man hinterbringt mir Ungünstiges über ihn, als täuschte er mein Vertrauen. Ich glaube es nicht. Der Neid arbeitet und miniert. Man strebt die wahren Freunde der Fürsten vor ihnen zu verdächtigen, um ihrer los zu werden.'
'Hast Du selbst Verdacht auf den Mann geworfen?'
'Ich bin's, der ihn geschaffen, zu dem gemacht, was er ist; er ist durch mich, in mir, sonst nichts. Er ist treu; wenn aber seine Kunst ihm nicht treu wäre, feindliche Dämonen verwirrten seine Linien und Kreise?'
Der Mönch hatte sich mit dem Eifer eines Antiquars über einen seltenen Stein, eine dunkle Inschrift, auf die Pergamente geworfen, die Joachim ihm vorhielt. Er tastete dabei an den Himmelsglobus, schüttelte den Kopf, und sein Gesicht war heiter:
'Der Mann ist rein wie Gold.'
'Was siehst Du bedenklich?'
'Er war in einer großen Gefahr; aber die Linien trennen sich wieder.'
'Welche Gefahr?'
'Strafe für eine Vermessenheit. Er hatte verraten, was er nicht verraten sollte. Darum geschah etwas Unerwartetes. - Herr, mein Fürst, mißtraue dem Manne nicht, er arbeitet für einen Höheren. Täusche ich mich nicht, da flimmert etwas, ein heller Schein, um sein Haupt -'

'Ich wußte es!' sagte der Kurfürst, als der Mönch entlassen war, und ging mit dem Stolz der Selbstzufriedenheit durch das Zimmer. 'Was wußte dieser Mönch aus der fernen Neumark von Carrion, und wie er zu mir steht! - Nichts soll mich mehr täuschen!'

Er trat an einen Seitenpfeiler und drehte an einem Griff, worauf zuerst in der Höhe, doch weit entfernt, einige Töne, wie eine Art Glockenspiel, sich hören ließen. Darauf ein knarrendes Geräusch wie von aufgezogenen Rollen. Als es stärker ward und näher kam, öffnete sich unter den schweren Vorhängen, welche die dunkle Seite des Laboratoriums noch dunkler machten, die Decke, und auf einer Art Galerie schwebte der Zwerg Carrion herab.
Sein rechter Arm war gelähmt, er hing, wie von Holz gearbeitet, von der Schulter herab, ein unnützes Glied. Diese Verstümmelung des Körpers schien aber auf seine Lebenskraft ohne Einfluß. Er blickte so gleichgültig, in gemessenem Gehorsam wie immer, auf seinen Herrn; nur auf dessen Wink trat er aus seiner Verschränkung, und erst auf seine Frage öffnete er, wie dem Kommando gehorchend, die Lippen.
'Ist alles in Ordnung?'
'Meine Kulmination war richtig.'
'Saturn siegt -'
'Die Plejaden täuschten mich nicht mehr. Es flackert hell auf; der Scheiterhaufen ist nicht zu verkennen.'
'Ich hätte es anders gewünscht,' sagte nach einer Pause der Kurfürst.
Der Astrolog lächelte spöttisch. 'Der Lauf der Gestirne ändert sich nicht um die Wünsche der Fürsten.'
'Für ihn?'
'Dessen Gestirn uns anfangs irrte, nun aber in dieselbe Schweifung einlenkt, wie das von Huß, Savonarola und den anderen. Es ist nichts außer der großen Ordnung; nur die kleinen meteorischen Erscheinungen irrten uns dazwischen.'
Eine neue Pause trat ein. Dann fragte Joachim mit halblauter Stimme, als sollten es die Bilder und Gestalten des dunklen Zimmers nicht hören:
'Wann wird Luther verbrannt?'
'Der Tag verschwimmt noch in den Wochen, die Wochen noch in den Monden.'
'Aber die Monden nicht in den Jahren?'
'Das Jahr läuft nicht aus, ohne daß es den Tag gebracht.'
Joachim schöpfte einen schweren Atemzug: 'Es mußte so kommen. Ich hätte dem verwegenen Mann ein ander Los gegönnt!'
'Die Sterne sind stumme Diener ihres Herrn, sie wünschen nichts, sie fürchten nichts; sie thun seinen Willen.'
'Wer nicht, Carrion? - Es liegt eine Beruhigung darin, daß wir's nicht ändern, noch fördern. Sind wir nicht müde! Wir können nun die Hände in den Schoß legen.'

Die Trommel, welche von der Schloßfreiheit her wirbelte, erinnerte den Kurfürsten, daß er nicht zur Ruhe geboren sei. Der Trommel, welche dem Fußvolk voranwirbelte, das von der Seite des Schlosses ankam, wo heut der Lustgarten ist, antwortete die Pauke der Reiter, welche aus der breiten Straße, in Lederkollern und von Kopf bis Fuß geharnischt, zur Vereinigung mit den Landsknechten auf dem Schloßplatz anrückten. Beide waren die Hilfstruppen, welche Kurfürst Joachim I. dem Kaiser gegen die Türken stellte, beide sammelten sich in Köln und Berlin, und beide sollten dem jungen Kurprinzen nachziehen, der in des Kaisers Armee befehligte. Pauken- und Trompetenschall riefen den Kurfürsten in die Rüstkammer, um sein Stahlkleid anzulegen und die Truppen zu mustern.

Seltsam! Am Abende desselben Tages klopfte es leise an die kleine, kellerartige Zelle, wo der Astrolog bei einer Lampe unter aufgeschlagenen Büchern hockte, und der Mönch aus Landsberg trat ein. Sie nickten sich vertraulich zu; nur war die Vertraulichkeit des Astrologen die eines vornehmen Mannes gegen einen geringeren. Schnell waren die Bücher fortgeräumt, Öl auf die Lampe gegossen, und der Astrolog holte aus dem Schrank eine Flasche, deren ehrwürdiger Staub ein hohes Alter und einen kostbaren Inhalt verriet. Sie waren schon in einem stillen, aber lebhaften Gespräch begriffen, als ihm einfiel, daß die Lampe ein zu helles Licht werfe, weshalb er aufstand, um die Vorhänge fester zuzuziehen. Das einzige Fenster der Zelle, im Unterbau des Schlosses, ging nach der Spree zu, deren Wasser an die dicken Mauern des Gemaches selbst spülte, und ein anderes Licht, das der Lampe unter dem Marienbilde auf der langen Brücke, schien ihm aus der Finsternis draußen entgegen. Da kam noch ein drittes Licht über die Brücke, ein Glöcklein ging ihm vorauf. Ein Priester trug das Venerabile zu einem Sterbenden.
Wie es in aller Welt Sitte war, wo Christen sind, sanken der Mönch und der Astrolog mit gefalteten Händen auf die Knie, bis der Zug vorüber, dann aber lächelte einer den andern an, als sie aufstanden.
'Mundus vult decipi!' sagte der Astrolog.
Der Mönch schlürfte den Wein, während der Astrolog ihn nippte. Der Astrolog sprach in gemessenen Worten, scharf den Mönch dabei ins Auge fassend, aber der Mönch schien der Instruktion nicht die Achtung zu schenken, die der andere verlangte.
'Euer Spiel ist ein gefährliches, Bruder Eustach,' sagte Carrion, 'wenn Ihr Eures Leichtsinns nicht Meister werdet.'
'Wozu lebt man, wenn man nicht genießen soll!'
'Der Mensch genießt anders als das Tier, und unter den Menschen ist der Genuß des Klugen verschieden wie schwarz und weiß vom Genuß dessen, der in den Tag hineinlebt. - Er will Euch zum Pfarrer in Spandow ernennen zur Entschädigung -'
'Für meine Prügel in Landsberg! Ist das eine Entschädigung, wenn ich umgittert sitzen soll und umpanzert von Ehrbarkeit, aushauchen Tugend und Sittsamkeit, und einhauchen die Sumpfluft des Nestes.'
'Ihr habt die Wahl.'
'Euch ist's wohl recht bequem, wenn Ihr mich nach dem Dienste, den ich Euch geleistet, vom Hofe los werdet?'
'Wohin Ihr nicht gehört.'
'Ihr etwa! Ich hab' nicht Lust dazu. Gefahr ist überall: aber nur, wo sie mit Vergnügen gewürzt ist, geht ein Vernünftiger drauf los. Hier wär' mein Feld. Wie lange, das kümmert mich nicht. Jetzt wär's. Ich wollte von der Kanzel donnern, daß die Weiber ohnmächtig würden; Visionen wollte ich haben aus der Hölle, Luthern und Melanchthon hätte ich gesehen, als verpuppte Teufel mit Satans Großmutter auf dem Blocksberg walzen. Die Kirche sollte einen Zulauf haben, daß die Sigristen und Meßner an die Decke sprängen.'
'Auf drei Wochen, vielleicht drei Monat.'
'An weiter denk' ich auch nicht.'
'Es geht nicht, Ihr seid als sittenloser Mensch zu verrufen.'
'Ich habe den rechten Glauben, das ist mehr wert. - Wollt Ihr mir im Wege stehen?'
'Ich hob Dich auf, ich brauchte Dich nur fallen zu lassen.'
'Mich? der Dich aufrichtete, als Du schon gefallen warst. Ich habe Dich gemacht zu einem unbescholtenen Mann, zu einem untrüglichen Propheten; ein Wort nur kostete es mich -'
'Und Du fielst zuerst, von wo Du nicht wieder aufstandest.'
'Probiert's.'
'Ich wage nie etwas; ich gehe sicher. Mit Leib und Seele bist Du mein Eigner, Zabel Tschoppeck; Dein Großvater war ein Hussit, von ihren ruchlosesten, ein Adamit, Deine Mutter, ein fanatisch Weib, ließ Dich als Knaben schwören, am Glauben der Kelchner festzuhalten. An was Du heute glaubst, das weiß ich nicht, aber an Deinen katholischen Glauben glaubt niemand mehr, wenn ich verrate, daß Du ein Hussitenkind bist und sage, streift ihm den Ärmel auf: dort brannte er sich den Kelch auf die Schulter, als er der Mutter schwor, Rom und seine Kirche bis auf das Todbett zu hassen.'
Der Mönch hatte das halbvolle Glas von den Lippen gesetzt und war mit der Hand unwillkürlich an die Schulter gefahren, als wolle er sie schützen. Aber rasch sprang er auf, beugte sich über den Tisch und schrie den andern grinsend an.
'Und wer wird an Dich glauben, wenn ich ihnen sage: Carrion ist ein Jude?'
Zuerst ward der Astrolog blässer, als er gewöhnlich war, aber er wich nicht zurück, er richtete unverwandt seinen Blick auf den andern. Je länger sie sich in dieser Stellung ansahen, je mehr wich mit dem Schrecken der Zorn. Endlich lächelte der eine und der andere lachte auf. Das Gelächter schallte grauenhaft in der mitternächtlichen Stätte des Gewölbes. Dann reichten sie sich über den Tisch die Hand, und der Mönch wiederholte den Spruch des Astrologen: Mundus vult decipi! Auf ihren schönen Bund zur Unterstützung der rechtgläubigen Kirche, meinte der Mönch, müßten sie noch eine Cyper leeren, und Carrion öffnete den Schrank." (S. 30 - 35 des zweiten Bandes)

Die Reformation greift in Brandenburg weiter um sich. Joachim erhebt sich noch einmal von seinem Krankenlager, um vor seinem Landtag seine letzte Rede zu halten. Am Ende der Stelle eröffnet sich Carrion seinem Landesherrn.

"Nie haben die Stände ihn so sprechen gehört; es war das letzte Mal, daß er zu ihnen sprach. Sein Gesicht dünkte einigen geisterhaft, als wäre alles Blut daraus fort; die Lippen hatten ihre Röte verloren, sein Haar war grau, seine Haltung gebückt; und er war noch kein alter Mann. Er habe zu viel gelebt in den letzten Jahren, sagten die Ärzte; andere meinten, das hat andern Grund. Aber wenn er ins Feuer kam, hob sich der Körper, es strömte aus der Brust, die Augen glänzten wieder und die Stimme tönte, wie zu ihrer besten Zeit.
Er hub an gedrängt und doch in alles eingehend, wie ein ruhiger Mann, von der Lage des Landes; wie die Stürme von draußen nicht angegriffen hätten, so lange es von innen treu, einig und stark geblieben. - Nun war es nicht mehr so. Noch enthielt er sich der Klage, die seine Brust bewegte; er schüttete nur seinen Unwillen aus, wie lang sich schon die Minckwitzer Fehde hinziehe. In alten Zeiten, wo Adel und Städte gewetteifert, ihrer Pflicht zuvorzukommen, wäre die Unbill längst gerächt worden, die Ordnung wieder hergestellt. Warum nun jetzt die Saumseligkeit, warum Hader und Zwiespalt über Zahl der Reisigen, Zeugstücke, Heerfolge, darüber schon mehr als einmal der Winter ins Land gekommen, und es war nichts ausgerichtet. Er dringe darauf, er hoffe, daß die Stände in sich gehen, getreu sein würden sich selbst, ihrer alten Ehre, um die neue Schmach auszutilgen. Denn das wolle er nicht glauben, was im Dunkeln geflüstert werde, nein er halte es für schmachvolle Ausgeburt heimtückischer, gemeiner Seelen, die das schöne Band der Eintracht zu zerreißen trachteten zwischen Fürst und Ständen, - daß von seinem schloßgesessenen Adel nur einige, daß nur zehn , nur drei von seinen Städten, ja daß auch nur eine mutwillig und mit geheimer Lust der Verschleppung dieses trübseligen Krieges zusähen. Und weshalb? - Weil es die Rechte der Geistlichkeit herstellen gelte, der sie abhold wären. Nein, er halte es für eine schamlose, höllische Ausgeburt des Geistes der Lüge und der Verneinung, der sich freue, das Große, Schöne und Gute, wo er es finde, zu zerstören, ein Geist, der leider draußen in Deutschland mit seinen Fledermausflügeln schlage, und mit den Zähnen wie die Klapperschlange klappere. Dieser freche Geist würde freilich sich freuen, wenn er auch in dem treuen Brandenburg Anhänger werbe. Aber wehe ihm, wenn er sich getraue, hier sich einzuschleichen.
'Wehe ihm, denn ich kenne, ich durchschaue ihn,' rief er sich erhebend, 'wehe ihm, denn er hat sich verrechnet, wenn er hier auf Boden hofft, seine Drachenzähne auszusäen. Der Geist beugt mich nicht, und wenn er wächst zum Riesen, wenn er schwillt zur Bergeshöh', wenn er fliegt mit Flügeln wie der Vogel Rok. Ich schwöre es laut vor diesen edlen Zeugen. Wäre hier ein fremdes Ohr eingeschlichen, wäre ein Sinn, der wankt, er höre es an: sie haben sich verrechnet, die meinen, ich gäbe nur einen Finger breit nach dem Geist der Empörung und Widersetzlichkeit, der umwirft, was unsere Väter schufen und verehrten. Entsetzlich, ungeheuer ist der Fortschritt des Lügengeistes, ja wir dürfen es uns nicht leugnen, es wankt alles, was sonst fest stand; Jünglinge, Männer, Greise selbst lassen sich von dem Schwindel fortreißen; Gelehrte, Adel, Bürger, Geistliche selbst, wie in den Venusberg stürzen die Thörigen, wie dem Rattenfänger nach und wissen nicht wohin. Wer Augen hat, der reiße sie auf, wer Ohren hat, der öffne sie, haltet Euch vor dem Sturmwind fest. Ich stehe fest, ich gebe nicht nach. Werde ich das größte Opfer scheuen, der solche Opfer schon gebracht hat? Meine Söhne ließ ich neulich schwören, daß sie nimmer von der alten Kirche abfallen und wanken, es war an meinem Krankenbett, das, ich fürchtete, mein Totenbett würde. Meiner Söhne Eidschwur, hier ist er, wer ist noch so thörig, auf die Zukunft zu hoffen. Ich stehe für mich, für meine Söhne, für mein Land, für meine getreuen Märker ein, und wer ist, der seinen Fürsten im Stich ließe, wenn er sein heiligstes Wort für ihn eingesetzt hat!'
Das Lebehoch, als er die Thronstufen herabstieg, hatte schwach geklungen; es war schon verhallt als er den Saal verließ. 'Was will er denn damit sagen?' - 'Er weiß ja doch, wie wir's meinen.' - 'Uns bange machen,' sagte ein Dritter. - 'Hast Du Dich bange machen lassen, Quast?' - Aus dem Gemurmel in den Gruppen ward ein lautes Gerede. Die Marschälle mußten die Herren erinnern, daß an ihnen sei, ruhig auseinanderzugehen; was sie weiter darauf zu beraten, gehöre ins Ständehaus. Aber sie berieten beim Wein, in den Herbergen; sogar auf den Straßen, an den Ecken blieben sie stehen und steckten die Köpfe zusammen. Die Bürger wußten bald, daß viele der Junker zu Roß wollten und auf der Stelle nach Hause reiten. Die von den Städten hatten alle Mühe aufgewandt, sie abzuhalten. 'Wir wollen nicht Wache stehen vor der Pfaffen Läden und Kisten. Das fehlte noch zur Schmach des Adels, nachdem er uns zu seinen Kammerdienern machte auch an der Schwelle der Glatzen schultern!' - 'Wollen wir's denn, ihr lieben Herren,' entgegneten die Vermittler. 'Sind wir nicht alle eines Sinnes! Aber wir verderben alles, wenn wir jetzt auseinandergehen. Wohin soll es ausschlagen? Thut uns allen doch eine Verständigung not.' - 'Es ist zum besten.' sagten andere, 'wenn wir's nicht zum Äußersten kommen lassen; vielmehr lassen wir's hingehen, wie es geht, schlägt's zu unserm Vorteil aus. Mit Jahr zu Jahr, mit Monat zu Monat greift die Lehre um sich, es kann gar nicht mehr die Rede davon sein, sie mit Stumpf und Stiel auszurotten; er schlüge ins eigene Blut, und er verwundete schon seine Hand. Auch wagt er es heut gewiß nicht mehr. Wagt er nur die zahllosen Prädikanten, die in den Dörfern, Schlössern, Städten, auf den Kanzeln auftauchen, man weiß nicht woher sie kommen, noch wie sie da sind, zu fahnden, in den Kerker zu werfen? Oder die Kommunikanten, die nach dem Tische des Herrn schleichen, wagt er ihnen den Becher von ihren Lippen fortzureißen? Wagt er es nur die Nonnen, die Mönche, die überall entlaufen, in die leeren Klöster zurückzutreiben? Und wenn er's wollte, wo hat er Männer, Arme, wo kauft er den Willen seiner Diener, daß sie es thun? Und wenn Heerscharen dienstwilliger Geister ihm zu Gebot ständen, kann er uns zwingen, wieder zu opfern, Altäre zu stiften? Er fühlt, was er kann und nicht kann, aber er verschweigt es vor sich und der Welt. Er stopft sich die Ohren zu vor den Chorälen und Psalmen, die aus den verschlossenen Thüren summen, er schließt die Augen, wo er kann, und tröstet sich, indem er redet. Lassen wir ihm den Trost, stören wir ihm nicht die Luftbilder; wenn wir jetzt offenen Widerstand zeigen, der keinem Unterthan ziemt, der nimmer zum guten führt, verderben wir unsere gute Sache, die im Stillen der Nacht wächst, um am Tage als ein mächtiger Baum dazustehen. Auch eine Einigung, ein Vertragen, ist jetzt vom Übel. Im besten Fall, er giebt etwas nach und wir geben viel nach; keiner ist zufrieden, und wir verlieren das Gesetz, was wir durch die That schon in Händen haben.'
Das fand vielen Widerspruch. Die Junker, welche schon heimliche lutherische Kaplane in ihren Schlössern hatten, meinten, es sei ein Vertrag mit Beelzebub; entweder oder, Christ oder dem Antichrist, beiden könne ein Land nicht zugehören, beiden ein Volk nicht dienen; wer bekenne, müsse es aussprechen, halb bekennen, sei den Strick um den Hals schlingen und dem Teufel das Ende in die Hand geben. - Es kam zu keinem Schluß, weder in den Herbergen, noch auf dem Landhause, was auch die Marschälle umherliefen, mit gütigen Worten, mit Händedrücken, mit besorgten Blicken, mit ängstlichen Warnungen: der Kurfürst sei in einer Aufregung, daß alles zu besorgen, wenn man nicht vermittelnde Worte fände.
Der Marschall von Krauchwitz hatte endlich eine kleine Partei gesammelt, ältere Junker, die gern ihre übrigen Lebenstage in Frieden zugebracht, ehemalige Diener des Fürsten; schwachsinnige Leute, sagten nachher die andern. Mit ihnen, oder für sie, hatte er eine Anrede entworfen, die etwa so lautete, und des Kurfürsten Zorn beschwichtigen sollte: 'Liebe, Treue und Gehorsam gegen seinen Landesherrn sind dem Brandenburger mit der Muttermilch eingeimpft. Die Liebe zu Eltern, Weib, Kind und allem, was ihm teuer ist, steht diesem Gefühl nach. Woher sein Fürst komme, er empfängt ihn mit Freuden und fragt nicht, wohin er ihn führe, er folgt ihm und fragt nicht -'
Die übrige Rede hat niemand gehört, auch der Kurfürst nicht. Peter Melchior glaubte doch durch so lange Jahre seinen Herrn zu kennen, aber er hatte sich verrechnet. So ungnädig war noch keine Deputation angehört, so schmachvoll noch keine zur Thür hinausgewiesen. Denn bei den letzten Worten war Joachim aufgesprungen, er hatte mit dem Fuß gestampft, zweimal, und einen Zornblick auf den Sprecher geworfen, daß ihm das Wort im Munde stecken blieb:
'Auch wenn ich aus der Hölle käme, auch wenn ich Euch in die ewige Verdammnis führte!'
Dann hatte er mit der Faust gegen die Brust geschlagen, und einer will wieder den Schaum auf der Lippe bei ihm gesehen haben: 'Steht Ihr noch da? - Über solches Volk muß ich regieren, und ich wähnte, ich wäre ein Fürst über freie Menschen.'
'Die bösen Geister sind über ihm,' hatten die Abgeordneten gesagt; 'es ist heut nicht gut ihm in den Weg kommen.'
Die bösen Geister waren über dem Herrn, aber es kam ihm niemand über den Weg; es war ja niemand, der zu ihm verlangte. Auch des Kanzlers Vortrag war kurz; er hörte nur halb, und hastig hatte er die Schrift unterzeichnet, welche seine getreuen Stände entließ, 'weil sie sich nicht im guten einigen können.'
Der Kanzler hatte noch gewagt, nach Joachims Beschluß in betreff des Landsberger Mönches zu fragen; er hatte gewagt vorzustellen, daß, wenn ihm erlaubt würde, die Kanzel in Berlin wieder zu betreten, ja wenn er nur in der Stadt länger verweilen dürfe, könne niemand für die Aufregung, die es unter der Bürgerschaft veranlassen müsse, einstehen. Der Kurfürst war nicht aufgefahren, er war nur aufgestanden: 'Morgen erfährst Du meinen Beschluß darüber,' hatte er ihn in Gnaden entlassen.'

Er stand wieder bei Carrion in der Turmstube, der an den Glocken zirkelte und maß. Er schüttelte den Kopf: 'Überall dieselbe Antwort: stier und schroff, Widder, Schütze - nirgends eine Kurve, eine Schlangenlinie.'
'Ich soll nicht nachgeben!'
'Dein Wille ist Dein; die Sterne nur sagen nein.'
'Wenn die Sterne nun eine Lüge wären!'
'Dann ist die ganze Welt eine Lüge. Wir leben darin. Ist sie Lüge, sind wir in Lüge geboren, zur Lüge geweiht. Im Grunde wär's dasselbe. Jedes Atom ist unterthan den Gesetzen des Elementes, in das es gesetzt ward.'
'Du stelltest mir sein Horoskop,' hub Joachim nach einer Pause an. 'Da hast Du Dich geirrt? - Der Landsberger Mönch ist ein sittenloser, frevler Bube.'
Carrion griff gleichgültig nach seinen Tafeln: 'Ob er fest in seinem Glauben, danach nur ließ mein Fürst mich suchen? Hier ist die Konjunktur. Sieh, lauter Stabilität, eine Probe hinter der andern. Gar kein Wanken, Zweifeln. - Seltsam, auch dieser mächtige Stern bleibt ohne Einfluß auf ihn.'
'Wie kann einer gläubig sein, fest in dem einen, und so zerlassen. - Aufmerksamer Carrion, ist er ein wahrhaft guter, katholischer Christ?'
Mit derselben Gleichgültigkeit verfolgte der Astrolog die aufgeschriebenen Chiffren; er addierte, subtrahierte und stellte die Probe: 'Nein, Herr, er ist Hussit - ein Adamit, aber darin unerschütterlich fest -'
'In der greuelhaftesten, ruchlosesten, gottlosesten Glaubenstrunkenheit, vor der selbst die Ketzer sich entsetzen. Gepeitscht soll er werden über die Grenze. Und den konntest Du - mir empfehlen!'
'Ich - war nur Dein Instrument.'
'Du freutest Dich, als ich seiner mich annahm. Leugne es nicht, es zuckte etwas über Dein Gesicht, ein Strahl, den ich nie bemerkt. Du wolltest es verbergen. -'
'Ich! - Dann war's tellurisch, magnetische Einflüsse. Richtig, jetzt entsinne ich mich, ein mir damals unerklärlicher Einfluß verrückte meine Linien, ich hielt ihn für siderisch.'
'Du verrietest mehr für ihn - Liebe?'
'Ich liebe nichts, als meine Zirkel, Gläser und meine Algebra.'
'Auch nicht Deinen Herrn?'
'Nein! - der mich schuf, setzte mich ohne Liebe aus auf dieser Welt, und hier habe ich sie nicht gelernt.'
'Der ist wenigstens wahr,' sprach Joachim." (S. 119 - 124 des zweiten Bandes)

Vor seinem Tod diskutiert Joachim ein letztes Mal mit Mathias von Jagow, dem neuen Bischof von Brandenburg, über die Reformation; danach erfährt man von der plötzlichen Abreise Carrions nach Jerusalem.

'Mich hast Du angeklagt. Ich werde mich bald vor einem andern verteidigen; vielleicht erliege ich vor der Anklage, die Du noch scheu zurückhältst: Ja, ich überhob mich, steht in Deiner Brust geschrieben, dem eigenen Wissen vertraute ich mehr als den Zeichen. Was ich droben antworte, – leugnen werd' ich's nicht, aber, zwischen uns, erkenne ich keinen Richter. – Das die Zeichen, Mathias. Du bist so klug, Du kennst die Menschen! Achtung vor diesem Geschlechte? Vor dem Mönche, ja vielleicht. Doch vor der Staubwolke, die er mit sich reißt?'
'Zähle sie, Städte, Herren, Fürsten, Länder!'
'Ich zähle nicht, ich wäge sie ab. Die wollen teilen, plündern. Der aus Haß, der aus Liebe. Den treibt Sinnenlust, er will ein Weib, den Eitelkeit, ruheloser Ehrgeiz.'
'Die Du einst achtetest aus Deinen Nächsten –'
'Acht ich nicht mehr. Dem hat Rom nicht erlaubt, eine Predigt zu halten, nun ist er gegen Rom. Der Eifrige hoffte auf ein Bistum; weil er nicht mehr hoffen darf, ist sein Eifer erkaltet. So sind sie alle –'
'Alle erlauchten Häupter, alle Prinzen Deines Hauses, einer nach dem andern in Franken, in Preußen fielen ab. Wenn das nicht Zeichen sind! Du stehst ganz allein.'
'Des Ruhmes so mehr, wenn mich die Geschichte als Bekenner nennt. Wecke nicht sträflichen Ehrgeiz an der Schwelle zum Grabe.'
Der Bischof senkte die Augen: 'Herr, Dein edles Gemahl,' hub er mit bewegter Stimme an. 'Wenn eine zarte Frau Gatten, Kinder, den Segen des Hauses, die Heimat verläßt; wenn sie ins Elend flieht um ihrem Glauben zu leben, ist das Selbstsucht, kein Zeichen einer Wahrheit, die sich nicht länger bergen läßt? Wenn Dein ganz Volk, wenn hinter jeder Thür Deines Hauses für sie gebetet, ihr Name gepriesen wird, wenn die Kinder abends mit tränenden Augen zu Bett gehen, morgens mit ihrem Namen auf den Lippen aufstehen, wenn ihr Name durchs Land wie der einer Heiligen verehrt wird –'
Joachim unterbrach ihn: 'Meinen Kindern erlaube ich, sie zu besuchen; sie bleibt Mutter, wenn sie auch als Landesfürstin sich entwürdigt hat. Ein Zeichen ist das nicht. Was will die Anbetung, was sollen die Verzückungen der Frauen für die Wahrheit einer Sache zeugen! Sie müssen anbeten, aufgehen in Verehrung, es ist ihre Art. Schlimm, wo sie aus der Art fallen, schlimm, wo sie nichts anbeten können als sich selbst! Das arme Weib, ich gönne ihr so gern den Trost. Aber beweisen soll das etwas, daß die Frauen an den neuen Altären opfern? – Dir allein, Mathias, sei's vertraut: Wenn je ein Zweifel an der Göttlichkeit des Evangeliums mich beschleichen könnte, wär's, daß die Weiber es zuerst waren, die dem Erlöser nachliefen. Wo laufen sie nicht nach, wo ein Prophet sich ihrer Empfindungen bemeistert, die immer dem meistbietenden Phrasenhelden zu Gebot stehen. Auf diesem weichen Boden von Gefühlen und Entzückungen der Magdalenen, Marien und Marthen wäre die christliche Kirche nimmer erbaut worden. Die ist das Werk von Männern von hohem und tiefem Verstande; das Werk der Kirchenväter ist der Riesenbau, den sie auf einen Felsen gründeten, nicht auf Weibertränen. – Und zu jenem schlaffen, matten Weiberhimmelreich voll maßloser Seligkeit und unbestimmter Sehnsucht wollen die Reformatoren die Kirche zurückführen! Genug der Thorheit über die Thorheit! – Ich zürne Dir nicht. Wir scheiden wie zwei Kämpfer, die ihre Kräfte maßen, und keiner konnte sich des Sieges rühmen, keiner wollte bekennen, daß er überwunden.'
Mathias von Jagow sah, daß der Kurfürst noch nicht im Sterben lag; er erkannte, daß nicht er es sei, von dem Joachim das Abendmahl verlangte. Er wartete des Zeichens abzutreten.
'Mathias, wir hörten beide Gottes Ruf aus den Wolken. Du Konstantins Vorwärts! ich Attilas Zurück! – Wohlan! kämpfen wir, nicht mit Worten, durch die That. Ich ehre Dich – offene Fehde zweier von Gott Ausgerüsteter. Jeder mit den Mitteln, die er ihm gab; ich als Landesherr. Wenn ich von Tangermünde zurück, befehle ich eine Visitation in Deinem Sprengel. Das muß ich, seit Du gegen mich bekannt. – Nun hätten wir uns nichts mehr zu sagen.'
Der Bischof verneigte sich. (S. 133 - 135 des zweiten Bandes)

Bald danach der Abschied Carrions:

'Das Bedenklichste,' sagte der Arzt, 'ist, daß er <Joachim> sich für gesund hält, wenn er aufwacht.' – 'Und noch bedenklicher,' sagte ein zweiter, 'daß auch wir ihn dann dafür halten müssen. Halte man nur alles fern, was ihn aufregen kann.' – 'Fragt er nach seinem Astrologen?'
'Er scheint ihn vergessen zu haben. Deshalb verschweigen wir es ihm zur Zeit.'  'Er ist plötzlich nach Jerusalem abgereist?' fragte der Arzt. 'So sagt ein hinterlassenes Schreiben: aus unwiderstehlicher Sehnsucht nach dem heiligen Grabe. – Das Volk murmelt seltsame Dinge, daß es in der Nacht im Schornstein geraucht, und in der Lohe hat man einen Kobold fliegen sehen. Andere meinen, sein Verschwinden hänge mit der Ausweisung des Landsberger Mönches zusammen, der unter der Peitsche des Büttels grauenhafte Dinge ausgestoßen haben soll. Wer mag's glauben, wo itzo einer den anderen anketzert und verklagt!' (S. 136 des zweiten Bandes)

So weit die "Karriere" Carrions bei Willibald Alexis.

<Dickdruck von mir.>

Willibald Alexis, Der Werwolf. Vaterländischer Roman, = Vierter Band der acht Bände "Vaterländische Romane", Berlin (Otto Janke) o. J. (Exemplar der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Signatur: "d. D. oct 96" und dem Bleistiftvermerk "1903/4 278", mit Druckvermerk am Ende: "Berliner Buchdruckerei Aktien Gesellschaft (Setzerinenschule des Lette Vereins).")
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