PAGINA CARIONIS
CHRONICON CARIONIS – PHILIPPICUM?
Ein
Versuch, Carions Ehre zu retten
<HTML-Fassung ohne Anmerkungen, die in der Word-Fassung enthalten sind.>
Inhalt
Kleine
Einstimmung in den Zusammenhang
Melanchthons
Stellung zu Carion und seiner Chronik.
Barbara
Bauer 1997, 1999, 2000
Problembehandlung
in der Forschung
Lebensbeschreibung
des Carion, zweiter Versuch
Johannes
Reuchlins Vorwort zur Nauclerus-Chronik
Melanchthon
an Camerarius, Sonnwende 1531: negligentius scriptum
Melanchthon an Camerarius,
1531-07-26: Franken
Melanchthon
an Carion, 1531-08-17: opus tuum
Melanchthon an Camerarius,
1531-08-18: Komet
Melanchthon
an Corvinus, 1532-01: Farrago
Carion
an Herzog Albrecht, 1535-12-27: Rat an Melanchthon
Carion
an Herzog Albrecht, 1536-04-26: Reise nach Württemberg
Melanchthon
an Milichius, 1537-03-02: Carions Tod.
Melanchthon
an Erzbischof Sigismund,1558-04: Widmung der Chronik I
Fassungsvergleich
"Karl der Große"
Unterschiedliche
Passagen in den beiden Chronik-Fassungen von 1532
4,13
Rechnung der 70 Wochen Daniels
5,1
Vorstellung der dritten Monarchie und Alexander der Große
6,4
Beginn des dritten Buchs: Geburt Christi
7,56
Karl V., der 39. deutsche Kaiser
Textende
der Zweiten Chronik-Fassung
7,57
Ferdinand, der 40. deutsche Kaiser
8,1
Ferdinand, der 40. deutsche Kaiser
Übersicht
über die "astrologischen" Passagen der Chronik
"Den Namen 'Carion-Chronik' habe ich beibehalten, weil jenen mein
Schwiegervater, Philipp Melanchthon, der erste Verfasser heiligen und glücklichen
Gedenkens, nicht ändern wollte. Grund dieses Namens ist folgendes Geschehen:
Vor 40 Jahren hatte der Mathematikus Johannes Carion angefangen, seine Chronik
zu verfassen. Bevor sie zum Druck kam, schickte er sie Philipp Melanchthon zum
Prüfen und Verbessern. Weil dieser nicht
mit ihr einverstanden war, vernichtete er sie mit einem Strich und machte eine
neue, der er trotzdem den Namen 'Carion' voranstellte; aber als er diese
neu gemacht hatte, wollte er des Freundes Namen und die Erinnerung an ihn durch
den Buchtitel für die Nachwelt bewahren, da von dessen Anfängen der erste
Anlass, eine Chronik zu verfassen, ausgegangen war."
Schon diese Aussage von Melanchthons Schwiegersohn Caspar Peucer ist
widersprüchlich: Man hält von einem Erzeugnis gar nichts, wirft es in den
Papierkorb, macht ein neues, besseres Exemplar, will aber gleichzeitig den
Verfasser dieses Schundes ehren? Bei Peucers Beschreibung könnte man meinen, es
handle sich ja nur um ein Blatt Papier, aber die Carion-Chronik ist ein dickes
Buch, kann zwar schnell im Ofen verschwinden, wird aber nicht "einfach
so" neu gemacht. Solch eine Aussage wie die oben zitierte kann man nur
machen, wenn man den einen, den Schwiegervater, über alles ehrt, den andern
aber mindestens missachtet, wohl eher verachtet.
Peucers Sicht hat aber eine Vorgeschichte – und eine lange Folge.
War die Sicht des Schwiegersohns schon widersprüchlich, so zeigt sich, dass auch die Haltung des Schwiegervaters zwiespältig war.
Von einem Schlüsselerlebnis für sein Geschichtsbewusstsein erzählte Melanchthon immer wieder, wie Heinz Scheible feststellt, und zwar in unterschiedlichen Fassungen; hier folgt die Fassung von Melanchthons Einleitung zu seiner Chronik-Bearbeitung aus dem Jahr 1558 im Zitat nach Scheible (Dickdruck von mir):
"Oft hörte
ich Reuchlin erzählen: Als bei Kurfürst Philipp von der Pfalz der Wormser
Bischof Dalberg, Rudolf Agricola und er selbst nicht nur in privaten
Gesprächen, sondern auch in politischen Beratungen oftmals ausgezeichnete Beispiele aus Persien, Griechenland oder
Rom erzählten, entstand beim Fürsten der dringende Wunsch, die Geschichte
kennenzulernen, weil er erkannte, daß eine klare Vorstellung der Zeiten, Völker
und Staaten notwendig ist. Also bat er, ihm aus den hebräischen Quellen und den griechischen und lateinischen
Schriften eine Geschichte der Monarchien zu verfassen, damit er sich die
Weltalter und die wichtigen Veränderungen der Reiche merken könne. Damals gab es noch keine deutschen Bücher über die alten Reiche."
Melanchthon lässt also den alten Reuchlin ein Wunschbild eines Geschichtswerkes entwerfen, das in einer handlichen Kurzfassung der Geschichte Persiens, Griechenlands und Roms besteht, auf hebräischen, griechischen und lateinischen Quellen fußt – und dazu noch deutsch verfasst ist. Melanchthon vermutete in seiner Erzählung die entsprechende Handschrift in der Pfälzer Bibliothek; wichtig ist aber: Seine Person selbst steht mit dem gewünschten Kompendium nicht in Beziehung.
In Melanchthons Tübinger Zeit gab es einen Kommilitonen, ein Provinzbürschchen aus der Kleinstadt Bietigheim in Württemberg, damals noch "Johannes Nägelin" geheißen. Sie waren einander Mitschüler beim großen Alten der Uni Tübingen, bei Johannes Stöffler, dem damals bekannten Mathematikprofessor. 1518 trennten sich die Wege, der Melanchthons führte allseits bekannt nach Wittenberg, der Nägelins – der Welt verborgen – nach Berlin, wo er die Stelle als Hofmathematikus antrat.
1531 hatte dieser Nägelin, jetzt unter seinem neuen Namen "Carion", dem alten Schulfreund, der im Umfeld von Martin Luther zu einer Berühmtheit geworden war, seine Chronik, seine deutsche Chronik, so etwas, was ja Melanchthons oben angesprochenem Wunschbild entsprach, geschickt. Von Melanchthons Reaktion erfahren wir aus seinem Brief an seinen Freund Camerarius vom Sonnwendtag 1531:
1,1 Accepi tuam disputationem de praedictionibus Carionis.
2 Quanquam autem iste vehementer affirmat, se nihil praeter siderum positum in consilium
adhibere, tamen multis non satis persuadet hoc. 3 Et ars meo quoque iudicio non potest tam diserte
de singularibus eventibus pronunciare, sed vir est, quantum ego quidem cognovi, candidus et Suevicae simplicitatis
plurimum referens. 4 Misit huc
cronika excudenda, sed ea lege, ut ego emendarem. 5 Sunt
multa scripta neglegentius. 6 Itaque ego
totum opus retexo, et quidem
germanice, et constitui complecti praecipuas mutationes maximorum
imperiorum. 7 Ad eam rem tua mihi opera erit opus. |
1,1 Deine Erörterung über die Vorhersagen Carions
habe ich erhalten. 2 Obwohl dieser aber heftig versichert, er ziehe nur Gestirnspositionen zu Rate, kann
er viele damit nicht hinlänglich überzeugen. 3 Und auch nach meinem Dafürhalten kann die
<astrologische> Kunst Einzelereignisse nicht so präzis vorhersagen; aber der Mann ist, soweit ich wenigstens
ihn kenne, in Ordnung und er zeigt sehr viel von schwäbischer Einfachheit. 4 Er hat seine Chronika
hierher geschickt zum Druck; aber mit dem Auftrag, ich solle sie
verbessern. 5 Es ist viel recht schlampig Geschriebenes. 6 Deshalb webe ich das ganze Werk von Neuem, und zwar
auf Deutsch; und ich habe mir vorgenommen, die wichtigsten Veränderungen in
den größten Reichen einzubeziehen. 7 Dazu werde ich Deine Mitarbeit brauchen. |
Bis zu diesem Brief gibt es weder Briefstellen bei Carion noch bei Melanchthon, die auf die Entstehung einer Chronik hinweisen; er ist also gleichsam die Geburtsurkunde der Carion-Chronik.
Am Anfang teilt Melanchthon noch Camerarius seine Meinung über den Astrologen Carion mit, was in 3 auf den ersten Blick in ein Lob der Person mündet: ein Muster eines Schwaben! Wenn man die folgende Überlegung hier einbezieht, könnte Melanchthon auch geschrieben haben: "Er ist ein völliger Schwaben-Simpel!"
In 4 erfahren wir nämlich von der Existenz von Carions
Chronik; der prominente ehemalige Kommilitone soll sie verbessern, denn – ja,
was steht jetzt genau da? "Es
ist viel recht schlampig Geschriebenes." Heißt das: "Es ist ein
Riesenwerk, und dabei viel Schlampiges?" Oder gar: "Es ist ein
Riesenwerk, und alles schlampig?"
Interessanterweise
gibt es an dieser Stelle die andere Lesart, der auch die neue kritische Ausgabe
folgt: "Nihil vidisti scriptum negligentius." Die Unterschiede der
beiden Lesungen zeigen, dass es sich hier nicht um eine Falschlesung handeln
kann, sondern dass es eine eine bewusste Manipulation sein muss. Der relativ
neutralen Formulierung "Sunt multa scripta negligentius" steht eine
ausgesprochen Carion-feindliche Aussage gegenüber, man hört förmlich noch den
melanchthonischen Entsetzensschrei: "Du hast noch keine größere
Schlamperei gesehen!" Nach Auskunft von Tobias Gilcher ist das eindeutig
die melanchthonische Formulierung und Camerarius hat es zur Version "Sunt
multa scripta negligentius" geglättet. Man müsste 4 bis 6 also überspitzt
wohl so übersetzen:
"Stell dir
vor, dieser Schwaben-Tolpatsch hat mir seine Chronik geschickt, und dazu noch
mit dem Ansinnen, ich soll sie verbessern. Einen schlampigeren Dreck hast du
noch nicht gesehen! Ich muss das Zeug wohl völlig neu machen, und dazu – ich
Armer – auch noch auf Deutsch! Und es ist mein Beschluss, damit die wichtigsten
Veränderungen der größten Reiche zu erfassen."
Am 17. August 1531
schreibt Melanchthon an Carion. Der gesamte Brief samt Nachweis befindet sich
hier im Textanhang. Hier die für die Fragestellung wichtigen Passagen mit
Warburgs Übersetzung:
Dictum Heliae extat non in Biblijs, sed apud Rabinos,
et est celeberrimum. Burgensis allegat, et disputat ex eo contra Judaeos quod
Messias apparuerit. Receptissima
apud Ebraeos sentencia est, et a me
posita in principio tuae historiae, vt omnibus fieret notissima et
afferret commendationem tuo operi.
Tales locos multos deinceps admiscebo. vides autem prorsus esse propheticam vocem. Tam concinna temporum distributio est. |
Der Spruch des
Elias kommt nicht in der Bibel vor, sondern bei den Rabbinen und ist sehr
berühmt. Burgensis (Paulus) zitiert ihn und verficht unter Berufung auf ihn
gegen die Juden (die Ansicht), daß der Messias schon erschienen sei. Den Hebräern ist
dieser Ausspruch sehr geläufig und von mir an den Anfang Deiner Historia gesetzt, um allgemeiner bekannt zu werden
und Deinem Werke Empfehlung zu verschaffen. Solche Zitate werde ich später noch viele hinzusetzen. Du siehst (aber), wie die prophetische Stimme vorausweist; so zutreffend (concinna; harmonisch?) ist die Verteilung der Zeitalter. |
Historiam, vt
spero, hac hyeme absoluemus Nam hactenus fui
impeditus recognitione meae Apologiae quam in certis locis feci meliorem. sed vix credas quam tenui valetudine vtar, consumor enim curis, et laboribus. |
Die Historia werden wir diesen Winter, wie ich hoffe, vollenden, denn bis jetzt wurde ich durch die Überarbeitung meiner Apologie, die ich an einzelnen Stellen verbesserte, daran verhindert. Du glaubst kaum, wie schwach meine Gesundheit ist; ich werde auch durch Sorge und Arbeit aufgerieben. |
... Cometen vidimus diebus plus octo. Tu
quid iudicas. videtur supra
cancrum constitisse, occidit enim statim post solem, et paulo ante solem
exoritur. Quod si ruberet,
magis me terreret. Haud dubie principum mortem significat. Sed videtur
caudam vertere versus poloniam. Sed expecto tuum
iudicium. Amabo te significa mihi quid sencias. |
Seit mehr als
acht Tagen sehen wir einen Kometen. Wie urteilst Du darüber? Er scheint über
dem Krebs zu stehen, da er gleich nach der Sonne untergeht und kurz vor
Sonnenaufgang aufgeht. Wenn er eine
rote Farbe hätte, würde er mich mehr erschrecken. Ohne Zweifel bedeutet er
den Tod von Fürsten, er scheint aber den Schweif nach Polen zu wenden. Aber ich erwarte
Dein Urteil. ich wäre Dir von ganzem Herzen dankbar, wenn Du mir mitteiltest, was Du meinst. |
Nihil itaque
certi audiui diu iam de vllo apparatu, preter suspiciones quas concipiunt nostri
propter illum exiguum numerum peditum qui sunt in Frisia. Fortasse
pretextu belli Danici, nos quoque adoriri cogitant. At Palatinus et
Moguntinus iam agunt de pacificatione cum nostris, etsi ego spem pacis nullam
habeo, moueor enim non
solum astrologicis predictionibus sed etiam vaticiniis tuis. |
Ich habe nämlich
schon lange nichts Sicheres über irgendwelche Vorbereitungen gehört, außer
Befürchtungen, die die unsrigen hegen wegen jener <nicht?> kleinen
Anzahl von Fußsoldaten, die in Friesland sind. Vielleicht denken sie daran,
unter dem Vorwand des dänischen Krieges auch über uns herzufallen. Aber der
Pfälzer und der Mainzer verhandeln mit den Unsrigen schon über friedliche
Beilegung, obwohl ich keine Friedenhoffnungen habe. Ich werde
nämlich nicht allein durch astrologische Voraussagen beeindruckt, sondern
auch durch deine Weissagungen. |
Am Anfang
informiert Melanchthon Carion über den Hintergrund des "Spruches des
Hauses Elia", der nach Melanchthons Meinung das Geschichtswerk
strukturieren soll.
Wichtig ist, dass
Melanchthon hier die Chronik als "tua
historia", also "dein Geschichtswerk" anspricht; und der
genannte Spruch solle als Empfehlung dienen "tuo operi", "deinem Werk" – also keine Rede von
einem Gemeinschaftswerk!
Bis zum Winterende
soll die Arbeit an der Chronik abgeschlossen sein; wir sind im August 1531, im
Frühjahr 1532 erfolgte der erste Druck. Da kann Melanchthon, wenn er so, wie er
sagt, eingespannt ist und sich schwach fühlt, beim besten Willen höchstens
Einzelheiten verbessern, aber keinesfalls die gesamte Chronik.
Der im Text
folgende Abschnitt zeigt Melanchthons Beschäftigung mit dem Kometen von 1531;
der hat die Gebildeten seiner Zeit interessiert – und Carion ist hier auch von
Melanchthon anerkannter Experte.
Interessant ist
auch der Schluss des oben angeführten Briefauszugs, er findet sich hier beim
Auszug aus dem Autographen in der zweiten Zeile. Warburg bestreitet in seinem
kritischen Apparat, dass das letzte Wort "tuis" von Melanchthon
stammt, er hält es für einen Zusatz von anderer Hand. Es ist aber dieselbe
Handschrift, lediglich wurde hier die Feder neu eingetunkt. Melanchthon
korrigiert also seinen Text mit einem ausgesprochenen Schmeichelwort für
Carion.
Dieser Brief zeigt also einen Melanchthon, der Carion gegenüber sehr respektvoll ist, vor allem aber die Chronik als das Werk seines Kollegen anspricht.
Im Januar 1532 schreibt Melanchthon an Anton Corvinus folgendes:
3,1
Mitto tibi cronikon , in quo etsi sunt mei quidam loci, tamen ipsa operis sylva non est
mea. 2 Misit
enim Carion ad me farraginem quandam negligentius coacervatam, quae a me disposita est, quantum quidem in
compendio fieri potuit. 3 In fine adieci tabellam annorum mundi utilem et
veram, quam spero tibi et aliis doctis placituram esse. 4 Et si recudent opus nostri calkografoi, addam ex Ptolemaeo testimonia. |
3,1 Ich schicke Dir das Chronikon; auch wenn manche
Hauptstellen von mir stammen, so stammt doch die Substanz des Werkes nicht
von mir. 2 Carion hat mir nämlich eine Art Stoffsammlung
geschickt, recht schlampig zusammengesammelt, die ich geordnet habe, soweit
sich das bei einem Handbuch machen ließ. 3 Am Ende habe ich eine nützliche und stimmende
Tabelle der Weltjahre angefügt, die Dir und anderen Fachleuten hoffentlich
gefallen wird. 4 Und wenn unsere Drucker das Werk neu auflegen,
füge ich noch Zeugnisse aus Ptolemäus hinzu. |
Offensichtlich ist die Chronik im Wesentlichen fertig. Melanchthon hat zwar einen Teil, also einige "Bäumchen", dazu beigetragen, aber "der Wald" ist nicht seine Leistung. Aber zufrieden war Melanchthon nicht; er bewertet Carions Werk als "farrago". Dazu gibt Georges an:
farrago, inis, f. (far), I) das Mengelkorn, Mengfutter, gemischte Futterkorn fürs Vieh, Varro u. Vergil.: ordeacea, Columella. - II) übtr.: a) = vermischter Inhalt, das Mancherlei, nostri libelli, Iuvenal 1, 86. - b) = geringfügige Sache, Bagatelle, in tenui farragine mendax, Persius 5, 77.
Melanchthon sieht also auch hier wieder den disparaten Haufen, dem er seine ordnende Hand zukommen lassen muss; allerdings seien ihm in einem "Kompendium", also einem kurz gefassten Handbuch, die Hände gebunden. Interessant ist hier, dass Hermann Bonnus, der Übersetzer der Carion-Chronik ins Lateinische, ein eigenes Werk "farrago" nennt – und das offensichtlich positiv versteht.
Auf eine besondere eigene Leistung weist hier Melanchthon hin, auf die Tabelle der Jahreszahlen am Ende der Chronik.
Eine letzte Briefstelle, diesmal von Carion selbst vom 27. Dezember 1535, soll noch angefügt werden, um die Beziehung von Melanchthon zu Carion zu beleuchten, diesmal aus einem Brief Carions an Herzog Albrecht von Preußen, für den er in einem Vertragsverhältnis stand, um ihn über wichtige Ereignisse zu informieren, auch um zahlreiche andere Dienste zu verrichten:
2,1 Gnedigster herr. 2 Jch weiß gentzlichs nichtz newes e f g zu schreiben, 3 Dann allein das Jch mich einer
emporung mit der Zeyt Jm landt zu würtenberg forchte, wie mir denn Meine freundt
Mehrmals geschriben, 4 dann es
weicht vil ansehenlichs volks vom adel vnd burgern Auß dem landt, 5 Vnd seyhen vil Zwinglische vnd
widertauffer allenthalben Jm landt, 6 got
welle sein gnad verleyhen das nicht ein pluotbad darauff werd. 7 Doctor Schnepff vnd doctor plärer
predigen hefftig wider sie. 8 Aber
es hilfft nicht, wie wol es gelarter menner Zwen seyhen. |
2,1 Gnädigster Herr! 2 Ich weiß Eurer fürstlichen Gnade gar nichts Neues zu schreiben, 3 außer
dass ich im Laufe der Zeit einen Aufstand im Land Württemberg befürchte, wie
mir meine Freunde mehrmals geschrieben haben, 4 denn viele angesehene
Leute vom Adel und Bürgertum wandern aus; 5 es gibt auch überall viele
Zwinglianer und Wiedertäufer im Land. 6 Gott gebe seine Gnade, dass
daraus kein Blutbad entstehe! 7 Doktor Schnepf und Doktor Blarer
predigen heftig gegen sie; 8 aber es hilft nichts, obwohl es zwei
gelehrte Männer sind. |
3,1 Es hat vor acht tagen Magister
philip melancton mir geschriben vnd meinen
Rat gebeten, wie Jchs vor gut ansehe, 2 Ob ich Jm rathe (dhweil der hertzog Jm geschriben) Ehr soll
sich j Jar oder ij hinauß wenden vnd die vniuersitet zu tibingen restituiern,
so lang bis sie Jn ein schwanck khomm. 3
Als dann wolle Ehr Jm wider erlauben, gen wittenberg zu Ziehen etc. 4 Aber magister philippus hat kein lust darzu. 5 So will Jme auch der
Churfurst von sachßen nicht erleuben. |
3,1 Vor acht Tagen hat mir
Magister Philipp Melanchthon geschrieben und meinen Rat erbeten, ob es mir
gut erscheint, 2 ob ich ihm rate (weil der Herzog ihm geschrieben
hat), für ein oder zwei Jahre fortzugehen und die Universität Tübingen zu
restituieren, bis sie wieder in die Gänge kommt. 3 Danach wolle er ihm wieder erlauben, nach
Wittenberg zu ziehen. 4 Aber Magister Philippus hat keine Lust dazu, 5
außerdem will es ihm der Kurfürst von Sachsen nicht erlauben. |
Carion berichtet Herzog Albrecht von Preußen zunächst von den Geschehnissen in Württemberg nach der Rückkehr Herzog Ulrichs. Die Erzählung über Melanchthon zeigt, dass dieser bei wichtigen Entscheidungen auch Carions Rat eingeholt hat; ob er den Freund oder den kundigen Astrologen befragt hat, wird hier nicht deutlich. Offensichtlich konnte sich Carion sein Gutachten sparen, da Melanchthon von seinem Landesherrn keine Erlaubnis erhalten hat, nach Tübingen zu gehen.
Zwei Äußerungen, die nach Carions Lebenszeit abgegeben wurden, gehören noch zum Thema, Melanchthons Nachricht über Carions Tod und der Beginn seiner Widmung seiner eigenen Chronik von 1558:
Im Brief Melanchthons an Milichius vom 2. März 1537folgt auf die Schlussformel noch diese Nachschrift:
2,1 Saluta D. D. Augustinum et D. Crucigerum. |
2,1 Grüße Herrn Doktor Augustinus und Herrn Cruciger |
Im Brief selbst kamen ganz verschiedene Themen zur Sprache – aber Carions Tod schafft es nur in das P.S., und es fehlt jegliche Äußerung einer Anteilnahme.
Ein wichtiges Indiz ist der folgende Beginn von Melanchthons Widmung:
1,1 Excelluit ingenio, eruditione, consilio et
virtute Hermannus Bonnus, qui in
inclyta urbe Lubeca et doctrinae studia rexit, et Evangelium docuit. 2 Is ante
annos viginti Germanicum Libellum, cui titulus est Chronicon Carionis, ut
adolescentia invitaretur ad historiarum lectionem, et illo Compendio nonnihil
adiuvaretur, in quo Monarchiarum seriem, et temporum collationem in
praecipuis Ecclesiae, veteris Graeciae, et Romae negotiis probavit, latine interpretatus est. 3 Eam
interpretationem cum postea viderem non solum in manibus esse
adolescentum, sed etiam vagari per exteras nationes, retexendum esse iudicavi, non tam ut augerem, (etsi enim quaedam
addidi, tamen compendii modus servandus est), quam ut phrasin Germanicam, quam interpres suo quodam consilio studiosius
retinuerat, cum quidem facundus et disertus esset, propter adolescentes et exteros mutarem. 4 Nec alia causa fuit, cur hunc laborem susceperim. 5 Ut enim lectio ametur, intelligi orationem
oportet. |
1,1 An Begabung,
Bildung, Rat und Tatkraft ragte hervor Hermann Bonnus, der in der berühmten
Stadt Lübeck die Bemühungen um die Lehre leitete und das Evangelium lehrte. 2 Der hat vor zwanzig Jahren ein
deutsches Büchlein mit dem Titel "Chronicon Carionis" ins Lateinische
übersetzt, damit die Jugend eingeladen werde zur Lektüre der Geschichte und
von diesem Handbuch ein wenig unterstützt werde, in dem er die Reihe der
Monarchien und den Vergleich der Zeiten bei den zentralen Ereignissen der
Kirche, des alten Griechenlands und Roms überprüfte. 3 Als
ich später sah, dass diese Übersetzung nicht nur in den Händen der jungen
Leute war, sondern sogar im Ausland im Schwange war, da glaubte ich, sie noch
einmal durchgehen zu müssen, weniger um sie zu erweitern (auch wenn ich
manches hinzugefügt habe, muss doch das Maß eines Handbuchs eingehalten
werden), sondern vielmehr um die Germanismen wegen der jungen Leute und der
Ausländer zu ändern, die der Übersetzer absichtlich allzu eifrig beibehalten
hatte, obwohl er eigentlich wortgewaltig und beredt war. 4 Das
war der einzige Grund, diese Mühe auf mich zu nehmen. 5 Damit
nämlich das Lesen Anklang findet, muss man den Inhalt verstehen. |
Man beachte: Melanchthon schreibt die Widmung der Carion-Chronik. Dabei erwähnt er den Verfasser mit keinem Wort, nur der Übersetzer wird gewürdigt, nur die Übersetzung sei seiner Überarbeitung würdig gewesen und Melanchthons einziges Ziel sei die Verbesserung des Stils.
Was ergibt sich daraus?
Melanchthon hält zwar Kontakt mit seinem alten Schulfreund, der im Laufe seiner ersten zehn Jahre in Berlin zur astrologischen Autorität herangewachsen war, aber er kann ihm im Grunde nicht verzeihen, dass das Geschichts-Kompendium dessen Werk ist. Wenn Luther 1541 vom "Chronicon Carionis Philippicum" spricht und Peucer 1572 behauptet, sein Schwiegervater habe mit einem Strich den Krust des Carion erledigt, kann das nur darauf zurückzuführen sein, dass Melanchthon in seinem Umfeld immer von "seiner" Chronik gesprochen hat. Und dass er 1558 seine Umarbeitung unter Carions Namen laufen lässt, ist weniger Pietät – dafür hätte er den wahren Autor in seiner Widmung ansprechen müssen -, sondern schlichtweg das Ausnutzen einer eingeführten Marke: "Carions Chronik" war als solche bekannt; wenn jetzt noch der Name "Melanchthon" dazu kommt, muss das ja ein Verkaufsschlager werden. Man betrachte für den Erfolg der Chronik nur ihre Druckdaten, die bei Trauner aufgelistet sind.
In seinem 1755 erschienenen Aufsatz " Disquisitio de Chronici, quod extat sub nomine Ioannis Carionis, vera et genuina origine" stellt Erhard Ernst Hoch den Mainstream seiner Zeit dar, wobei er seinen Aufsatz mit einem Zitat des Flacius beginnt, das die historische Zunft kritisiert: Wenn ein führender Mann irre, liefen ihm die anderen hinterher und würden nicht mehr nach der Wahrheit fragen. Diesen Zustand sieht Hoch bei der Urheberschaft der Carion-Chronik gegeben:
"Nam
duo ferme secula sunt elapsa, ex quo tempore patrocinari coeptum est opinioni,
postmodum & calamo & ore in hunc usque diem propagatae, & a
compluribus, vel rei literariae peritissimis, tenaciter defensae, Chronicon illud, praeter PHIL.
MELANCHTHONEM, communem Germaniae nostrae praeceptorem, qui nomen CARIONIS
honoris tantum & amoris causa libro praefixerit, auctorem &
conditorem habere neminem." |
Fast
zwei Jahrhunderte sind verstrichen, seit man anfing, die Meinung zu stützen,
die später in Wort und Schrift bis zum heutigen Tag verbreitet und von
einigen, der Literatur wohl sehr Kundigen, hartnäckig verteidigt wird, jene
Chronik habe keinen Geschichtsschreiber als Autor außer Philipp Melanchthon,
den anerkannten Lehrer unseres Deutschlands, der den Namen "Carion"
nur ehrenhalber und aus Pietät als Buchtitel vorangestellt habe. |
Treibende Kraft für diesen Irrtum aus Hochs Sicht war Caspar Peucer mit seiner hier an den Anfang meines Aufsatzes gestellten Beschreibung der Entstehung der Carion- Chronik, wie Hoch ausführt:
"Sane,
nisi omnia me fallunt, re quoquo modo circumspecta, non possum, quin
colligam, ducem & antesignanum agminis errantis esse jam supra salutatum
CASP. PEUCERUM, Polyhistorem illum & virum exquisite doctum Seculi
XVI." |
Wenn
mich nicht alles täuscht und man den Sachverhalt in jeder Hinsicht
betrachtet, komme ich um den Schluss nicht herum, Führer und Vorkämpfer der
irrenden Schar war der schon oben genannte Caspar Peucer, jener Polyhistor
und Spitzengelehrte des 16. Jahrhunderts. |
Hoch kennt die späte Fassung von 1532 nicht und argumentiert deshalb stark mit der niederdeutschen Fassung. Allerdings landet Hoch schließlich beim anderen Extrem:
"Et
sic fateri omnino oportet, ad hocce
CARIONIS Chronicon MELANCHTHONEM plane nihil contulisse." |
Und
so muss man voll und ganz bekennen, dass zu diesem Chronikon des Carion
Melanchthon rein gar nichts beigetragen hat. |
Peucers Aussage hatte also, und das zeigt Hochs Aufsatz, gewichtige Folgen; als Hausgenosse und Schwiegersohn Melanchthons – meinte man - musste er ja Bescheid wissen und somit musste sein Urteil gelten: Die Carion-Chronik kann nur von Melanchthon stammen!
Carions "Pech" war es, dass damals in Bietigheim seine mathematische Begabung gesehen wurde und er deshalb zum Mathematikstudium nach Tübingen geschickt wurde. Mathematik umfasste damals automatisch auch die Astrologie, als eigentlich wichtigere Anwendung der Astronomie. Dass seine – für ihn ehrenwerte – Wissenschaft 200 Jahre später in Verruf geraten sein würde, konnte er ja nicht ahnen – so wenig, wie wir heute wissen, welche heute gültige Meinung in 200 Jahren zerrissen sein wird. Seine Un-Wertschätzung rührt sehr von seinem Astrologen-Sein.
Aufschlussreich für die Missachtung, ja teilweise Verachtung
Carions ist die Stellungnahme des Aufklärers Johann Christoph Adelung von 1787;
schon der Titel seines Werkes verrät, was ihm an Carion wichtig sein könnte:
"Geschichte der menschlichen
Narrheit oder Lebensbeschreibungen berühmter Schwartzkünstler, Goldmacher,
Teufelsbanner, Zeichen- und Liniendeuter, Schwaermer, Wahrsager und anderer philosophischer Unholden";
in dessen 3. Kapitel behandelt, besser misshandelt, er Carion. Die Auswahl
seiner Aussagen über Carion möge reichen, der Dickdruck stammt von mir:
Schon
der erste Satz besagt eigentlich alles: "Ist je ein Mann ohne, ja selbst wider sein Verdienst berühmt geworden,
so ist es gewiß Cario, denn aus dem folgenden wird erhellen, daß er weiter nichts als ein elender
Sterndeuter gewesen, der dabey dem
Trunke ergeben war, welcher auch seinen Tod beschleunigte, daher er die
rühmlichen Beywörter nicht verdienet, welche ihm noch so oft beygeleget
werden."
Adelung hält Carion noch für einen Studenten in Wittenberg,
über den er meint: "Hier ward er
ohne Zweifel dem Melanchthon bekannt, welche Bekanntschaft ihm in der Folge so
nützlich war; allein daß sein Studieren
von keiner Bedeutung gewesen, und sich bloß auf die Astrologie erstreckt
habe, wird aus dem folgenden erhellen."
Auch von Carions Tätigkeit hält Adelung wenig: " Cario war also weiter nichts als Kalendermacher in Berlin und dabey des
Churfürsten Joachim I. Astronom oder vielmehr Astrologe."
Bei der Behandlung
von Carions Aussagen übers Jahr 1524 meint Adelung: "Ungeachtet nun der Unhold nichts von dem errathen
konnte, was zwey Jahr darauf erfolgen würde, so wollte er doch wissen, was in
hundert und zweyhundert Jahren geschehen würde." Und gleich danach:
"Noch unbarmherziger sollte es in dem Jahre 1789 ergehen; das sollte das
schrecklichste unter allen seyn, indem in demselben große und wunderbare
Geschichte, Veränderungen und Zerstörungen vorfallen würden. Allein, so sehr
sich der Narr in Ansehung des
1693sten Jahres betrogen hat, so sehr wird er vermuthlich auch 1789 zum Lügner
werden." Adelung schrieb übrigens 1787!
Und in Carions Versuch, 20 Jahre in die Zukunft zu blicken,
sieht Adelung nur trickreiche Täuschung: "Unbegreiflich ist, was den
Narren bewogen haben mag, den größten Theil dieser sogenannten
Prophezeihung mit vergangenen Begebenheiten anzufüllen, wenn es nicht in der
schon gedachten Absicht geschehen,
dadurch den Leser zu täuschen, und
ihn zu verleiten, das Vergangene und Zukünftige mit einerley Augen
anzusehen."
Und obwohl Carions
Chronik sogar Adelungs Beifall findet, kann der Autor nicht gut sein: "Dem
gemeinen Rufe zu folgen, würde man ihm den Nahmen eines wo nicht grossen, doch
wenigstens nützlichen Geschichtschreibers nicht versagen können, denn wer
kennet nicht das unter seinem Nahmen bekannte Chronicon, welches beynahe
zweyhundert Jahr lang, wo nicht das einzige, doch das vornehmste Handbuch der
Universal=Geschichte war, und noch jetzt nicht ohne Werth ist, ob es gleich in
den neuern Zeiten durch andere mehr zweckmäßige Bücher dieser Art überflüßig
gemacht worden. Allein bey einer genauern Untersuchung wird sich zeigen, daß er auch hier ohne alles Verdienst ist,
indem seine Kenntniß der Geschichte eben
so seicht und unbedeutend war, als seine mathematische Gelehrsamkeit und
seine Wissenschaft künftiger Dinge. Sein ganzes Verdienst um dieses Buch
bestehet darin, daß er durch seine
Sudelarbeit die erste Veranlassung zu einer unendlich bessern Arbeit war,
welche ein unendlich besserer Kopf als er, ausführte, ihm aber aus einer
beynahe Beyspiellosen Bescheidenheit und Nachsicht den Nahmen des ersten Stümpers erhielt." Man
sieht, Adelung akzepiert Melanchthons Bewertung voll und ganz.
Und nur eine
mögliche Fehleinschätzung lässt Adelung Carions Person überhaupt beachten:
"Was einen solchen Skribler zu seinem Geschreibe veranlasset, könnte
auf alle Fälle sehr gleichgültig seyn, allein da die vorgegebene Veranlassung
zu einer Mißdeutung Gelegenheit gegeben, so muß ich sie anführen." Die
Missdeutung sieht Adelung darin, dass Melchior Adam davon spricht, dass sich
Carion von Reuchlin habe anregen lassen, die Chronik zu verfassen. Das
bestreitet Adelung, da liege eine Verwechslung von "Cario" mit
"Capnio" (= Reuchlin) vor.
Auch die
Gesamtbewertung der Chronik ist wieder für Carion negativ; der Kern, in dem
Adelung im Grunde Carions tatsächliche Leistung anspricht, bleibt völlig
unbeleuchtet: "Seine Veranlassung mochte nun gewesen seyn, welche sie
wollte, so schrieb er ein solches Ding
von einer Chronik zusammen, hatte aber doch noch so viel Verstand, daß er
sie nicht gleich so drucken ließ, sondern seine Arbeit in der Handschrift um
das Jahr 1530 an den Melanchthon, dem damahligen Orakel in allen
Wissenschaften, schickte, mit Bitte, sie ein wenig durchzusehen und sie zu
Wittenberg drucken zu lassen. Bey der grossen Armuth der damahligen Zeiten an vernünftigen
Geschichtsbüchern, besonders an solchen, welche den um diese Zeit dringend
gewordenen Bedürfnissen der ungelehrten Stände angemessen waren, hielt
Melanchthon ein solches Buch allerdings für nothwendig und nützlich; weil er
aber sehr bald fand, daß Cario's Arbeit
sehr nachlässig und fehlerhaft war, so verbesserte er sie, so gut es seine
damahligen Geschäfte erlaubten, und gab sie zu Wittenberg 1532 in 4. heraus.
Da das Buch
Beyfall fand, weil es den Bedürfnissen der Zeit angemessen war, so übersetzte
Hermann Boneus, ein Geistlicher zu Lübeck, dasselbe 1538 in das Lateinische,
wodurch es denn auch den Ausländern bekannt ward, und in mehrere Sprachen
übersetzt wurde. Allein da des Cario
Arbeit so viele und grosse Fehler hatte, und dessen ungeachtet so wohl
aufgenommen wurde, so reitzte das den Melanchthon noch in seinem hohen Alter
ein neues Werk dieser Art zu schreiben, welches 1558 erschien, und 1560 mit
einem zweyten Theile vermehrt, wieder aufgelegt wurde, aber die Geschichte nur
bis auf Carln den Grossen fortführte."
Nach der Besprechung einiger damals offener Fragen stellt
Adelung die Entstehung der Chronik folgendermaßen dar: "Cario schickte seine Arbeit, welche bis auf die damahlige Zeit
ging, an den Melanchthon zur Ausbesserung. Dieser hielt ein solches Buch für
sehr nützlich, fand aber an des Cario Arbeit sehr viel auszusetzen, indessen
that er daran, was er damahls konnte; er brachte den Wust des Compilators in eine bessere Ordnung, schnitt die gröbsten Auswüchse weg, und setzte manches
hinzu, und ließ das Werk unter des Cario Nahmen drucken. Zugleich nahm er sich
vor, einmahl bey mehrerer Muße selbst etwas besseres
zu schreiben, welches er denn auch kurz vor seinem Ende in lateinischer Sprache
bewerkstelligte, aber nur bis an Carln den Grossen damit kam. Er ließ auch
dieser Arbeit den Nahmen des Cario, theils weil derselbe die erste Veranlassung
dazu gegeben, und die ersten Materialien dazu gesammelt hatte, theils aber
auch, weil die ähnliche ältere Arbeit schon unter dessen Nahmen bekannt und
beliebt war." Bis auf die obligatorisch despektierlichen Äußerungen gegen
Carion dürfte Adelung hier eine richtige Beschreibung des Sachverhalts gegeben
haben.
Aber Adelung
kann's nicht lassen: Die Carion-Chronik muss einfach schlecht sein: "Uebrigens
ist das Buch, Melanchthons Feile ungeachtet, noch immer eine sehr dürftige und verstandlose Compilation, wo der prophetische und astrologische
Sauerteig des Sammlers überall vorschmeckt." Diese Bewertung begründet
Adelung mit Carions Beschreibung von Hesiod, wobei völlig unklar bleibt, was er
Carion dabei eigentlich vorwirft.
Und als Adelung
auf Carions Tod zu sprechen kommt, leitet er den Abschnitt so ein: "Wie
lange der Unhold seinen
astrologischen Unfug getrieben, ist so gar gewiß auch noch nicht bekannt."
Und sein Leben habe Carion als arbeitsloser Säufer beschlossen: "Da nun
Cario, wie es scheint, ein guter Katholik war, so ist es wahrscheinlich, daß er
seinen Abschied bekommen hat, und da kann er denn nach Magdeburg gegangen seyn,
und sich seinem alten Hange zum Trunke aus Mangel an Beschäftigung ganz
überlassen haben."
Auch ein Distichon
des Georg Sabinus über Carion lässt Adelung nur erkennen, "daß er sich durch einen fetten und grossen Wanst vor
andern ausgezeichnet, welches denn eben nicht zu verwundern ist, da seine gelehrten Arbeiten ihm eben nicht
viel Kopfbrechens verursachen können."
Und von diesen
böswilligen Diffamierungen konnte sich Carion bis heute nicht erholen. Immer
noch hält der Mainstream die Chronik fürs Werk Melanchthons – und Carion für
ein unbedeutendes kleines Licht.
Eine Station auf
diesem Weg ist Emil Menke-Glückert mit seinem 1912 erschienenen Aufsatz
"Die Geschichtsschreibung der Reformation und Gegenreformation", in
dem er die Bedeutung Melanchthons für die deutsche Geschichtsforschung
herausarbeiten will. Das Ziel dieses Aufsatzes ist nicht Gegenstand meiner hier
vorgelegten Überlegungen, aber Menke-Glückert sieht sich gezwungen, sich in
Verfolgung seiner Fragestellung auch mit der Urheberschaft der Chronik zu
beschäftigen. Dazu analysiert er, wie er sagt, durch "eine sorgfältige
Untersuchung" die Quellenarbeit der Chronik und kommt zu folgendem
Ergebnis:
"Sollen wir
nach einer sorgfältigen Vergleichung der deutschen und lateinischen Ausgabe der
Chronik und nach der Zuhilfenahme der anderen Werke Melanchthons unserer
Überzeugung Ausdruck geben, so kann sie nur lauten, daß die Chronik zum allergrößten Teil Melanchthon zuzuschreiben ist. Carions Arbeit kann nur eine Sammlung
willkürlich zusammengeraffter Notizen gewesen sein, wie sie Melanchthon
selbst treffend bezeichnet, eine 'farrago negligentius coacervata'. Den Rest
seiner Sammlung bildet wahrscheinlich der unorganisch eingefügte Papstkatalog,
der später in der lateinischen Bearbeitung von Melanchthon und Peucer
gestrichen worden ist."
Und weiter unten:
"Der
Schreiber von 1532 ist der gleiche wie der von 1558 und rein wissenschaftlich
betrachtet, bedeutet die lateinische Bearbeitung in vieler Hinsicht einen
Fortschritt."
Und Menke-Glückert
bestätigt, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen, meine oben geäußerte
Vermutung, dass Melanchthon selbst in seinem Umfeld die carion-kritische Sicht
verbreitet hat, mit seiner Feststellung: "Die näheren Freunde wußten
freilich, wie wir sahen, trotz alledem Bescheid."
Mit Menke-Glückert
setzt sich 1925 Gotthard Münch in seinem Aufsatz "Das Chronicon Carionis
Philippicum. Ein Beitrag zur Würdigung Melanchthons als Historiker"
auseinander. (Mit beider Umgang mit der Quellenfrage möchte ich mich hier im
Kapitel "Quellenfrage der Chronik" beschäftigen.) Münch hält
Menke-Glückerts Sicht nicht für berechtigt: "Carion erscheint uns
keineswegs als der Charlatan, als den Menke-Glückert ihn aufgefaßt wissen
möchte." Zwar wertet Münch Carion nicht so stark ab wie Menke-Glückert,
aber auch er geht von dem Vorurteil: hohe Geistigkeit = Melanchthon, naives
Erzählertum = Carion aus, wie seine Einleitung zu seinem 4. Kapitel, der
Wesensbeschreibung der drei Teile der Chronik, wie er, Münch, sie ansetzt,
verrät:
"Um nun
genauer zu erkennen, wie in diesen drei Teilen die Grenzlinien zwischen
Melanchthonschem und Carionschem Gut verläuft, suchen wir tiefer in die
Anschauungswelt der Chronik einzudringen. Wir greifen auf unsere Ausführungen
über Carions Dedikationsepistel und Melanchthons Einleitung zurück und erinnern
uns alles dessen, was uns schon vor und außerhalb der Chronik über die naivere Geschichtsauffassung Carions,
die differenziertere Melanchthons
bekanntgeworden ist, um daraus einen Anhalt für die weiteren Überlegungen zu
gewinnen. Wir fragen: Inwieweit bietet die Chronik all den Nutzen, all die
religiöse moralische und politische Belehrung, die nach Melanchthon ein
Geschichtswerk bieten soll? Andererseits: Inwieweit bleibt sie auf dem bescheidenen
Stande eines bloßen Erinnerungsbuches stehen, wie Carion sie schildert?
Da ist es nicht zu
verkennen, daß sich der 1. Teil der Chronik am innigsten von der Gedankenwelt
Melanchthons durchdrungen zeigt. Melanchthons Geschichtsmetaphysik bildet das
Band, das die Mannigfaltigkeit seines Inhalts zur wohlabgerundeten Einheit
zusammenschließt. Im 2. Teil läßt diese Durchsättigung mit Melanchthonschen
Anschauungen nach, der 3. ist seiner Grundstimmung nach eine Welt für sich, die
einheitlich ist wie die des 1. Teiles, wenn auch in ihrer naiven, unmittelbaren
Freude am Dargestellten und in ihrer Freiheit von jeder theologischen oder
sonstwie lehrhaften Absicht ganz von ihr verschieden."
Diese
"Freiheit von jeder theologischen ... Absicht" wird dann bei Barbara
Bauer ein wichtiger Kritikpunkt an Carions Werk werden, s. unten S. 24.
Später kommt Münch
noch einmal auf das mögliche Ergebnis seiner Forschungen zu sprechen, aber auch
hier ist das Vorurteil der prinzipiellen Höherwertigkeit Melanchthons zu spüren:
" Wir möchten
freilich in keinem der drei Teile der Chronik jeden einzelnen Absatz auf einen
der beiden Verfasser festlegen. Wenn wir nur überhaupt klar zu machen vermögen,
wie sich die beiden Elemente mischen, so scheint uns das genug und einer allzugroßen
Genauigkeit vorzuziehen, da diese das Maß des Möglichen verkennen würde. So mag
im 1. Teil manches aus dem Manuskript Carions Eingang gefunden haben; der Geist, der das Ganze durchdringt,
und der auch jede Einzelheit erst zu dem macht, was sie ist, ist der Melanchthons. Ebenso mag unsere
durch den 2. Teil gezogene Grenzlinie zu roh sein und manche wichtige
Feinheiten unberücksichtigt lassen, wenn sie nur den unharmonischen Charakter
dieses Teils einigermaßen deutlich macht.
Der schlichten
Erzählung des 3. Teiles der Chronik fehlen alle die theologisierenden und
moralisierenden Tendenzen, die wir aus dem 1. Teile kennen."
Münch hat wohl
damit Recht, dass wir einen wortgenauen Nachweis des Inhalts von Carions
Manuskript erst haben, wenn – was wohl unmöglich ist – das Manuskript vorliegt.
Aber vielleicht ist der Nachweis nicht nötig – und: weht Carions Geist nicht?
Mit völlig anderer
Perspektive blickt 1920 Aby Warburg auf Carion; er verfolgt den Gedanken, wie
einerseits Melanchthon dem antik-heidnischen Glauben an die Sterne, also der
Astrologie, noch nachhängt, aber Luther den aufgeklärten Standpunkt vertritt.
Wenn man den astrologischen Glaubenskampf im Detail verfolgen will, so ist
Warburgs Darstellung des Kampfes um den richtigen Geburtszeitpunkt Luthers sehr
aufschlussreich; der genaue Zeitpunkt ist für das jeweilige Horoskop wichtig,
und darum ist ein Streit entbrannt, in den auch Carion und Melanchthon
einbezogen sind.
Für die hier
verfolgte Fragestellung, der Wertschätzung Carions, ist Warburg ein kleines,
aber farbkräftiges Mosaiksteinchen: "Johann Carion ist bisher durchaus
nicht nach Gebühr gewürdigt. ... und man begreift <aus dem Gesicht des
Carionbildes der Cranach-Schule>, daß die Hohenzollern und die Reformatoren
ihn gleichermaßen als diplomatischen Vermittler schätzten."
Das heißt, die
Diffamierung des seichten Geistes (Adelung) wird doch in Frage gestellt.
Zum 400. Todestag
Carions 1937 stellt dann Hermann Roemer Carion den Bietigheimern im
Enz-und-Metter-Boten vor. Man spürt förmlich, wie sich Roemer im Grunde schämt,
solch einen "Charlatan" als Bietigheimer behandeln zu müssen. Seine
Haltung erklärt sich aber leicht, denn er schreibt vor allem Menke-Glückert
aus:
"Man wird sich fragen, ob eine so fragwürdige Gestalt Aufnahme in eine Galerie berühmter Bietigheimer verdient, zumal heute feststeht, daß sein für die protestantische Geschichtsschreibung grundlegend gewordenes Werk im Wesentlichen eine Arbeit Melanchthons darstellt. ... Der wertvollste Ertrag der Beschäftigung mit Johannes Carion aber ist ein Einblick in die Anfänge der protestantischen Geschichtswissenschaft, wie Philipp Melanchthon sie in der Ausarbeitung von Carions "Chronica" begründet hat."
Höhe- (oder
Tief-)punkt der Roemerschen "Würdigung" ist folgendes:
"Wenn Carion es geschehen ließ,
daß das Geschichtsbuch Melanchthons unter seinem Namen in die Welt hinausging
und ihn mehr als irgend eines seiner eigenen astrologischen Schriftchen
weltberühmt macht, so verrät dies einen moralischen Mangel.
Wie eifersüchtig hätte er sich ohne Zweifel gewehrt, wenn umgekehrt einmal sein
geistiges Eigentum einem Fremden zugut gekommen wäre! Warum Melanchthon selbst
diesen Weg wählte, sogar seinem noch weiter ausgearbeiteten lateinischen
Geschichtswerk von 1558-60 den Namen Carions beließ, bleibt bei seinem eigenen
Schweigen hierüber ungeklärt. Welches Interesse hatte er, 'den Namen seines
'Freundes' Carion der Nachwelt zu empfehlen'? Geschah es der gemeinsamen
Tübinger Jugendzeit zuliebe und aus einer fast zu weit getriebenen Noblesse?
Oder konnte er nur nicht zurück, weil er durch ein voreiliges Versprechen an
Carions Namen gebunden war? Oder wollte er auf diesem Wege, wie Menke vermutet, dem Kurfürsten von Brandenburg eine
Aufmerksamkeit erweisen, um ihn geneigter zu machen, die Reformation
anzunehmen?"
Der Gedanke, dass sich Melanchthon eine eingeführte Marke zunutze machen wollte, kann einem Roemer natürlich nicht kommen.
1961 beschäftigt
sich Robert Stupperich mit dem "unbekannten Melanchthon" und dort in
einem eigenen Kapitel mit seiner "Geschichtliche(n) Arbeit und
Geschichtsbetrachtung". In diesem Kapitel bespricht Stupperich zunächst
die ab 1760 vorausgegangene Literatur. Das Weiterwirken des Mainstreams wird an
seiner Besprechung von Hildegard Ziegler deutlich, die "allerdings Carions
eigene Leistung erheblich überbewertete. ... H. Ziegler meinte, der
brandenburgische Mathematiker und Astrologe, der aus der Schule des Tübinger
Astrologen Stöffler kam und von dorther mit Melanchthon bekannt war, hätte ein
eigenes Werk geschaffen." Und Zieglers Meinung glaubt Stupperich mit
folgendem Argument widerlegen zu können: "Daß dieses aus wenig geordneten Zetteln bestand, die erst von
Melanchthon zu einem Buch verarbeitet wurden, ist ihr nicht klar
geworden."
Im Grunde folgt
Stupperich dann ganz der Linie Münchs, wenn er die Entstehung der Chronik so
darstellt:
"Während
Melanchthon in all den Vorreden immer nur einige Leitgedanken hat anklingen
lassen, hat er bei der Bearbeitung der Chronica Carionis seine Gesamtanschauung
stärker hervortreten lassen. Cario, der württembergische Mathematiker und
Astrologe, der am Hof des abergläubischen Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg
wirkte und in jungen Jahren 1537 starb, hatte ihn 1531 gebeten, seinen Entwurf
zu überprüfen und zum Druck zu bringen. In der Vorrede sagte er selbst dem
Kurfürsten, als Ungeübter hätte er die Sache begonnen. Wie Melanchthon
berichtete, bestand der Entwurf Carions
aus einem Haufen zusammengeraffter, ungeordneter Notizen (farrago negligentius
coacervata). Melanchthon hat ein bestimmtes Schema zugrunde gelegt, nämlich
das des Buches Daniel von den vier Weltreichen (CR 16,438); er hat nicht mehr
nach Weltaltern geordnet. Den gesamten Stoff hat er in seiner Weise verteilt,
d. h. er bricht mit der annalistischen Anordnung und faßt Zusammengehöriges in
größere Abschnitte zusammen. Aber nicht nur in methodischer Hinsicht, auch in
sachlicher Beziehung ist Melanchthon der
eigentliche Verfasser dieses Werkes."
Von der
Melanchthon-Peucer-Legende ist also auch Stupperich noch völlig überzeugt.
Somit ist es nicht
verwunderlich, wenn im 4. Kapitel des ersten Bandes von Wilhelm Maurers Buch
"Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation", der sich
mit dem Humanisten Melanchthon beschäftigt, die bekannte Position wieder
auftaucht:
"Das
geschichtliche Lehrbuch des 16. Jahrhunderts, das auch Luther seiner Supputatio
Annorum Mundi zugrunde legte, ist das Chronicon Carionis geworden, das
Melanchthon deutsch 1532, lateinisch 1560 (bis zu Karl dem Großen)
herausgegeben hat. Hier liegt sein Verdienst nicht in der Anregung, sondern in
der Vollendung eines Geschichtswerkes. Aber auch hier reichen die
Voraussetzungen bis in Melanchthons Tübinger Jahre zurück. Carion hat mit ihm
zusammen zu Stöfflers Füßen gesessen und von da an astrologische Kenntnisse und
Erfahrungen mit ihm ausgetauscht. Und das Urteil, das Melanchthon am 24. Juni
1531 Camerarius gegenüber dem Mann abgibt, ist von Freundschaft und intimer
Kenntnis diktiert: Wahrhaftig ist Carion
und von schwäbischer Einfalt, mag auch seine astrologische Methode
unsystematisch-sprunghaft sein und zu viele Einzelheiten beweisen wollen.
Auch an der
Urschrift des Chronicon hat Melanchthon die ungeordnete Fülle beklagt. Seine Editionsarbeit beschränkte sich aber
für die deutsche Ausgabe nicht auf Kürzung und Gliederung des Stoffes, sondern
war eine wirkliche Erneuerung; und wenn er dazu des Camerarius Hilfe in
Anspruch nahm, wird sie besonders dem Altertum zugute gekommen sein. Dagegen
bringt die lateinische Ausgabe bloß
stilistische Korrekturen. Handschriftliche Funde machen es wahrscheinlich,
daß Melanchthon das Druckmanuskript seinen Studenten im Kolleg diktiert und
erläutert hat. So ist Carions Werk nach
Form und Inhalt sein eigenes geworden und ein Zeugnis seiner
rhetorisch-pädagogischen Würdigung der Vergangenheit."
Wie sagte Flacius
im Zitat bei Hoch: "Usitatum est in historiis, ut, cum unus aliquis initio
a vero aberravit, tunc & omnes sequentes caecum ducem caeci & ipsi, id
est negligentes veritatis inquisitores, eum temere sequantur. Plane enim,
veluti grues, sese mutuo Historici ducunt, & sequuntur."
In Heinz Scheibles
Melanchthon-Biographie von 1997 spielen Carion und seine Chronik keine große
Rolle. Er bespricht Carion ganz am Ende seines Buches, obwohl er die
Heidelberger und Tübinger Jahre weit vorher in eigenen Kapiteln bedacht hat:
"Eine
Tübinger Erbschaft war auch Johannes Negelin aus Bietigheim, der dank
Melanchthons Gutmütigkeit unter
seinem Humanistennamen Carion (Caryophyllus aromaticus heißt die
Gewürznelke) bis heute bekannt geblieben ist."
Und über
die Chronik heißt es: "Damals
oder kurz danach war der Druck seiner Chronik vollendet. Die Darstellung reicht
bis März 1532. Der Titel lautet: Chronica durch Magistrum Johan Carion
vleissig zusamen gezogen, menigklich nützlich zu lesen. Melanchthons
Mitwirkung wird mit keinem Wort erwähnt."
Und über
Melanchthons Bearbeitung schreibt Scheible:
"Ab 1555
hielt er Vorlesungen über Weltgeschichte. Hieraus ist ein völlig neues Buch
entstanden. Aber Melanchthon, der nun als Verfasser erscheint, ließ
ihm den Namen des längst verstorbenen Carion: Chronicon Carionis
latine expositum et auctum multis et veteribus et recentibus historiis, in
narrationibus rerum Graecarum, Germanicarum et Ecclesiasticarum, a Philippo
Melanthone."
Für Scheible ist die Urheberschaft der Chronik kein Problem; seine
kurzen Ausführungen lassen aber den Schluss zu, dass er Carion letztlich für
einen Trittbrettfahrer an Melanchthons Riesenfahrzeug hält: Die große Eiche
Melanchthon hält es auch aus, wenn sich das Schwein Carion daran reibt – aber
letztlich ist Carion (ihm) unwichtig.
Die letzte Person bei diesem Rückblick soll Barbara Bauer sein, die
sich an mehreren Orten über das Chronicon ausgelassen hat.
Anlässlich der
Rostocker Ausstellung schreibt sie:
"Melanchthon
hatte 1532 den Überblick über die
Weltgeschichte seines Kommilitonen aus der Tübinger Studienzeit Johannes Carion
in deutscher Sprache herausgebracht. Aus Vorlesungen der
Fünfziger Jahre über die Weltgeschichte ging seine lateinische Bearbeitung der
Carion-Chronik 1558-1560 hervor. Die Behandlung des Stoffs ist durchaus
traditionell. Melanchthon trieb keine eigenen Quellenstudien, um etwa die
Entwicklung der protestantischen Kirche als Resultat früherer Konflikte
zwischen dem Reich, Papsttum und den Territorien zu deuten oder die Taten
einzelner großer Persönlichkeiten zu beschreiben. Vielmehr reizte es ihn, die
amorphe Masse von
Einzelbeobachtungen des Brandenburgischen Hofastrologen Carion in
einen heilsgeschichtlichen Rahmen zu integrieren und die Weltgeschichte mit der
biblischen und kirchlichen Geschichte in Zusammenhang zu bringen."
Und weiter unten:
"In den Initia erläuterte Melanchthon an einigen Beispielen
die Gesetzmäßigkeit des Wirkungszusammenhangs zwischen irregulären oder
besonders spektakulären Himmelserscheinungen und irdischen Katastrophen. Im Chronicon
Carionis bildete die Aufzählung derartiger Himmelsereignisse, denen
irdische Katastrophen folgten, das Strukturprinzip einer providentiellen
Geschichtsdeutung. Ihr Ziel war es, die göttliche Vorsorge für seine Kirche
zu beleuchten, die in Himmelszeichen und anderen prodigia zum Ausdruck kam. Wer die Gesetze der
Planetenbewegungen kannte, besondere Aspekte zu deuten wußte und in den Meteora
Boten des göttlichen Willens zu sehen, die in eine von Gott bis zu irdischen
Ereignissen reichende Ursachenkette gehörten, für den offenbarte sich der Lauf
der Welt- und Kirchengeschichte als globaler Kommunikationszusammenhang
zwischen Gott und Menschen. Planetenaspekte, Finsternisse, Kometen und
meteorologische Besonderheiten waren Zeichen einer Dingsprache, in der Gott
seinen Gläubigen seinen Willen kundtat."
Hier erscheint die
Chronica Carionis als amorphe Masse eines spinnigen Astrologen.
Im Begleitband der
Bietigheimer Ausstellung von 1999 gesteht Barbara Bauer in Anmerkung 10:
"Die sehr seltene Erstausgabe lag mir nicht vor, sondern nur die Ausgaben
von 1546, 1555 und 1558."
Man glaubt es
kaum: Da schreibt jemand ausdrücklich über die Chronik von 1532, kennt aber selbst weder die Frühfassung von 1532 noch die
Spätfassung, nicht die niederdeutsche und auch keinen Bonnus, weder von 1537
noch von 1539.
Und im Katalogband
der Marburger Ausstellung steht dann bei der Vorstellung des Objekts H 1, wobei
man nicht weiß, ob das Bauer oder die Koautorin Kirsti Ohr verantwortet, wieder
Bekanntes: "Als Melanchthon allerdings Carions Manuskript erhalten hatte,
mußte er vor der Drucklegung des deutschen Textes zuerst Ordnung in den – wie er 1532 in einem Brief an Antonius
Corvinus schreibt – "Haufen
zusammengeraffter, ungeordneter Notizen " bringen."
Und kurz darauf:
"Nach Peucers Worten hat Melanchthon ein gänzlich neues Werk unter
anderm Namen geschaffen."
Und eine Seite
weiter finden sich im Anschluss an ein Münch-Referat folgende Bemerkungen:
"Dieser Teil
der Chronik stammt wohl am ehesten aus der Hand Carions. Die Darstellung ist
ohne Zusammenhang, eine heilsgeschichtliche Leitidee nicht erkennbar. Nicht einmal die Ereignisse im Zusammenhang
mit der Reformation werden aus protestantischer Sicht geschildert.
Eigentümlich ist Carions
Vorliebe für Wundererscheinungen und ihre mutmaßlich katastrophalen Folgen.
... Für moderne Leser, die Melanchthons Werke schätzen, ist schwer zu
verstehen, wieso Melanchthon überhaupt Carions
schlichten, jedes historischen Sachverstandes baren Text in der
ursprünglichen Gestalt 1532 herausgegeben hat. Sicher tat er gut daran, seinen eigenen Herausgebernamen zu
verschweigen."
Bei Roemer war
Carion noch der Schuft, der sich eine Leistung anmaßt – und jetzt benutzt
Melanchthon Carion als Tarnnamen, um nicht für einen Schund geradestehen zu
müssen. Man kann nur staunen ...
Die gesamten
bekannten Lebensdaten sind bei Trauner verzeichnet, so dass ich mich hier aufs
fürs Thema Wichtige beschränken kann. Mein Hauptanliegen ist dabei, dem Vorwurf
des seichten Geistes und damit des kleinen Lichtes zu begegnen.
Dass man das
Geburtsdatum, nämlich den 22. März 1499, so gut kennt, liegt an einer Mode der
damaligen Zeit. Es war nämlich üblich, von wichtigen Zeigenossen Nativitäten zu
erstellen, d. h. Geburtshoroskope, und dazu benötigte man nicht nur das
Geburtsdatum, sondern die genaue Angabe von Geburtsstunde und –minute, denn man
musste ja astronomisch genau verfahren. Ist also die Nativität erhalten – und
wurde sie nicht gefälscht wie etwa in Luthers Fall - weiß man über das
Geburtsdatum Bescheid. Geboren wurde unsere Hauptperson in Bietigheim in
Württemberg (heute Ortsteil von Bietigheim-Bissingen im Kreis Ludwigsburg) und
danach als Johannes Nägele (oder Negelin) getauft. Er muss dann Lateinschüler
in Bietigheim gewesen sein, denn am 21. April 1514 wird er in die Universität
Tübingen immatrikuliert.
In seiner "Geschichte der Anfänge der Universität" geht Haller zwar nicht auf Carion, aber auf Melanchthon ein, wodurch man sich das Leben des damals gerade 15-Jährigen vorstellen kann. Die Studenten hatten Bursenzwang, d. h. Carion und Melanchthon lebten etwa vier Jahre nicht nur - als Vorlesungsgenossen bei Stöffler - miteinander im gleichen Haus, sondern mussten auch ihre freie Zeit dort gemeinsam verbringen, Zeit genug, um einander gut kennenzulernen. 1518 trennten sich ihre Wege; Melanchthon wurde nach Wittenberg berufen, wo er am 25. August 1518 seine Antrittsvorlesung hielt. Der Weg des Jüngeren bleibt hier im Dunkeln, lässt sich aber erschließen. Da Carion im Herbst 1518 in Berlin ist, muss er von seinem Lehrer Stöffler an den damaligen Kurfürsten von Brandenburg, Joachim I., empfohlen worden sein. Denn Joachim war an Astrologie sehr interessiert, wollte deshalb von seinem Hofmathematicus profitieren, und da hätte es sich Stöffler gar nicht leisten können, eine Niete nach Berlin zu empfehlen. Demnach muss der kleine Johannes Nägele sowohl an der Lateinschule in Bietigheim als auch hier in Tübingen durch seine Leistungen aufgefallen sein; die württembergischen Nägele hatten ja sonst keine Beziehungen zum brandenburgischen Berlin.
Carions Erstlingswerk heißt "Practica M. Joannis Nägelin von
Bütighaim/ auff das 1519 iar. Des durchleüchtigsten Fürsten und herren Herr
Joachim Margrauen zu Brandenburg etc. Astronomus."
Adelung
qualifiziert Carion ja als "weiter nichts als Kalendermacher". Das
stimmt 1518 wahrscheinlich, als Carion sozusagen bei Joachim I. sein
Gesellenstück, eben den Kalender für 1519, ablegt. Carion spricht das in seiner
Vorrede auch selbst an: "diß mein erste bewerung". Damals wie heute
verkauft man einen Jahreskalender vor Beginn des Jahres, nicht während des
behandelten Jahres, so dass daraus zu entnehmen ist, dass unser Kalendermacher
ab Herbst 1518 in Berlin ist.
Lästig muss es für
den gerade 20-Jährigen gewesen sein, dass es noch einen, wenn auch wesentlich
älteren, zweiten Johannes Nägele (oder Nägelein aus Gunzenhausen) am Hof gab.
Wenn sein Name nicht schon in Tübingen im Studentenkreis gräzisiert worden war,
so hatte Nägele ja jetzt besten Grund zur Umbenennung, um sich eindeutig vom
anderen Nägele abzuheben. "Nägele" bezeichnet im Schwäbischen auch
die Blume "Nelke", und deren lateinischer Name ist
"Caryo-phyllon", eine ursprünglich griechische Zusammensetzung aus
"karyon" – Nuss und "phyllon" – Blatt. Doch warum nennt
sich der junge Mann nicht "Johannes Caryophyllus" mit zwei
todschicken "Y" im Namen? Warum verzichtet er sogar im gewählten
Namen auf das eine Y und nennt sich "Carion"? Am nächsten liegt die
Vermutung, dass er damit seine Verehrung für seinen Tübinger Geschichtslehrer
Johannes Reuchlin zum Ausdruck gebracht hat, dessen gräzisierte Namensform
"Capnion" war. Denkbar wäre auch, da anfangs immer die Namensform
"Charion" verwendet wird, dass er schon in Tübinger Studentenkreisen
– wegen seines stattlichen Wuchses - mit dem Höllenfährmann "Charon"
in Verbindung gebracht wurde; Luther hätte dann in seinem Brief an Carion davon
nur Gebrauch gemacht.
Im Lagerbuch von
Bietigheim von 1522 wird Dr. Hans Negelin erwähnt:
"1 Morgen Jn der bach wysen, zwuschend
Hans Eberwin vnd Doctor Hans Negelin
gelegen, wendt vff Hans Nest."
Daran wird
zweierlei deutlich: Zum einen hatte Carion in Bietigheim 1522 noch seinen alten
Namen, zum anderen hielten die Bietigheimer ihren nach Berlin entschwundenen
ehemaligen Mitbürger schon für einen Doktor.
1521 erscheint
Carions erstes wichtigere Werk: "Prognosticatio und erklerung der grossen
wesserung/ Auch anderer erschrockenlichenn würckungen. So sich begeben nach
Christi unseres lieben herrn geburt/ Funfftzehen hundert und xxiiij. Jar.
Durch mich Magistrum Johannem Carion von
Buetikaym/ Churfürstlicher gnaden tzu Brandenburg Astronomum/ mit
fleyssiger arbeit tzusamen gebracht. Gantz erbermlich tzu lesen/ in nutz und
warnung aller Christglaubigen menschen etc."
Fürs damals
aktuelle Zeitgeschehen war die Schrift wichtig. Schon 1499 hatte Stöffler,
Carions – und Melanchthons – Lehrer in Tübingen, seine "Ephemeriden",
d. h. seine Planetenberechnungen für die nächsten Jahrzehnte herausgebracht und
eine ganz üble Konjunktion fürs Jahr 1524 berechnet. Lange störte das niemand,
aber jetzt um 1520 gab es eine regelrechte Sintfluthysterie, auch geschürt vom
Marbacher Arzt Alexander Seitz. Carion versuchte in seiner Schrift, die
Hysterie zu mildern, indem er darauf hinwies, dass die Menschheitsgeschichte
seit der Noah-Sintflut schon andere Überschwemmungen hatte und die von 1524 zu
bewältigen sein werde.
Für unseren
Zusammenhang ist diese Schrift aus zwei Gründen wichtig: Zum einen wird im
Titel Carions neuer Name fassbar, zum anderen greift Carion hier in seiner
Argumentation auf ein Geschichtswerk, nämlich die Schedelsche Weltchronik
zurück. Er zieht aus dem Weltgeschehen die Etschüberschwemmung von 618 heran
und schreibt dafür wörtlich einen Abschnitt der Chronik ab. Das ist der Beweis
dafür, dass Carion in Berlin die Schedelsche Chronik zur Verfügung hatte; meine
Anfragen in Berlin, ob man mehr über Joachims I. Bibliothek erfahren könne,
blieben leider erfolglos.
Da diese Prognosticatio von Werner Bergengruen ausgewertet wurde, ist hier der kleine Abschweif auf "Carion in der Schönen Literatur" angebracht.
Carion wurde schon 1848 von Willibald Alexis verwendet. Dessen Jude Carion hat mit der historischen Person rein gar nichts zu tun, ist aber wegen des Schicksals seines erfundenen Vaters, der als Jude den Räuchertod stirbt, von bedrückender Aktualität.
Bergengruen schreibt von 1931 bis 1940 an seinem Roman und weiß inzwischen schon mehr über unseren Johannes, verfährt aber dennoch sehr frei mit den biographischen Details; dass er Bietigheim am Neckar liegen lässt, verrät schon viel über seine diesbezügliche Sorgfalt. Er verwendet zwar die Prognosticatio, indem er seinen Carion sie den Kindern seines Umfelds als Märchen erzählen lässt, aber insgesamt geht sein Erzählkern auf Hafftitius zurück. Wenn man die Textumgebung bei Hafftitius nachliest, wird die (mangelnde) historische Qualität dieser Quelle deutlich. Das heißt, Bergengruen fällt als ernstzunehmende Informationsquelle für unseren Johannes Carion aus.
Nach seinem "Gesellenstück"von 1518 durchläuft
Carion eine Entwicklung; schon in der Prognosticatio von 1521 stellt er die
Konjunktion von 1524 als verrätselte Geschichte dar. Offensichtlich ist er mit
der bloßen Kalendermacherei nicht zufrieden. Etwa 1525 auf 26 entsteht Carions
astrologisches Hauptwerk, das 1529 mit einem auf den 28. Dezember datierten
Vorwort erscheint: "Bedeütnus
und Offenbarung warer hymmlischer Influentz/ des hocherfarnen Magistri Johannis
Carionis Bütickheimensis C. F. G. von Brandenburg Mathematici/ von jaren zu
jaren werend/ Biß man schreibt 1550. Jar/ alle Landschaft/ Stände und einflüß/
klärlich beträffend."
Als kleine Leseprobe soll hier eine Passage aus dem Vorwort geliefert werden, die zum einen zeigt, wie geschichtlich bewusst – wenn hier auch "nur" auf die Zeitgeschichte bezogen – und wie prophetisch engagiert sich Carion zeigt.
6, 1 Damit ich yhe etwas gewysers
dann von andern bißher beschehenn (doch nitt allenn) mit der hilff Gots
schreyben vnnd anzaygen wolte. 2 Achte ehs derhalbenn nicht von
nötten/ das ich auff ein yedes bedeuttenn der alte ehr- <004-r> farnen
lerer sprüch brauch/ wiewol so es die not erfordern wurde/ der selben einen
gantzen hauffen/ mit sampt jhren sprüchen herfür rucken kündt/ 3 Aber
deß gibt oder nimpt hieher nichts. 4 Es sicht doch ein yeder halb
erfarner inn Astronomia/ das diß büchlin on ein sonderlichen grund nicht
geschryben ist/ vnd das mein außlegen/ vnd bedeütnus eynen ordenlichen proceß
auß rechten fundamenten halten/ 5 Will aber einen yeden der mich
fragen wirt allen beschayd vnd vrsach gern mittaylen vnd sagen. |
6, 1 Damit wollte ich jeweils etwas
Verlässlicheres, als es von anderen - mit Ausnahmen - geschah, mit Gottes
Hilfe schreiben und darstellen. 2 Ich halte es deshalb für unnötig,
für jede Auslegung Sprüche von alten, erfahrenen Lehrern zu benötigen, obwohl
ich bei Bedarf ihrer einen ganzen Haufen samt ihren Sprüchen anführen könnte;
3 aber das ist hier unerheblich. 4 Es sieht doch ein jeder, der
halbwegs in Astronomie erfahren ist, dass mein Büchlein aus triftigem Grund
geschrieben ist und dass meine Ausdeutung methodisch fundiert erfolgt. 5 Auf Anfrage werde ich jedem
gerne Auskunft über meine Grundlage geben. |
6,6 Vnd wiewol ich doch inn diser
Prognostication fast vberall die maynung inn warhayt getroffen/ 7
beforder inn dem/ was schaden vnd erschrecken Italia vnnd Rhom imm 1527. Jar
haben werden/ 8 wie imm 1528. Jar der falschen vnd erdichten bündtnus
halben inn Hessen/ gar nahe ein mörderische auffruor worden wer/
who man jhm nicht durch frommer leüt rat fürkommen were. 9 Auch imm
vergangenen 1529. Jar/ mit des Türcken zuokunfft/ vnd mit der
grewlichen weeklagung Wien/ ofen/ vnnd anderen vmbligenden Vngerischen vnd
Osterreichischen Stetten/ Schlössern vnd Flecken/ 10 Auch das Mayland imm selben
Jar erst widerumb dem Römischen Reich gegeben wurde/ vnd inn sein rechte hand
kommen/ 11 vnd zwischen Kay. May. vnd dem Künig inn Franckreich friden
gemacht/ 12 vnd das Kay. May. inn Italia
eere vnd wyrden erzayget werden/ vnd Florentz mit sampt andern stetten
beschwerung haben etc. |
6,6 Zwar habe ich fast überall in
dieser Prognostikation die Wirklichkeit vorhergesagt: 7 Vor allem,
welchen Schaden und Schrecken Italien und Rom im Jahre 1527 haben werden, 8
außerdem dass in Hessen im Jahr 1528 falscher und fingierter Bündnisse wegen
fast ein mörderischer Aufruhr entstanden wäre, wenn man diesem nicht durch
den Rat frommer Leute zuvorgekommen wäre. 9 <Richtig lag ich
auch> im vergangenen Jahr 1529 mit der Ankunft des Türken und der
fürchterlicher Wehklage von Wien, Ofen und anderen ungarischen und
österreichischen Städten, Schlössern und Dörfern dieser Gegend. 10 <Gestimmt hat> auch,
dass Mailand im selben Jahr von neuem dem Römischen Reich gegeben wurde und
in dessen Gewalt kam 11 und dass zwischen seiner kaiserlichen Majestät
und dem König von Frankreich Frieden geschlossen wurde, 12 dass dieser Majestät in
Italien Ehre und Würde erwiesen wurde und dass Florenz samt anderen Städten
Schwierigkeiten haben werde. |
6,13 Noch dannocht hab ich
vnangefochten nit bleybenn künden/ sonder einer der sich nennet Andreas
Perlachius von Wien/ hat wider mich geschriben/ vnd mich nit mit geringen
scheltworten gegen Küniglicher Maye. von Hungern vnnd Behem geschmehet/ 14
wöllicher mir entgegen/ vnd den von Wien/ freüd/ frid vnd glückliche zeyt
verkündet/ Eben da sie leyder Gott erbarm es/ mit allen engsten vnd nöten
vmbfangen waren. 16 wolt aber dannocht das ich
gelogen/ vnnd er war gesagt hette/ 17 were Kün. Maye. von Hungern
etc. Vnnd der selben armen vnderthan vil leidlicher/ 18 Achte aber derhalben gedachter
Perlach/ habe sich mehr geschendet/ <004-v> vnd verachtet dann ich jme jmmer auflegen
möchte/ 19 will das also jm zuo lon vnd newen Jar
geschenckt/ vnd hiemit verantwort haben/ gegen E. F. G. vnd sonst aller
mänigklich etc. |
6,13 Dennoch wurde ich Opfer von
Anfeindungen, da einer namens Andreas Perlach von Wien gegen mich geschrieben
und mich mit gewaltigen Beschimpfungen bei der königlichen Majestät von Ungarn
und Böhmen geschmäht hat. 14 Der hat im Gegensatz zu mir
den Leuten von Wien Freude, Friede und glückliche Zeit verkündet, als sie
leider - Gott habe Erbarmen! - tief in Angst und Not
steckten. |
7, 1 Aber eins wolt ich dannocht/ 2
vnd gebe mein rock darumb/ das die Fürsten Teütscher Nation mein waynung zuo
oren genommen/ vnnd zuo hertzen gezogen hetten/ inn dem/ das ich die so
trewlich/ vnd hertzlich vor vier Jaren zuo jhnen allen schrib/ vnnd sie so
trewlich ermanet dem Türcken bey zeyt durch jr aller lieb vnd aynigkayt fürzuokommen/
3 Aber es war vmbsonst/ wiewol ich den Türcken mit allem seinem wesen
abmalet/ vnd jnen dem Babylonischen Künig vergleychte/ als er Jerusalem
zerstört/ vnd die Juden hinweg füret/ 4 Es half aber jr aller kayns/ so
nemen sie nun dz daran/ vnd nachmals noch ein ergers/ wo sie nicht klüger
werden/ dann biß hieher beschehen. 5 Seyen nicht Ofen vnnd Wien
Jerusalem gewesen des vergangen Jars/ so buck man sich herwider/ dann die
Juden vnd kinder von Israel imm alten Testament die rechtglaubigen vnnd
außerwölten Gottes warenn/ wie yetz imm neüwen Christlichen Testament wir
Christen glaubhafftig die selben seyen. 9 Befilhe damit E. F. G. sampt
jren herrschafften vnd verwandten dem höchsten inn ewigkayt/ 10 vnd
mich derselben/ als meinem gnädigen Landsfürsten vnd Herrn.
12 Ewer F. G. |
7, 1 Aber eines wollte ich dennoch,
2 und ich gäbe meinen Rock dafür, dass die Fürsten der deutschen
Nation meine Warnung vernommen und zu Herzen genommen hätten, die ich ihnen
so treu und von Herzen vor vier Jahren geschrieben habe und mit der ich sie
so treulich ermahnt habe, dem Türken beizeiten durch ihrer aller Liebe und
Einigkeit zuvorzukommen. 3 Aber es war vergebens, obwohl ich ein
vollständiges Bild des Wesens des Türken entwarf und obwohl ich ihn mit dem
Babylonischen König verglich, als der Jerusalem zerstörte und die Juden
fortführte. 4 Nichts davon half, und so
haben sie jetzt das davon und später noch Schlimmeres, falls sie nicht klüger
werden als bisher. 5 Man könnte sich dagegen wehren, dass Ofen und
Wien das Jerusalem des vergangenen Jahres waren, aber die Juden und Kinder
Israel waren im Alten Testament die Rechtgläubigen und Auserwählten Gottes,
wie jetzt wir Christen im Neuen christlichen Testament glaubhaft eben diese
sind. 6 Dort im Alten Gesetz plagt Gott
die Juden (wegen ihrer Übertretung) mit dem Babylonischen König, hier straft
er uns wegen unseres überschwänglichen großen Ungehorsams mit der blutigen
scharfen Rute, dem Christenfeind, dem Türken. 7 Denn wenn wir durch Unruhe die
ewige Ruhe erlangen sollen, müssen wir starke Anfechtung unsers heiligen
Glaubens haben. 8 Denn der rechte Glauben muss von Anfang an immer
wieder vom Teufel, dem ewigen Feind, und seinem Anhang Verfolgung erleiden
etc. 12 Euer
fürstlichen Gnaden |
Das Gesamtwerk - wie gesagt, Carion sprengt bewusst die Grenzen der Kalendermacherei - enthält 1525/26 geschriebene Prophezeiungen für die folgenden Jahre bis 1550; da er dieses Vorwort etwa vier Jahre nach der Abfassung des Textes verfasst, kann er schon auf einige eingetroffene Prophezeiungen hinweisen.
6,1 bis 5 zeigt sein großes Selbstbewusstsein: Er kennt die astrologischen Sprüche seiner Vorgänger, will die hier zwar nicht alle anführen, erklärt sich aber bereit, auf Anfrage Rechenschaft abzulegen.
6,6 bis 12 weist Carion auf seine Erfolge hin: Vieles sei tatsächlich eingetroffen.
6,13 bis 19 kommt er auf seinen Wiener Hauptgegner zu sprechen; während er, Carion, das Unglück Wiens angekündigt habe, habe Perlach den Wienern Freude, Frieden und glückliche Zeit angesagt.
Wenn Carion hier so richtig liegt, kann das ja nur daran liegen, dass er ein sehr aufmerksamer Beobachter seiner Zeit war. Sein astrologischer Rivale sprach natürlich davon, dass Carion mit dem Teufel im Bund sein müsse, um so zutreffende Voraussagen zu machen. Wenn an einigen Orten, z. B. von Menke-Glückert, Carion historisches Wirken abgesprochen wird, ist das offensichtlich nicht zu halten.
Und in 7,1 bis 8 wird der theologische Hintergrund Carions deutlich, wohl bemerkt 1529, also zwei Jahre vor der angeblichen theologischen Überformung seiner Chronik durch Melanchthon.
Carion sieht sich in Parallele zu den jüdischen Propheten, denen ja auch niemand geglaubt habe; den Türkensturm parallelisiert er mit der Zerstörung Jerusalems durch Babylon, und vor allem: seine christlichen Zeitgenossen sieht er in Parallele zu den gottgläubigen Juden der Zeit vor dem Exil. Und der Teufel feinde die Rechtgläubigen immer an, vor Christus und jetzt wieder lange nach Christi Geburt.
War die "Bedeutnis" zumindest nach 1529 für die Öffentlichkeit bestimmt, so ist das Iudicium Magnum ein Privatgutachten. Reiner Reisinger hat dieses Gutachten ediert, ausführlich kommentiert und insgesamt in den astrologischen Zusammenhang eingebettet. Für mein Thema sind hier nur zwei Aspekte wichtig: Reisinger zeigt am Ende seines Buches, wie genau Carion die astrologische Literatur kannte; Reisinger kann fast alle astrologischen Auswertungen, die Carion vornimmt, auf seine Handbuchquellen beziehen. Auch wenn die Astrologie auf – meines Erachtens – völlig haltlosen Voraussetzungen beruht (Sternbilder sind keine Realität, sondern menschliche Merkhilfen, um sich am Sternenhimmel orientieren zu können; die Zuordnung von Planeten zu Göttern des babylonischen oder griechischen Mythos ist ein Akt der Willkür), so kann man doch die Astrologie der Zeit Carions als hochintelligentes Spiel betrachten, dem damals sogar Wissenschaftscharakter zugebilligt wurde. Und wer dieses Spiel beherrscht, dem kann man keinen seichten Geist, sprich beschränkte Intelligenz, nachsagen.
Der andere Aspekt ist der Auftraggeber und der Betroffene des Gutachtens. Der Betroffene ist das Patenkind von Albrecht Dürer, die Familie Scheurl ist in Nürnberg angesehen – und warum soll Carion nicht bei solchen Beziehungen etwas von Willibald Pirckheimer gehört haben? Münch hält in Nachfolge von Joachimsen (so seine Anmerkung 122) für zwingend, dass die Pirckheimer-Nennungen nur über Melanchthon in die Chronik gelangt sein können.
In ähnliche Richtung geht Menke-Glückerts Behauptung:
"In Reuchlins, seines Oheims, Bibliothek kann doch nur Melanchthon
Bescheid wissen." Scheible stellt folgendes fest: "Er <Reuchlin> freute sich über Besuch
von Tübinger Studenten, die er freigebig bewirtete und sich bei Spielen im
Garten entspannen ließ. Er öffnete ihnen
aber auch seine reichhaltige Bibliothek, die Kostbarkeiten enthielt, die in
Tübingen nicht zu bekommen waren." Damit wirkt Menke-Glückerts Behauptung
deutlich weniger überzeugend.
Ab 1527 bestehen Beziehungen zwischen Carion und Herzog Albrecht von Preußen. Einiges ist vom Briefwechsel der beiden erhalten, er ist über Carions Hintergrund recht aufschlussreich. Ein Brief wurde oben schon ausgewertet, hier soll nur für die Fragestellung "Carions Eigenwert" auf ein Detail hingewiesen sein. Die Aufklärer und in deren Folge auch Menke-Glückert rümpfen die Nase, wenn sie davon berichten, dass Carion seinem Brief vom 22. August 1527 eine Erzählung vom "Kindorakel" beigelegt habe. Menke Glückert: "Man muß es lesen, sowohl um zu erfahren, was Carion glaubte, als was damals an einen Herzog zu schreiben möglich war."
Carion war der Bürger, Herzog Albrecht der adlige Auftraggeber. Wenn nun Carion solch einen Schwachsinn seinem Brief beilegt, kann er nur den Wunsch des Herzogs befriedigt haben; ob er an das Zeug glaubte, bleibt offen, aber diese Beilage wirft doch vor allem ein Licht auf den Herzog und weniger auf den untertänigen Lieferanten.
Wie oben schon erwähnt, ist der Melanchthonbrief vom Juni 1531 die "Geburtsurkunde" der Carion-Chronik. Solch eine Chronik, auch wenn sie unter dem Begriff "Kompendium", also "kurzes Handbuch" läuft, kann man nicht in ein paar Tagen oder Wochen oder auch Monaten herstellen. Auch das Kompilieren braucht Zeit. Man muss die richtige Quelle haben, da die richtigen (wichtigen?) Passagen auswählen, das Ganze abschreiben, kurz, ich würde die Arbeitszeit eher in Jahren bemessen, habe ich doch immerhin die Carion-Chronik, wenn auch am Computer, abgeschrieben, "nur" abgeschrieben! Demzufolge war Carion vor dem Juni 1531 schon einige Zeit mit diesem Werk beschäftigt, immer neben anderen Tätigkeiten, wobei Joachim I. ein großzügiger Arbeitgeber gewesen sein muss. Zum einen lässt er Carion noch die Luft, sich in Herzog Albrecht einen Zweit-Arbeitgeber zu suchen, zum andern kann er offensichtlich nebenher seine Chronik erstellen.
Der Hintergrund bis zum Druck war schon Thema oben im Kapitel "Melanchthons Stellung zu Carion und seiner Chronik". Der Mainstream geht ja davon aus, dass Melanchthon den Druck betrieben habe, aber Carions Bitte gilt wohl vor allem der Durchsicht; das dürfte auch heute noch üblich sein, dass man ein längeres Opus einer verlässlichen und vertrauten Person zum Lesen übergibt, etwa mit der Frage: "Meinst du, so geht's?" oder mit Melanchthons Worten: "ea lege, ut <eam> emendarem".
Nach Trauner befand sich Carion in
Wittenberg, auch um den Druck zu überwachen: "Im April 1532 kam C. dann persönlich nach
Wittenberg. Während seines Aufenthalts, der zwar auf kurfürstlichen Befehl
geschehen war, aber auch in engem Zusammenhang mit der Chronik zu sehen ist
<Lücke>; die Darstellung in der Chronik endet mit März 1532. Anläßlich
seines Wittenberg-Aufenthalts schrieb er sich als 'J.C. Astronomus' in die
Matrikeln der Universität ein." Karin Reich weiß sogar von einem
Aufenthalt Carions im Winter 1531/32, gibt aber keine Quelle an: "Wegen
der Korrekturen am Manuskript hielt sich Carion im Winterhalbjahr 1531/32 in Wittenberg
auf; er ließ sich sogar 1532 in die Wittenberger Matrikel einschreiben."
Diese Aussagen von Carions Aufenthalt in Wittenberg zur fraglichen Zeit sprechen gegen die verbreitete Meinung, nur Melanchthon habe die Chronik herausgegeben.
Jedenfalls gibt es 1532 zwei Ausgaben. Eine Erstedition vom Frühjahr liegt im Stadtarchiv Bietigheim-Bissingen, eine andere, die sich aber nur in der Rechtschreibung unterschied, befand sich 2009 auf der Homepage der Luthergedenkstätten. Eine Zweitfassung von 1532 befindet sich auf der Homepage der Universität Halle (VD 16 C 997). Diese Zweitfassung ist dann Grundlage sowohl der niederdeutschen Ausgabe von 1534 als auch der Bonnus-Übersetzung von 1537.
Und damit sind wir bei der Übersetzung von Hermann Bonnus, die für unser Thema ein argumentatives Aschenputtel-Dasein fristet, aber durchaus ans Licht geführt gehört.
Die Communis Opinio lässt sich am besten mit Barbara Bauers Worten formulieren:
"Der Lübecker Superintendent und Rektor Hermann Bonnus (1504-1548) übersetzte 1537 die Chronik, vielleicht um sie für den Sprachunterricht zu verwenden." Das heißt, die Übersetzung erscheint als Eigenleistung von Bonnus, über ihren Zweck wird eine Vermutung angestellt.
Petra Savvidis stellt Leben und Werk des Hermann Bonnus umfassend dar. Seine berufliche Entwicklung ist hier interessant.
Schon im Titel des Buches spricht sie Bonnus als "Superintendent" von Lübeck an. Bei der Behandlung der Frage der kommissarischen Amtsbesetzung führt sie aus: "Bonnus gab eindeutig als Rektor seine lateinische Grammatik im April 1531 heraus, eine Doppelfunktion als Schulleiter und Superintendent kommt sicher nicht in Betracht." Im Zusammenhang mit Bonnus' Verhandlungen mit Lüneburg stellt sie dann fest: "Bonnus wäre wohl nach Lüneburg gegangen, wenn unmittelbar nach seinen Briefen vom 6. Mai <1535> nochmals eine eindeutige Berufung ergangen wäre. So aber übernahm er in Lübeck das Amt des Superintendenten, im letzten Brief vom 2. Juni <1535> wird Bonnus bereits als 'Superattendent' angesprochen." Bonnus hatte also ab Mitte 1535 die Arbeit des Amtes, die Stelle (mit entsprechender Dotierung) bekam er erst später. Wenn das stimmt – wovon ich ausgehe -, dann war er in der zweiten Jahreshälfte von 1535 nicht mehr Schulleiter und hatte keine Veranlassung mehr, ein Schulbuch, noch weniger solch ein Ungetüm an Schulbuch zu schreiben.
Wie soll man sich nun den Hintergrund von Bonnus' Übersetzung vorstellen?
Bonnus war Melanchthonschüler. Die nächstliegende Vermutung ist also, dass Melanchthon Bonnus als Übersetzer der Carion-Chronik ins Auge gefasst hat – die doch angeblich sowieso schon weitgehend sein Werk ist. Wenn Melanchthon aber so stark in die Übersetzung eingespannt gewesen wäre, hätte sich das sicher in einer entsprechenden Vorrede niedergeschlagen. Davon findet sich keine Spur, im Gegenteil, die lateinische Übersetzung bleibt völlig im Rahmen der Zweitfassung von 1532, auch die Tabula Annorum Mundi bleibt beim Stand von 1532, sie gibt auch noch 1539 als gegenwärtiges Jahr 1532 an:
1532, zweite Fassung |
Bonnus, 1539 |
9,6,1
Anno Mundi 3944 ist Christus vnser Gott vnd Heiland geborn. 2
Jnn gegenwertigem
1532 jar/ sind nach anfang der welt. 5476. jar. |
Anno mundi ter millesimo, nongentesimo,
quadragesimo quarto Christus natus est. Anno
hoc praesenti, millesimo, quingentesimo, trigesimo secundo,
expleti sunt a condito mundo 5476. anni. |
Wenn Melanchthon nicht hinter der Übersetzung steht, wer hat dann Interesse an dieser lateinischen Übersetzung, die sich – für damalige Verhältnisse: peinlich – genau an die Vorlage von 1532 hält? Ja, wer wohl?
Carion hatte 1532 schon sehen können, welchen Anklang sein Buch fand. Wie ich oben bei Adelung gezeigt habe, billigte auch ein ausgesprochener Carion-Gegner dessen Chronik einen großen Wert für den Buchmarkt zu.
Carions deutsches Werk war auf dem damaligen Weltmarkt nicht zu gebrauchen, da musste schon die (damalige) Weltsprache her. Von Carions Verhandlungen mit Bonnus ist kein Zeugnis geblieben, aber die vorliegende Übersetzung zeigt ja: Das ist Carions Werk, möglichst wortgetreu übersetzt, ohne Vorrede von Bonnus oder gar Melanchthon. Also wird Carion den Latein-Grammatiker gebeten haben, möglicherweise gegen Gewinnbeteiligung, die Chronik für den Weltmarkt zu ertüchtigen.
Indizien für Carions Sorge für die Übersetzung ist zum einen der Vermerk auf der Titelseite der Erstausgabe: "ab autore diligenter recognita" ("vom Autor sorgfältig durchgesehen"); da unmittelbar davor Bonnus genannt ist, hätte man auf ihn als Kontrolleur anders verwiesen.
Außerdem erzählte Carion im Brief vom 26. April 1536 selbst Herzog Albrecht von seiner geplanten Reise nach Württemberg:
12,1 Auch,
gnedigster herr, will ich eurer furstlichen gnade nicht bergen, das ich ytz
auff Jubilate hinauß zeuch Jn das Landt zu würtenberg, jn mein Heymat, vnd
willens, alda ein monat oder i ½ zu
verharren. 2 Von eurer
furstlichen gnade etwas an den hertzogen wolten werben lassen 3 mochten wyr die ein Credentz oder Jnstruction
nachsenden, wolt ichs in der aller besten form gehrn ausrichten, wie jch mich
zu thun schuldig erkhen. 4 Man findet
mich zu büethickheim oder aber zu stugkgart, ligt ij meil voneinander etc. |
12,1 Gnädigster
Herr, ich will Eurer fürstlichen Gnade auch nicht verheimlichen, dass ich
jetzt auf Jubilate in das Land zu Württemberg, in meine Heimat, hinausziehe
und vorhabe, dort einen oder zwei Monate zu bleiben. 2 Besteht von
Eurer fürstlichen Gnade ein Auftrag an den Herzog? 3 Falls Sie mir eine Beglaubigung oder Anweisung
nachschicken wollten, werde ich es in der allerbesten Form gerne ausrichten,
bekenne auch, dass das meine Pflicht ist. 4 Man findet mich in
Bietigheim oder aber in Stuttgart, das liegt zwei Meilen voneinander. |
Carion gibt allerdings keinen Grund seiner Reise an, spricht auch nicht von Hall.
Ein letztes kleines Indiz für die Reise in den Süden ist Melanchthons Empfehlung des Carion an den in Tübingen befindlichen Camerarius vom 11. Juni 1536:
Viro optimo Ioachimo Camerario , Bambergensi Tubingae optimas disciplinas
profitenti, amico suo summo, |
Dem besten Mann,
Joachim Camerarius , dem Bamberger, der in Tübingen die besten Fächer
lehrt, seinem besten Freund. Ich grüße Dich. |
7 Carionem tibi commendo, qui me, properantem Lipsiam cum coniuge et
familia, non potuit alloqui, sed Sabinus
eum expectabat. 8 Etiam Eobanum,
ut spero, Lipsiae videbo, qui erit nostri itineris comes. 9 Bene et feliciter vale. 10 III. Id. Iunii. Philippus. |
7 Den Carion empfehle ich dir, er konnte mich, eilends unterwegs nach
Leipzig mit Frau und Familie, nicht sprechen, aber Sabinus erwartete ihn. 8 Auch Eobanus werde ich, wie ich hoffe, in Leipzig sehen, der uns auf
der Reise begleiten wird. 9 Lebe
wohl und glücklich! 10 11. Juni. Philipp |
Offensichtlich weiß man also in Wittenberg von Carions Reise nach Württemberg.
Aber noch bevor 1537 die Übersetzung erscheint, ist Carion tot – und damit an der weiteren Geschichte seiner Chronik nicht mehr beteiligt.
Aus den bisherigen Ausführungen dürfte wohl klar geworden sein, dass das Peucer-Märchen von der Una-litura-Streichung und der folgenden Neuschaffung der Chronik nur in der Phantasie Bestand hat. Den richtigen Sachverhalt dürfte Hildegard Ziegler schon 1898 richtig beschrieben haben:
"Der Schluss, zu dem uns diese Untersuchung der Berichte führt, dass der Grundstock von Cario herstamme, Melanchthon aber das Werk durchgesehen habe, wird durch eine Untersuchung des Werkes selbst bestätigt; ja wir können sogar hier und da Melanchthons Verbesserungen gradezu als Einschiebungen in den ursprünglichen Text erkennen."
Dass Hildegard Ziegler so wenig durchgedrungen ist, liegt wohl daran, dass man Menke-Glückert lieber gehört hat und dass Münch ihr gegenüber allzu kritisch eingestellt war; das setzt sich fort bei Stupperich, der wieder mit dem farrago-Argument Ziegler totschlägt.
Als Melanchthon im Juni 1531 Carions Chronik erhält, ist sie aus Carions Sicht wohl fertiggestellt. Welche Änderungswünsche hat nun Melanchthon an die Chronik? Zur Beantwortung dieser Frage hilft ein Blick in Melanchthons Briefe.
Im Juni interessiert sich Melanchthon im ersten Brief des Chronik-Kontextes an Camerarius für Hercules und Alexander; er sieht noch nicht klar und bittet seinen besten Freund Camerarius um Hilfe. Am 26. Juli vermeldet er nun klare Sicht. Er verbindet seine gewonnene Erkenntnis aber nicht mit der Chronik.
Anders steht es um das zweite Thema, die Franken. Diese Frage wird im Juli-Brief angesprochen und ausdrücklich mit der Chronik verbunden:
8,1 De
Francis tuis haud dubie falsum est eos a Baltico exortos esse, fuerunt
enim vicini Alpibus, sicut Boii Strabonis tempore. 2 Et Livius in Hannibalis transitu mentionem
Branci facit, qui bellum gessit cum Allobrogibus. 3 Habeo multa argumenta, quae fidem minime dubiam faciunt, primas
sedes Francorum in hac superiore Germania fuisse, fere iisdem locis, quae
nunc sunt Francorum. 4 Strabo BregkouV scribit, Vindelicis
vicinos, et nescio quibus aliis, non enim vacat inspicere librum. 5 Itaque te non insertum alienae genti, sed vere
Francum dici et haberi volo. 6 Idque disputabo in cronikoiV in Carolo, quem ornabo quantum potero. |
8,1 Bezüglich deiner Franken ist es zweifelsohne
falsch, dass sie vom Baltikum stammen, sie waren nämlich Nachbarn der Alpen,
so wie die Bojer zu Strabons Zeit. 2
Auch Livius erwähnt bei Hannibals Überquerung einen Brancus, der mit den
Allobrogern Krieg führte. 3 Ich
habe viele ganz verlässliche Argumente dafür, dass die ersten Wohnsitze der
Franken in diesem Obergermanien waren, fast an denselben Orten, die jetzt den
Franken gehören. 4 Strabo schreibt "Brenkous", Nachbarn
der Vindeliker und irgendwelcher anderer; ich kann nämlich nicht im Buch
nachschauen. 5 Deshalb will ich
dich nicht für einen Einschub in ein fremdes Volk, sondern für einen wahren
Franken halten und so nennen. 6 Das
erörtere ich in der "Chronik" bei Karl, den ich loben werde,
soviel ich nur kann. |
"Disputabo" – "ich werde erörtern" und "ornabo" – ich werde schmücken" sind durchs Futur als Absichtserklärung erkennbar.
Wie der Fassungsvergleich zeigt, hat Carion zur zweiten Fassung nur seine Bescheidenheitsbekundung abgelegt und die Schwaben-Kaiser eingefügt. Von einer großen Änderung im hier von Melanchthon geäußerten Sinne ist nichts zu spüren. Was er hier im Brief im Abschnitt 4 schreibt, könnte er noch in der Erstfassung als 7,2,15-19 untergebracht haben; dort sprengt nämlich die Untersuchung der Urheimat den Zusammenhang der Begegnungen von Franken und Römern.
Im August 1531 scheint das Interesse am Kometen bei Melanchthon alles zu überstrahlen. Am 17. konferiert er mit Carion zwar auch über die Chronik, am 18. denkt er im Brief an Camerarius aber nicht an sie.
Carion teilt er das Wichtigste über den Spruch des Elias mit und fügt an: "sentencia ... a me posita in principio tuae historiae". Obwohl sich Melanchthon schlecht fühlt und er mit seiner Apologie schwer beschäftigt ist ("impeditus" – "gehindert"), hat er den Spruch des Elias schon in die Chronik eingepasst.
Einige weitere Punkte will er noch einbauen: "Tales locos multos deinceps admiscebo." (Solche Stellen werde ich noch viele nacheinander hineinmischen.") Nach Melanchthons Einschätzung könnte die Chronik im Winter 1531/32 abgeschlossen sein: "Historiam, ut spero, hac hieme absolvemus." ("Wie ich hoffe, werden wir die Chronik in diesem Winter abschließen.")
Und im Januar 1532 bezeichnet er die tabula annorum mundi als abgeschlossen: "In fine adieci" – am Ende habe ich hinzugefügt". Für einen eventuellen Neudruck kündigt er jetzt im Januar noch Zeugnisse aus Ptolemäus an.
Aus diesen Briefstellen ergibt sich folgendes Bild: Ganz wichtig ist Melanchthon das Dictum Eliae, das schon im August eingebaut ist. Im Januar ist auch die Erstellung der tabula annorum abgeschlossen, weiteres ist im Sommer schon angekündigt, aber dessen Abschluss wird nicht brieflich dokumentiert.
Dieser Stand zeigt sich auch im Befund der beiden Fassungen, wie im nächsten Kapitel ausführlich gezeigt werden soll: Der "Wald" ist für die erste Fassung fertig, manche Bäumchen sollen noch zurechtgestutzt werden: "(In chronica) sunt mei quidam loci, tamen ipsa operis silva non est mea" – so Melanchthons Kommentar.
Wie der Schluss der ersten Fassung zeigt, hat das Herausgeberteam (Carion und Melanchthon) die Chronikdaten bis zur Druckzeit fortgeführt. Die letzte Meldung ist dort die Ankunft Kaiser Karls V. in Regensburg im März 1532 (7,53,13). Der Spruch des Elias ist integriert, die tabula annorum am Textende angehängt.
Im Fassungsvergleich zeigt sich jetzt, dass die zweite Fassung bis zum September 1532 weitergeführt worden ist, da der zweite Komet vom September 1532 als letztes gemeldet ist (8,15,1). Für diese Weiterführung wurde das Kapitel über Ferdinand umgearbeitet (erste Fassung Kapitel 7,57, in der zweiten Kapitel 8) und eine ausführliche Schlussbetrachtung (Kapitel 9) angeschlossen.
Aber auch im Bestand des Chronik-"Waldes" finden sich umgearbeitete Passagen, nämlich:
1.
3,12
Königreich Israel
2.
3,19
Herakles
3.
4,13
Rechnung der 70 Wochen Daniels
4.
5,1
Vorstellung der dritten Monarchie und Alexander der Große
5.
6,4
Beginn des dritten Buchs: Geburt Christi
6.
7,56
Karl V., der 39. deutsche Kaiser
Die umgearbeiteten
Kapitel befinden sich in Form von Synopsen im Textanhang S. 137ff. Da die
Umarbeitungen unterschiedliche Gestalt tragen, könnten sich die beiden
Herausgeber die Arbeit aufgeteilt haben.
Das Kapitel 3,12
"Königreich Israel" und das über Alexander (5,1) wurden im Hinblick
auf die Chronologie präzisiert; die Anekdote bei Alexander passt durchaus zur
auch sonst in der Chronik feststellbaren Sensibilität für Rechtsfragen. Die
genealogische Tabelle – Ergebnis seiner Recherchen zur Abstammung Alexanders
des Großen – konnte Melanchthon schon in die Erstfassung einbringen.
Die Umarbeitung
des Herakles-Kapitels 3,19 erfolgte vor allem bei der religionsgeschichtlichen
Betrachtung und betont dort die Suche nach dem "gnädigen Gott", das
dürfte vom Reformationstheologen Melanchthon stammen.
Das Kapitel 4,13,
die Beschäftigung mit Daniels 70 Wochen, wurde gründlich umgearbeitet; das
Schwergewicht wandert von der Chronologie zur Apologetik.
Die Erstfassung
denkt ganz vom zweiten Jahr des Longimanus aus (4,13,1-8),
danach wird die Grundannahme, dass die Wochen Daniels "Jahrwochen"
seien, genannt (4,13,9-13). Carion erklärt dann seine Rechnung (4,13,14-32),
gibt sich damit auch zufrieden, weist aber auf die eigentlich richtige
Rechenmethode hin: Um wirklich exakt zu verfahren, müsste man von den in der
Literatur belegten Sonnenfinsternissen ausgehen, aber diese Arbeit übersteige
seine Kräfte (4,13,33-36). Mit dem Bedenken des apologetischen Wertes der
Daniel-Prophezeiung schließt Carion die Argumentation ab und wiederholt die
chronologischen Daten (4,13,37-40 und 41-43).
Ob die Umarbeitung
dieses Kapitels nun Melanchthons Werk war oder als Ergebnis interner
Diskussionen von Carion umformuliert wurde, lässt sich meines Erachtens nicht
entscheiden, aber das Ergebnis in der Zweitfassung lässt sich beschreiben:
Jetzt steht die Weissagung Daniels klar im Zentrum. Ihr apologetischer Wert
rahmt das Kapitel. Nach der Behauptung der leichten Berechenbarkeit von Daniels
Zeitangaben wird das Desiderat der idealen Chronologie – genau wie in der
Erstfassung – angesprochen, aber der Verfasser beruft sich doch auf die
Rechnung der "besten Historien" und führt dann Daniels Spruch an.
Drei Voraussetzungen der Rechnung werden benannt und jetzt als Quelle
"Esdra" angegeben. Nach der Erklärung der Bauzeit des Tempels folgt
die eigentliche Rechnung, die hier in der Zweitfassung ein Lob Daniels
abschließt. Wie in der Erstfassung wird dann die eigene Rechnung bewertet, in
der Zweitfassung kommt jetzt noch eine Parallelrechnung aus heidnischen Quellen
hinzu. Abschließend hebt der Verfasser hervor, dass, auch wenn "die
Minuten" nicht zuträfen, die Zeit Daniels doch auf jeden Fall vorüber sei.
In der Zweitfassung schließt sich an den besprochenen Gedankengang die tabula
annorum an, die aber der vom Textende, wo sie noch
einmal zu finden ist, genau entspricht. Als Bestätigung der Tabelle gibt der
Verfasser die Parallelrechnung in Olympiaden an. Neben der oben genannten
Verschiebung der Intention fällt hier in der Zweitfassung der Versuch auf, mit
heidnischen Zeitangaben das Bild zu objektivieren.
Bei den konkreten
Zahlenangaben gibt es zwei Unterschiede. In der Erstfassung wird die Geburt
Christi 320 Jahre nach dem Anfang Alexanders datiert (4,13,14), in der
Zweitfassung sind es nur 310 Jahre, und waren es in der Erstfassung in der
tabula annorum nur 5 Jahre von Darius zu Alexander, sind es jetzt 7.
Bei der
Umarbeitung des militärischen Hintergrunds des Kaisers Augustus im Kapitel 6,4
liegen die Verhältnisse deutlicher zu Tage.
Die Erstfassung
geht hier ganz von Augustus aus und lässt seine Regierungszeit erfolgreich
erscheinen – bis eben auf seine Schwierigkeiten in Deutschland (6,4,12). In der Zweitfassung trägt diese Passage eine eigene
Überschrift: "Von Deudschen", d. h. nicht Augustus, sondern deutsche
Frühgeschichte wird behandelt:
Erstfassung |
Zweitfassung |
6,4,12 Augustus hat jnn seim Regiment kein
sonderlichen grossen vnfal gehabt/ denn jnn Deudschen landen/ 13 Denn zu seiner zeit haben die Römer
erstlich sich vmb Deudsch land angenomen/ vnd den Reinstrom vnten von Cöllen
herauff bis gen Mentz eröbert/ 14 Denn die Römer sind jnn Deudsch land aus
Gallia gefallen/ vnd sind von Cöllen gegen Westwalen vnd Saxen/ welche zum
teil dazumal haben geheissen Longobardi/ gezogen. 15 Da war ein Fürst mit namen Herman/ die
Römer nennen jhn Harminium/ 16 Der vber fiel die Römer an der Weser/
vnd schlug jhn ab .21. tausent man/ dazu ein grossen hauffen jhrer bundge= <080-v> nossen/ so bey den Römern lagen. 17 Der Römer haubtman Quintilius Varus/
erstach sich selb/ 18 vnd war ein schrecken zu Rom/ nicht
geringer/ denn da die Cimbri jn Jtaliam fielen/ 19 Denn man besorget/
dieser Hertzog Herman/ würde mit macht gegen Jtalien ziehen/ 20 Augustus war auch jnn solcher angst/ das er mit
grossem klagen schrey/ Quintili redde legiones. 21 Doch practicirt er/ das diesen Harminium
seine eigene freund verrieten vnd vmbrachten. 22 Das sey gnug von Augusto. |
<218> Von Deudschen. ZVR zeit
Augusti/ haben die Roemer erstlich Deudschland angriffen/ vnd sind
Tiberius vnd sein bruder Drusus gelegen jnn hochdeudschland/ haben da die
grentz an Rhetis vnd Vindelicis eingenomen/ haben doch die Lender nicht
bezwungen/ vnd gantz zu gehorsam bracht/ Rheti sind die Etsch lender/ Tyrol
bis gen Pregentz/ Kempten vnd herunter bis gen Nordlingen/ da noch der nam
bleibet/ das <219> Ries
Vindelici/ sind
Augsburg vnd Ober Baiern/ Vnd ist Drusus herunter bis gen Mentz komen/ vnd
hat nicht fern dauon ein schaden gelidden/ dauon er gestorben ist. Dazumal haben
die Roemer aus Coellen auch Westwalen vnd Saxen
angriffen. Nu war ein
Hertzog zu Saxen/ mit namen Herman/ die Historici nennen jhn Arminium/ ein Fuersten
jnn Cheruscis/ die sind eigentlich
die Hartzlender/ herunter an der Weser bis gen Premen/ Vnd ich acht das wort Cherusci/ sey das wort
Hertzische. Dieser Arminius
vberfiel die Roemer/ vnd erschlug jhr bey .21. tausent/ dazu ein
grossen hauffen jhrer bundgenossen/ so mit den Roemern zogen. Der Roemer
Haubtman Quintilius Varus/ erstach sich selbst. Wo die schlacht
geschehen sey/ findet man eigentlich
jnn Tacito/ nemlich zwischen der Lip vnd der Embs/ das ist/ vnter Cassel
nicht fern von Padeborn/ Denn also spricht Tacitus/ Quantumque
Amisiam & Luppiam amnes inter, uastatum haud procul Teutoburgiensi saltu,
in quo reliquiae Vari legionum, eaeque insepultae dicebantur.
<Tacitus, Annalen I, 60> Vnd hat diese
niderlag der Roemer/ nicht geringern schrecken zu Rom gemacht/
denn da die Cimbri jnn Jtaliam gezogen waren/ Derhalben das man besorget/
Arminius wuerde <220> mit aller macht das Roemisch
Reich angreiffen/ vnd gegen Rom ziehen. Augustus war jnn
solcher angst/ das ehr allenthalben bestellet/ das man jnn ruestung
sein solt/ vnd schrey mit
grossem klagen/ Quintili/ redde legiones. Als aber
Arminius die Roemer aus Saxen getriben hat/ haben die Roemer
Practicirt/ das jhm seine nachbarn zu schaffen machen solten/ nemlich/ die Schwaben/ so da zumal an der Elb
sassen/ vnd die Behem. Arminius schlug diese auch/ vnd erobert jhre Lender/
Also hat Arminius jn/ Westwalen den Hartz/ Saxen/ Marck/ Meissen vnd Behem/
Vnd hat regirt bey .12. jarn/ vnd ist entlich durch verreterey von sein
freunden vmbbracht/ Das sey gnug von der zeit Augusti. |
Während die
Erstfassung zunächst die große Linie der römischen Eroberung Germaniens
anspricht, weiß die Zweitfassung von Tiberius und seinem Bruder Drusus zu
berichten, breitet auch das geographische Wissen über Rhäter und Vindeliker
aus, geht sogar auf den Ursprung des Namens "Ries" ein (6,4,12-14).
Auch die Varusschlacht wird in der Erstfassung mit den wichtigen Personen
Hermann, Varus und Augustus (mit seinem allbekannten Klageruf) vorgestellt, am
Ende intrigiert dann Augustus gegen Hermann, so dass dieser schmählich
umgebracht wird (6,4,15-21). Die Fakten erscheinen auch wieder in der
Zweitfassung, aber wie oben beim angeblichen Ursprung des "Ries" von "Rhätien"
ist auch hier der etymologische Kommentar zu den Cheruskern wichtig. Der
Schlachtort wird nach Tacitus und mit einem Tacituszitat genau nachgewiesen.
Die innenpolitischen Querelen des Arminius sind der Zweitfassung auch wichtig,
denn damit kann man die damalige Heimat der Schwaben ansprechen. Beide
Fassungen schließen mit einem "Das sey gnug", aber die Erstfassung
hat genug von Augustus, die Zweitfassung "von der zeit Augusti".
Ging es der
Erstfassung um die klaren großen Linien, so ist die Zweitfassung bestrebt, ihr
überreiches Wissen zur Schau zu stellen. Wäre ich Münch, spräche ich hier vom
"Geiste Melanchthons".
Genau genommen
gehört die Synopse zu Karl V. (7,56) nicht zum Zusammenhang dieser Arbeit, da
hier die Erst- und die Zweitfassung keine Abweichungen aufweisen – aber Bonnus!
Bei seinen Unterschieden wird die Verachtung des Pöbels (7,56,14),
aber auch die Hochschätzung der legitimen Obrigkeit (7,56,12) noch stärker
betont als in Carions Original. Auffallend, dass dort, wo Carion nur von Münzer
als dem Anfänger der "lahr
vom Widdertauff" spricht, das bei Bonnus als "hic primus autor
extitit phanatici illius erroris
Anabaptistarum" erscheint: hier "Lehre", dort "fanatische
Irrlehre". Das sey gnug von Bonnus!
Zwei Punkte, die im Grunde schon ins nächste Kapitel
hinüberreichen, gehören noch in den hier behandelten Zusammenhang: die
Auseinandersetzung mit den Kometen von 1531 und 1532 und die lange Reihe der
Vatizinien, der Weissagungen, im Kapitel 8 der Zweitfassung.
Der Komet von 1531
wird schon in der Erstfassung erwähnt, in der Zweitfassung werden die
Informationen aber sehr vertieft:
Erstfassung |
Zweitfassung |
7,57,2 Jm selbigen jar hat man
ein Cometen jnn Deudsch land/ Jtalia vnd Gallia gesehen/ erstlich morgens fur
der Sonnen auffgang/ darnach bey drey wochen abents nach der Sonnen
niddergang. |
8,2,1
Jm selbigen jar hat man ein Cometen jnn Deudschland/ Jtalia/ vnd Gallia
gesehen/ 2 sein anfang ist gewesen
ongeferlich vmb den 6. tag Augusti/ 3
vnd ist erstlich etlich tage Morgens vor der Sonnen auffgang erschienen/ 4 darnach hat er der Sonnen gefolget/
vnd ist abents nach der Sonnen niddergang bey .3. wochen gesehen worden/ bis
auff den .3. tag Septembris/ 5 vnd
ist gangen durch diese zeichen/ Krebs/ Lawen/ Jungfraw vnd wage/ da ist ehr
vergangen/ vnd nicht mehr gesehen worden. |
Nur in der
Zweitfassung wird der Komet vom September 1532 beschrieben, dabei werden auch
ausdrücklich die eigenen schlechten Beobachtungsmöglichkeiten erwähnt:
Zweitfassung |
Bonnus
1539 |
8,15,1
Jn Septembri dieses jars/ ist aber aber
ein Comet gesehen worden/ etliche wochen/ morgen bey zwo stunden vor der
Sonnen auffgang/ vnd am ort da die Sonn auffgehet/ 2
Vnd da ich jhn gesehen hab/ acht ich sey ehr jnn Virgine gewesen/ vnd wirfft
den schwantz zwischen mittag vnd Occident/ 3 Aber der himel ist nu etlich morgen so trueb
gewesen/ das man jnn diser gegent nicht hat sehen koennen. 4
Es ist aber schrecklich das zween Cometen so bald auffeinander komen sind/
schier jnn eines jars frist/ 5
vnd nach dem der Comet des vergangnen 1531 jars/ sich so gewaltiglich erzeigt
hat/ gegen Orient vnd Septentrio/ welchen orten ehr jnn sonderheit gedrewet
hat/ nemlich das der Tuerck Hungarn vnd Ostrich vberzogen hat/ das
auch Koenig Christiern mit grossem volck jnn Denmarck gezogen/
seine verlassne Reich widder einzunemen/ vnd hernach sich seinem vettern Koenig
Friderich zu Denmarck ergeben hat. Jtem/ das Koenig Christierns
son/ vnd Erb der Denischen Koenigreich/ so bey dem Keisar zu hoffe
gewesen/ gestorben ist/ ist zubesorgen/ der Comet des gegenwertigen 1532
jars/ werde sich gegen Jtalia vnd Reinstrom auch schrecklich erzeigen. <472> 6
Ende
der Chronica. |
In mense septembri huius anni iterum Cometes
uisus est, per aliquot septimanas, duabus horis mane ante exortum solis,
& ad orienta talem plagam. Cum ego uiderem, in Virgine, ni fallor, erat,
& radiantem caudam protenderat inter meridiem, & occidentem. Iam uero ob tristiorem & nubilum aspectum
aeris per dies aliquot in hisce regionibus uideri non potuit. Caeterum quis
non iudicabit formidabile esse, fere intra unius anni spacium duos Cometas
apparuisse? & cum illuxerit superioris anni nimirum 1531
cometes non sine clade Orientis & Septentrionis, nam illis partibus
minari uidebatur. Etenim in Hungariam & Austriam Turcarum
tyrannus irrupit. Rex Christiernus magna classe <250-r>
in Daniam profectus ad repetendum regna sua,
dedidit se in manus patrui sui Friderici regis Danorum, item & Christierni regis filius qui in
Caesaris aula alebatur, obijt, profecto metuendum est & huius anni 1532.
Cometem Italiae, & Rhenanis partibus magnum malum portendere. FINIS CHRONICES. |
Damit endet die
Zweitfassung der Chronik mit der Angst vor dem durch diesen Kometen angedrohten
Unglück.
Aufschlussreich
sind nun die beiden Briefstellen, in denen Melanchthon vom Kometen von 1531
erzählt.
Am 17. August 1531
schreibt er an Carion, den Astrologen:
Cometen vidimus
diebus plus octo. Tu quid iudicas? Videtur supra cancrum constitisse, occidit enim
statim post solem, et paulo ante solem exoritur. Quod si ruberet, magis me terreret. Haud dubie
principum mortem significat. Sed videtur caudam vertere versus poloniam. Sed expecto tuum iudicium. Amabo te, significa mihi, quid sencias. |
Seit mehr als
acht Tagen sehen wir einen Kometen. Wie urteilst Du darüber? Er scheint über
dem Krebs zu stehen, da er gleich nach der Sonne untergeht und kurz vor
Sonnenaufgang aufgeht. Wenn er eine
rote Farbe hätte, würde er mich mehr erschrecken. Ohne Zweifel bedeutet er
den Tod von Fürsten, er scheint aber den Schweif nach Polen zu wenden. Aber ich erwarte Dein Urteil. ich wäre Dir von ganzem Herzen dankbar, wenn Du mir mitteiltest, was Du meinst. |
Und am folgenden
Tag, dem 18. August, an seinen Freund Camerarius:
2,1 Vidimus cometen, qui per dies amplius
decem iam se ostendit in occasu Solstitiali. 2 Videtur autem supra Cancrum aut extremam Geminorum partem
positus. 3 Nam occidit post solem
horis fere duabus et mane, paulo ante solis ortum in oriente prodit, ita cum
coelo circumagitur, proprium motum quem habeat quaerimus. 4 Est autem colore candido, nisi si quando nubes
eum pallidiorem reddunt. 5 Caudam vertit versus Orientem. 6 Mihi quidem videtur minari his nostris
regionibus, et propemodum ad ortum meridianum vertere caudam. 7 Non vidi antea cometen
ullum, et descriptiones hoc
non diserte exprimunt. 8 Erigit caudam supra reliquum corpus. 9 Quidam affirmant esse ex illo genere, quos vocat
Plinius xifiaV, quia sit acuta cauda. 10 Id ego non potui oculis iudicare. 11 Quaeso te ut mihi scribas, an apud vos etiam
conspectus sit, quod non opinor, distat enim a terra vix duobus gradibus, si
tamen conspectus est, describe diligenter, et quid iudicet Schonerus,
significato. 12 Bene vale, XIIII. Calend. Septemb. |
2,1 Wir haben einen Kometen gesehen, der sich schon mehr als zehn Tage am
Sonnwend-Untergang zeigt. 2 Man
sieht ihn über dem Krebs oder dem Ende der Zwillinge. 3 Denn er geht etwa zwei Stunden nach der Sonne unter und geht
kurz vor der Sonne im Osten auf, er bewegt sich so mit dem Himmel; wir fragen
uns, welche Eigenbewegung er hat. 4
Er ist von weißer Farbe, außer wenn Wolken ihn noch blasser machen. 5 Sein Schweif zeigt nach Osten. 6 Mir allerdings scheint er unsere Gegenden zu bedrohen und seinen Schweif
fast nach Südosten zu richten. 7 Ich habe bisher keinen Kometen gesehen, und die Beschreibungen äußern
sich darüber ungenau. 8 Er reckt
seinen Schweif über den restlichen Körper. 9 Manche versichern, er sei von jener Art, die Plinius
"schwertförmig" nennt, weil er einen spitzen Schweif hat. 10 Ich konnte das mit meinen Augen
nicht beurteilen. 11 Schreib mir bitte, ob man ihn auch bei euch gesehen hat; ich vermute
das nicht, er ist nämlich von der Erde kaum zwei Grad entfernt; wenn man ihn
trotzdem sehen konnte, dann beschreib ihn sorgfältig, und teile mir mit, was
Schonerus darüber denkt. 12 Leb wohl; 19. August. |
Vergleicht man
diese Briefstellen mit dem Informationszuwachs von der ersten zur zweiten
Fassung und der großen Angst nach der Erscheinung des zweiten Kometen, liegt
die Vermutung sehr nahe, nicht der Astrologe Carion, sondern der
kometenängstliche Theologe Melanchthon habe für diesen Zuwachs gesorgt.
Auffällig ist auch
die Liste der Weissagungen in der zweiten Fassung (8,10,1
bis 8,14,9), der zwar nichts in der ersten Fassung entspricht, strukturell aber
sehr wohl eine Passage in Melanchthons Brief an Carion:
Melanchthon |
Übersetzung von Warburg |
moveor enim non solum
astrologicis predictionibus, sed etiam vaticiniis tuis. |
Ich werde
nämlich nicht allein durch astrologische Voraussagen beeindruckt, sondern
auch durch deine Weissagungen. |
Hasfurd predixit Regi chrestierno reditum honestum, Schepperus negat rediturum esse. Sed me non movet Schepperus. Sepe enim fallitur. Predixit item Hasfurd Landgravio maximas victorias. Et quidam civis Smalcaldensis mihi notus habuit mirabile visum de his motibus,
quod vaticinium plurimi facio. Catastrophen satis mollem habet. Sed tamen significat perculsos terrore adversarios
nostros illi Leoni cedere. Quaedam mulier in
Kizingen de Ferdinando horribilia
predixit, quomodo bellum contra nos moturus sit,
sed ipsi infoelix. In Belgico quaedam
virgo Caesari eciam vaticinata est, quae tamen non satis
habeo explorata. Omnino puto motum aliquem fore. Et deum oro, ut ipse
gubernet et det bonum exitum utilem Ecclesiae et rei publicae. |
Haßfurt sagte
dem König Christian eine ehrenvolle Rückkehr voraus. Schepperus
leugnet, daß er zurückkommen würde. Auf mich macht
Schepperus keinen Eindruck. Er täuscht sich oft. Haßfurt sagte
auch dem Landgrafen die größten Siege voraus und ein Bürger
in Schmalkalden, der mir bekannt ist, hatte ein Wundergesicht über diese
(politischen) Unruhen, eine Weissagung, auf die ich den größten Wert lege. Sie
enthält die Voraussage auf eine glimpflich verlaufende Katastrophe, deutet
dabei aber doch an, daß unsere Gegner, von Schrecken gepackt, jenem Löwen
[dem hessischen Landgrafen] weichen. Ein Weib in
Kitzingen hat Schreckliches über Ferdinand vorausgesagt. Er werde Krieg gegen
uns führen, der für ihn aber unglücklicher verlaufen werde. In Belgien hat
eine Jungfrau dem Kaiser auch geweissagt, was ich aber noch nicht genügend
nachgeprüft habe. Im ganzen meine
ich, daß irgend eine Bewegung auftreten wird und ich
flehe zu Gott, daß er sie zu gutem Ende lenkt und ihr einen der Kirche und
dem Staate günstigen Ausgang verleiht. |
Auch hier stellt
sich der Verdacht ein, Melanchthon sei an der genannten Weissagungsliste nicht
unbeteiligt.
Fasst man
zusammen, ergibt sich ein überraschendes Bild. Offensichtlich hat Melanchthon
in den Text eingegriffen, aber völlig anders, als sich das etwa Menke-Glückert
vorgestellt hat. Und Carion scheint die Eingriffe durchaus hingenommen zu
haben, sie widersprachen ja nicht seinem Grundanliegen, ein Kompendium der
Weltgeschichte zu erstellen; und im Unterschied zu manchen hypersensiblen
Gestalten des 18., 19. oder 20. Jahrhunderts hatte er ja nichts dagegen, wenn
astrologische oder andere Weissagungen – zumindest als Vorschlag – den Lesern
angeboten wurden, wie am Anfang der Weissagungsreihe im Kapitel 8 zu lesen ist:
Zweitfassung |
Bonnus
1539 |
8,10,1
Jch wil aber hie allein etlich/ nicht leichtfertige/ sondern tapffere weissagungen/ deren autores bekant
sind/ erzelen/ 2 dauon ich doch
ein jden halden lasse/ was jhn gut duenckt/ 3 ich setze sie allein derhalben/ damit sie jnn gedechtnus
bleiben/ 4
Solche spruech sol man auch nicht gantz verachten. |
Ego saltem hic non contemnenda quaedam
praesagia, <248-r> quae
cognita sunt autoribus magnis, commemorabo obiter, & interim liberum
unicuique permitto quid de illis uelit iudicare. Neque alia de caussa putaui
adijcienda hic esse, nisi ut eorum saltem aliqua recordatio extaret, uidentur enim sententiae tales esse quae negligi
aut contemni prorsus non debent. |
Dass die Arbeit an
der Endfassung 1532 durchaus im Einvernehmen zwischen Melanchthon und Carion
vonstatten ging, lässt sich daran erkennen, dass diese zweite Fassung
unveränderte Grundlage für die Bonnus-Übersetzung geworden ist – wenn auch
Bonnus, wie oben zu sehen war, manchmal in seinem eigenen Sinne stärker
pointiert.
Für Melanchthons
starkes Mitwirken an dieser Weiterführung der Chronik in der Zweitfassung
spricht die Verwendung des Latein. Carion bemüht sich,
alles einzudeutschen. Längere unübersetzte lateinische Sätze finden sich erst
bei den Merkversen mit den Chronogrammen, z. B. in 8,3,10:
OCCVBVIT PATRIO BELLATOR CINGLIVS ENSE
ET PRESSA EST ARMIS GENS POPVLOSA SVIS <= 1530>
Nebenbei bemerkt ist
interessant, dass Bonnus das Chronogramm nicht mehr erkannt hat, wie seine
Schreibweise zeigt:
Occubuit
patrio bellator Zuinglius ense
Et
pressa est armis gens populosa suis.
In diesem
Schlussteil finden sich zwei längere lateinische Gedichte (8,7,5
und 8,10,10), und auch die Weissagung des Abtes Joachim in 8,12,1 wird nur
lateinisch zitiert – da wird Carions "deutscher Leser" sicher
gestaunt haben.
Von Carion weiß man ja, dass er Astrologe war. Damit liegt die Vermutung nahe, er habe sich als Astrologe in seiner Weltgeschichte vor allem mit astrologischen Vorzeichen und deren Einlösung beschäftigt. So etwas setzt Barbara Bauer voraus, wenn sie Carion so charakterisiert: "Eigentümlich ist Carions Vorliebe für Wundererscheinungen und ihre mutmaßlich katastrophalen Folgen."
Wenn man dieser Frage in der Chronik nachgeht, ergibt sich
ein ganz anderes Bild. Dazu findet sich im Textanhang eine tabellarische
Übersicht über Vor- und Wunderzeichen in der Carion-Chronik mit Einschluss der
Beiträge der Schedelschen Weltchronik und der Nauclerus-Chronik nur fürs 15.
Jahrhundert, für das Carion seinerseits nichts zu bieten hat. Gemessen an
anderen Chroniken der Zeit hält sich Carion also auffallend zurück, beschränkt
sich weitgehend auf Kometen, deren Besonderheit den Gebildeten der Zeit
durchaus wichtig war, was verständlich
erscheint, haben doch die Kometen von 1531 und 1532 gerade die Gemüter – wie
oben gezeigt: auch das Melanchthons – erregt.
Zu behaupten, "eigentümlich ist Carions Vorliebe für Wundererscheinungen", d. h. zu unterstellen, die Wundererscheinungen seien strukturierender Bestandteil der Chronik, ist wieder eine Diffamierung, die an der Kenntnis der Chronik bei der Verfasserin zweifeln lässt.
Aber Diffamierungen scheint Carion immer wieder ausgesetzt gewesen zu sein, eine fast schon wieder komische lässt sich bei Menke-Glückert finden.
Wie oben schon gesagt, war Menke-Glückerts Anliegen, die Leistungen Melanchthons für die Geschichtsschreibung herauszustellen. Dabei stand er natürlich vor dem Problem, den Carionschen Anteil aus der Chronik auszuscheiden. Dazu untersucht er in einem eigenen – wenn auch sehr kurzen – Abschnitt "A. Carions Anteil" eben diesen Anteil. Und bei seinem Vorgehen zeigt sich die Auswirkung des diffamierenden Vorurteils von Carion als dem astrologischen Taugenichts. Das Bedrückende dabei ist, dass die Methode von 1912 nicht längst überholt ist, sondern, wie Aussagen von Barbara Bauer zeigen, fröhliche Urständ feiert.
Menke kennt nur die Frühfassung von 1532 und die niederdeutsche von 1534, weiß also nicht, dass die Spätfassung von 1532 sozusagen die kanonische geworden ist. Seine Vorwürfe treffen also diese Zweitfassung, was aber hier keine Rolle spielt. Über sie sagt er nun: "In ihr finden sich am Schluss eine Reihe Notizen zugefügt, von denen eine nur Carion als Verfasser haben kann." Er beschäftigt sich also mit den Abschnitten 8,6,1 bis 8,15,6, besonders mit 8,7. In 8,6 ist Carion noch ganz Geschichtsschreiber und berichtet vom Truppenaufgebot des Kaisers gegen die Türken vom August 1532, dessen genaue Größe er aber noch nicht angeben kann; er kennt aber die genauen Zahlen des brandenburgischen Teils dieser Truppen. Dann folgt die von Menke-Glückert herangezogene, besser: inkriminierte Passage:
8,7,1
Den tag als Marggraue Joachim ausgezogen ist/ haben junge Henichen die <466> erst
vor zweien tagen ausgebruetet sind/ den gantzen tag/ vnd hernach
die nacht vnd tag/ stettigs laut gekreet/ 2 das doch ein vngewoenlich ding ist/ 3 derhalben es fur ein zeichen
gehalten/ 4
Vnd von einem genant Georgius Sabinus also gedeut ist/ laut dieser folgenden
verse. |
Ipso die cum exercitum educeret Ioachimus
Marchio, implumes gallinacei pulli, uix ante biduum ouis exclusi, totum diem,
& sequentem noctem clara uoce cecinerunt. Et quia id praeter morem, fato quodam factum
uideretur, pro omine foelicioris successus est iudicatum. Descripsit id Georgius Sabinus his uersibus. |
8,7,5 Cum patris educens Ioachimus
Marchio turmas Castra, profecturis, signaque
mouit equis Auspice qui contra pharetratos
Caesare Turcas Acria pro Christi nomine bella
gerit. Ingrediente
uiam cantantes principe pulli Insolitum
liquida uoce dedere sonum, Praepete
qui nondum uestiti corpore penna, Ante
duos sed adhuc oua fuere dies. Haec
bona foelicem portendunt signa triumphum, Augurijs faustum talibus omen
inest, Nam cum Thebanis uicti
Lacedaemones armis Sanguine fecerunt Leuctra
cruenta suo. Martis aues, laeto uictoribus
omine, galli Prospera
uocali gutture signa dabant. |
Menke-Glückerts Zitat bricht nach 8,7,2 ab, und es schließt sich folgendes Verdikt an: "Das ist es sicherlich, aber niemand wird nach dieser Probe, die wie die Bezeichnung Joachims von Brandenburg als seines gnädigen Herrn verrät, nur von Carion stammen kann, seinen besonderen Beruf zum Geschichtsschreiber verteidigen. All die Zusätze in der plattdeutschen Chronik <also genau genommen: in der Zweitfassung>, die fast ausschließlich von Weissagungen handeln, werden demnach als Worte Carions betrachtet werden dürfen. Sie geben zugleich wohl das Recht zu dem Schluß: es werde in dem Melanchthon übersendeten Manuskript an Geschichten ähnlicher Art nicht gefehlt haben."
Menke-Glückert denkt so: Melanchthon habe das chaotische Material erhalten ("farrago"!), das Carion schon für eine Chronik gehalten habe, in dem aber von Carion einerseits vieles übersehen worden sei – so versteht nämlich Menke-Glückert das "negligentius" der Melanchthon-Briefe -, das aber andererseits noch viel diesem Hühner-Dreck Ähnliches enthalten habe, das dann Melanchthon sozusagen als Chronik-Augias aus dem Carionschen Stall hinausgeschwemmt habe. Wie abwegig diese ganze Vorstellung Menke-Glückerts ist, wurde (hoffentlich) schon im letzten Kapitel deutlich. Aber wie blind Menke-Glückert vorgeht, möchte ich doch noch zeigen.
Wie gesagt, Menke-Glückert bricht sein Zitat nach 8,2 ab. In 8,4 erfährt der Leser – und vermutlich auch Menke-Glückert -, dass Carion im Grunde nur die Prosafassung eines Gedichts von Georg Sabinus liefert. Das Gedicht, ein lateinischer 14-Zeiler in Distichen, wird auch im (unübersetzten) Original in der Chronik wiedergegeben. Sabinus überhöht in ihm das Geschehen von 1532 durch eine Parallele aus der griechischen Geschichte, wo auch siegverheißende Hähne gekräht hätten. Es handelt sich also um Panegyrik, (nur?) damals übliches Herrscherlob. Der Hintergrund bei Georg Sabinus gehört nicht zu meiner Fragestellung, aber Menke-Glückert wusste sicher, dass er der spätere Schwiegersohn Melanchthons ist. Carion steht 1532 schon längst im Dienste der Brandenburger; wenn er nun in Prosa den Inhalt eines panegyrischen Liedes angibt, das seinen erwartbaren späteren Arbeitgeber preist, so liegt die größere "Schuld-Last" beim Gedichtschreiber als beim Geschichtsschreiber.
Jedenfalls sollte man dieses Geschichtchen nicht als einzigen Beweis für den Unwert Carionscher Geschichtsschreibung anführen.
Astrologie und Wunderzeichen spielen also für die Carion-Chronik nicht die Rolle, die sich manche vorurteilsbeladenen "Kritiker" vorstellen wollen.
Von Melanchthons Schlüsselerlebnis bezüglich historischer Forschung, der Reuchlin-Erzählung, war oben schon die Rede. Carion verbürgerlicht diese Erzählung sozusagen und bezieht sie auf sich, wenn er im Anfang seiner Chronik (1,3,4) erzählt:
"Nach dem mich zum offtermal etliche/ besonder gute
freunde gebeten/ ein kurtz Chronica zu stellen/ Daraus ein iglicher die
furnemisten Historien/ ordenlich fassen vnd lernen kont/ welche zum teil nicht
allein nützlich/ sondern auch not ist zu wissen habe ich solche Chronica zu machen furgenomen/ vnd nach meinem
vermögen auff das aller ordenlichst die Monarchien/ darein Got die welt fur vnd
fur wünderlich gefast hat/ vnd die grösten hendel vnd verenderung/ so darin
furgefallen/ kürtzlich zusamen gezogen
vnd erzelet/"
"Ein kurtz
Chronica zu stellen" bedeutet, dass sich Carion als Kompilator zunächst
vor den prinzipiell zugänglichen Quellen stehen sieht und aus ihnen auswählen
muss, und zwar sowohl welche Quelle als auch was speziell er aus einer Quelle
heranziehen will. Zum Begriff des "Compilators" erfährt man bei
Georges: "compilator, oris, m.
(compilo), der Plünderer, Ausbeuter, veterum, Beiname des Vergil (wegen seiner Nachahmung des Homer u.a.), Eccl." Ein Kompilator ist also ein
"Plünderer" oder "Ausbeuter" der ihm vorliegenden
Tradition. Nun befindet sich auch Carion nicht am Anfang, sondern innerhalb
einer langen Traditionsreihe, auch die vor ihm geschriebenen Chroniken waren ja
schon Kompilationen, so dass er, Carion, vor einer Fülle von Sekundärquellen
und zahlreichen 1520-30 wieder zugänglichen Primärquellen stand.
Die Frage, welche
Quellen Carion konkret zur Verfügung standen, lässt sich nicht präzise
beantworten, da es von Carions (Bibliotheks-)Besitz kein Inventar gibt. Auch
meine Anfrage in Berlin nach dem Bibliotheksbestand Joachims I. blieb ohne
Ergebnis. Bei Carion ist nur beweisbar, dass er 1521 Zugang zur deutschen
Schedel-Chronik hatte, denn er schreibt in seiner Prognosticatio den Bericht
der Überschwemmung von 618 n. Chr. wörtlich von dort ab. Folglich lässt sich
Carions Quellenbenutzung nur aus dem Text der Chronik erschließen.
Die Arbeit des Kompilators ist zwar keine Neuigkeiten liefernde historische Quellenarbeit, sie ist aber trotzdem eine große, zeitraubende Beschäftigung, deren Qualität unterschiedlich sein kann. Der Kompilator schreibt ja nicht einfach ab, er liest die verschiedenen Primär-, Sekundär- oder auch Tertiärquellen, muss sich klar werden, was in sein Konzept passt und muss das Ganze auch noch zu Papier bringen. Schon das bloße Abschreiben der Carion-Chronik ist wohl die kontinuierliche Arbeit von einem bis zwei Monaten, dann wird die Kompilation des Gesamtwerks mehrere Jahre gedauert haben; man muss ja bedenken, Carion konnte nicht einfach tage- oder monatelang seinem Hobby nachgehen, er hatte ja nebenher seinen Brotberuf, musste seinem Herrn zu Diensten sein, sei es daheim in Berlin oder in der (damals) weiten Welt.
Carion geht mit seinen Quellen unterschiedlich um; im Grunde müsste man für präzise Ergebnisse jeden seiner Chronik-Sätze überprüfen, was einerseits ein riesiger Arbeitsaufwand, andererseits letztlich unerheblich wäre. Deshalb möchte ich an zwei Beispielen, einem aus der Antike, einem aus dem Mittelalter, im Vergleich mit der Nauclerus-Chronik, einer potenziellen Sekundärquelle Carions, Möglichkeiten seines Vorgehens aufzeigen.
Für die Geschichte des Judentums und damit der Gottgläubigen oder nach Melanchthon "der Kirche" ist der Perserkönig Kyros wichtig, da er den Juden erlaubte, das Exil in Babylon zu beenden und wieder in die alte Heimat heimzuziehen. Carion geht auch von der Hochwertigkeit dieses Perserkönigs aus, und das wird an fogender Passage vom "Tod des Kyros" ganz deutlich.
Tod des Kyros
Nauclerus 1-108 v |
Carion |
<201+205> Cyrus, cum exercitum in Massagetas ducere vellet, progressus usque ad Araxem flumen pontibus iungit, ut traiiciat exercitum, <206> cui Tomyris regina, tum vidua, caduceatorem mittit, ut omisso labore, si utique pace frui non velit, alterum e duobus eligat, traiiciat flumen securus ac secum pugnet, aut eam in regionem suam admittat idem faciens, hoc in consilium ponens cyrus, placueratque recipi reginam cum exercitu, <207> quam sententiam croesus improbat dicens: "Si, o cyre, hostes in terram nostram volumus excipere, id tibi periculum erit, ne fugatus omne amittas imperium, victor autem tu non multum vinces, ita mihi placet traiectis copiis procedere." <208> Cyrus cambysi filio relinquens croesum traiectis copiis, <211> deinde castrametatus simulato postera die metu & quasi refugiens castra deseruit vinum de industria affatim & quae erant epulis necessaria, dereliquit. Quod cum nunciatum reginae esset, adulescentulum filium ad insequendum eum cum tertia parte copiarum mittit, cumque ventum ad cyri castra esset, ignarus rei militaris adulescens, veluti ad epulas, non ad proelium venisset, omissis hostibus insuetos barbaros seque onerari vino passus est, priusque Scythae atque Massagetae ebrietate quam bello vincuntur. Cognitis his cyrus reversus per noctem opprimit socios omnes, reginae filium capit, <212> amisso tanto exercitu regina &, quod gravius est, filio capto misso ad Cyrum caduceatore inquit: "Inexplebilis cruore, Cyre, ne te extollas, quod veneno filium meum vicisti, dolo, non proelio superior, abi reddito mihi filio, fero impune, quod tertiam partem Massagetarum profligasti, quae nisi feceris, per solem iuro, insaciabilem te cruore saciabo!" <213> Haec verba cyrus pro nihilo habuit. Filius autem Tomyridis, ubi iussu cyri a vinculis solutus ac manuum compos factus est, se ipsum interfecit. <214> Tomyris autem, ubi Cyrus non auscultaret, contractis copiis ita conflixit cum Cyro acerrima omnium pugna, primo utrosque exercitus aiunt sagittis aegisse, deinde concurrisse lanceis pugionibusque, ibi aiunt cum permagnam exercitus Persici partem, tum vero Cyrum ipsum occubuisse, cum unum de xxx. regnasset annos. Cuius cadaver inter occisorum stragem Tomyris exquisitum cum invenisset, caput in utrem misit, quem
humano cruore compleverat,
mortuoque insultans ait: "Tu quidem filium meum perdidisti, ego te cruore saciabo!" |
4,4,97 Nach dem als Cyrus Babylon gewonnen hat/ sind jhm die grewlichen leut/ die Scythen jnn seine lender gefallen/ 98 da hat Cyrus seinem son Cambysi das königreich
beuolhen/ vnd ist er an die Scythen gezogen/ hat erstlich die
Scythen geschlagen/ vnd den iungen König der Scythen gefangen. 99 Hernach sagt Herodotus/ sey Cyrus von
den selbigen wüsten leuten widderümb geschlagen worden/ vnd sey jnn
dieser schlacht vmbkomen/ 100 vnd hab die Königin des Cyri haubt
genomen/ hab es jnn blut gestossen/ vnd gesaget/ er habe wöllen
blut sauffen/ da sol er gnug sauffen. |
Hic finis Cyri apud Massagetas, ut Herodotus vult magis quam Scythas. |
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101
Diese that/ so es war
ist/ ist mehr ein anzeigung der vnmenschlichen grausamkeit der Scythen/ denn
das es Cyro vnehrlich sey/ der als ein heiliger vnd löblicher könig/ ehrliche
vnd rechte krieg gefurt hat/ seine lender zu beschützen/ 102 denn ein
König mus ein krieger sein/ |
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103
Doch sagt Herodotus da bey/ das andere
anders vom tod Cyri reden. |
|
<215> Massagetas vero illeipse describens: Massagetae, ait, amictum & victum habent similem scythico, sagittas & hastas, item pugiones ferunt, in omnibus auro & aere utentes, ferro atque argento carent. <216> Uxoribus communiter utuntur, terminus vitae nullus est eis positus, ubi quis admodum senuit, eum cognati immolant & cum eo aliquot pecudes, quorum carnibus pro epulis vescuntur, quod genus obitus est apud eos beatissimum, languore extinctos non edunt, nihil serunt, pecoribus victitant piscatuque, lac potitant, <202> apud eos esse dicitur arbor, cuius fructus in ignem proiectus considentes ebrios reddit, quoad consurgunt ad tripudiandum ac ad cantandum. |
104
Vnd Xenophon schreibet/ wie er auff dem bett gestorben sey/ vnd die
son zuuor vermanet zu Gottes forcht/ vnd lieb vnd einigkeit vnter sich zu
halten/ vnd mit vielen worten geredt/ das sie nicht wöllen gedencken/ das die
seelen mit dem leib sterbe/ vnd vergehe/ sondern sollen wissen/ das die seel
vnsterblich sey/ vnd die fromen nach diesem leben ruge haben bey Gott/ die
bösen aber werden straff leiden/ 105 Vnd setzet dazu ein fein anzeigung aus der vernunfft/ das man
sehe/ wie die vbeltheter grewlich schrecken des gewissens bey leben haben. 106
Daraus sey abzunemen/ das die seel ein sonderlich wesen habe/ 107
vnd dieweil solche schrecken von Gott komen/ zeigen sie an/ das Gott
vnrecht straffen werde. |
Cyro itaque vita functo anno Iudaicae captivitatis 61.
regnum suscepit Cambyses, eius filius, qui apud Esdram Artaxerxes vel
Assverus dicitur. In historia vero Iudith propter malitiam suam vocatur
Nabuchodonosor, secundum magistrum in historiis regnavit annis octo. |
108 Das sey gnug von diesem heiligen könige
Cyro. |
Nauclerus fußt praktisch nur auf Herodot, wie die hier in <> hinzugefügten Stellenangaben aus dessen erstem Buch zeigen. Allerdings fasst er dessen Inhalt schon stark zusammen, so dass manchmal die Verständlichkeit verloren geht.
Bei Nauclerus erscheint Kyros als Kriegstreiber, der die Massageten gegen den erklärten Willen von deren Königin Tomyris mit Krieg überzieht. Bei Carion sind die Massageten "Skythen" und ist Kyros Opfer des skythischen Expansionsdrangs.
Das ganze bei Herodot überaus sympathische und erklärbare Verhalten der Tomyris unterschlägt Carion. Zur Racherede sollte man die Synopse aus Herodot, Nauclerus und Carion vor Augen haben:
Herodot I,
214, Ende |
Nauclerus
1-108 v |
Carion |
Kyros selbst fiel nach
einer Regierungszeit von 29 Jahren. Tomyris füllte einen
Schlauch mit Menschenblut und suchte unter den gefallenen Persern die Leiche
des Kyros. Als sie diese gefunden hatte, steckte sie sein Haupt in den
Schlauch, schändete den Leichnam und sagte: "Du hast mich geschlagen,
obwohl ich noch lebe und im Kampfe Sieger bin; denn du hast meinen Sohn
getötet, den du mit List und Tücke in deine Hand bekamst. Darum will ich dich
mich Blut sättigen, wie ich dir angedroht habe." Dieser Bericht über das
Lebensende des Kyros ist von den vielen, die im Umlauf sind, meiner Meinung
nach der glaubwürdigste. |
tum vero Cyrum ipsum
occubuisse, cum unum de xxx. regnasset annos. Cuius cadaver inter
occisorum stragem Tomyris exquisitum cum invenisset, caput in utrem misit, quem
humano cruore compleverat, mortuoque insultans ait:
" Tu quidem filium meum
perdidisti, ego te cruore
saciabo!" |
vnd
sey<Kyros> jnn dieser schlacht
vmbkomen/ 100 vnd hab die Königin des Cyri
haubt genomen/ hab es jnn blut gestossen/ vnd gesaget/ er
habe wöllen blut sauffen/ da sol er gnug sauffen. |
Nur die Racherede der Tomyris - ihren Namen nennt er nicht – scheint Carion wieder beachtenswert, er lässt aber die Angabe, Tomyris habe den Kopf des Kyros in einen Schlauch voll Menschenblut gesteckt, weg, vor allem fehlt die ganze Vorgeschichte des scheinbar blutrünstigen Satzes. Dadurch wird bei Carion der Satz der Tomyris zu einer sinnlosen, unverständlichen Äußerung barbarischer Grausamkeit.
An diese Rachetat der Tomyris, zu der Carion Skepsis äußert und die er völlig zu Gunsten des Kyros umdeutet, schließt er sofort eine äußerst positive Würdigung des Kyros an, die Nauclerus so nicht hat.
Anschließend liefert Carion die Variante des Xenophon vom Tod des Kyros und lässt Kyros als Vertreter eines Glaubens an ein Weiterleben der Seele erscheinen: Zweimal bezeichnet er Kyros als "heiligen" König.
Carion lässt beide Versionen vom Tod des Kyros unentschieden nebeneinander stehen, durch die Xenophon-Version will er also den großen Judenfreund würdigen und tilgt daneben alles Missliebige.
Für Nauclerus dagegen ist der geschilderte Tod des Kyros ein Anlass, einen Exkurs über die Massageten anzufügen, wobei er einen Teil hier genau wie bei Herodot direkt anschließt; die Erzählung vom Drogenrausch betraf bei Herodot ein Volk auf den Araxes-Inseln und wurde schon vorher geboten.
Danach wird von Nauclerus das Todesjahr des Kyros nüchtern festgehalten und sein Nachfolger angesprochen, vermutlich ist das des Nauclerus eigene Kompilationsleistung.
Was ergibt sich nun daraus für Carions Quellenarbeit?
Erstens muss Carion, um Herodot zu zitieren, nicht auf das Original zurückgreifen; Nauclerus-Lektüre reicht.
Zweitens hält er sich bei der Intention seiner eigenen Erzählung nicht an Herodot/ Nauclerus.
Und drittens hatte er zur Kompilation mindestens eine weitere Quelle, vermutlich nicht Xenophons Kyroupädie im Original, sondern eine Kompilation, da sein Referat wie eine abgeschriebene Zusammenfassung wirkt.
Im Mittelalter ist die Quellenlage völlig anders; hier hat nicht die antike Geschichtsforschung schon gründliche Vorarbeit geleistet, hier ist die Kompilations-Kette nicht so lang, hier muss ein Chronik-Schreiber teilweise auch selbst Originalquellen auswerten. Öfters äußert Carion übrigens seine Unzufriedenheit mit den mittelalterlichen Quellen, die ihm die jeweilige Motivation der beteiligten Personen zu wenig offenlegen.
Auch hier soll ein Beispiel das Problem verdeutlichen:
Nauclerus 2-182 r |
Carion |
Hunc conflictum aliqui scribunt ultimum habitum Guelfoni ignominiosum, neminem tamen fuisse occisum, plures autem captos. Altera vice, ut refert Got. Viterb., Henricus filius Cunradi, qui si vixisset, post eum fuerat regnaturus, eundem Guelfonem prope Vuinsperg & ante villam Elnhofen bello vicit. Nam rex Cunradus opidum Vuinsperg obsedit, et in deditionem accepit, ex gratiaque matronis concessit, ut, quaecumque humeris portare possent, liceret efferri, quae neglecta supellectili maritos suos quotquot potuerunt, videntibus cunctis & industriam mirantibus exportaverunt. Et Fridericus, frater regis, contradicens de viris inquit non est cogitatum, cui rex, non decet, inquit, verbum regium immutari, & mulieres laudavit, haec abbas Spanhamen<sis>. |
7,26,17 Jm krieg mit dem Welffen gewan Cunradus das schlos vnd Stadt Weinsburg/
nicht fern vom Neker gelegen/ 18 Da lies der Keisar alle Edle fahen/ 19 Aber jhren weibern sagt er/
sie möchten dauon ziehen/ vnd jede so viel sie tragen möcht/ frey mit sich
nemen/ 20 Da namen die frawen
alle kinder/ 21 da gegen sagten etliche/ es were gemeinet von
gütern/ nicht von leuten/ vnd wolten die edlen kinder behalten/ 22
Aber dem Keisar gefiel diese tugent wol/ vnd schaffet/ das sie mit der jugent
sicher dauon kamen/ vnd lies jhn jhre güter dazu volgen. |
Nauclerus liefert für diese kurze Episode zwei Quellen, Gottfrid von Viterbo und den "abbas Spanhamensis", also Johannes Trithemius, (beide nach Wikipedia unzuverlässige Quellen!). Für Nauclerus' Quellen scheint ihrerseits die "Kölner Königschronik" der Ausgangspunkt zu sein, in der – nach Wikipedia – von den geretteten Männern die Rede ist.
Carion gibt keine Quellen an und spricht zuerst von der Gefangennahme der Edlen, die sich bei Nauclerus vielleicht in der Rede von der Kapitulation verbirgt.
Entscheidender Unterschied ist aber die Aussage, dass die Frauen nicht ihre Männer, sondern ihre Kinder hinausgetragen hätten – was ja wesentlich wahrscheinlicher ist. Dieser Unterschied ist von Ziegler und Münch auch schon gesehen und bedacht worden. Hildegard Ziegler sieht die Schwierigkeit im Abweichen von der Ursberger Chronik, die nach ihr Hauptvorlage der Carion-Chronik ist, einerseits und andererseits von Melanchthons sonstigen Aussagen:
"Auch bei dem Staufer Konrad zeigt die Vergleichung eine Abhängigkeit unseres Berichts von der Urspergischen Chronik, wenn auch einiges aus anderen Vorlagen hinzugefügt ist, besonders die Anekdote von den Weibern zu Weinsberg, die ganz ausser dem Zusammenhange steht, aber doch nicht als spätere Hinzufügung Melanchthons gelten kann; denn sie ist ohne Verständnis für die eigentliche Pointe erzählt. Die Frauen retten wohl ihre Kinder, nicht aber ihre Männer, worauf es doch eben ankommt. Dass Melanchthon diese Geschichte anders erzählt haben würde, beweist seine Declamatio de Guelpho Duce Bavariae, in der sich eine recht geschickte Redaktion derselben findet."
Und Münch kommt ebenfalls auf diese Anekdote zu sprechen: "In der Geschichte der Weiber von Weinsberg verwässert unsere Chronik ... die Pointe dahin, daß die Weiber nicht ihre Männer, sondern ihre Kinder mit sich nehmen." Und gleich darauf: " Da ist es indes verwunderlich, daß unsere Chronik, die doch meist dem Naucler unbedingt folgt und gerade von diesem Ereignis nach Weller (der sie nicht berücksichtigt), nur aus Naucler Kunde haben könnte, davon in der obigen abweichenden Weise berichtet: Entgegen der Annahme Wellers muß es also unabhängig von Naucler oder dessen Quelle, dem unveröffentlichten Trithemius, möglich gewesen sein, von dem reizvollen Begebnis Kunde zu erhalten, das noch Gegenstand so vieler skeptischer Untersuchungen werden sollte und nun wohl endlich durch Robert Holtzmann als historisch erwiesen ist."
Die Möglichkeit, dass der bodenständige Carion eine vernünftige Fassung der Geschichte geboten haben könnte, kommt niemandem in den Sinn; er braucht dafür – nach Ziegler und Münch – wieder eine, wenn auch noch nicht belegbare, neue Quelle. Ich denke, diese Passage bezeugt wieder Carions Eigenleistung sehr gut: Bei großer Übereinstimmung mit Vorlagen kann er doch eigenständige Besonderheiten aufweisen.
Für moderne Carionforscher besteht jetzt natürlich das Problem, herauszufinden, welche Quelle dem Kompilator vorgelegen und wie er sie ausgewertet hat.
Im letzten Jahrhundert etwa haben sich drei Forscher um die Quellenfrage bemüht, Hildegard Ziegler 1898, Emil Menke-Glückert 1912 und Gotthard Münch 1925, aber allen dreien ging es um den Nachweis des Melanchthonschen Anteils an der Quellenbearbeitung.
Was die Antike betrifft, ist Hildegard Ziegler sehr vorsichtig: "Die ganz kurze knappe Behandlung des Stoffes, wie auch die Uebertragung der Quellen ins Deutsche hindern natürlich häufig die Erkennung des Abhängigkeitsverhältnisses, ebenso sehr vielleicht der Umstand, dass zwei Hände an diesem Werke gearbeitet haben." Obwohl sie zwei (fast) völlige Übereinstimmungen mit Nauclerus feststellt, stellt sie sich das Abhängigkeitsverhältnis von Nauclerus doch sehr seltsam, nämlich von Melanchthon vermittelt, vor: "Nur eine Vermutung möchte ich wagen: das schon erwähnte Kapitel der Carionschen Chronik über Wenzel zeigt uns den Verfasser augenscheinlich in einer gewissen Verlegenheit um Stoff; hätte er in seinen Vorlagen noch irgend etwas über diesen Kaiser gefunden, so würde er es gewiss berichtet haben, denn der ihm gewidmete Abschnitt ist entschieden zu kurz im Verhältnis zu den Erzählungen über die anderen Kaiser. Hätte er hier den Nauclerus, der bekanntlich schon längst erschienen war, zur Hand gehabt, so hätte er sicher dessen ziemlich reichliche Nachrichten benutzt, und daraus, dass sie fehlen, kann man annehmen, dass das 'grosse Tübinger Buch' nicht zu seinen Quellen gehörte. Trotzdem ist es vielfach in dem Werke benutzt. Sollte nicht vielleicht Melanchthon von dessen sozusagen persönlichem Verhältnis zur Nauclerischen Chronik wir schon sprachen, die auf diese zurückgehenden Teile eingeschoben haben?"
Das heißt also, weil Carion den Wenzel für einen kaiserlichen Schlappschwanz hält, über den mehr zu schreiben er sich ausdrücklich weigert, schlägt Ziegler sozusagen Carion die Nauclerus-Chronik aus der Hand und wirft sie Melanchthon in den Schoß.
Bei zwei Quellen ist sie überzeugt, dass Carion sie verwendet hat, bei Sigebert von Gembloux und dem "Abt von Ursperg". Und zum Schluss der Chronik, dem oben behandelten Nachtrag der Zweitfassung von 1532, bemerkt sie: "Zum Schluss tritt der Astrolog und Prophet deutlich hervor, weiss von einem bei dieser Gelegenheit <dem Auszug Joachims II. aus Berlin> geschehenen Naturwunder und von dessen Ausdeutung zu berichten, es ist, als müsse er seinem Herzen hier am Schluss einmal so richtig Luft machen, und als könne er sich gar nicht genug thun in der Aufführung 'etlicher nicht leichtfertiger, sondern tapfferer Weissagungen, deren autors bekannt sind' "
Nach Ziegler arbeiten hier also zwei Hände am Gesamtwerk, die aber praktisch nicht zu unterscheiden sind, aber nur Melanchthon hat den unverstellten Zugang zur Nauclerus-Chronik – und am Ende kann Carion endlich ganz Astrologe sein.
Menke-Glückert kommt in seinem Abschnitt "B. Melanchthons Anteil" auch auf die Quellen der Chronik zu sprechen. Er ist wesentlich forscher in seinen Aussagen als Ziegler und zeigt sich überzeugt: "Für die alte Geschichte sind alle Nachrichten aus den primären erzählenden Quellen genommen, für das Mittelalter aus dem schon rühmend erwähnten Chronicon abbatis Urspergensis." Die Verwendung der Primärquellen behauptet er aber nur, beweisen tut er hier nichts. Aus der Reihenfolge "Herodot, Thukydides, Xenophon, Diodor, Polybius und Livius" – die im Grunde nur der geschichtlichen Ordnung folgt -, ergibt sich für ihn ein Wirken Melanchthons.
Und zur Ursperger Chronik meint er: "Liegt es nicht nahe, anzunehmen, daß Melanchthon, der diese Chronik so hoch schätzt, sie der Erzählung bei Carion zugrunde gelegt hat?" Eine Annahme, die nur den überzeugt, der Menke-Glückerts Vorurteil teilt. Später erfährt der Leser übrigens, dass die von Melanchthon veranlasste Ausgabe 1537 (!) erschienen sei.
In seinem Anhang "analysiert" er die Quellen zur Carion-Chronik; dabei kommt auch ein schon im Haupttext genannter Gedanke zum Tragen: "Die Carion'sche Chronik hat aber als letzte und erstaunlichste Eigentümlichkeit das an sich, daß jedesmal, wenn sich Melanchthon früher oder später über den gleichen Gegenstand geäußert hat, dies meist buchstäblich mit der Carion'schen Chronik übereinstimmt." Dieser Grund der "späteren Übereinstimmung" lief schon 1912 der Logik zuwider, und 2013, in der Zeit besonderer Plagiatserfahrung, kann er gar nicht mehr überzeugen.
Ein paar Urteile Menke-Glückerts sollen seinen voreingenommenen Standpunkt belegen:
"Die Völkerkarte und die Ableitung der Völker von Noahs Söhnen zeigen solche Übereinstimmung mit der späteren Chronik <d.h. der lateinischen von 1558>, daß sie nur Melanchthons Werk sein können."
"Wenn es heißt: 'Bei Herodoto find ich' kann diese Bemerkung nur von Melanchthon herrühren."
"Von den Griechen. Hier wird behauptet, daß die Griechen keine so alten Historien hätten wie die Juden. Dies ist eine Meinung Melanchthons. Er erwähnt sie auch in der lateinischen Fassung seiner Chronik C.R. XII, 714." – In Wirklichkeit ist der Vorrang der Juden in der Geschichtsschreibung das zentrale Anliegen Reuchlins im Vorwort zur Nauclerus-Chronik.
"Diese chronologische Auseinandersetzung verrät eine solche Vertrautheit mit den antiken Schriftstellern, daß sie nur Melanchthon zugeschrieben werden kann."
" Das übrige stimmt zum großen Teil wörtlich überein mit der Rede Melanchthons von 1554."
Von Rudolf von Habsburg an stellt Menke-Glückert zunehmende Auswertung der Nauclerus-Chronik fest. Und hier meint er: "Vielleicht darf man aber sagen, daß Melanchthon mit der Naucler'schen Chronik, zu der sein Oheim Reuchlin ein empfehlendes Vorwort geschrieben hat, besser vertraut war als Carion." Darf man? Warum soll Carion sie durch intensive Lektüre nicht besser kennen? Melanchthon war wohl beim Druck dabei, aber kennt man deshalb, und weil ein Onkel das Vorwort dazu geschrieben hat, ein Werk selbstverständlich am besten?
Schließlich kommt Menke-Glückert zur Überzeugung: "Das Resultat der Untersuchung ist, daß die politischen Teile der Chronik fast alle von Melanchthon geschrieben sind."
Aber dieses Ergebnis verwundert ja nicht, denn Menke-Glückerts Ausgangsfrage war ja schon: " Damit sind wir aber bei der Frage angelangt, wieweit der Inhalt der ganzen Chronik Melanchthon zugewiesen werden muss."
Bei solch einem massiven Vorurteil kann ja nur dessen Bestätigung herauskommen.
Der fleißigste und gründlichste "Quellenforscher" ist Gotthard Münch.
Nachdem er im 3. Kapitel eine ausführliche Inhaltsangabe der Carion-Chronik gegeben und im 4. Kapitel die von ihm festgestellten Teile der Chronik charakterisiert hat, untersucht er im 5. Kapitel ausführlich und mit genauem Nachweis die Quellen.
Im Grunde nimmt er das Ergebnis seiner Forschung schon in der Kapiteleinleitung vorweg: "Eine Untersuchung der Quellen der deutschen Chronik kann nur dazu angetan sein, weiteres Licht auf das uns beschäftigende Problem zu werfen. Von vornherein können wir sagen, daß Carions Belesenheit in historischen Werken nicht übermäßig groß war. Es ist auch kaum anzunehmen, daß er sich zum Zweck der Abfassung der Chronik tief in geschichtliche Studien versenkt haben wird. Schon die Muße dürfte ihm hierfür gefehlt haben. Sein Vorwort deutet auch nichts darüber an. Dagegen war Melanchthons Belesenheit in der damals bekannten historischen Literatur unbegrenzt, sie verschaffte ihm den unschätzbaren Vorteil, den gesamten historischen Stoff in großen Zügen klar überschauen zu können. Nimmt man hinzu, daß Melanchthon mit lebendigstem Interesse als Gebender und Nehmender an der gelehrten Diskussion der Zeitgenossen über alle möglichen geschichtlichen Fragen Anteil nahm, so scheint die Annahme berechtigt, daß aller schwieriger zugänglicher Stoff durch ihn in die Chronik Eingang gefunden haben wird."
Man sieht, Münchs Haltung ist von Melanchthons grundsätzlichem Vorrang bestimmt.
Zunächst setzt sich Münch mit der Vorarbeit von Menke-Glückert auseinander und wirft ihm Oberflächlichkeit vor. "Folge dieses obenhin gehenden Verfahrens" sei es, dass er die von Münch gesehenen Unterschiede der Quellenbenutzung nicht deutlich mache. Danach werden von Münch die prinzipiellen Schwierigkeiten der Quellenanalyse angesprochen: Durch Kürzung, Komprimierung und deutsche Sprache ließen sich die Originalquellen schlecht nachweisen, vor allem würden wichtige Quellen wie Ursberger Chronik oder Nauclerus in der Chronik nicht genannt.
Darauf folgt Münchs eigene Quellenanalyse, in der er noch einmal den gesamten Chronik-Text durchgeht. Dabei weist Münch zunächst nur die Quelle nach, die "der Chronist" verwendete, wofür sein Nachweis bei Kyros als Beispiel dienen soll:
"Für Kyrus, den ersten Herrscher der Monarchie, fließen reichliche Quellen: Herodot, Xenophon, Daniel. Alle drei sind von der Chronik in bezeichnender Weise benützt. Ähnlich wie bei der Gründung Roms, wird auch hier der sagenhaften Jugendgeschichte des Kyrus unverhältnismäßig breiter Raum gewährt: Herodot ist dafür und für anderes Quelle: I 107-130, 86-90, 191, 211-213; zitiert wird er nur für eine Einzelheit, nämlich für den bedeutsamen Traum des Königs Astyages. Die Begegnung des Kyrus mit Krösus wird in der Fassung Xenophons mit dem wirkungsvollen 'Erkenne dich selbst' geboten: Kyropädie VII 2 und 15ff. Ferner wird Xenophon herangezogen als Gewährsmann aus dem heidnischen Lager für die aus Daniel gewonnene Ansicht, daß Kyrus zur wahren Gotteserkenntnis gelangt sei, endlich um der schauerlichen Erzählung Herodots über den Tod des Kyrus im Skythenkriege die friedvolle, dem gottbegnadeten Monarchen besser anstehende Erzählung von seinem sanften Tode im Kreis der Söhne entgegenzusetzen, denen er scheidend Worte der Weisheit spendet: Kyropädie VIII 7."
Wen Münch für den Chronisten hält, wird deutlich an Passagen wie der ans genannte Zitat unmittelbar anschließenden, die vom Vorurteil des höherwertigen Melanchthon ausgeht: "Der Abschnitt über Thales, Pythagoras und Solon vertritt die Stelle der dürftigen Notizen, die die Weltchroniken über diese Geistesgrößen Griechenlands zu bringen pflegten. Wie unbedeutend hierin noch Naucler ist hat Joachimsen betont. Es ist Melanchthon, der Vollhumanist, der die zusammenhanglosen Notizen zu einer beziehungsreichen Schilderung erweitert. Woher er dabei den Stoff im einzelnen nahm, wird schwer zu sagen sein. Die Skizze über Solon hat er aus Plutarchs Vita geschöpft: Kap. 6,13-18, 21, 25."
Wenn man den Text nachliest, verbirgt sich in der "beziehungsreichen Schilderung", die Münch hier sieht, die Feststellung des Gegensatzes zwischen Thales, der für die Astronomie bedeutend war, und Pythagoras, der für die Physik wenig geleistet habe, aber ein seltsames Mönch-Leben geführt habe. Solch eine Erkenntnis kann ja auch einem Mathematiker kommen, da braucht man nicht "Vollhumanist" zu sein.
Über die Diskussion über die beste Staatsform äußert Münch dann: "Die herodoteische Überlieferung vom Streit der sieben Wahlfürsten über Demokratie, Aristokratie und Monarchie liegt Melanchthon besonders am Herzen." Das ist keine begründete Feststellung, sondern nur die Behauptung eines Vorurteils. Wieso sollte der politisch hoch interessierte Carion, man denke nur an seine "Bedeutnis" mit den politischen Vorhersagen, weniger an dieser Diskussion interessiert sein?
Auch bei der weiteren Besprechung der Antike weist Münch Quellen nach wie etwa Herodot oder Justinus, findet aber hier schon Gemeinsamkeiten zwischen Nauclerus und der Carion-Chronik. Lang und breit werden die antiken Quellen benannt, bis Münch feststellt: "Die kirchengeschichtlichen Nachrichten stimmen meist mit Eusebius überein. Ob unser Chronist allerdings diese Quellen selbst oder nur eine Ableitung benutzt hat, konnten wir nicht feststellen. Naucler enthält fast alles. ... Mannigfache Widersprüche aber hindern wieder, ihn als eigentliche Quelle anzusehen." Für die Widersprüche bringt Münch keinen Beleg, aber diese beschriebene Arbeitsweise ergibt meines Erachtens noch keinen zwingenden Grund für Melanchthons Tätigkeit.
Und zum letzten Teil der Chronik vermerkt Münch: "Die Quellenanalyse des letzten Teiles der Chronik ist von Hildegard Ziegler und von Menke-Glückert schon verhältnismäßig sorgfältig gegeben. Sie führt zu einfacheren Ergebnissen als die der vorhergehenden Teile. Naucler ist von Anfang an, nicht erst für die späteren Jahrhunderte des Mittelalters, wie Menke-Glückert annimmt, Hauptquelle, eine Tatsache, die dadurch verschleiert wird, daß Naucler Quellen wörtlich kompiliert, die unser Chronist auch selbst einsehen konnte und eingesehen hat, die aber immer wieder dadurch offenbar wird, daß keine der Urquellen einen solchen Grad der Übereinstimmung mit unserer Chronik zeigt wie Naucler. Nehmen wir hinzu, was über die Bedeutung Nauclers für den 2. Teil gesagt wurde, so kann man ihn, wie Justin für die vorchristliche Zeit, als grundlegende Quelle der nachchristlichen Jahrhunderte ansprechen."
Kurz: Wenn man nicht vom Münchschen Vorurteil der grundsätzlichen Höherwertigkeit Melanchthons ausgeht, ist kein Grund erkennbar, warum der interessierte Carion die Arbeit der Quellenauswertung nicht selbst erledigt haben sollte; so weit wie Perlach geht Münch ja nicht, Carion einfach Lateinkenntnisse abzusprechen – nur dann fiele er als "Compilator Naucleri" aus.
Welchen Ertrag bringt nun die "Quellenforschung" der drei vorgestellten Forscher?
Jeder findet im Grunde durch die Betrachtung der Quellen die Bestätigung seines Vorurteils: Ziegler sieht das Gemeinschaftswerk zweier Hände, Menke-Glückert stößt auf die Alleinverantwortung Melanchthons an der Chronik, und Münch erkennt, wie alles Wichtige und geistig Hochstehende von Melanchthon beigetragen wird. Keiner der drei kann überzeugend Melanchthons (Haupt-)Tätigkeit beweisen – die leuchtet nur dem ein, der vorher schon die Meinung des jeweiligen "Quellenforschers" teilte.
Und der Ertrag für Carion? Carion zog offensichtlich viele Quellen heran, wertete sie unterschiedlich im Sinne seiner Überzeugung und seines Zieles aus und folgt dabei keineswegs sklavisch einer Vorlage. Und wenn seine Chronikvorlage auf eine Primärquelle zurückgeht, ist nicht sicher, ob Carion die Primärquelle auch gekannt hat – eigentlich ein Befund, den die Betrachtung des "Todes des Kyros" oben schon ergeben hat.
Bis hierher ging es weitgehend darum, Carions Eigenwert vor der Übermacht Melanchthons und seiner Apologeten zu verteidigen. Jetzt möchte ich versuchen, aufgrund eines anderen Carion-Werkes seinen Eigenwert zu zeigen.
Adelungs Jünger im Geiste verbinden mit "Carion" die Vorstellung eines zwielichtigen Astrologen, der sich mit fragwürdigen Tricks durch sein Säuferleben schmarotzt (so etwa Roemer) oder mit seinem Geschreibsel ehrenwerte Honoratioren seiner Zeit besudelt (so im Grunde Bauer). Es ist erschreckend, wie sich diese Diffamierungen durch die Jahrhunderte halten konnten.
Hier in Deutschland oder gar in Württemberg sieht man die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts weitgehend durch die Reformations-Brille. Carion stand mitten in den Spannungen seiner Zeit, schließlich war sein wichtigster Arbeitgeber ein überzeugter Altgläubiger und sah Carion schon in dessen Ehe den Zwiespalt der Konfessionen, er hatte seinerseits auch gute Kontakte zu Melanchthon, dem alten Schulfreund, und zu Luther, zu denen beiden er ja Missionen unternehmen musste, wie etwa Joachims II. Anliegen über die richtige Form des Abendmahls zeigt.
Aber er sah auch die politische Großwetterlage, die von ihm aus einer ideologischen Sicht bewertet wurde.
Einer wachen Person der Carion-Zeit, d. h. der Jahre von etwa 1520 bis 1535, war die Gefahr aus dem Osten bewusst. Es war noch keine 80 Jahre her, dass die Türken Konstantinopel, Ostrom, lange Zeit Trägerin des Kaisertums, bis der Franke Karl in diese Rolle eintrat, im Sturm eingenommen hatten. Und seit 1453 rückten die Türken ständig und scheinbar unaufhaltsam nach Westen vor; im Herbst 1529 standen die Türken zum ersten Mal vor Wien, konnten es aber nicht einnehmen. 1532 gelang es Karl V., durch den Nürnberger Anstand im Juli eine gemeinsame Front mit den Protestanten gegen die Türken zu bilden, die dann den Auszug gegen die Türken im August ermöglichte, das letzte politische Geschehen in der Carion-Chronik.
Ideologisch dachte Carion von der Vier-Monarchien-Lehre her; das bedeutete, wenn das Römische Kaisertum zu Ende ging, war das Weltende da; deshalb lag Carion am Erhalt des Römischen, d. h. des deutschen, Kaisertums, denn von seinem Denken her hatte er daran ein existenzielles, also überlebens-wichtiges Interesse.
Dass dieses Denken sein Sein bestimmte, möchte ich an einem größeren Abschnitt seiner "Bedeutnis" zeigen. Adelung hatte sich dieser Schrift auch schon zugewandt, allerdings nur und ausführlich dem anstößigen astrologischen Teil, Carions "Christliche Ermahnung" bleibt unberücksichtigt.
8, 1 Ein Christliche ermanung an Kay. Maye. Künig/ Churfürsten/
Fürstenn/ Graffen/ Herren/ Rittern/ Edelleüten/ vnd allen ständen
Christlicher versamlung/ Johannis Carionis. |
8, 1
Johannes Carions Christliche Ermahnung an die Kaiserliche Majestät, Könige,
Kurfürsten und Fürsten, an Grafen, Herren, Ritter Edelleute und an alle
Stände der Christlichen Kirche. |
8, 2 WAnn Gott imm alten Testament
einen Prophetenn erwecket hat/ ist ehs gemainigklich nicht dann on eyn groß
mercklich vrsach der straff/ vnnd wunderzaychen Gottes geschehen/ 3
derhalbenn auch yhre Propheceyenn/ befoder die Christum vnnd die figuren des
Newen Testaments/ vnseres hailigenn Christenlichen Glaubens bedeuten/ erfült
vnnd volbracht seyen/ 4 vnnd jr etlich inn vnsern zeitenn yetz
jmmerdar eyne nach der andern volbracht werdenn/ 5 vnnd one zweyffel
yhr etlich auch noch zuokünfftig 6 wie dann Christus der öberst
Prophet durch sein Göttlichenn mund verkündet/ 7 auch sunst an vilen andern
orten der heyligen Prophetenn/ befoder inn Isaia/ Amos/ Daniel/ vnd Abacuc/
vermeldet ist. 8 Dann wo die sprüch der Propheten von trübsal/ mühe/ sorg/ angst/ vnnd
arbait sagenn/ werdenn sie gemainklich
mehr dann eyn mal/ sonder zum offter mal erfüllet/ 9 vnnd auch wir der aller grausamesten vnnd
pyttersten straff nicht ein mal/ yha zuo hundert tausent vnnd noch
vyl mehr malen wol wirdig vnd werdt seyen/ 10 Darumb auch eben dye Propheceye Abacuc nicht allein den
Babylonischenn Künig bedeüt/ sonder
zaigt auch ebenn an zuo vnsern zeytenn den Türckischen Keyser/
11 dann yhe der Prophet anfechtunng der rechtglaubigen anzeücht/ wie
obenn vermeldet/ 12 Derhalbenn ich
geursacht wirde/ vnsern Fürsten des
Propheten eygne wort anzuozeygen/ vnd lauten also. |
8, 2 Wenn Gott im Alten Testament
einen Propheten erweckt hat, geschah es üblicherweise mit einer bedeutenden,
spürbaren Ursache der Bestrafung oder eines Wunderzeichens Gottes. 3
Deshalb gingen auch ihre Prophezeiungen, besonders die, die Christus oder
Personen des Neuen Testaments, unseres heiligen christlichen Glaubens,
betrafen, in Erfüllung. 4 Und von ihnen gehen jetzt in unseren Zeiten
ständig welche nacheinander in Erfüllung. 5 Und viele werden
zweifelsohne auch künftig in Erfüllung gehen. 6 So verkündete es Christus, der
höchste Prophet, durch seinen göttlichen Mund. 7 Das wird auch an vielen
anderen Stellen der heiligen Propheten gesagt, besonders bei Jesaia, Amos,
Daniel und Habakuk. 8 Denn wo die Prophetensprüche
Trübsal, Mühe, Sorge, Angst und Not ankündigen, gehen sie normalerweise mehr
als einmal, nämlich öfters in Erfüllung. 9 Und auch wir verdienen alle
grausamsten und bittersten Strafen nicht nur einmal, sondern hunderttausend
Mal und noch öfter. 10 Deshalb bedeutet die Prophezeiung Habakuks
nicht nur den Babylonischen König, sondern verweist auch in unserer Zeit auf
den türkischen Kaiser. 11 Denn der Prophet zeigt immer
die Anfechtung der Rechtgläubigen an, wie ich oben gesagt habe. 12
Deshalb werde ich veranlasst, unseren Fürsten des Propheten eigene Worte zu
verkünden, und die lauten so: |
9, 1 Herr wie lang soll ich ruoffenn/
vnnd du wilt nicht hörenn? 2 wye lang soll ich zuo dir schreyenn
vber freuel/ vnnd du wilt nit helffen? 3 Warumb lassest du mich sehen
mühe vnd arbait? 4 warumb zaigest du mir raub vnnd freuel? 5
Ehs gehett gewalt vber recht/ darumb muoß das gesatz wanckenn/
vnnd kan kain recht zum ende <005-v>
kommen/ 6 dann der Gotloß
vberuortaylt den gerechten/ darumb gehen auch verkerte vrtheyl. 7
Sehent vnder die Hayden/ vnnd verwundert euch/ dann ich will ettwas thon zuo
eweren zeytten/ wöllichs yhr nicht glauben werdt/ wann man dauon sagenn
wyrdt/ 8 Dann ich will erweckenn
die Kaldeyer (da mügenn wir wol sagen die Türcken) ein pytter vnnd schnell
volck/ 9 wölliches ziehenn wirdt als weyt das land ist/ wonungen
einzuonemenn/ die nicht sein seynd/ vnnd wyrdt grausam vnd
erschrecklich/ 10 wölchs volck wirdt richten nach seiner arth/ 11
Seyne pferd seindt schneller dann die Parden/ 12 vnd seine reütter kommen von ferne/ vnnd
werdenn daher fliegen wie ein Adler zuo dem Aß/ 13 Sie
werden kommen nur zuo fräueln/ vnnd her faren wie ein schneller
wynd/ vnnd die gefangnen zuosamen samlen wie den sand. 24 des frewet er sich vnnd ist
frölich/ 25 Darumb opfferet er seynem
netze/ vnd reüchert seinem garn/ weyl durch die selbigenn sein thayl so
fayßt/ vnnd sein speyß so völlig worden ist/ 26 Derhalben würfft er
sein netz noch jmmer auß/ vnnd will nicht auffhörenn leut zuo
erwürgen. |
9, 1 Herr, wie
lange soll ich rufen, und du willst nicht hören? 2 Wie lange soll ich
zu dir wegen der Frevel schreien, und du willst nicht helfen? 3 Warum lässt du mich Mühe und Not sehen? 4 Warum
zeigst du mir Raub und Frevel? 5 Gewalt geht über Recht, darum muss
das Gesetz wanken und kann kein Recht vollendet werden. 6 Denn der Gottlose übervorteilt
den Gerechten, darum gibt es auch falsche Urteile. 7 Schaut auf die
Heiden und wundert euch, denn ich will zu eurer Zeit etwas tun, was ihr nicht
glauben werdet, wenn man davon spricht. 8 Denn ich werde die Chaldäer
erwecken - da können wir sagen: die Türken -, ein bitteres und streitbares
Volk. 9 Dieses wird kommen, soweit das
Land reicht, um Wohnungen zu beziehen, die ihm nicht gehören, und wird
grausam und schrecklich sein. 10 Dieses Volk wird nach seiner Weise
richten. 11 Seine Pferde sind schneller als die Leoparden, 12
und seine Reiter kommen aus der Ferne und werden daherfliegen wie ein Adler
zum Aas. 13 Nur zum Freveln werden sie
kommen und herfahren wie ein schneller Wind, und sie werden die Gefangenen
aufsammeln wie Sand. 19 Aber du, o Herr, der du von
Ewigkeit her existierst, lass uns nicht sterben, sondern, o Herr, lass ihn
nur eine Strafe sein und lass ihn uns, o Herr, nur züchtigen. 20 Denn
deine Augen sind rein, so dass du nichts Böses sehen kannst; 21 und
dem Jammer kannst du nicht zusehen. 24 Darüber freut er sich und ist
fröhlich. 25 Darum opfert er seinem Netz
und bringt Rauchopfer seinem Garn, weil durch sie sein Anteil so reichlich
und seine Speise so üppig geworden ist. 26 Deshalb wirft er sein Netz
immer noch aus und will nicht aufhören, die Leute zu erwürgen. |
10, 1 Der Herr antwort aber mir vnnd
spricht/ 2 Schreybe das gesicht vnnd male es auff ein tafel/ das ehs
lese wer für vber gehet/ 3 Nemlich allso/ das gesichte stehet noch biß
zuo seyner zeyt/ vnnd wirt endtlich frey an tag kommen/ vnd nicht
aussen bleybenn/ 4 ob <006-r> es
aber verzuge/ so harre sein/ es wirdt gewißlich kommenn vnnd nit verziehen. 5
Wer aber darwider strebt/ des seele wirdt nicht gelingen. |
10, 1 Der Herr antwortet mir aber
und spricht: 2 Schreibe die Vision auf und male sie auf eine Tafel,
damit sie jeder lese, der vorübergeht. 3 Denn die Vision wird Bestand
haben bis zu ihrer Zeit, und sie wird endlich offenbar werden und nicht fern
bleiben. 4 Wenn sie sich aber verspätet,
so warte auf sie, denn sie wird gewiss kommen und nicht unpünktlich sein. 5
Wer aber gegen sie ankämpft, dessen Seele wird nicht zum guten Ende kommen. |
11, 1 O wie plützlich werden
aufwachen die dich beyssenn/ vnd erwachenn die dich wegstossen werden/ vnnd
du muost ynen zuo theyl werden/ 2 dann du hast
vil Hayden geraubet/ 3 vnnd so werdenn
sie dich wider raubenn/ mitt dem vberigenn jhrer völcker/ vmb der
menschen pluot willen/ vnnd vonn wegenn des freuels auff dem land
vnd inn der statt/ vnd allen die darinnen wonen. 4 Welliche weytter lesen wöllen
suchen den Propheten inn der Bibel/ so finden sie den Text im außgang noch
vil erschrocklicher. |
11, 1 O, wie plötzlich werden die
aufwachen, die dich beißen, und die erwachen, die dich wegstoßen werden, und
du musst ihnen zufallen. 2 Denn du hast viele Heiden geraubt. 3
Und deshalb werden sie dich mit dem Rest ihrer Völker wieder rauben, wegen
des Blutes der Menschen und wegen ihres Frevels auf dem Land und in der Stadt
und allen ihren Bewohnern. 4 Welche weiter lesen wollen, mögen den Propheten in der Bibel aufsuchen; sie werden das
Ende des Textes noch viel schrecklicher finden. |
12, 1 Darumb/ O du Christenlicher
Keyser/ vnnd jhr Christenliche Künig/ Churfürsten/ Fürstenn/ Grauen vnd
Herren/ auch yr gewalthabende menschen/ Geystlichs vnnd Weltlichs standes
gemeyner armen Christenheyt/ lassent euch des heyligenn Propheten so trewlich
weheklagen vnd warnung/ ein witzigunng vnnd fürsichtigkait sein/ 2
brauchenn ewer radtschleg inn aller Christenlichen vorsorg/ 3 Dann die
heyligenn Propheceyen seyenn der mehrer theyl alle herbey/ 4 derhalbenn/
was wir nur der zeyt lebenn/ ist vbermaß/ vns zuo gebenn odder
oben dreyn geschenckt (wie man sagt) 5 seyent gewertig all stunnd
vnnd augenplick des Haußuatters/ damit er vns nicht schlaffenn finde. 6
Dann eben sag ich euch das die wochenn
Daniels des heyligen Propheten/ nun zum andern mal fürüber seyenn nach der
zerstörunng Jherusalem/ 7 derhalbenn die Künigreich so
er vnns durch die vier horen verzeychnet sich stossen werden. 8 Dann haben
die zal der wochen den Juden (die dazuomal das volck Gottes hiessen) vbels
gedrewet/ dye doch frümmer/ dann wir waren/ werdenn sie fürwar vns (so wir nicht widerkeren) etwas ergers bringen. 11 auch treffliche vnnd schnelle
verendrung/ großmechtiger Kunig/ Fürstenn vnd Herrn (vnd das noch vil mer
ist) verduncklung Götlicher wort durch
falsche häupter vnnd Propheten/ 12 Ja recht hatt auch <006-v>
Christus weyßgesagt/ das erkaltenn werde die lieb der menschen/ 13 Amos verhayßt vns auch inn den letsten
zeyten ein hunger/ aber nit des brots oder wassers/ sonder des worts Gottes. 14 Wölliche widerwertigkayten vns
allen eben die letste zeyt vermelden. 15 Derhalben abzuonemen/
das wir yetzunder von der nayge zören/ vnnd dem faß der boden bald vber sich
gestürtzt würdt. 18 Nicht das ich mein maynung
vber ewer so hohe verstendige vernünfften vnd weißhayten preyse/ den selben
ewer hohen verstenden zuo radten/ 19 der ich doch dem wenigsten vnder euch zuo kaynem fuoßtuoch
wyrdig/ muoß geschweygen einen radtgeber/ 20 Allayn das mich eins grewlichen wetters
anet/ wölliches vbergang euch alle netzen würdt. |
12, 1 Lasst deshalb, du christlicher
Kaiser und ihr christlichen Könige, Kurfürsten, Fürsten, Grafen und Herren,
auch ihr, die ihr im geistlichen oder weltlichen Stand Macht ausübt über die
allgemeine, arme Christenheit, das besorgte Wehklagen und die Warnung des
heiligen Propheten euch Belehrung zur Vorsicht sein. 2 Gebraucht dessen Ratschläge an
euch in aller christlichen Vorsorge. 3 Denn die heiligen
Prophezeiungen sind zumeist noch gültig. 4 Unser gegenwärtiges Leben
ist uns überreich gegeben oder dazu noch, wie man sagt, geschenkt. 5 Rechnet zur jeder Stunde, zu
jedem Augenblick mit dem Hausherrn, damit er uns wach vorfindet. 6
Denn eben jetzt sage ich euch, dass die Wochen Daniels, des heiligen
Propheten, jetzt zum zweiten Mal nach der Zerstörung Jerusalems vorbei sind. 7 Deshalb werden die
Königreiche, die er uns durch vier Hörner anzeigt, aneinander stoßen. 8
Denn wenn die Zahl der Wochen den Juden, die damals das Volk Gottes hießen,
Schlimmes angedroht hat, - und die Juden waren doch frömmer als wir! -
dann werden sie uns, falls wir nicht umkehren, wirklich etwas Schlimmeres
bringen. 11 Es kam auch zu deutlicher,
schneller Veränderung bei großmächtigen Königen, Fürsten und Herren und - was
noch viel bedeutender ist - zur Verdunkelung göttlicher Worte durch falsche
Köpfe und Propheten. 12 Ja, Christus hatte auch zurecht
vorhergesagt, dass die Menschenliebe erkalten werde. 13 Amos verheißt
uns auch in den letzten Zeiten einen Hunger, aber nicht nach Brot oder
Wasser, sondern nach dem Wort Gottes. 14 Solche Widrigkeiten kündigen
uns allen eben die letzte Zeit an. 15 Deshalb kann man annehmen, dass
wir derzeit vom Rest zehren und dass das Fass bald umgestürzt wird. 16 Deshalb, du gütigster Kaiser
und ihr anderen, meine gnädigsten gnädigen Könige, Kurfürsten, Fürsten und
Herren, sowohl geistliche als auch weltliche der christlichen Kirche, ist es
mein dringendster Wunsch und ganz ernste Ermahnung, 17 dass ihr
überall unseren jetzt Besorgnis erregenden Zustand betrachten wollt, dass ihr
euch unser unsicheres, ungutes Leben zu Herzen nehmt und dass ihr jetzt meiner
Warnung, meinem treuen Rat, durch den ich, so wahr mir Gott helfe, mit euch
allen verbunden bis, Raum gebt und Glauben schenkt. 20 Aber ich habe die Vorahnung
eines fürchterlichen Unwetters, von dem ihr alle nass werdet. |
13, 1 Derhalben jr Christenliche häupter/
jr Edlen Fürsten/ nempt an euch inn disem jamer/ ein milten vnd einträchtlichen friden/ damit creütz
gegen creütz nicht fechte/ ein Christ wider den anderenn. 2 Lernet/ dieweil vns die zeyt so
grewlich ansicht/ milt/ gütig/ vnd barmhertzig zuo sein/ 3 Nempt/
behaltend vnnd schützet was eüwer ist/ vnnd was euch Gott zuo
eüwern eheren vergundt/ 4 vnnd was nicht eüwer/ so helffend doch das
selbig zuo handhaben/ zuo beschützen vnd zuo
beschyrmmen/ dem es von rechte zuoerhalten gehört/ 5 Arbayt vnnd sorg nicht ein yegklicher
(durch geytz) inn seinen sack/ 6 dann der geyst begert nicht vil
weltlicher eer vnnd güter/ aber der leib das widerspil. 7 Stelle ein yeder sein Termin
heut zuo sterbenn/ verhoffe nicht vberige tag/ 8 so lauffen
on allen zweyfel sein sach zuo gnädigem ende/ 9 Dann die axt ist yetz an die wurtzel
gesetzt/ vnnd dem holtzhawer befolhen den baum zuo fellen/ 10
Darumb gebe kayner dem andern vrsach zuo kämpffen/ 11 Dann so jr euch auffrürisch gegen
einander länenn werdet/ so sicht es etwann ein frembder/ der <007-r> tregt darob gefallen/ vnd lacht jm sein
hertz/ sucht zeyt/ vrsach vnd gelegenhayt vber euch alle zuo
kommen/ 12 Des muoß ich euch
ein exempel oder beyspil sagen. |
13, 1 Deshalb, ihr Häupter der
Christenheit, ihr edlen Fürsten, nehmt in diesem Jammer eine milde und
einträchtige Friedensgesinnung an, damit nicht Kreuz gegen Kreuz kämpft,
nicht ein Christ gegen den anderen. 2 Lernt, weil uns die Zeit so
grimmig anschaut, mild, gütig und barmherzig zu sein. 3 Nehmt,
behaltet und schützt, was euch gehört und was euch Gott zu eurer Ehre
schenkt. 4 Und helft doch das, was euch nicht gehört, recht zu
gebrauchen, zu beschützen und beschirmen für den, dem man es zurecht erhalten muss. 5 Es soll nicht jeder aus
Habgier in seinen Sack arbeiten und für ihn sorgen. 6 Denn der Geist
begehrt im Unterschied zum Leib, seinem Gegenspieler, nicht viel an
weltlichen Ehren und Gütern. 7 Jeder soll sein Lebensende am
heutigen Tag annehmen und auf keine weiteren Tage hoffen. 8 Dann nehmen
zweifelsohne alle Dinge ein gutes Ende. 9 Denn die Axt ist jetzt an
die Wurzel gesetzt und dem Holzhauer befohlen, den Baum zu fällen. 10
Darum soll keiner dem anderen Grund zum Kämpfen geben. 11 Denn wenn
ihr euch rebellisch gegeneinander stellt, sieht es vielleicht ein Fremder, es
gefällt ihm und er freut sich von Herzen, er sucht Zeit, Ursache und
Gelegenheit, um euch alle anzugreifen. 12 Davon möchte ich euch ein
Beispiel oder Exempel erzählen. |
Es folgt dann eine Fabel von Frosch und Maus, die, weil sie gegeneinander um die Macht kämpfen, gemeinsam vom Storch gefressen werden.
Carion sieht sich hier deutlich in der Rolle eines alttestamentlichen Propheten, oder noch besser: in der Rolle des Sprachrohrs eines solchen, hier ausdrücklich Habakuks; aber auch die 70 Wochen Daniels (die ja auch in der Chronik eine wichtige Rolle spielen) werden in der Parallele als für die eigene Zeit gültig angesehen: der Zerstörung Jerusalems, die auch eintrat, entspricht jetzt der Untergang des christlichen Abendlandes und damit der Welt. Und Adressaten seiner Botschaft sind sämtliche christlichen Würdenträger, die sich ihrer Gemeinsamkeit bewusst werden sollen, um der großen, realen Gefahr zu begegnen.
Carion, der schmuddelige Astrologe? Es zeigt sich doch eine Person, die mit großem Ernst den von ihr gesehenen bevorstehenden Gefahren begegnen will, der den konfessionellen Glaubenskampf für schädlich ansieht, weil für ihn die Existenz der Welt dadurch bedroht ist.
Dass durch die Reformation und die Schwächung des Deutschen Reiches keine globale Krise entstand, das wissen wir heute, 2013; sind wir aber deshalb berechtigt, die Sorgen eines wachen Menschen von 1530 als unbedeutend abzutun?
Oben gab es ja schon die Aufbereitung der Fakten; jetzt möchte ich die Fakten durch einige Vermutungen anreichern, um zu zeigen, wie Carions Leben mit der Chronik ausgesehen haben könnte.
Geboren wurde der kleine Hans Negelin in Bietigheim, das 1499 schon über 100 Jahre Stadt und derzeit wohl gerade am Wachsen war, denn der achtjährige Hans konnte den Neubau des Rathauses miterleben. Schon beim kleinen Bürschchen war jemandem sein wacher Geist aufgefallen, weswegen ihn seine Eltern auch zur Lateinschule im Ort gaben. Offensichtlich enttäuschte er die Erwartungen nicht, denn am 21. April 1514 wurde er in Tübingen immatrikuliert.
Jetzt begann ein neuer Lebensabschnitt fern von den Eltern und den Bietigheimer Kameraden. Der junge, inzwischen schon gewaltig gewachsene Hans zog in die Burse ein, empfangen vom 17-jährigen Konventor Philipp Schwarzert, der vor zwei Monaten seinen Magister erworben hatte, aber schon mit zwölf Jahren von seinem Großonkel Johannes Reuchlin einen griechischen Ehrennamen, nämlich "Melanchthon", erhalten hatte. Philipp war zwei Jahre älter als Hans, aber dafür zwei Köpfe kleiner. Aber er war ein As in Griechisch; sein Spleen war, jedem Neuankömmling gleich einen passenden griechischen Namen zu verpassen, und das war bei einem "Nägele" natürlich "Karyophyllus". Klang gut, war aber entsetzlich lang, weswegen die Bursenkameraden ihn nur "Charon" nannten, nach jenem gewaltigen Fährmann in die Unterwelt.
Mit seinen Kameraden, auch seinem Konventor Philipp, war Hans ständig zusammen in der Burse, da gab es kein Ausweichen. Konventoren waren das notwendige Aufsichtspersonal in der Burse, auch eine Art Hilfslehrer im Universitätsbetrieb. Philipp unterrichtete die Neuen auch in lateinischer Literatur; das Getändel des Terenz und das Geschwätz des Tullius ging Hans auf die Nerven, bei Livius hörte er viel lieber zu, bei Arat spitzte er die Ohren, aber da wusste er dank Stöffler mindestens so gut Bescheid wie sein hiesiger Lehrer und dortiger Mitschüler, eben Philipp. Dieser ärgerte sich nur immer, wenn Hans vor sich hinzudösen schien, aber dennoch auf Philipps scharfe Lehrerfragen immer eine, meist die richtige Antwort wusste. Viel lieber saß Hans Stöffler zu Füßen; der hatte Handfestes zu bieten, nicht nur das Philologengeschwätz.
Das Schönste jener Zeit war für Hans jener Ausflug hinüber nach Ditzingen; einen ganzen Tag musste man zwar stramm marschieren, um den langen Weg zu schaffen, aber das rentierte sich. Der "Alte", immerhin war Reuchlin schon ein "Senex" von über 60 Jahren, lud immer wieder junge Studenten zu sich ein. Diesmal war im Gefolge seines Großneffen Philipp auch das Provinzbürschchen Hans Nägele, der ihm auch in Tübingen wegen seiner Fragen zur Geschichte immer wieder aufgefallen war. Dort in froher Runde vergnügte sich das Jungvolk in Reuchlins Garten mit Most und dem immer leckeren Schmalzbrot. Nur Hans hatte mit großen, staunenden Augen die Bibliothek betreten, in der der große Reuchlin sie sogar lesen ließ; da konnte Hans - welche Freude! - sogar in der neu erschienenen Nauclerus-Chronik lesen, von der Philipp schon manches Mal geschwärmt hatte. Für so einen Ersatz verzichtete er doch glatt auf das fällige Schmalzbrot.
1518 trennten sich die Wege. Philipp zog nach Wittenberg, Hans hatte durch Empfehlung Stöfflers eine Stelle als Hofmathematicus in Berlin in Aussicht. Wieder eine neue, aber eine ganz andere Welt, in die sich Hans hineinfinden musste; keiner seiner Bekannten kam mit. Die akademische Einsamkeit blieb auch sein Los in Berlin. Kurfürst Joachim hatte seinem künftigen Hofbeamten schon mitteilen lassen, was er in Berlin in Angriff nehmen sollte; so konnte sich Hans beim alten Lehrer Stöffler noch Anregungen für die "Practica für 1519", sein erstes Kalenderwerk, besorgen. Joachim war ein angenehmer Arbeitgeber; er nahm an des Johannes Wirken lebhaften Anteil, ließ ihn auch bereitwillig in seiner Bibliothek forschen, wo Hans nicht nur astrologische Fachliteratur, sondern auch Chroniken fand. Schedel war schon hier, auf die lebhafte Empfehlung seines Mathematicus erwarb Joachim auch ein Exemplar der Nauclerus-Chronik, in die er sich auch gerne vertiefte und über die er mit seinem Hofbeamten oft diskutierte.
Störend in Berlin war, dass da noch ein zweiter "Johannes Nägelein" da war, immer verwechselte man ihn, den jungen Mathematicus mit seinem Namensdoppel, er wurde auch immer gefragt, wie er denn mit jenem Alten verwandt sei. Da erinnerte er sich an seinen alten Spitznamen; "Charon" wollte er aber nicht sein, dann doch lieber "Carion", da konnte er immer das vertraute "Capnion", Reuchlins Pseudonym, mithören.
Die zwanziger Jahre verstrichen, Melanchthon war des großen Reformators rechte Hand in Wittenberg und unser Johannes Carion zur Autorität in astrologischen Fragen geworden, damals noch eine ernst genommene Wissenschaft. Durch sie hatte er 1527 sogar Kontakt zu Herzog Albrecht in Königberg aufnehmen können, wodurch sich eine zweite, willkommene Einnahmequelle ergab.
In all den Jahren hatte sich Carion immer wieder, sooft er Muße hatte, mit den historischen Schriften befasst. Denn davon hatte Reuchlin öfters geschwärmt, man brauche eine deutsche Kurzfassung der vielen, unendlich langen Chroniken. Dieser Gedanke hatte Carion eingeleuchtet, und so saß er oft des Abends beim Kerzenschein, wenn ihn nicht wieder irgendeine Festivität des Kurfürsten abhielt und er dort fressen und saufen musste, wie manches Mal in Halle geschehen.
1531 war er endlich mit seiner Chronik fertig; er hatte auch den Druck bei Georg Rau schon anvisiert. Aber es sollte vorher jemand Sachkundiges sein Opus begutachten und die Fehler ausmärzen. So schickte er also sein Manuskript an seinen alten Schulfreund, seinen damaligen Tübinger Konventor Philipp Schwarzert. Doch der war mit den Problemen der neuen Lehre Luthers schwer beschäftigt, hatte selbst auch dieses und jenes Leiden, war jedenfalls überhaupt nicht begeistert, als er mit den vielen Blättern Carions überfallen wurde. Und da hatte Carion doch das gemacht, was er selbst so gerne gemacht hätte, aber neben all den anderen Verpflichtungen nie geschafft hätte! Die erste Reaktion war entsprechend ungehalten; gegenüber Camerarius machte er seinen Gefühlen Luft. Aber eigentlich reizte ihn die Unternehmung; er musste halt dafür sorgen, dass Carions Fleißarbeit durch den richtigen theoretischen Überbau ins richtige Geleis kam. Ohne "Dictum Eliae" konnte heutzutage doch kein Geschichtswerk erscheinen, das auf sich hielt! Und die paar Stellen, ausreichend um den Lesern das "Dictum" bekannt zu machen, brachte er ja auch noch gut unter, und die verstreuten Jahreszahlen des Carion musste man natürlich in eine übersichtliche Tabelle packen; auch das ging gut. Wenn schon Tabelle, dann auch gleich noch die Genealogie des Alexander, damit auch alle Welt klar sehen konnte, dass Alexander der Nachkomme jenes einzigen, jedem richtigen Humanisten wohl bekannten Hercules ist. Ach ja, und die Franken, die lassen sich noch gut bei deren Beziehungen zu den Römern einschieben, die Carion schon bei Karl dem Großen geboten hatte.
Zu mehr reichte es nicht für den ersten Druck, aber es war ja schon an einen zweiten gedacht. Mit etwas mehr Zeit konnten Carion und Melanchthon dann den zweiten Druck besprechen; ein paar Kapitel des ursprünglichen Werkes sollte man noch etwas auf Vordermann bringen, wenn auch der Löwenanteil, sozusagen der "Wald", durchaus annehmbar war.
Und jetzt, im September 1532, zeigte sich doch tatsächlich der Komet schon wieder. Der musste natürlich in das Ende der Chronik hinein und natürlich die Hühnchen des Joachim, zu denen Georg Sabinus schon ein tolles Gedicht komponiert hatte, die passen doch gut zu den aktuellen Weissagungen unserer Tage. Toll, wie aktuell doch unsere Chronik geworden ist! Klar, das Wichtigste dazu, die Disposition des "Dictums", die stammt natürlich von mir, Philipp Melanchthon!
Tatsächlich verkaufte sich die Chronik prächtig. Nur, für den Weltmarkt taugte sie als deutsches Opus gar nicht. Was tun? Aber da hat doch gerade Hermann Bonnus eine Lateingrammatik geschrieben; für den muss doch die Übersetzung ein Klacks sein! Bonnus war nicht abgeneigt, übersetzte trotz des unruhigen Umfelds in Lübeck des Carion Chronik, hielt sich sogar an dessen Wortlaut. Ja, nicht einmal die Jahreszahlen in der Tabula annorum passte er an, so sehr hielt er sich an Carions Vorgabe. Melanchthon traute Carion nicht mehr so recht, hatte er doch gehört, dass sich der in seinem Umfeld damit brüstete, der eigentliche Verfasser der Chronik zu sein. So musste Carion zwar auf ein entsprechendes Vorwort verzichten, das ihm vielleicht noch ein paar mehr Käufer gebracht hätte, aber das musste man halt in Kauf nehmen. Vorsichtshalber erzählte Carion, als er nach Württemberg reisen wollte, in Wittenberg nichts davon, dass er vor allem nach Hall zu Peter Braubach wollte, um dort den Druck von Bonnus' Übersetzung etwas zu überwachen. Alles schien in trockenen Tüchern – und da schlug das Schicksal erbarmungslos zu. In dringender Reise hatte Carion in Magdeburg Station gemacht, aber jetzt ereilte ihn Mors praematura, die vorzeitige Todesgöttin, vielleicht hatte er im vorausgegangenen Jahrzehnt doch zu viel gegessen – und getrunken. Schade, sein Lieblingskind, seine Chronik, hätte er gerne selbst gepflegt, aber jetzt war es als Waise in fremden Händen.
Erstens:
Man sollte zwei Dinge endlich als das ansehen, was sie sind:
Das Peucer-Märchen ist eine überzogene Schmeichelei Peucers an seinen Schwiegervater.
Die Carion-Chronik ist die Carion-Chronik.
Und zweitens:
Im Kapitel 4,21 bespricht Carion die Philosophen Griechenlands, zu denen er auch Hippokrates zählt. Seine Behandlung schließt er mit folgenden Worten ab:
10 Dergleichen hat er viel natürliche
wunderwerck gethan/
11 Auff seinem grab sind lang zeit
binen gewesen/ 12 vnd wenn man die krancken mit dem selbigen honig
bestrichen hat/ sind sie gesund worden.
Ein Geschichtsschreiber,
der bei der Kompilation des großen Weltgeschehens aus umfangreichen Chroniken
für diese Anekdote in seiner Kurzfassung Platz findet, hat (meine) Hochachtung
verdient.
Im "Textanhang" befinden sich die wichtigen Briefe
in ihrer Gesamtlänge, damit erkennbar wird, welchen Stellenwert die
herangezogenen Aussagen im jeweiligen Brief haben. Für Melanchthon zitiere ich
hier aus dem CR; diese Fassungen sind ja auch über weite Strecken Grundlage der
Argumentation früherer Forscher. Die
Übersetzungen stammen von mir außer beim Melanchthon-Brief an Carion, wo sich
Warburgs Übersetzung findet; kapitelweise schließen sich an die Übersetzung die
Zusammenfassungen aus den Regesten an.
Die genauen Stellenangaben der Chronik, etwa "7,53,13", stammen aus meiner Ausgabe, deren Zählung auch hier im Textanhang übernommen ist, da es sich hier um Kopien aus dem "Arbeitstext der Chronik" handelt.
Diese Kopien habe
ich nicht bereinigt, d. h. in spitzen Klammern stehen immer noch die
Foliennumerierungen meiner Textquellen.
Roemers
Zeitungsartikel habe ich hier auch aufgenommen, da er sonst schwer zugänglich
ist.
In allen Zitaten
stammt der Dickdruck immer von mir;
eigene Zutaten stehen immer in spitzen <> Klammern.
Ioannis Reuchlin Phorcensis LL. Doctoris in
Ioannis Naucleri Chronicam praefatio.
1,1 VELLEM alter aliquis ex eloquentioribus me Germaniae
preconibus, quorum nonnulla copia est, tam praeclari & tam digni huius
monumenti rite commendandi vicem suscepisset. |
1,1 Oh, hätte doch irgendein anderer
Lobredner Deutschlands, redegewandter als ich, von denen es doch einige gibt,
die Rolle übernommen, dieses so prächtige und so würdige Denkmal recht zu preisen! |
1,2 Qui certe opus hoc pro excellenti
honore, quem meretur, amplificaret ornatius ac multo liberius quidem, ne me alioquin exiguum in dicendo, ut per aetatem
modo frigidum, si quid debitae laudis quantumvis leviter proposuero, comitetur haec una suspicio affectionis, quod ipse quondam ego mox
atque cathedram Iurisconsultorum adeptus
eram, ab annalium istorum autore Nauclero, ian tum moderatore summo
gymnasii Tubingensis, tanquam imminentis vitae meae remige, ad usum forensem
& ad populares iurgiorum quaestiones sua ipsius opera non absque nullo
quandoque impendii sui auxilio fuerim instructus. |
1,2 Dieser würde sicherlich dieses
Werk entsprechend der verdienten hervorragenden Ehre gekonnter und viel unbefangener
preisen, damit nicht mich, einen normalerweise unbedeutenden, wegen meines
Alters sogar schon unterkühlten Redner, dieser eine Verdacht der
Voreingenommenheit begleitet, wenn ich geschuldetes Lob ganz leichthin
vorbringe; denn ich selbst bin einst, sobald ich das Katheder der
Rechtsgelehrten erhalten hatte, vom Autor dieser Annalen, von Nauclerus,
gerade damals Vorsteher des höchsten Tübinger Gymnasiums, gleichsam vom
Steuermann meines bevorstehenden Lebens, in die Gerichtspraxis und die üblichen
Prozessverhöre durch seiner Bemühung und gewaltige finanzielle Unterstützung
eingewiesen worden. |
1,3 Verendum itaque mihi est, certe scio, ne qui me ob illam caussam putent
iniquiorem fore praesentis libri existimatorem. 4 Sed invidis hic fortasse calumniae
locus tantum, & in veritatem caecutientibus relinquetur. 5 Equidem quantum animo viri
magnitudinem comprehendere possum, qua fuerit in fruenda amicitia nostra
comitate, ac deinde qua vir bonus autoritate praestiterit, & pulcherrima
de illius laudibus & quam modestissime non possum non dicere. 6 Hoc agit Naucleri maiestas, illud
humanitas. 7 Nam qui velit in eo viro, ceu
quandam virtutum summam, reipublicae tuendae studium contemplari, gravioribus
hoc multo exemplis aget, quam extent, quae vel de Iove aliquo vel Hercule
fabulosa vetustas prodidit. |
1,3 Ich weiß genau, ich muss also
befürchten, dass mich manche Leute deshalb für einen ziemlich parteiischen
Beurteiler des vorliegenden Buches halten. 4 Aber nur Missgünstige und für die Wahrheit
Blinde finden hier vielleicht einen Platz zu einer falschen Beschuldigung. 5 Soweit ich aber die Größe des
Mannes erfassen kann - wie freundlich war er im Genuss unserer Freundschaft,
und dann, durch welche Autorität zeichnete er, der tüchtige Mann, sich aus -
da kann ich nur Schönstes und das möglichst maßvoll über seine Ruhmestaten
sagen. 6 Das eine ist Sache seiner
Seelengröße, das andere seiner humanen Haltung. 7 Denn wer bei diesem Mann sozusagen
als Gipfel seiner Tugenden seinen Eifer beim Schutz des Staates betrachten
will, der wird das mit viel bedeutenderen Beispielen tun, als die sind, die
ein mythenverliebtes Altertum für einen Jupiter oder Herakles hervorgebracht
hat. |
1,8 Hic Ioannes est, qui veterem Nauclerorum familiam
apud Suevos publicis patriae commodis & publica gloria illustravit. 9 Unde post tot Nauclerorum, qui huic
autori veluti parenti primas gloriae debent, ex merito virtus enituit. 10 Atque illud quidem quantum videri
possit, & nos paulo post admonebimus, & multa vir bonus amansque
virtutis ipse suopte ingenio cognoscet. 11 Modo de iis dicemus, in quibus
solum illius nomen, sola illius autoritas (laudem enim posteris comunem
fecit) spectatur. 12 Quantum videlicet suo ipsius
ingenio suaque arte, quam laudabili literaturae genere, cum universae
Germaniae, tum praecipue literatis voluerit prodesse. |
1,8 Dieser Johannes hat das Ansehen
der alten Naucler-Familie bei den Schwaben durch öffentlichen Nutzen fürs
Vaterland und öffentlichen Ruhm vergrößert. 9 Daher erstrahlte nach so vielen
Nauclern, die diesem Autor wie einem Vater den ersten Ruhmesplatz schulden,
zu Recht die Tugend. 10 Und wie groß jener Umstand
erscheinen kann, werden wir in Kürze in Erinnerung rufen, und viel wird ein
tüchtiger und tugendliebender Mann selbst durch seine eigene Intelligenz
erfahren. 11 Wir werden nur von den Dingen
reden, in denen man allein seinen Namen, allein sein Ansehen sieht; denn
seinen Ruhm hat er der Nachwelt schon mitgeteilt. 12 <Thema ist also,> in welchem
Ausmaß er mit seiner Intelligenz und seinem Können, mit welch löblicher Art
von Literatur er ganz Deutschland, dann vor allem den Wissenschaftlern nützen
wollte. |
2,1 Historiam Chronicam, hoc est temporum descriptiones, a condito
mundo in annum restitutae salutis MILLESIMUM & QUINGENTESIMUM aemulatione
veterum digessit: opus ipso genere admirabile &
suo autoris nomine venerandum. |
2,1 Eine Geschichtschronik, d. h.
Beschreibungen der Zeiten, hat er vom Anfang der Welt bis zum Jahr des
wiedergewonnenen Heils 1500 in Nachahmung der Alten dargestellt: ein Werk,
wegen seiner Gattung schon bewundernswert, aber wegen des Namens seines
Autors ehrwürdig. |
2,2 Etenim quando de argumento
dicendum est, nulla plane vitae pars,
neque publicis, neque privatis, neque forensibus, neque domesticis in rebus,
neque si tecum agas quid, neque si cum altero contrahas, <Zitat von Cicero, de off I,4> magistra historia potest non uti. 3 Age, quae principum, quae civium,
quae cuius aetatis caussae non hac complexae, quasi ante oculos dispiciuntur.
4 Quae vero pars in studiis literarum
consummata, si negligas historiam, & istos quidem doctorum peculiares sugcronismouV, id est
temporum collationes. 5 Rursum: quoties exemplo futuros
illa casus expendit? 6 Quare, qui dicant civilis prudentiae
partem, qui humanae vitae imaginem, viri sunt non pauci. |
2,2 Da man nämlich vom Inhalt sprechen
muss: überhaupt kein Teil des Lebens, öffentlich oder privat, weder bei
gerichtlichen noch häuslichen Angelegenheiten, weder wenn du bei dir etwas bedenkst
oder mit einem anderen ein Geschäft tätigst, kann ohne Geschichte als
Lehrerin auskommen. 3 Schau, welche Probleme von
Fürsten, von Bürgern, von jedem Alter werden nicht von ihr erfasst und werden
gleichsam vor unseren Augen untersucht! 4 Welcher Teil im
Wissenschaftsbetrieb ist vollkommen, wenn man die Geschichte und diese
speziellen Synchronismen der Gelehrten, d. h. den Vergleich der Zeiten,
vernachlässigt? 5 Wie oft wiederum überprüft jene künftige Fälle am Beispiel? 6 Deshalb gibt es nicht wenige
Männer, die sie Teil bürgerlicher Klugheit und Bild menschlichen Lebens
nennen. |
2,7 Sic ad virtutem hominum animos
excitat, sic ad honorem, ad immortalitatis opinionem inflammat, ut quam
rectissime quondam Zeno Citiensis, qui, foelix quis fieri posset, rogatus,
dixisse videatur, ei sugcrwtizoito
toiV nekroiV, si in mortuos intendat, hoc est,
si maiorum gesta, si veterum monumenta contueatur. 8 & ille quidem egregie. |
2,7 So fordert sie Menschen zur Tugend
auf, so begeistert sie zur Ehre und zum Ruf der Unsterblichkeit, dass
anscheinend Zenon von Kition einst ganz richtig gesagt hat, als er gefragt
wurde, wer glücklich werden könne: wer sich den Toten gleich einfärbt, d. h.
wenn er sich den Toten zuwendet, will heißen, wenn er die Taten der Vorfahren
und die Denkmäler der Alten schützt. 8 Das sagte jener auf hervorragende
Weise. |
2,9 Vidit hoc - opinor - prudens
antiquitas, quae vitae usum ac modum posteris tradens, probam reliquit eorum,
quae gessit, ipsa rationem, sed vario cuiusque gentis & aetatis ritu. |
2,9 Das sah, glaube ich, das kluge
Altertum, das der Nachwelt maßvolle Lebenspraxis weitergab und dabei eine
brauchbare Liste seiner Taten überließ, aber nach unterschiedlicher Art eines
jeden Volkes und einer jeden Epoche. |
3,1 Nam ut a vetustissimis omnino hominum moribus exordiar, post illam universi orbis inundationem, anteaquam publicus esset
literarum usus (nullas enim plane fuisse notas haud dixerim) ut necessaria,
ita diligens fuit memoriae cura. 2 Eam partim nuper extructarum
urbium nominibus, partim positis alicubi tropaeis insignibus, principio
sanxere mortales. 3 Exemplum e divinis Hebraeorum
literis longe gravissimum petetur, nam & primae sunt & ordine rem
perpetuo continent, 4 illae testantur Babel urbem
propagandae ad posteros famae post aquas conditam esse, 5 siquidem de iis diximus, quae
diluvium secuta sunt, tametsi quae praecessere, non carent exemplis. |
3,1 Um nämlich bei den überhaupt
ältesten Sitten der Menschheit anzufangen: nach jener Überschwemmung des
ganzen Erdkreises wurde, bevor man allgemein Buchstaben gebrauchte (ich will
nicht behaupten, es habe gar keine Zeichen gegeben), die Sorge für die
Erinnerung ebenso sorgfältig betrieben, wie sie notwendig war. 2 Dieses Erinnern verankerten die
Menschen anfangs teils in den Namen neulich erbauter Städte, teils in
irgendwo aufgestellten besonderen Siegeszeichen. 3 Das bei weitem beste Beispiel wird
man in den göttlichen Schriften der Hebräer suchen, denn sie sind die ersten
und enthalten ordentlich den vollständigen Sachzusammenhang; 4 jene bezeugen, dass die Stadt
Babel nach der Sintflut gegründet wurde um Ruhm bei der Nachwelt zu
verbreiten; 5 wir sprechen ja über das, was der
Sintflut folgte, wenn auch die Zeit davor Beispiele hatte. |
3,6 Quale vero illud esse putatis
monumentum, cuius toties in Genesi mundi fit mentio, <zwei hebräische
Wörter: Beer seba> puteum iuramenti vocant. Abrahae tropeum, ab Isaac
restitutum, arisque dedicatum, frequentia Iacob celebre. 7 Adderem e sacris libris eiuscemodi
non pauca, nisi & in promptu essent, & aliud memoriae genus idque
praestantissimum a Iudaeis mox receptum haberetur. Literae Mosaicae. |
3,6 Was für ein Denkmal aber, glaubt ihr,
ist jenes, das so oft im Buch Genesis erwähnt wird, "Beer seba"
nennt man es, Eid-Brunnen: Abrahams Siegeszeichen, von Isaak
wiederhergestellt, durch Altäre geweiht, berühmt durch Jakobs häufigen
Besuch. 7 Ich könnte aus den heiligen
Büchern einiges dieser Art hinzufügen, wenn es nicht offenkundig wäre und
nicht eine andere Art von Erinnerung, und zwar die vorzüglichste, bald im
Besitz der Juden gehalten würde: die Schriften des Moses. |
3,8 Neque enim disputo nunc, qua cura
interim servata cuiusque familiae natio, quo primum modo fines Iudaei suos in
aegypto ab hospitibus discreverint, quanquam ab instituto fortasse nostro non
aliena. 9 Sed de publicis literarum monumentis agetur. 10 Eusebius, Caesariensis episcopus, vir diligens, Moysen asserit
autorem edendis Iudaeorum literis, cum privatae fuissent hactenus paucorum,
id quod ipsi magnis testibus confirmant. 11 Deserta enim aegypti servitute, in
itinere, & genealogian maiorum digessit, & legem divinitus datam
perpetuis literis consecravit. 12 Custodes legis, praeter reliquos
magistratus LXX seniores designavit, quibus peculiariter eruditis dei oracula
credita sunt. 13 Atque iste quidem ordo, mirum,
quam sancte genti sit usque in ultimam pene captivitatem observatus, 14 illis divina & humana iura
omnia, mores publici privatique curae erant. 15 Quin omnis etiam antiquitatis cognitio, sive ea ad Iudaeos sive ad exteros pertineret, apud illos fuit integra. 16 His sese, ut videre licet, iure
suo debet historica veritas, quod & <zwei hebräische Wörter: Seder
Olam> probat, & nos cum alias multis, tum in Pythagoricis nostris
copiose disseremus & paucioribus nunc diximus, absque ambitione tantum
admonentes, scientiam antiquitatis ab
hebraeis petendam esse. 17 Id inter primos Iustinus martyr
& philosophus iubet, ita illorum bibliothecis favet, quas ita nos
conservandas probe censuimus. |
3,8 Ich spreche nämlich jetzt nicht
davon, mit welcher Sorgfalt manchmal die Abstammung einer jeden Familie
festgehalten wurde oder wie anfangs die Juden ihr
Gebiet in Ägypten von den Gastfreunden abtrennten, wenn es auch vielleicht zu
unserem Vorhaben passen würde. 9 Es geht hier aber um öffentliche
Schriftzeugnisse. 10 Eusebius, der
Bischof von Caesarea, ein sorgfältiger Mann, bezeichnet Moses als Autor der
jüdischen Schriften, wobei es bis dahin von einigen wenigen Privatschriften
gab, was sie auch selbst mittels wichtiger Zeugen bekräftigen. 11 Denn nachdem man die ägyptische
Knechtschaft verlassen hatte, ordnete er unterwegs die Genealogie der Vorfahren
und machte das gottgegebene Gesetz durch dauerhafte Schrift unantastbar. 12 Zu Gesetzeshütern bestimmte er
außer den übrigen Beamten 70 Alte, denen nach besonderer Ausbildung Gottes
Sprüche anvertraut wurden. 13 Und es ist wunderbar, wie heilig
diese Ordnung vom Volk bis fast ans Ende der Gefangenschaft geachtet wurde, 14 jenen lagen göttliches und alles
menschliche Recht, öffentliche und private Sitten am Herzen. 15 Ja, es war auch das gesamte Wissen
des Altertums, ob es nun die Juden oder die Nichtjuden betraf, ungeschmälert
in ihrem Besitz. 16 Wie man sehen kann, verdankt
diesen die historische Wahrheit mit vollem Recht ihre Existenz, was
einerseits <zwei hebräische Wörter: Seder Olam> bestätigt, wir
andererseits an anderen Orten öfters, vor allem aber in unserem
pythagoreischen Buch umfassend darlegen wollen und kürzer jetzt gesagt haben,
ohne besondere Absicht nur daran erinnernd, dass man das Wissen des Altertums
bei den Juden suchen müsse. 17 Diesen Auftrag gibt unter den
Ersten der Märtyrer und Philosoph Justinus; deshalb sind ihm ihre
Bibliotheken wertvoll, die man so nach unserer Meinung richtig bewahren muss. |
4,1 Nondum erat reliquis gentibus literarum usus proditus, cum Iudaei iam suis quasi
divino munere fruerentur, publicas tabulas reverenter spectarent,
historiam noctes diesque legerent. |
4,1 Den restlichen Völkern war noch
kein Gebrauch von Schrift eröffnet, als die Juden sie schon gleichsam als
göttliches Geschenk genossen, voller Achtung die öffentlichen Tafeln
betrachteten und bei Tag und Nacht Geschichte lasen. |
4,2 Sed apud aegyptios in sacris quaedam solum memoriae signa visebantur,
shmeia ieroglufa, serpens, palma, hierax, cynocephalus, leo, ibis, rana, & reliqua observationum
simulachra, quae putarunt exteri pro diis coli. 3 Caeterum statuas alias tum positas
diis negant, longoque tempore par aiguptioisi
axoanoi naoi fuisse feruntur. 4 Paulatim & ipsi literas
acceperunt, & Graeciae nomen cognitum est. |
4,2 Aber bei den Ägyptern besah man im
Kult bestimmte Zeichen nur zur Erinnerung, hieroglyphische Zeichen, Schlange,
Handfläche, Falke, Hundskopf, Löwe, Ibis, Frosch und weitere Bilder von
Beobachtungen, von denen die Fremden glaubten, sie würden als Götter verehrt. 3 Übrigens leugnen sie, dass damals
andere Statuen für die Götter errichtet worden seien, und lange Zeit soll es
bei den Ägyptern Tempel ohne geschnitzte Bildwerke gegeben haben. 4 Allmählich nahmen auch sie die
Schrift an und wurde der Name Griechenlands bekannt. |
5,1 Nam a Mosis aetate usque ad
excidium Troiae, annis pene trecentis, vario imperio, variis bellis a Graecis certatum est. 2 Fuere Thebae, Argos, Sparta,
Mycenae, Athenae, Creta. 3 Sed quae fuerit illis seculis literarum
ratio, non constat. 4 Neque vero negarim ego ingenii
cultum, at simpliciorem quam posterae fuerit aetati, ut & reliqua tum
erant germana, magis magisque graeca. 5 Quippe cum nondum essent adeo
multa commercia, materies luxus, nondum ea vis auri & argenti in publicis
privatisve locis spectabantur, Athenaeo autore. |
5,1 Denn von der Zeit des Moses bis
zum Untergang Trojas, fast 300 Jahre lang, gab es bei den Griechen unter
unterschiedlicher Herrschaft verschiedene Kriege. 2 Es bestanden Theben, Argos,
Sparta, Mykene, Athen und Kreta. 3 Aber welche Art von Schrift es in
jenen Jahrhunderten gab, ist nicht bekannt. 4 Ich möchte aber ein Geistesleben
nicht bestreiten, aber es war einfacher als in späterer Zeit, wie auch der
Rest damals knospenhaft war und mehr und mehr griechisch wurde. 5 Man kannte ja, da es ja noch kaum
Handel gab, die Voraussetzung von Luxus, noch nicht diese Menge Gold und
Silber an öffentlichen und privaten Orten; so sagt es Athenäus. |
5,6 Tamen fuit memoriae cura in aedificando,
in sacris, in oraculis, in cantiunculis & illis quidem vulgaribus vel
sacris, quale scilicet hoc Bottiaearum virginum putant, iwmen eiV aqhnaV. 7 Innumera eiuscemodi apud vetustos
leguntur, quae illi a maioribus edocti non literis, sed consuetudine
recepere. |
5,6 Trotzdem gab es die Sorge für das
Erinnern beim Bauen, im Kult, in Orakeln, in kleinen Liedern, und zwar denen
des Volkes als auch im Kult, wofür sie natürlich das der bottiäischen Mädchen
halten: "Lasst uns nach Athen gehen...!" 7 Unzähliges
von der Art liest man bei den Alten, was jene von ihren Vorfahren gelernt
haben, aber nicht den Schriften, sondern ihrem Brauch entnahmen. |
5,8 Troianis temporibus cum & artes extarent & literae,
quod vel de uno Palamede iis probatur, qui graecarum rerum non sunt imperiti,
non pauca itidem memoriae genera censentur, alii honorem carminibus tribuunt,
alii tropaeis, nam ita communiter voco etiam sepulchralia. 9 Meminit Homerus poeta &
carminum saepe, & sepulchralium vel hoc Odysseae loco celeberrime, cum
Menelaus in quarto ait, ceu agamemnoni
tumbon, in asbeston kleoV eih. 10 Accesserunt poetae Orpheus,
Homerus, Hesiodus, non una aetate, quorum
antiquissimas aiunt literas graecis esse, quod videlicet ab hominum rebus
argumento deducto, sacra commenti sint primi; autor Athenagoras in legatione
ad Aurelios Caesares cum de iis inquit 11 outoi de eisin oi poihsantes qeogonikhn
ellhsi kai toisi qeoisi
taV epwnumiaV dontes kai eidea autwn shmainonteV. |
5,8 Da es zu Trojas Zeiten schon
Künste und Literatur gab, was wenigstens bei einem, dem Palamedes, von den
Kennern der griechischer Geschichte akzeptiert wird, so glauben diese
ebenfalls, dass es nicht wenige Formen des Erinnerns gab; manche weisen diese
Ehre den Liedern zu, andere den Siegeszeichen, denn so nenne ich im
allgemeinen auch die Grabmäler. 9 Der Dichter Homer denkt oft an
Lieder und Grabmäler; am bekanntesten ist dabei jene Stelle der Odyssee, in
der Menelaos im 4. Buch sagt: "Aufgetürmt habe ich für Agamemnon das
Grab, damit sein Ruhm unvergessen bleibt!" 10 Dazu kamen - nicht zur gleichen
Zeit - die Dichter Orpheus, Homer, Hesiod, deren Schriften die Griechen
angeblich als älteste haben, weil sie als erste Heiliges erdichtet haben,
wobei sie natürlich von der Menschheitsgeschichte den Beweis ableiteten, wie
der Autor Athenagoras in seiner Bittschrift an die Kaiser des Namens Aurelius
<Mark Aurel und Commodus> über sie sagt: 11 "Diese sind die, die den Griechen
eine Theogonie erschaffen und den Göttern Namen gegeben und ihre Bilder
bezeichnet haben." |
<Athenagoras,
Legatio pro Christianis 17:
"Orpheus, Homer und Hesiod sind es, die das, was sie Götter nennen, in
Genealogien eingeteilt und mit Namen bezeichnet haben. Dies bezeugt auch Herodot: ,,Hesiod und Homer sind nach meiner
Schätzung vierhundert Jahre älter als ich, nicht mehr; sie sind es, die den
Griechen eine Theogonie gegeben haben, indem sie die Götter mit Namen
benannten, Ehren und Künste an sie verteilten und ihre Gestalten
beschrieben." Athenagoras zitiert also Herodot 2,53> |
|
5,12 Placuit poema, & Rhapsodorum
studio servatum est, honos ei certe habitus, cum audiretur; ut audiretur,
ambitio nulla, 13 quando adhuc suis quaeque Graeciae
pars bonis contenta, fuit intra suos penates clara, ipsique inter se cives
tantum aemulatione virtutis certarunt, non cum exteris, 14 quale aliquid de Lacedaemonibus & Cretensibus, nisi male
memini, in Protagora Platonis ait Socrates. |
5,12 Das Gedicht gefiel, und durch den
Eifer der Rhapsoden blieb es erhalten, und Ehre wurde ihm sicherlich
erwiesen, als man es hörte; dass es gehört wurde, gab es keinen Ehrgeiz, 13 da bislang jeder Teil
Griechenlands mit seinem Besitz zufrieden war; man kannte sich im eigenen
Bereich, nur Mitbürger stritten miteinander im Wettkampf um Tugend, nicht mit
Ausländern; 14 so etwas sagt, wenn
ich mich nicht falsch erinnere, Sokrates in Platons "Protagoras"
über Spartaner und Kreter. |
5,15 Erant tum sui civitatibus
Magistratus, quibus non tam, quae publice agebantur, quam quae privatis
familiis accidebant, memoria digna censebantur. 16 At posteaquam ad studia literarum
publicus honos accessit, illique dilaudabantur in Graecia septem viri, quos
sapientes nominabant, excepti sunt poetae, & illi quidem Tragici, quibus,
quidquid est veteris historiae Graecorum, inde tribuitur. 17 Et Tragoediam, cum de gestarum
rerum memoria probaretur, secuti Sophistae Rhetoresve seu, logodaidaloi, qui res populi
mandarunt commentariis, dicti ex eo suggrafeiV. 18 (Nec ignoro, quae fuerit alioqui twn suggrafewn apud
Athenienses autoritas.) |
5,15 Damals hatten die Städte ihre
eigenen Beamten, denen weniger das, was in der Öffentlichkeit geschah, als
das, was den privaten Familien zustieß, erinnerungswürdig erschien. 16 Und als Literatur mit öffentlicher
Ehrung verbunden wurde und in Griechenland jene sieben Männer überaus gelobt
wurden, die man "die Weisen" nannte, wurden die Dichter akzeptiert,
und zwar jene Tragiker, denen man von da an die ganze alte Geschichte der
Griechen zuschreibt. 17 Und als die Tragödie bezüglich der
Erinnerung an die Geschichte Anklang gefunden hatte, folgten ihr die
Sophisten und die Rhetoriker bzw. die "Wortkünstler", die die
Nationalgeschichte ihren Exzerpten anvertrauten, wonach sie
"Geschichtsschreiber" hießen. 18 (Ich weiß genau, welche Autorität
die Geschichtsschreiber sonst bei den Athenern hatten.) |
5,19 Sed ex his, qui ediderunt
historiam, primi ligato sermonis genere usi sunt, ut Aristeas Proeconnesius
inter vetustissimos. 20 Idemque mos & posterioribus
seculis a nonnullis est retentus, &si iam Hecataeus oratione soluta
legeretur, & paulo ante syngrapham, hoc est historicas conscriptiones,
quod genus quasi peculiare est, condidisset primus vel Pherecydes Syrus (nam
de Atheniensi nulla apud Porphyrium mentio) vel Cadmus Milesius, non
Agenorida ille, sed Pandionius. 21 Secuti deinde Sophistarum discipuli, qui locupletiorem historiam fecerunt, sed
confusam: Thucydides, Herodotus, Hellanicus, Pausanias Lacon, &
reliqui paulo illis iuniores, qui philosophorum temporibus claruerunt. |
5,19 Aber von denen, die Geschichte
herausgaben, gebrauchten die ersten gebundene Sprache, wie Aristeas von
Prokonnesos unter den Ältesten. 20 An diesem Brauch hielten auch in
späteren Jahrhunderten manche fest, auch wenn man schon Hekataios in Prosa
las und kurz davor als erster entweder Pherekydes aus Syros (denn den von
Athen erwähnt Porphyrius überhaupt nicht) oder der Milesier Kadmos, nicht der
Sohn des Agenor, sondern der des Pandion, die "Syngrapha", d. h.
historische Abhandlungen, was eine gleichsam besondere Gattung ist, erfunden
hatte. 21 Darauf folgten die Schüler der
Sophisten, die eine reichere, aber verworrene "Historia"
hervorbrachten: Thukydides, Herodot, Hellanikus, Pausanias, der Spartaner,
und die übrigen, die ein wenig jünger als jene waren und zu Zeiten der
Philosophen glänzten. |
5,22 Sub Philisco, Isocratis discipulo,
Timaeus, qui Olympionicas Chronica
opera composuit. 23 Apollonius, cuius libri 'Chronici' sunt inscripti. 24 Adiungerem alios, qui variam quoque
historiam eo pene tempore scripserunt: Eratosthenem, Theopompum, Philochorum,
Ephorum, Ephoriona, Timarchum, Callisthenem, Philarchum, multosque simul poluistoraV, nisi solos
requirerem Chronicos, qui fuere, sed Romanis temporibus, etiam apud Graecos
multi. |
5,22 Zur Zeit des Philiskos, des
Schülers des Isokrates, wirkte Timaios, der die Olympioniken als
Chronik-Werke behandelte. 23 Apollonios, dessen Bücher
"Chroniken" heißen. 24 Ich würde noch andere hinzufügen,
die vielfältige "Historia" fast zu dieser Zeit schrieben:
Eratosthenes, Theopompos, Philochoros, Ephoros, Ephorion, Timarchos,
Kallisthenes, Philarchos und viele, die zugleich Polyhistoren waren, wenn ich
nicht allein auf die Chronikschreiber abzielen würde, die es auch bei den
Griechen zahlreich gab, aber zu Römerzeiten. |
5,25 Caeterum qui scire volet, quae Romanis fuerit perpetuitatis cura,
genti adeo cupidae gloriae, pontificales illorum libros cogitet publicae
memoriae testes fuisse. 26 Annales hi erant, quibus, quid quoque anno esset
actum, continebatur, ut interim Diaria seu Ephemeridas taceam, plena sunt his
etiam trivia. |
5,25 Wer übrigens wissen will, welche
Sorge um Nachhaltigkeit die Römer, ein geradezu ruhmgeiles Volk, umtrieb, der
soll denken, dass deren Pontifikalbücher Zeugen des öffentlichen
Gedächtnisses waren. 26 Das waren Annalen, die die
Geschehnisse eines jeden Jahres enthielten, um von den Tagebüchern oder
Journalen zu schweigen, von denen die Gassen voll sind. |
6,1 DIXimus, qui ortus historiae, quam gentibus omnibus diligens
custodia memoriae. 2 Modo id, quantum autoritatis
historiae praestet, nemo non agnoscit, ut omnis vita, omne studiorum genus
indigeat historia, atque isthac in primis, quae certis temporum articulis rem
digestam exponit, ea est Chronica,
nolo enim putetis in omnibus esse Chronicam frugem, aut diligentiam, quae
historiae nomen habent. |
6,1 Wir haben dargestellt, welchen
Anfang die Geschichtsschreibung hatte und wie sorgfältig alle Völker das
Gedächtnis bewahrten. 2 Jeder weiß eben, welch großes
Ansehen das der Historie verleiht, dass das ganze Leben, jede Art von
wissenschaftlicher Tätigkeit die Historie braucht, und zwar vor allem eine
solche, die das Geschehen auf bestimmte Epochen verteilt darstellt, d. h.
eine Chronik; man soll nämlich nicht glauben, dass in allem der Ertrag oder
die Sorgfalt einer Chronik enthalten ist, was den Namen "Historia"
trägt. |
6,3 Hac una prodesse voluit noster IOANNES NAUCLERUS I.U. DOCTOR illustraturus & gesta & literas Germanorum, quae multos iam
annos in tenebris & situ delituerant, vir literis & fide praestans, quorum alterum sua potuit industria & principum virorum favor,
alterum, &si id quoque vere suum, quasi ex traduce accepisse videtur, a
patre Ioanne Nauclero, viro equestris ordinis, qui monumenta probitatis suae
apud Ludovicum Uracharium Comitem egregia reliquit. |
6,3 Allein mit dieser wollte unser
Johannes Nauclerus, Doktor beider Rechte, nützlich sein, als er die Taten und
Schriften der Deutschen ins rechte Licht rücken wollte, die schon viele Jahre
lang im Dunkel unter Schimmel verborgen waren, er, ein in Wissenschaft und
Verlässlichkeit hervorragender Mann, deren ersteres sein Fleiß und die Gunst
führender Männer <verschaffen> konnte, deren anderes er, auch wenn er
auch das als wirklich Seines, gleichsam aus seiner Weinranke, erhalten zu
haben scheint, von seinem Vater Johannes Nauclerus <erhielt>, einem Mann
des Ritterstandes, der hervorragende Beweise seiner Tüchtigkeit bei Graf
Ludwig von Urach hinterlassen hat. |
6,4 Verum ea filii virtus fuit, ut
auctis Comitum Urachariorum rebus, primus hic Nauclerus noster esset, cuius
honos, cuius opes iure cumularentur. 5 Ecclesiae Tubingensi Praepositus,
& universitati studiorum Tubingensium Cancellarius dictus est. 6 Tum & publicis &
familiaribus commodis PATRIAE PATER succurrens ingentia in Tubingensem
ecclesiam beneficia contulit, & fratrem suum Ludovicum, optima indole
iuvenem, optimis moribus & literis institutum, ad rem patriae provexit. 7 Is ecclesiae Stutgardiensi
Praepositus fuit, & ducatus Vuirtembergae Cancellarius. 8 Haec nimirum est vera laus
familiae, quae tanta tot viris ex virtute contigit. |
6,4 Aber die Tüchtigkeit des Sohnes
war so groß, dass nach dem Machtzuwachs der Grafen von Urach dieser unser
Nauclerus der erste war, dessen Ehre, dessen Reichtum zu Recht zunahmen. 5 Propst der Kirche von Tübingen und
Kanzler der Universität Tübingen wurde er genannt. 6 Als Pater Patriae förderte er dann
sowohl den öffentlichen als auch den familiären Nutzen und sorgte für
gewaltige Vorteile für die Kirche von Tübingen und beförderte auch seinen Bruder
Ludwig, einen bestens talentierten jungen Mann mit bestem Charakter und
bester Bildung, zum Dienst am Vaterland. 7 Der war Propst der Kirche von
Stuttgart und Kanzler des Herzogtums Württemberg. 8 Das ist wirklich echter,
gewaltiger Ruhm einer Familie, der so gewaltig, so vielen Männern wegen ihrer
Tüchtigkeit zufiel. |
6,9 Nam qua oratione praedicandi sunt
Ioannes & Georgius, qui post in nomen Nauclerorum transiere, summi viri,
e sorore Ioannis, annalium autoris, ac Ludovici, Stutgardiensis Praepositi,
geniti. 10 Iuris Doctores, Ioannes,
Geppingensis Praepositus, Georgius, ecclesiae Constantiensis Metropolitanae
Vicarius, is, cuius magnificentia volumen hoc editum est. |
6,9 Denn mit welchen Worten muss man
Johannes und Georg preisen, die später in den Namen "Nauclerus"
eingetreten sind, Spitzenmänner, Kinder der Schwester des Johannes, des
Autors der Annalen, und Ludwigs, des Propstes von Stuttgart. 10 Als Doktoren des Rechts ist
Johannes Propst von Göppingen und Georg Vikar der Metropolitankirche von
Konstanz; durch die Großzügigkeit des letzteren konnte das vorliegende Werk
erscheinen. |
6,11 Multum huic domui debent studiosi
virtutis, e qua tot exempla laudum simul accipiunt, sive ipsa familiae
lumina, optimos viros, admirantur, sive, quas noster hic Ioannes composuit,
omnis memoriae tabulas. 12 Certo scio, gratus eris, ni ipsa
sis immanitate immanior, si cognoris, si legeris, tantum in eis, puto in Chronicis operibus est frugis, ut plane nemo unquam
ad veterum studia sine illis aspirare possit. |
6,11 Viel verdanken die
Leistungswilligen diesem Hause, aus dem sie so viele Beispiele von Ruhm
erhalten, sei es, dass sie gerade die Leuchten der Familie bewundern, beste
Männer, oder alle Gedächtnistafeln, die dieser unser Johannes
zusammengestellt hat. 12 Ich weiß genau, du wirst dankbar
sein, falls du nicht schlimmer bist als die Entsetzlichkeit selbst, wenn du
merkst, wenn du liest: Solcher Ertrag steckt in den Werken, ich denke den
Chroniken, dass wirklich niemand sich jemals einem Geschichtsstudium ohne
jene annähern kann. |
6,13 Credo, ob hanc caussam dicendi
genus est neglectius, ut in promptu cuiquam sit, quod volet. 14 Nam in historico, praesertim
Chronico syngraphe, si sit eloquentia, delectat, modo non affectata, si
absit, non requirendam censeo. 15 Illa oratorum est, quibus nos
tanquam architectis ligna cum ramentis, non cortice, non visco purgata, e
denso nemore ad egregiam structuram afferimus. 16 Colenda fides est historico, adeoque ut quam absit ab ambitione
longissime, 17 & nostra certe historia, quia proba est ac fida, cognosci
vult & laudari, 18 scitis esse in veterum Graecorum
sententia, Ta arista
kallista. |
6,13 Ich glaube, deshalb wird die
Stilfrage ziemlich vernachlässigt, damit einem jeden bereitsteht, was er
will. 14 Denn wenn in einer historischen
Schrift, besonders einer Chronik, guter Stil vorhanden ist, macht der Spaß,
wenn er nicht affektiert ist, wenn er fehlt, denke ich, muss man ihn nicht
suchen. 15 Guter Stil ist Sache der Redner,
denen wir wie Baumeistern Holz mit Geäst, nicht von Rinde oder Misteln
gereinigt aus dem dichten Wald zu einem hervorragenden Bau liefern. 16 Verlässlichkeit muss ein
Historiker pflegen, so sehr, dass er möglichst weit von einem Ehrgeiz
entfernt ist, 17 und unsere
Geschichtsschreibung will sicherlich gelesen und gelobt werden, weil sie
tauglich und zuverlässig ist; 18
ihr wisst ja, es heißt in einem Spruch der alten Griechen: "Das Beste
ist das Schönste!" |
7,1 Si vero quis est ingenio tam
immodesto, ut ne dicam stupido, qui placari nolit hisce, si quid fortassis
offenderit stilus, aetati condonet, alioqui de se non male meritae. 2 Plane si cum reliquis historicis
Naucleri opus conferas, quantum fors excellunt nonnulli, & paucissimi
quidem, sermonis cultu, tamen hoc superat notandi artificio. 3 Ita sunt omnia suis divisa
temporibus, ita suis aptata locis commode, digesta in annorum numeros &
generationum twn genewn catalogos. 4 Ex his, quae Christi ortum
praecedunt, ex evangelio descriptae, quae sequuntur, suis trigenariis
confectae sunt. |
7,1 Wenn aber einer so maßlos, um
nicht zu sagen: so dumm ist, sich damit nicht zufrieden zu geben, falls der
Stil vielleicht etwas aneckt, soll er es dem Alter zuschreiben, das sich ja
sonst um ihn wohl verdient gemacht hat. 2 Kurz und gut: wenn man das Werk
des Nauclerus mit anderen historischen Schriften vergleicht, übertrifft
dieses sie doch durch seine Kunst der treffenden Formulierung in dem Maße,
wie vielleicht einige, d. h. sehr wenige, durch gepflegte Sprache
herausragen. 3 So ist alles verteilt in die
zutreffende Zeit, so steht alles richtig am passenden Ort, den Jahreszahlen
und den Generationslisten zugeordnet. 4 Von den Generationen sind die, die
Christi Geburt vorausgehen, nach dem Evangelium beschrieben, die danach
kommen, werden in der richtigen 30-Jahr-Gruppe behandelt. |
7,5 Nihil his commune cum Alcinoi
apologis, nil de Comis, nil de Monocrepide Mercurio leges, 6 vitam formant & mores, si
recte iudicaris, quae hoc opere conscribuntur. |
7,5 Nichts hat sein Werk mit den
Märchen des Alkinoos gemein, nichts liest man von Comis <?>, nichts vom
einschuhigen Merkur; 6 wenn man richtig urteilt, formt
das, was in diesem Werk dargestellt ist, Leben und Charakter. |
7,7 Id, quod es amaturus miro modo, si
videris, quae in eo varietas & diligentia, si quando de aliorum scriptis
iudicatur. 8 Tum id etiam, quom legentur in ista
quasi Naucleri bibliotheca innumera,
quae apud scriptores reliquos omnino non sunt, 9 adeo nihil hic erit, quod, si
diligens expendas, non elegans aliquid sapiat & eruditum. |
7,7 Das ist es, was man auf wunderbare
Weise lieben wird, wenn man sieht, welche Vielfalt und Sorgfalt darin
enthalten ist, wenn man einmal über die Schriften anderer urteilt. 8 Dann auch das, wenn man unzählige
Dinge sozusagen in dieser "Bibliothek" des Nauclerus liest, die bei
den übrigen Historikern überhaupt nicht vorhanden sind; 9 dann gibt es hier, wenn man
sorgfältig abwägt, praktisch nichts, das nicht eleganten und gebildeten
Geschmack aufweist. |
7,10 Vide igitur, optime lector, quantum Ioanni Nauclero, Annalium
autori, debeas, quantum Georgio Nauclero, cuius beneficentia
nobis id operis contigit, quantum etiam Thomae Anselmo Typographo, cuius ars,
cura, & fides, alioqui spectata, hoc uno in opere est spectatissima, qui
tam elegantibus formis, aliorum quoque opibus impensis, historiam Naucleri
excudit. |
7,10 Sieh also, bester Leser, wie viel du Johannes Nauclerus, dem
Verfasser der Annalen, schuldest, wie viel dem Georg Nauclerus, durch
dessen Großzügigkeit uns dieses Werk zuteil wurde, wie viel auch dem Drucker
Thomas Anshelm, dessen Kunst, Sorgfalt und Zuverlässigkeit, sonst schon
vortrefflich, in diesem einen Werk aber besonders, der mit so eleganten
Druckformen, unter Einsatz auch fremder Mittel, die Historia des Nauclerus
druckt. |
7,11 Probe merentur operae precium, kerdoV de filtaton, ut poeta quidam ait. |
7,11 Zu Recht verdienen sie Lohn für
ihre Mühe, "Profit ist das liebste", wie ein bestimmter Dichter
sagt. |
7,12 Gloria IOANNI NAUCLERO Georgioque
& Anselmo Typographo erit multa. 13 VALETE. |
7,12 Viel Ruhm werden Johannes und
Georg Nauclerus und der Drucker Anshelm ernten. 13 Lebt wohl! |
Der lateinische Text, den ich von dieser Quelle bezogen habe:
wurde überprüft anhand von:
Johannes Reuchlin. Briefwechsel, Band III, 1514-1517.
Bearbeitetet von Matthias Dall'Asta und Gerald Dörner. Stuttgart – Bad Cannstatt 2007
Meine deutsche Übersetzung habe ich verglichen mit:
Johannes Reuchlin. Briefwechsel, Band 3, 1514-1517.
Leseausgabe in deutscher Übersetzung von Georg Burkard.
Im Auftrag und mit Unterstützung der Stadt Pforzheim
frommann-holzboog, Stuttgart – Bad Cannstatt 2007
Herrn Burkard schulde ich Dank: Er hat mich manche eigenen Übersetzungsfehler bemerken lassen; allerdings gibt es auch bei ihm (noch) fragwürdige Stellen.
Viro optimo Ioachimo
Camerario Bambergensi amico summo, Noribergae, S. D. |
Joachim Camerarius, dem
besten Mann, dem Bamberger, seinem wichtigsten Freund, in Nürnberg. Ich grüße Dich. |
1,1 Accepi tuam disputationem de praedictionibus Carionis.
2 Quanquam autem iste vehementer affirmat, se nihil praeter siderum positum in consilium
adhibere, tamen multis non satis persuadet hoc. 3 Et ars meo quoque iudicio non potest tam diserte
de singularibus eventibus pronunciare, sed vir est, quantum ego quidem cognovi, candidus et Suevicae simplicitatis
plurimum referens. 4 Misit huc cronika
excudenda, sed ea lege, ut ego emendarem. 5 Sunt multa scripta neglegentius. 6 Itaque ego totum opus retexo, et quidem
germanice, et constitui complecti praecipuas mutationes maximorum imperiorum.
7 Ad eam rem tua mihi opera erit opus. |
1,1 Deine Erörterung über die Vorhersagen Carions
habe ich erhalten. 2 Obwohl dieser aber heftig versichert, er ziehe nur Gestirnspositionen zu Rate, kann
er viele damit nicht hinlänglich überzeugen. 3 Und auch nach meinem Dafürhalten kann die
<astrologische> Kunst Einzelereignisse nicht so präzis vorhersagen; aber der Mann ist, soweit ich wenigstens
ihn kenne, in Ordnung und er zeigt sehr viel von schwäbischer Einfachheit. 4 Er hat seine Chronika
hierher geschickt zum Druck; aber mit dem Auftrag, ich solle sie
verbessern. 5 Es ist viel recht schlampig Geschriebenes. 6 Deshalb webe ich das ganze Werk von Neuem, und
zwar auf Deutsch; und ich habe mir vorgenommen, die wichtigsten Veränderungen
in den größten Reichen einzubeziehen. 7 Dazu werde ich Deine Mitarbeit brauchen. <[1] Veranlaßt durch eine Äußerung des C.
kritisiert M. die Prognosen des [Johannes] Carion, den er im übrigen schätzt. |
2,1 De Hercule valde oro. 2 Ego enim in ea opinione sum, unum tantum
Herculem fuisse. 3 Nec multo
aliter sentit Herodotus. 4 Rogo igitur
te, ut diligenter perscribas mihi, et cuius fuerit Hercules, et quomodo
existimes ab illo Alexandrum Macedonem ortum esse, cuius genus valde cupio
nosse. 5 Materno genere Aeacides est, sed paterno
Isocrates facit Heracliden. |
2,1 Des Herkules wegen bitte ich Dich
dringend. 2 Ich nämlich habe folgende Meinung, es habe nur
einen Herkules gegeben. 3 Nicht
viel anderes meint Herodot. 4 Ich
bitte Dich also, schreibe mir genau, wessen Kind Herkules war und wie nach
Deiner Meinung der Makedone Alexander von jenem abstammte, dessen Abstammung
ich sehr gerne wissen will. 5 Mütterlicherseits ist er Aiakide, aber
väterlicherseits macht ihn Isokrates zum Herakliden. <Hierzu bittet er C. um Auskunft über Herakles
und über die Abstammung Alexanders des Großen von diesem.> |
3,1 Significavi tibi proxime quid Galli responderint
nostris. 2 Nunc et ex Anglia allatae sunt literae, quas
nondum vidi. 3 Verum audio eodem
fere argumento scriptas esse: 4 queri de abusibus Ecclesiasticis, et optare
synodum, sed aiunt, duriuscule perstringi ipsum doctrinae genus. 5 Neque sane id mirandum est, postquam ita rex a
nostro exceptus est. 6 Bene vale. 7
Die Solstitiali. FilippoV. |
3,1 Neulich habe ich Dir mitgeteilt, was die
Franzosen den Unsrigen geantwortet haben. 2 Jetzt brachte man einen Brief aus England, den
ich noch nicht gesehen habe. 3 Ich
höre aber, er sei aus fast demselben Grund geschrieben worden: 4 man beklage den kirchlichen Missbrauch und
wünsche eine Synode, aber sie sagen, ein wenig hart werde gerade die Art der
Lehre getadelt. 5 Und das ist freilich nicht verwunderlich,
nachdem der König so von unserem <Luther> aufgenommen worden ist. 6 Leb wohl! 7
Am Sonnwendtag. Philipp <[3] Nach dem neulich referierten Brief des [Kg.
Franz I.] von Frankreich kam auch einer aus England, der zwar auch ein Konzil
befürwortet, aber gegen die [evangelische] Lehre ablehnender ist, was nach
[Luthers] Angriff auf Kg. [Heinrich VIII. von England: WA 10/2, 175-222]
nicht verwundert.> |
Abschrift aus dem Corpus Reformatorum
II, Sp. 505, "No. 987"
In der kritischen Ausgabe "Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe. Band T 5. Texte 1110-1394 (1531-1533), Stuttgart-Bad Cannstatt (2003)": MBW 1159
Ioachimo Camerario,
amico suo summo, Noribergae, S. D. |
Joachim Camerarius, seinem
wichtigsten Freund, in Nürnberg Ich
grüße Dich. |
1,1 De illo necessario nostro
nescio quomodo oblitus sum ad te scribere, cum quidem id saepe facere
constituissem, sed nunc possum certiora perscribere, postquam fuit apud eum Ambrosius civis noster. 2 Is exposuit ei de liberis, quorum
ego filium natu maximum apud me habeo, alterum habet Lutherus. 3 Tertium
puerum alit hic quaedam honesta mulier. 4
Uxor videtur illum libenter receptura, si redierit, sed ut ex Ambrosio accipio, non cupit redire, et
uxorem ad se proficisci mavult; de ea re aget cum muliere Ambrosius. 5 Sed ego vereor, ut sit ex patria discessura, praesertim
postquam semel a viro deserta est, et idem periculum alibi metuet. 6 Huc accedit, quod
propemodum videtur gaudere mulier, quod occasionem nacta sit excutiendi
mariti. 7 Nam ego ita statuo,
praecipuam causam fuisse domesticam discordiam huius exilii. 8 Quod si adduci tamen mulier
poterit, ut ad virum proficiscatur, tota res perfecta erit. 9 Nam de liberis nihil est
quod angatur, tractantur enim melius et liberalius apud nos, quam apud patrem
tractari possent: 10 sin autem
mulier discedere non volet, de qua re postea certiorem te reddam, et scribet
ad ipsum Ambrosius, reliquum erit,
ut si ad vos ille venerit, auctores ei sitis, ut huc redeat. 11 Nam cum creditoribus
transigere poterimus, sed intelligo omnino eum in hac sententia esse, ne
redeat, fortassis pudore prohibetur, quanquam facile consenescunt tales
sermones. 12 Illud magis me
sollicitum habet, quod homo desidiosus nihil unquam suscepturus videtur, quo
possit tolerare quotidianos sumptus. |
1,1
Irgendwie habe ich vergessen, dir über jenen Freund von uns zu schreiben,
obwohl ich das oft vorhatte, aber jetzt kann ich Genaueres schreiben, nachdem
unser Mitbürger Ambrosius bei ihm war. 2
Der machte ihm Mitteilung über die Söhne, deren ältesten ich bei mir habe,
den anderen hat Luther. 3 Den
dritten Knaben zieht hier eine ehrbare Frau auf. 4 Seine Frau würde jenen anscheinend gerne wieder aufnehmen, wenn
er zurückkommt, aber, wie ich von Ambrosius höre, will er das nicht, will
lieber, dass seine Frau zu ihm kommt; Ambrosius verhandelt darüber mit der
Frau. 5 Ich fürchte aber, sie wird
die Heimat nicht verlassen, zumal sie einmal von einem Mann verlassen wurde
und sie dieselbe Gefahr anderswo befürchtet. 6
Dazu kommt, dass sich die Frau fast zu freuen scheint, die Gelegenheit
erhalten zu haben, den Ehemann hinauszuwerfen. 7
Ich nämlich stelle fest, Hauptgrund für dieses Exil war die Zwietracht im
Hause. 8 Wenn man die Frau
trotzdem dazu bringen kann, zum Mann zu gehen, ist die ganze Sache perfekt. 9
Um die Kinder muss sie keine Angst haben, sie werden nämlich besser und
großzügiger bei uns behandelt, als sie beim Vater behandelt werden könnten: 10 wenn die Frau aber nicht weggehen
will, worüber ich dir später noch Bescheid sage und Ambrosius ihm selbst
schreiben wird, dann bleibt nur, dass ihr, falls er zu euch kommt, ihn
veranlasst, hierher zurückzukommen. 11
Denn mit den Gläubigern können wir einig werden, ich weiß aber, dass er
völlig bei dieser Meinung verharrt, nicht zurückzukommen, vielleicht hindert
ihn die Scham, obwohl ja solches Geschwätz leicht verstummt. 12 Jener Umstand beunruhigt mich
mehr, dass der faule Kerl nie etwas bekommen wird, mit dem er seine täglichen
Unkosten bestreiten kann. <[1]
Über den Juden Bernhard, der wegen Schulden seine Familie verlassen hat,
worauf seine drei Kinder von M., Luther und einer Frau [NN] aufgenommen
wurden und Ambrosius [Reuter] zwischen ihm und seiner Frau zu vermitteln
suchte.> |
2,1 Haec de hac re. 2 Caesar
Spirae conventum indicit, qui meo iudicio accendet hos tumultus. 3 Nihil enim expecto pacati, nisi
Deus nos respexerit. 4 Ac contra
iam accidere quidam putant quam antea, ut Caesarem dehortetur frater a
violentis consiliis. 5 Nos tamen nunc etiam
speremus sane melius, et sentiamus commodius. 6 Mitto tibi Isocratis
orationem, quam Georgius exercitii
causa vertit, expectat eam typographus, quare te rogo, ut ei quam primum
mittas. 7 Eiusmodi opus est, quod
sine magno periculo suo ille more corrumpere poterit. 8 In supputationibus illis non asscripseras annos. 9 Itaque diversos annos quaerere Milichius cogebatur. |
2,1
Soweit das. 2 Der Kaiser sagt
einen Reichstag in Speyer an, der meines Erachtens dieses Chaos fördern wird.
3 Ich erwarte nämlich nur Frieden,
wenn Gott auf uns schaut. 4 Und
manche meinen, es werde das Gegenteil von früher geschehen, dass nämlich der
Bruder dem Kaiser von Gewaltplänen abrät. 5 Hoffen wir jetzt trotzdem noch auf Besseres und denken wir
optimistischer! <[2]
Der Kaiser hat einen Reichstag nach Speyer einberufen. M. hat keine
Friedenshoffnung. Anders als [1529] scheint jetzt [Kg. Ferdinand] von Gewalt
abzuraten. |
3,1 Gratulor tibi filium
esse natum, ac precor Deum, ut et te et uxorem tuam, lectissimam feminam, et
filium et filias servet incolumes. 2
Videtur inter has constitutiones, altera esse filii genesis, in qua Mars est
in Horoscopo, quem tamen subsequens Saturnus reddit contatiorem, sed de his
aliquando coram. 3 De valetudine tua sum
sane sollicitus, et audio te periculose decubuisse; 4 mihi videtur fluxus non posse sine periculo obstrui, quare etsi
hoc quoque molestum est, lenibus remediis velim te eum moderari. 5 Obsecro te de hac re
disputes cum medicis istic. |
3,1
Ich gratuliere dir zur Geburt deines Sohnes und bitte Gott, dich und deine
Gattin, diese Prachtsfrau, deinen Sohn und deine Töchter heil zu bewahren. 2 Bei diesem Zustand scheint die Nativität
des Sohnes anders zu sein, in der Mars im Aszendenten steht, den der folgende
Saturn trotzdem langsamer macht; aber davon irgendwann unter vier Augen. 3
Über deine Gesundheit bin ich ganz beunruhigt, und ich höre, du seist
gefährlich darniedergelegen; 4 ich
meine, Fluss kann man nicht ohne Gefahr verstopfen; deshalb linderst du ihn
hoffentlich mit leichten Medikamenten, auch wenn auch das lästig ist. 5
Ich beschwöre dich: Sprich darüber dort mit deinen Ärzten! <[5]
Glückwunsch zur Geburt des Sohnes [Johannes], Segenswunsch für Frau [Anna]
und Töchter [Anna und Magdalena]. Zum Horoskop. |
4,1 Ego laboribus et curis
miserrimis conficior, ut recte responderit vester Astrologus, me morti vicinum
esse, quam ego quidem mihi saepius quam vitam opto. |
4,1
Mich machen Mühen und ganz schlimme
Sorgen fertig, wie wohl euer Astrologe richtig geantwortet hat, ich sei dem
Tod nahe, den ich mir allerdings öfters als das Leben wünsche. <[7]
M. ist erschöpft und wünscht den von [Johannes Schöner] geweissagten Tod.> |
5,1 De monacho qui peperit, vera est fama, fuit in
Marchia quidam praepositus Monialium ermafroditoV, cuius continentia mirificam admirationem
habuit, alla sofwtatai martureV hmerai ait Pindarus. |
5,1
Das Gerücht über den Mönch, der geboren
hat, stimmt; es gab in der Mark einen Mönchspropst, einen Hermaphroditen,
dessen Beherrschung wunderbare Bewunderung fand, "aber die weisesten
Zeugen sind die Tage", sagt Pindar. <[8]
Ein märkischer Mönch [NN], der geboren hat.> |
6,1 Spengleri salutem Christo
commendemus, qui utinam servet incolumem Reipublicae vestrae virum optimum et
amantem patriae. 2 Scripsit ad me Simon Grynaeus his diebus et opinor
eum ad te quoque scripsisse. 3
Iubet enim, ut cum respondero, ad te mittam. 4 Fuit in Anglia, inde
affert ad me zhthma peri gamou basilewV, magnam profecto,
periculosam et difficilem controversiam, de qua cum respondero, mittam ad te
meum scriptum, ut tu ad Grynaeum
transmittas, tum poteris si voles totam rem cognoscere. |
6,1
Spenglers Wohlergehen wollen wir Christus
anheimstellen; hoffentlich bewahrt er den besten Mann und Patrioten für euren
Staat heil! 2
Dieser Tage hat mir Simon Grynaeus geschrieben, und er hat, glaube ich, auch
dir geschrieben. 3 Er trägt mir
nämlich auf, sobald ich geantwortet habe, es dir zu schicken. 4
Er war in England, von dort bringt er mir eine Anfrage über die Ehe des
Königs, in der Tat eine große, gefährliche und schwierige Streitfrage; wenn
ich da Bescheid erteilt habe, schicke ich dir meinen Text; übermittle du ihn
an Grynaeus, dann kannst du, wenn du willst, den ganzen Sachverhalt erfahren. <[9]
Genesungswunsch für [Lazarus] Spengler. |
7,1 De Hercule plane mihi satisfactum
est, ego unum aliquem et quidem illum Thebanum Amphitryonis extitisse
arbitror, qui fama rerum gestarum occasionem fingendi aliis dederit, qui
plures Hercules commenti sunt. 2 Neque haec graecis tantum
licentia concessa est, fingunt similia nunc quoque nostri homines. |
7,1
Über Hercules weiß ich nun genug
Bescheid; ich glaube, dass es einen einzigen und zwar jenen thebanischen Sohn
des Amphitryon gab, der durch den Ruf seiner Taten anderen die Gelegenheit
zum Dichten gab, die mehr "Herculesse" erdichteten. 2 Und das dürfen ja nicht nur die
Griechen tun, Ähnliches erdichten auch jetzt unsere Leute. <[11]
Über Herakles.> |
8,1 De Francis tuis haud
dubie falsum est eos a Baltico exortos esse, fuerunt enim vicini Alpibus,
sicut Boii Strabonis tempore. 2 Et Livius in Hannibalis
transitu mentionem Branci facit, qui bellum gessit cum Allobrogibus. 3 Habeo multa argumenta, quae fidem
minime dubiam faciunt, primas sedes Francorum in hac superiore Germania
fuisse, fere iisdem locis, quae nunc sunt Francorum. 4 Strabo BregkouV scribit, Vindelicis vicinos, et nescio quibus
aliis, non enim vacat inspicere librum. 5 Itaque te non insertum alienae genti, sed vere
Francum dici et haberi volo. 6 Idque disputabo in cronikoiV in Carolo, quem ornabo
quantum potero. |
8,1 Bezüglich deiner Franken ist es zweifelsohne
falsch, dass sie vom Baltikum stammen, sie waren nämlich Nachbarn der Alpen,
so wie die Bojer zu Strabons Zeit. 2
Auch Livius erwähnt bei Hannibals Überquerung einen Brancus, der mit den Allobrogern
Krieg führte. 3 Ich habe viele
ganz verlässliche Argumente dafür, dass die ersten Wohnsitze der Franken in
diesem Obergermanien waren, fast an denselben Orten, die jetzt den Franken
gehören. 4 Strabo schreibt "Brenkous", Nachbarn
der Vindeliker und irgendwelcher anderer; ich kann nämlich nicht im Buch
nachschauen. 5 Deshalb will ich
dich nicht für einen Einschub in ein fremdes Volk, sondern für einen wahren
Franken halten und so nennen. 6 Das erörtere ich in der "Chronik" bei
Karl, den ich loben werde, soviel ich nur kann. <[12]
Über die Herkunft der Franken, die M. in
der Chronik [des Johannes Carion] bei Karl [dem Großen] behandeln
wird.> |
9,1 Nescio an omnia
scripserim, quae volui, cum quidem aliud ex alio sine ordine in mentem venerit
inter scribendum, teque oro, ut veniam des huic meae negligentiae, sed nosti
meas miserias, quibus condonare te haec quoque existimo. 2 Si quid de EllofoiV illis habes, scribito, etsi eius gentis fides
prorsus incerta est. |
9,1
Ich weiß nicht, ob ich alles geschrieben
habe, was ich wollte, da mir eines nach dem anderen ohne
Ordnung in den Sinn gekommen ist beim Schreiben, und ich bitte dich, dass du
mir meine Schlampigkeit nachsiehst, aber du kennst ja meine Not, der du auch
das, glaube ich, nachsiehst. 2
Wenn du etwas über jene Franzosen hast, schreibe es, auch wenn die
Zuverlässigkeit dieses Volks ganz unsicher ist. <[13]
M. entschuldigt die Unordnung dieses Briefes. |
10,1 Hic ferunt filium
Gallici regis Caesari conditiones, quas pater approbavit, renunciare, et alia
multa, quae me nihil movent. |
10,1 Hier
erzählt man, der Sohn des Königs von Frankreich kündige dem Kaiser die
Bedingungen, mit denen der Vater einverstanden war, auf, und noch viel mehr, was mir egal ist. <Kg.
[Franz' I.] von Frankreich Sohn [François] soll sich von den mit dem Kaiser
geschlossenen Verträgen distanziert haben.> |
11,1 Mihi Dei beneficio filia
nata est matre incolumi, ac caetera quidem in genesi bene habent, hoc mihi
displicet, quod falcigero Venus est non bene iuncta seni, et
Mars horribiliter aspicit domum octavam ex tetragono. 2 Sed Christus est
dominus, cui omnia subiecta sunt, etiam astra. 3 Tu vale felicissime. 4 Postridie Iacobi. FilippoV. |
11,1
Mir wurde durch Gottes Wohltat eine
Tochter geboren; die Mutter ist wohlauf; und das übrige in der Nativität ist
gut, es missfällt mir aber, dass die Venus mit dem sicheltragenden Alten
nicht gut verbunden ist und der Mars im Vierschein grässlich aufs achte Haus
schaut. 2 Aber Christus ist der
Herr, dem alles unterworfen ist, auch die Sterne. 3
Leb wohl und sei ganz glücklich! 4
Am Tag nach Jakobi. Philipp <[15]
M.s Tochter [Magdalena] wurde geboren. Die Mutter ist wohlauf. Doch das
Horoskop bereitet Sorgen.> |
Corpus
Reformatorum II, Sp. 514ff., "No. 995"
Dieser Brief ist
im Corpus Reformatorum nicht enthalten. Er wird bei Warburg, S. 204ff.
besprochen und übersetzt, das lateinische Original zitiert Warburg im Anhang
S. 269 Über den Fund des Briefes teilt Warburg folgendes
mit: "Auf der Suche nach Carions Briefen verwies mich die Sammlung von Johannes Voigt auf das Staatsarchiv
zu Königsberg und diesem verdanke ich die Möglichkeit, eine Reihe von seinen
Briefen in der Hamburgischen Stadtbibliothek studieren zu können. Dabei fand
sich als Beilage ein lateinisches Schreiben, das Melanchthon am 17. August
1531 an ihn richtete. Dank der Freundschaft von Prof. Flemming in Pforta konnte ich den lateinischen Text unter
Benutzung der Textverbesserungen von Nikolaus
Müller + sicherstellen." Links
der von Warburg zitierte Text, rechts seine "freie Übersetzung",
wie er sagt; sie ist aber recht wörtlich. |
|
Viro doctissimo / D. Johanni Carioni / philosopho, amico et / conterreaneo suo / Carissimo. / Zu eigen handen / |
Dem hochgelehrten Herrn Johann Carion, dem Philosophen, seinem Freund und lieben Landsmann "zu eigen handen". |
... ornare honestissimis laudibus conatus sum. Quid / assecutus sim aliorum sit iudicium. |
... Ich habe versucht, [den Text] mit den angesehensten Zitaten auszustatten. Was ich erreicht habe, mögen andere beurteilen. |
Dictum Heliae
extat non in Biblijs, sed apud / Rabinos, et est celeberrimum. Burgensis <Anm.
135: ausführliche Erklärung der Textquelle> / allegat, et disputat ex eo contra
Judaeos / quod Messias apparuerit. Receptissima apud / Ebraeos sentencia est, et a me posita / in principio tuae historiae [Carions Chronica], vt omnibus / fieret notissima et afferret commendationem / tuo operi. Tales locos multos dein / ceps admiscebo. vides autem prorsus esse / propheticam vocem. Tam concinna temporum / distributio est. / |
Der Spruch des Elias kommt nicht in der Bibel vor, sondern bei den Rabbinen und ist sehr berühmt. Burgensis (Paulus) <Anm. 6: Stellennachweis> zitiert ihn und verficht unter Berufung auf ihn gegen die Juden (die Ansicht), daß der Messias schon erschienen sei. Den Hebräern ist dieser Ausspruch sehr geläufig und von mir an den Anfang Deiner Historia [Carions Chronica] gesetzt, um allgemeiner bekannt zu werden und Deinem Werke Empfehlung zu verschaffen. Solche Zitate werde ich später noch viele hinzusetzen. Du siehst (aber), wie die prophetische Stimme vorausweist; so zutreffend (concinna; harmonisch?) ist die Verteilung der Zeitalter. |
Historiam, vt spero, hac hyeme absoluemus / Nam hactenus fui impeditus recognitione meae Apologiae <Anm. 136: Textnachweis>, quam in certis locis / feci meliorem. sed vix credas quam / tenui valetudine vtar, consumor enim / curis, et laboribus. / |
Die Historia werden wir diesen Winter, wie ich hoffe, vollenden, denn bis jetzt wurde ich durch die Überarbeitung meiner Apologie, die ich an einzelnen Stellen verbesserte, daran verhindert. Du glaubst kaum, wie schwach meine Gesundheit ist; ich werde auch durch Sorge und Arbeit aufgerieben. |
Mea vxor, dei beneficio filiam enixa est, / cuius Thema tibi mitto, non vt faciam / tibi negocium, video enim monacham fore ¦ |
Meine Frau genas mit Gottes Hülfe einer Tochter, deren Geburtszeit (Thema) ich Dir schicke, nicht etwa, um Dir Mühe zu machen. Ich sehe nämlich, dass sie Nonne werden wird <Anm. 7: Nachweis des Melanchthon-Briefs>. |
... Cometen
vidimus diebus plus octo. Tu / quid iudicas. videtur supra
cancrum / constitisse occidit enim statim post solem, / et paulo ante solem
exoritur. / Quod si ruberet,
magis / me terreret. Haud dubie principum / mortem significat. Sed videtur / caudam vertere versus poloniam. / Sed expecto tuum iudicium. Amabo te / significa mihi quid sencias. / |
Seit mehr als
acht Tagen sehen wir einen Kometen. Wie urteilst Du darüber? Er scheint über
dem Krebs zu stehen, da er gleich nach der Sonne untergeht und kurz vor
Sonnenaufgang aufgeht. Wenn er eine
rote Farbe hätte, würde er mich mehr erschrecken. Ohne Zweifel bedeutet er
den Tod von Fürsten, er scheint aber den Schweif nach Polen zu wenden. Aber ich erwarte Dein Urteil. ich wäre Dir von ganzem Herzen dankbar, wenn Du mir mitteiltest, was Du meinst. |
Nunc venio ad hodiernas literas. Si / scirem aliquid de nostrorum aduersariorum / conatibus, totum tibi scriberem, / quidquid illud esset. Nihil enim opus / est nos celare aduersariorum <Anm. 137: Kommentar über Carions von Melanchthon angenommene Parteizugehörigkeit> consilia, / magis prodest nobis ea traducere. / |
Nun komme ich zu den heutigen Mitteilungen. Wenn ich etwas über die Versuche unserer Gegner wüßte, so würde ich Dir alles schreiben, was daran wäre, denn wir brauchen die Pläne unserer Gegner nicht zu verbergen; für uns ist im Gegenteil nützlicher, sie zu enthüllen. |
Nihil itaque
certi audiui diu iam de / vllo apparatu, preter suspiciones quas / concipiunt
nostri propter illum exiguum numerum / peditum qui sunt in Frisia. Fortasse /
pretextu belli Danici, nos quoque adoriri / cogitant. At Palatinus et
Moguntinus ¦ iam agunt de pacificatione cum nostris, etsi / ego spem pacis
nullam habeo, moueor enim non
/ solum astrologicis predictionibus sed etiam vaticiniis tuis. / |
Ich habe nämlich
schon lange nichts Sicheres über irgendwelche Vorbereitungen gehört, außer
Befürchtungen, die die unsrigen hegen wegen jener [nicht?] kleinen Anzahl von
Fußsoldaten, die in Friesland sind. Vielleicht denken sie daran, unter dem
Vorwand des dänischen Krieges auch über uns herzufallen. Aber der Pfälzer und
der Mainzer verhandeln mit den Unsrigen schon über friedliche Beilegung,
obwohl ich keine Friedenhoffnungen habe. Ich werde
nämlich nicht allein durch astrologische Voraussagen beeindruckt, sondern
auch durch deine Weissagungen. |
Hasfurd predixit
Regi chrestierno <Anm. 138: Erklärung zu Haßfurts Berufung
zum König Christian>
reditum hone / stum, Schepperus negat rediturum esse. Sed / me non
mouet Schepperus. Sepe enim fallitur. / predixit item Hasfurd Landgrauio
maximas vi / ctorias. Et quidam ciuis Smalcaldensis / mihi notus habuit
mirabile visum, de / his motibus quod vaticinium plurimi / facio. Catastrophen
satis mollem habet. / Sed tamen significat perculsos terrore / aduersarios
nostros illi Leoni cedere. Quaedam / mulier
in Kizingen de Ferdinando / horribilia predixit, quomodo bellum / contra nos
moturus sit, sed ipsi infoelix / In Belgico
quaedam virgo Caesari / eciam vaticinata est, quae tamen non satis / habeo
explorata. Omnino puto
motum / aliquem fore. Et deum oro, vt
ipse guber / net, et det bonum exitum vtilem Ecclesiae / et reipublicae. Ego ante annum
laborabam / diligenter vt nobiscum pacem facerent. Quod / si
fecissent, minus esset turbarum in Sue / uia, quae magna ex parte iam
amplectitur / Helueticam theologiam et licentiam. Sed Campegius ¦ cupit
inuoluere et implicare Caesarem germanico / bello, vt vires eius labefactent,
et Campegij / consilium probant nonnulli odio nostri priuato. / |
Haßfurt sagte
dem König Christian eine ehrenvolle Rückkehr voraus. Schepperus
leugnet, daß er zurückkommen würde. Auf mich macht Schepperus keinen
Eindruck. Er täuscht sich oft. Haßfurt sagte auch dem Landgrafen die größten
Siege voraus und ein Bürger in Schmalkalden, der mir bekannt ist, hatte ein
Wundergesicht über diese (politischen) Unruhen, eine Weissagung, auf die ich
den größten Wert lege. Sie enthält die Voraussage auf eine glimpflich
verlaufende Katastrophe, deutet dabei aber doch an, daß unsere Gegner, von
Schrecken gepackt, jenem Löwen [dem hessischen Landgrafen] weichen. Ein Weib
in Kitzingen hat Schreckliches über Ferdinand vorausgesagt. Er werde Krieg
gegen uns führen, der für ihn aber unglücklicher verlaufen werde. In Belgien hat
eine Jungfrau dem Kaiser auch geweissagt, was ich aber noch nicht genügend
nachgeprüft habe. Im ganzen meine
ich, daß irgend eine Bewegung auftreten wird und ich
flehe zu Gott, daß er sie zu gutem Ende lenkt und ihr einen der Kirche und
dem Staate günstigen Ausgang verleiht. Ich arbeitete
schon vor Jahresfrist eifrig daran, daß sie mit uns Frieden machten. Hätten
sie es getan, dann würde es weniger Aufruhr in Schwaben geben, das (jetzt)
zum großen Teil der Schweizer Theologie und Vermessenheit (licentia) anhängt.
Aber Campeggi will den Kaiser in einen deutschen Krieg hineinreißen und
verstricken, um seine Macht zu erschüttern, und die Ratschläge des Campeggi
billigen einige aus persönlichem Hass gegen die Unsrigen. |
Sed deus habet
iustum oculum. Nos enim certe / nihil mali docuimus. et libera / uimus multas
bonas mentes a multis / perniciosis erroribus. Sabinus mittit
tibi prefaci / onem <Anm. 139: Vermutung eines
Zusammenhangs mit Johannes de Sacro Busto> meam de laudibus astronomiae et Astro / logiae, de qua expecto quid
sencias. |
Gottes Auge aber
ist gerecht. Wir haben sicherlich nichts Schlechtes gelehrt und befreiten
viele fromme Seelen von vielen verderblichen Irrlehren. Sabinus schickt
dir meine Vorrede über das Lob der Astronomie und Astrologie, über die ich
Dein Urteil erwarte. |
Bene vale /
donerstag post Assumptionem b. Marie 1531 / Remitto tibi literas Sabini (hierauf folgen 2 bis 3 ausgestrichene
Wörter). FilippoV.
/ |
Lebe wohl. Am
Donnerstag nach Mariae Himmelfahrt 1531. Ich schicke Dir die Briefe des Sabinus zurück. ... Phílippos. |
Darunter gibt Warburg
noch einen kritischen Apparat; unter diesem heißt es noch: <Rot meine
Änderungen nach eigener Lektüre.> |
Viro clariss<imo>. Ioachimo Camerario
Bambergensi amico suo summo S. D. |
Dem hochberühmten Joachim
Camerarius aus Bamberg, seinem
wichtigsten Freund Ich
grüße Dich. |
1,1 Erfordiensis senatus deliberat de restituenda
schola, et iussit magistros, qui ibi reliqui sunt, suam sententiam de ea re
dicere. 2 Hi censuerunt hanc fore
aptissimam rationem suscipiendae rei, si tu et Eobanus revocaremini. 3 Quanquam autem video
quosdam certo consilio dare operam, ut res extrahatur, tamen existimo
aliquando processuram esse. 4 Ego sum hortatus nostrum
timwna, ut quantum posset,
ageret de vobis revocandis, et mihi promisit se hoc sedulo facturum esse. 5 Omnino, si fieri Deus velit,
videris mihi libentius futurus Erfordiae, quam in Norico, et huius meae
suspicionis habeo plurimas coniecturas. 6 Tu tamen mihi de hac re
scribito, quid habeas animi. |
1,1
Der Rat von Erfurt berät über die Wiederherstellung
der Schule und lässt die Lehrer, die dort übrig sind, ihre Meinung darüber
äußern. 2 Die stimmten dafür, die
beste Art, die Sache zu bewerkstelligen, sei, dich und Eobanus zu berufen. 3 Obwohl ich sehe, dass sich manche
in fester Absicht darum bemühen, die Sache in die Länge zu ziehen, glaube ich
doch, dass sie vorankommen wird. 4
Ich habe unsern Timon ermahnt, für eure Berufung nach Vermögen einzutreten,
und er hat mir versprochen, das fleißig zu tun. 5 Insgesamt scheinst du, wenn Gott es so haben will, lieber in
Erfurt als in Noricum zu sein, und für diesen Verdacht habe ich sehr viele
Vermutungen. 6 Schreib mir darüber
trotzdem, was du denkst. <[1]
Der Erfurter Rat will die Universität neu einrichten; C. und Eobanus [Hessus]
sollen berufen werden; M. hat [Hieronymus Schurff] gebeten, dies zu
fördern.> |
2,1 Vidimus cometen, qui per dies amplius
decem iam se ostendit in occasu Solstitiali. 2 Videtur autem supra Cancrum aut extremam Geminorum partem
positus. 3 Nam occidit post solem
horis fere duabus et mane, paulo ante solis ortum in oriente prodit, ita cum
coelo circumagitur, proprium motum quem habeat quaerimus. 4 Est autem colore
candido, nisi si quando nubes eum pallidiorem reddunt. 5 Caudam vertit versus
Orientem. 6 Mihi quidem videtur
minari his nostris regionibus, et propemodum ad ortum meridianum vertere
caudam. 7 Non vidi antea cometen
ullum, et descriptiones hoc non diserte exprimunt. 8 Erigit caudam supra
reliquum corpus. 9 Quidam affirmant esse ex
illo genere, quos vocat Plinius xifiaV, quia sit acuta cauda. 10 Id ego non potui oculis
iudicare. 11 Quaeso te ut mihi
scribas, an apud vos etiam conspectus sit, quod non opinor, distat enim a
terra vix duobus gradibus, si tamen conspectus est, describe diligenter, et
quid iudicet Schonerus, significato. 12 Bene vale, XIIII.
Calend. Septemb. |
2,1
Wir haben einen Kometen gesehen, der sich
schon mehr als zehn Tage am Sonnwend-Untergang zeigt. 2 Man sieht ihn über dem Krebs oder dem Ende der Zwillinge. 3 Denn er geht etwa zwei Stunden nach
der Sonne unter und geht kurz vor der Sonne im Osten auf, er bewegt sich so
mit dem Himmel; wir fragen uns, welche Eigenbewegung er hat. 4 Er ist von weißer Farbe, außer wenn
Wolken ihn noch blasser machen. 5
Sein Schweif zeigt nach Osten. 6
Mir allerdings scheint er unsere Gegenden zu bedrohen und seinen Schweif fast
nach Südosten zu richten. 7 Ich
habe bisher keinen Kometen gesehen, und die Beschreibungen äußern sich
darüber ungenau. 8 Er reckt seinen
Schweif über den restlichen Körper. 9
Manche versichern, er sei von jener Art, die Plinius
"schwertförmig" nennt, weil er einen spitzen Schweif hat. 10 Ich konnte das mit meinen Augen
nicht beurteilen. 11
Schreib mir bitte, ob man ihn auch bei euch gesehen hat; ich vermute das
nicht, er ist nämlich von der Erde kaum zwei Grad entfernt; wenn man ihn
trotzdem sehen konnte, dann beschreib ihn sorgfältig, und teile mir mit, was
Schonerus darüber denkt. 12
Leb wohl; 19. August. <[2]
Bericht über die Beobachtung des [Halley'schen] Kometen; C. soll schreiben,
wie [Johannes] Schöner diesen beurteilt.> |
3,1 Scripseram hanc epistolam, cum accipio peri basilewV twn danwn tou fugadoV, habere eum exercitum, et facturum irruptionem
in Daniam, ea res utinam non commoveat totam Germaniam. 2 Audio et Ferdinandum
habere exercitum; si quid scis, scribe. Philippus. |
3,1
Gerade habe ich den Brief fertig
geschrieben, da erfahre ich vom flüchtigen Dänenkönig, er habe ein Heer und
wolle nach Dänemark einfallen; hoffentlich versetzt die Sache nicht ganz
Deutschland in Unruhe. 2 Ich höre,
auch Ferdinand habe ein Heer; wenn du was weißt, schreib! Philipp <[3]
M. hat soeben Nachrichten über die Kriegsvorbereitungen des vertriebenen Kg.
[Christian II.] von Dänemark erhalten; auch [Kg.] Ferdinand soll ein Heer
haben.> |
Corpus Reformatorum II, Sp. 518f.,
"No. 998"
<Dickdruck
von mir.>
(mense Ian.) Antonio Corvino,
Pastori Ecclesiae Wicenhusianae, S. D. |
Januar An Anton
Corvinus, Pastor der Kirche von Wickenhausen Ich grüße Dich. |
1,1 Valde me delectarunt literae tuae, mi Corvine, non
tantum hoc nomine, quod significas, te iam olim meae amicitiae cupidum esse,
sed etiam propter genus orationis liberale et perspicuum, quod, quantum amem,
nullis verbis consequi possum. 2 Et cum ex oratione soleam de ingeniis
coniecturam facere, non possum te non amare, etsi esses alienissimus, propter
hanc orationis atque ingenii suavitatem. 3 Quare velim, ita tibi persuadeas, me tui
amantissimum esse. 4 Idque summo studio ac fide, si qua in re potero,
declarabo. |
1,1 Über Deinen Brief habe ich mich sehr gefreut,
mein lieber Corvinus, nicht nur deshalb, weil Du zeigst, dass Du schon lange
mit mir befreundet sein wolltest, sondern auch wegen Deiner offenen und
deutlichen Art zu reden. Wie sehr ich die mag, kann ich gar nicht sagen. 2 Da ich normalerweise von der Rede auf den Geist
einer Person schließe, muss ich Dich lieben, auch wenn Du ganz fremd wärst,
wegen dieses Charmes Deiner Rede und Deines Geistes. 3 Sei deshalb davon überzeugt, dass ich Dein
innigster Freund bin. 4 Wenn irgend möglich, so versichere ich Dir das
mit größtem Eifer und aus ganzem Herzen. <[1] M. bekundet seine Freude über den
[ersten] Brief des C. an ihn und versichert C. seiner Freundschaft.> |
2,1 Viduae mulieris causam commendavimus Lutherus
et ego Pastori nostro Pomerano. 2
Audio, Legatum pertenuem fuisse, habet tamen mulier a nostris viaticum, et a
me et Pomerano hospitaliter tractata est. |
2,1 Die Angelegenheit der Witwe haben wir, Luther
und ich, unserem Pastor Pomeranus übergeben. 2 Ich höre, das Vermächtnis sei äußerst schmal gewesen; die Frau
hat trotzdem von unseren Leuten ein Weggeld erhalten, und sie ist von mir und
Pomeranus freundlich behandelt worden. <[2] Die Sache der Witwe [NN], die von M. und
Bugenhagen gastfreundlich aufgenommen wurde, haben Luther und M. Bugenhagen
anvertraut.> |
3,1 Mitto tibi cronikon , in quo
etsi sunt mei quidam loci, tamen ipsa operis sylva non est mea. 2 Misit enim Carion ad me farraginem quandam
negligentius coacervatam, quae a me disposita est, quantum quidem in
compendio fieri potuit. 3 In fine adieci tabellam annorum mundi utilem et
veram, quam spero tibi et aliis doctis placituram esse. 4 Et si recudent opus nostri calkografoi, addam ex Ptolemaeo testimonia. |
3,1 Ich schicke Dir das Chronikon; auch wenn manche
Hauptstellen von mir stammen, so stammt doch die Substanz des Werkes nicht
von mir. 2 Carion hat mir nämlich eine Art Stoffsammlung
geschickt, recht schlampig zusammengesammelt, die ich geordnet habe, soweit
sich das bei einem Handbuch machen ließ. 3 Am Ende habe ich eine nützliche und stimmende
Tabelle der Weltjahre angefügt, die Dir und anderen Fachleuten hoffentlich
gefallen wird. 4 Und wenn unsere Drucker das Werk neu auflegen,
füge ich noch Zeugnisse aus Ptolemäus hinzu. <[3] M. schickt die Chronik des [Johannes] Carion [Wittenberg, Georg Rhau, 1532], die
er selbst geordnet und mit einem Anhang versehen hat und bei einem möglichen
Neudruck aus Ptolemaios ergänzen will.> |
4,1 Nunc expono ep. ad Rom., in quibus controversiam
de iustificatione spero me sic illustraturum esse, ut nihil desiderari in ea
causa dilucidius possit. 2 Alia
enim ratione utar, quam qua in Apologia usus sum. |
4,1 Gerade eben lege ich den Römerbrief aus; dabei
hoffe ich die Streitfrage über die Rechtfertigung so klar darzustellen, dass
man dabei keine größere Klarheit verlangen kann. 2 Ich will nämlich eine andere Methode als bei meiner Apologie
verwenden. <[4] Gegenwärtig erklärt M. den Römerbrief; er
hofft, die Rechtfertigungsfrage — anders als in der Apologie — völlig klären
zu können.> |
5,1 Te oro propter Christum, ut, quod facis, pergas
in docendo Evangelio ea, quae ad aedificationem et communem tranquillitatem
faciunt, tradere. 2 Lutherus iussit, ut te amanter resalutem.
3 Nam ipse, etsi meliuscule valet,
tamen scribere multa non potest. 4 Iustum Winter meis et Lutheri verbis
salutabis. 5 Bene vale. 6 Ignosce tacista kai kakwV grafonti FilippoV. |
5,1 Dich bitte ich um Christi willen, weiterhin bei
der Lehre des Evangeliums das, was zur Erbauung und zum allgemeinen Frieden
dient, zu vermitteln. 2 Luther hat mir aufgetragen, Dich voller Liebe
wieder zu grüßen. 3 Denn er kann
selbst, auch wenn es ihm ein wenig besser geht, doch nicht viel schreiben. 4 Grüße den Justus Winter von mir und
Luther. 5 Leb wohl! 6 Verzeih dem ganz schnell und
schlecht Schreibenden! Philipp <[5] Ermahnung zu konstruktiver Predigt. Grüße
von Luther, dem es etwas besser geht, auch an Justus Winter.> |
Corpus Reformatorum II, Sp. 567f., "No. 1032"
1,1 Durchleuchtigster Houchgeborner Furst Gnedigster her, 2 mein Arm willig vnd vnuordrosßenn dienst
seyhen zu alln Zeyten .e.f.g. zuuoran bereydt. |
1,1 Erlauchtester,
hochgeborner Furst, gnädigster Herr, 2 mein armer, williger, fleißiger
Dienst stehe alle Zeit Eurer fürstlichen Gnade bereit! |
2,1 Gnedigster herr. 2 Jch weiß gentzlichs nichtz newes e f g zu schreiben, 3 Dann allein das Jch mich einer
emporung mit der Zeyt Jm landt zu würtenberg forchte, wie mir denn Meine
freundt Mehrmals geschriben, 4 dann
es weicht vil ansehenlichs volks vom adel vnd burgern Auß dem landt, 5 Vnd seyhen vil Zwinglische vnd
widertauffer allenthalben Jm landt, 6 got
welle sein gnad verleyhen das nicht ein pluotbad darauff werd. 7 Doctor Schnepff vnd doctor plärer
predigen hefftig wider sie. 8 Aber
es hilfft nicht, wie wol es gelarter menner Zwen seyhen. |
2,1 Gnädigster Herr! 2 Ich weiß Eurer fürstlichen Gnade gar nichts Neues zu schreiben, 3 außer
dass ich im Laufe der Zeit einen Aufstand im Land Württemberg befürchte, wie
mir meine Freunde mehrmals geschrieben haben, 4 denn viele angesehene
Leute vom Adel und Bürgertum wandern aus; 5 es gibt auch überall viele
Zwinglianer und Wiedertäufer im Land. 6 Gott gebe seine Gnade, dass
daraus kein Blutbad entstehe! 7 Doktor Schnepf und Doktor Blarer
predigen heftig gegen sie; 8 aber es hilft nichts, obwohl es zwei
gelehrte Männer sind. |
3,1 Es hat vor acht tagen Magister philip melancton mir geschriben vnd
meinen Rat gebeten, wie Jchs vor gut ansehe, 2 Ob ich Jm rathe (dhweil der hertzog Jm geschriben) Ehr soll
sich j Jar oder ij hinauß wenden vnd die vniuersitet zu tibingen restituiern,
so lang bis sie Jn ein schwanck khomm. 3
Als dann wolle Ehr Jm wider erlauben, gen wittenberg zu Ziehen etc. 4 Aber magister philippus hat kein
lust darzu. 5 So will Jme auch der
Churfurst von sachßen nicht erleuben. |
3,1 Vor acht Tagen hat mir
Magister Philipp Melanchthon geschrieben und meinen Rat erbeten, ob es mir
gut erscheint, 2 ob ich ihm rate (weil der Herzog ihm geschrieben
hat), für ein oder zwei Jahre fortzugehen und die Universität Tübingen zu
restituieren, bis sie wieder in die Gänge kommt. 3 Danach wolle er ihm wieder erlauben, nach
Wittenberg zu ziehen. 4 Aber Magister Philippus hat keine Lust dazu, 5
außerdem will es ihm der Kurfürst von Sachsen nicht erlauben. |
4,1 Ytz aber vor iiij tagen ongefar Jst ehr hinauß zum Lantgraffen gen
Zapffenburg gezogen, wurt ongefar vor pureficationis Marie wider khomen. |
4,1 Jetzt aber ist er vor
etwa vier Tagen zum Landgrafen nach Zapfenburg hinausgezogen; er wird
ungefähr vor Mariae Reinigung <2. Februar> zurückkommen. |
5,1 Auß holstein haben wyr nicht andere Zeytung, Dan wie die sach
vertragen seyhe: 2 vnd ligen vil
Knecht Vnd buchßenmeister vnd des gesindes Jn lübeck, 3 Jst die sag, man woll Jn Nur halben sold geben. 4 So macht sich das sel gesinnichen
vnutz. 5 Vnd vermeinen Jhr etlich,
so widerkomen, es mocht bellum Jntestinum darauß werden. 6 Dann der boefel ist dem Rath vnd andern vornemen nicht seer
gut. |
5,1 Aus Holstein haben wir
nur die Nachricht, wie der Streit entschieden wurde. 2 Es liegen viele
Büchsenmeister und Gesinde in Lübeck; 3 man sagt, man wolle ihnen nur
den halben Sold geben. 4 So macht sich das sel gesinnichen vnutz. 5 Etliche
von denen, die zurückkehren, meinen, daraus entstehe ein Bürgerkrieg. 6 Denn der Pöbel ist dem Rat und den
andern Vornehmen schlecht gesonnen. |
6,1 Jch handel noch teglichs mit Doctorj Ambrosio des hinein ziehens
halben, 2 so enthelt Jn ein
megtlin, des apoteken dochter, die will man Jme freyhen. 3 Jch halt aber, ehr soll sich darein begeben vnd Jn Kurtzem
hinein Ziehen. |
6,1 Ich verhandle noch
täglich mit Doktor Ambrosius wegen seines Umzugs. 2 Aber ein Mädchen,
die Apotheken-Tochter, hält ihn fest; man will sie mit ihm verheiraten. 3
Ich denke aber, er wird sich fügen und bald umziehen. |
7,1 Die Materialien will Jch e f g bestelln, vnd was frischer, 2 Jch hab nicht Eher konnen darzu
thun <länger Einfügung am Rand; s. u.> 3 Die Mindelheimer soln auch gefalln. 4 Will es euch fürstlich gnaden Zuschicken. |
7,1 Die Materialien will
ich Eurer fürstlichen Gnade bestellen, und was frischer. 2 Ich habe es
nicht früher erledigen können. <s. u.> 3 Die Mindelheimer sollen
auch gefallen. 4 Ich will es Euch, fürstliche Gnade, zuschicken. |
8,1 Auch gnedigster furst vnd her bit Jch e f g gantz vnderthoniglich, 2 Dhweil vnd Jch Neben e f g vast der
erste bin, der zu diser heyrad geraten vnd vorschleg gethon, e f g wollen m
Jungen gnedigen hern schreiben, das mich sein f. g. nicht aufschließ, sonder
weiter Jn solchen geschefften brauchen, das Jch es genießen mage. 3 Jch will doch alle werbung der maßen latinisch anstellen, das es m g
h vnd e f g soll ein Eehr sein etc. |
8,1 Außerdem, gnädigster
Fürst und Herr, bitte ich untertänigst, 2 weil ich neben Eurer
fürstlichen Gnade fast der erste bin, der zu dieser Heirat geraten und dazu
Vorschläge gemacht hat, Eure fürstliche Gnade wollen meinem jungen gnädigen
Herrn schreiben, dass mich seine fürstliche Gnade nicht ausschließt, sondern
weiter in solchen Geschäften brauchen wolle, damit ich auch einen Vorteil
davon habe. 3 Ich will die ganze Werbung dermaßen lateinisch
anstellen, dass es für meinen gnädigen Herrn und Eure fürstliche Gnade eine
Ehre wird. |
9,1 Befhil mich e f g als Jren willigen diener. 2 Datum Berlin am tag Johanis euangelistes Anno etc xxxv. 3 E f G williger
vnd gantz gehorsamer diener Johan
Carion |
9,1 Ich empfehle mich Eurer fürstlichen Gnade als willigen Diener. 2 Gegeben zu Berlin am Tag des Evangelisten Johannes <27.
Dezember> 1535 3 Eurer fürstlichen Gnade williger und ganz gehorsamer Diener Johann Carion |
Nachtrag
auf dem linken Rand des ersten Blattes: |
|
10,1 Jch besorg, Jch muß sie e f g mit einem eignen boten schicken. 2 Man mag so vil darauff wenden. 3 Jch hab sie heut Dato von Nürnberg
bekommen, 4 e f g solln die in iij
wochen bekomen. |
10,1 Ich fürchte, ich muss sie Eurer fürstlichen
Gnade mit einem eigenen Boten schicken. 2
Man kann sich darum bemühen. 3 Ich
habe sie heutigen Datums von Nürnberg bekommen, 4 Eure fürstliche Gnade soll sie in drei Wochen bekommen. |
Auf einem –
anscheinend beigelegten - Zettel über dem rechten unteren Ende steht: |
|
11,1 Die Compaß seyhen noch nicht fertig. |
11,1 Die Kompasse sind noch nicht fertig. |
Quelle: Geheimes
Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz:
XX. HA, HBA, A4, K. 191 zu 1534(35)/12/27
Rot: unverständlicher Text
Die buchstaben- und zeilengetreue Abschrift befindet sich in meiner Sammlung der Briefe von und an Carion.
1,1
Durchleuchtigster Hochgeborner furst, gnedigster her. 2 Mein arme
dienst seyhen eurer furstlichen gnade zu allen zeyeten voran bereydt etc. |
1,1 Durchlauchtester, hochgeborener Fürst, gnädigster Herr! 2 Meine armen Dienste seien Eurer fürstlichen Gnade allzeit ständig
bereit. |
2,1 Gnedigster
furst vnd her.
2 Auff eurer
furstlichen gnaden alles bitten vnd begern will ich den selben, so vill mir
wissent, jn allen sachen nicht bergen etc. |
2,1 Gnädigster Fürst und Herr! 2 Auf alle Bitten und Wünsche Eurer fürstlichen Gnade hin will ich,
soweit ich Bescheid weiß, nichts verheimlichen. |
3,1 Das geschrey geht, der Keyser laß sich zu Rom kronen, wollen ouch,
nach dem vnd sich der frantzosich krieg endert, jn teutschen landen khomen. 2
Mann will sagen, den frantzosen soll der anfang berowehen haben. 3
Aber Thoma Lapj wurt jn khürtz bey eurer furstlichen gnade erscheinen. 4
Dem ich befolhen, muntlich so vil vorfolt, eurer furstlichen gnade
anzuzeigen. |
3,1 Es geht das Gerücht, der Kaiser lasse sich in Rom krönen und wolle
auch, nachdem sich der französische Krieg geändert hat, nach Deutschland
kommen. 2 Man möchte sagen, der Franzose habe den Anfang bereut. 3
Aber Thomas Lapi wird in Kürze bei Eurer fürstlichen Gnade vorsprechen. 4
Ihm habe ich befohlen, Eurer fürstlichen Gnade von den Vorfällen mündlich zu
berichten. |
4,1 Der graff von furstenberg hat etlich M knecht wollen jn franckreich
fueren. 2 Hat der pfaltzgraff nicht weit von weisenburg iij c
erschlagen, vnd ist der graff entkhomen, also, das der graff vnsicher vom
keiser vnd dem frantzosen ist. 3 Der frantzoß, als ehr gemustert hat,
hat ehr dem obersten hauptman ein ketten von 500 kronen geschenckt. 4
Darnach ein yden hauptman, feldweibel, doppelsolder etc. ein kheten von
achtzig kronen vnd den knechten zu einem tranckgolt 7000 kronen. 5 Ehr
hat ouch nicht mehr knecht dann 7000, one die Reysigen. |
4,1 Der Graf von Fürstenberg hat einige tausend Knechte nach Frankreich
führen wollen. 2 Der Pfalzgraf hat in der Nähe von Weißenburg 300
erschlagen, und der Graf ist entkommen, so dass der Graf vom Kaiser und dem
Franzosen bedroht ist. 3 Als der Franzose gemustert hat, hat er dem
obersten Hauptmann eine Kette von 500 Kronen geschenkt. 4 Danach
<bekam> ein jeder Hauptmann, Feldwebel, Doppelsöldner usw. eine Kette
von 80 Kronen und die Knechte ein Trinkgeld von 7000 Kronen. 5 Er hat
auch nur mehr 7000 Knechte, ohne die Soldaten. |
5,1 Der Lantgraff helt noch still. 2 Ehr ist auff den heutigen tag
bey dem hertzog von würtenberg zu aurach. 3 Die sach zwischen beyhern
vnd würtenberg ist vertragen, vnd die von Nürnberg haben sie vertragen. 4
Jst one des hertzogen von würtenberg schaden. 5 Die hertzogin von
würtenberg ist noch bey dem speten zu pegnitz am bodensehe. 6 Die knecht, so jm ober landt seyhen angenomen worden, hat vast
all der kheiser bekhomen. |
5,1 Der Landgraf hält noch still. 2 Er ist bis heute beim Herzog
von Württemberg in Aurach. 3 Die Sache zwischen Bayern und Württemberg
ist geschlichtet, die von Nürnberg haben sie geschlichtet. 4 Das ist
für den Herzog von Württemberg kein Schaden. 5 Die Herzogin von
Württemberg ist noch bei dem Späth in Bregenz am Bodensee. 6 Fast alle
Knechte, die im Oberland angeworben worden waren, hat der Kaiser erhalten. |
6,1 Wie aber
ich geschriben, das meine gnedige furstin jmerzu noch kranck seyhe, waß war,
vnd nach meines gnedigen hern schreiben an eure furstliche gnade fiel sie vil
harter ein, warde todlich kranck, 2 khurtz aber vmb Judica hat es sich
gebessert, vnd ytz, goth hab lob, hupsch vnd gesunt. 3 Jhre furstliche
gnade waren mit meinem gnedigen hern zu hall, da ich dann ouch waß, was jhre
furstliche gnade alzeit gesunt.
|
6,1 Wie ich wieder geschrieben habe, dass meine gnädige Fürstin immer
noch krank sei, war wahr, und nach dem Schreiben meines gnädigen Herrn an
Eure fürstliche Gnade wurde sie schwerer, sogar tödlich krank. 2 Um
Judica herum hat es sich gebessert, und jetzt ist sie, Gott sei gelobt!, hübsch und gesund. 3 Ihre fürstliche Gnade war
mit meinem gnädigen Herrn zu Halle, ich war auch dabei, da war ihre
fürstliche Gnade immer gesund. |
7,1 Wyr ander aber hatten ein solche marter wochen vnd ostern, das kheiner
nüchtern zu beth kont gen. 2 Hetten wyr alle tag gefast, wehr vns an
seel vnd leib nutzer vnd gesunder gewesen. |
7,1 Wir anderen aber hatten eine solche Marterwoche und Ostern, dass keiner nüchtern zu Bett gehen konnte. 2 Hätten
wir alle Tage gefastet, wäre das für Seele und Leib nützlicher und gesünder
gewesen. |
8,1 Mein gnediger her, der Churfurst, hat daz sacrament genomen wie von
alters. 2 Mochte noch leiden, das eure
furstliche gnade seiner furstlichen gnade ein Corection schriben, doch mich
nicht melden. 3 All seiner furstlichen gnaden synn vnd gemiet steen
ytz zum newen thum, pfafferey vnd ander Narrenwerck etc., glocken vnd
thurmpawhen. |
8,1 Mein gnädiger Herr, der Kurfürst, hat wie eh und je das Sakrament
genommen. 2 Ich hätte gerne, dass Eure fürstliche Gnade seiner
fürstlichen Gnade einen Hinweis gäbe, aber verraten Sie mich nicht. 3
Der ganze Sinn und das Gemüt seiner fürstlichen Gnade richtet
sich jetzt auf den neuen Dom, auf Pfafferei und anderes Narrenwerk usw., auf
Glocken und Turmbau. |
9,1 Mein genieß, der ist die weichsel hinab geflossen, mag wol sein, das
jhn ein welscher windt verworffen. 2 Zweifel ouch nicht, das der
welsch wint meiner gnedigen furstin hart entgegen seyhe vnd alle wolfart vnd
gesuntheit nicht gunnen. |
9,1 Mein Profit ist die Weichsel hinabgeschwommen, kann sein, dass ihn
ein welscher Wind verweht hat. 2 Ich zweifle auch nicht, dass der
welsche Wind meiner gnädigen Fürstin stark ins Gesicht bläst und ihr kein
Glück und keine Gesundheit gönnt. |
10,1 Konglicher majestat nativitet jn denmarck hab ich dem kong vbersant,
vnd khein Exemplar darvon. 2 Aber wie all sach mich ansehen, hat es
kheinen mangel. 3 Dann der 12. tag Augustj vnd darvor werden etwas
mitbringen. |
10,1 Die Nativität der königlichen Majestät von Dänemark habe ich dem
König zugesandt, ich habe keine Abschrift davon. 2 Aber wie es
ausschaut, geht es in Ordnung. 3 Denn der 12. August und die Tage
davor werden etwas mitbringen. |
11,1 Die beyde bruder vertragen sich plutvbel. 2 Es hat der
Cardinal von Mentz hart wol jn den vj tag darin gehandelt, zwischen jhnen
gern ein mittel getroffen, aber margraff [1] hat einen Denischen kopff, vnd jst hart icht [2]. 3 Es mangelt an meinem gnedigen hern dem
Churfursten gar nichtz. [1] + [2]:
Im Manuskript ist hier ein Loch im Papier. Dadurch ist bei [1] der Name nicht
lesbar; Voigt liest: "Hans". Bei [2] ist nur das Wortende
"...icht" lesbar; Voigt liest "erweicht". |
11,1 Die beiden Brüder vertragen sich miserabel. 2 Der Kardinal von
Mainz hat wohl sechs Tage intensiv mit ihnen verhandelt, hätte gerne einen
Kompromiss gefunden, aber der Markgraf hat einen dänischen Kopf und lässt
sich nur schwer erweichen. 3 Mein gnädiger Herr, der Kurfürst, lässt
es an nichts fehlen. |
12,1 Auch, gnedigster herr, will ich eurer furstlichen gnade nicht bergen,
das ich ytz auff Jubilate hinauß zeuch Jn das Landt zu würtenberg, jn mein
Heymat, vnd willens, alda ein monat oder i ½
zu verharren. 2 Von eurer furstlichen gnade etwas an den
hertzogen wolten werben lassen 3
mochten wyr die ein Credentz oder Jnstruction nachsenden, wolt ichs in der
aller besten form gehrn ausrichten, wie jch mich zu thun schuldig erkhen. 4
Man findet mich zu büethickheim oder aber zu stugkgart, ligt ij meil
voneinander etc. |
12,1 Gnädigster Herr, ich will Eurer fürstlichen Gnade auch nicht
verheimlichen, dass ich jetzt auf Jubilate in das Land zu Württemberg, in
meine Heimat, hinausziehe und vorhabe, dort einen oder zwei Monate zu
bleiben. 2 Besteht von Eurer fürstlichen Gnade ein Auftrag an den
Herzog? 3 Falls Sie mir eine
Beglaubigung oder Anweisung nachschicken wollten, werde ich es in der
allerbesten Form gerne ausrichten, bekenne auch, dass das meine Pflicht ist. 4
Man findet mich in Bietigheim oder aber in Stuttgart, das liegt zwei Meilen
voneinander. |
13,1 Sus ist
nichtz newes vorhanden, wolt es sus nicht bergen. 2 Will mich also eurer furstlichen gnade als meinem gnedigsten hernn
befolhen haben. 3 Vnd denen zu dienen, finden sie mich gantz willig jn
alwegen.
|
13,1 Ansonsten gibt es keine Neuigkeiten, ich würde es sonst sagen. 2
Ich möchte mich also Eurer fürstlichen Gnade als meinem gnädigsten Herrn
empfohlen haben. 3 Und Sie finden mich immer willig, Ihnen zu dienen. |
14,1 Datum Berlin
Anno 1536, 26 apprilis 2 Eurer
Furstlichen Gnade williger vnd gantz vndertheniger Diener Johann Carion Doctor |
14,1 Gegeben zu Berlin, am 26. April 1536. 2 Eurer fürstlichen Gnade williger und ganz untertäniger Diener, Johann Carion, Doktor |
Quelle: Geheimes
Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz:
XX. HA, HBA, A4, K. 194 zu 1536/4/26
Die buchstaben- und zeilengetreue Abschrift befindet sich in meiner Sammlung der Briefe von und an Carion.
D. Iacobo Milichio S. D. |
An Herrn Jakob Milichius Sei gegrüßt! |
1,1 De domesticis rebus nemo mihi praeter te
quidquam significavit. 2 Quare
officium tuum mihi gratissimum est. 3 In
conventu nihil fuit, quod homo Philosophus sine gemitu aspicere aut audire
posset. 4 Scripsi D. Ionae
rerum summas, sed coram exponam copiosius. 5 Petus hic
est, hortatus sum ut ad te scribat, et promisit. 6 Sed
est admodum tetricus. 7
Fuerunt hic Bomgartnerus, Ebnerus, Osiander, Vitus,
horum consuetudine maxime sum usus. 8
Ex Helvetiis nemo adest. 9 Grynaeus
literas amanter scriptas ad me dedit. 10 Mihi Herpes
fere totas manus ceu cortice circumdedit. 11 Haec colh fuerat mihi arthriticos dolores paritura, ut
animadverti ex signis non obscuris, nisi erupisset. 12 Augustana
causa, ut metuo, erit classicum belli. 13
Petiverunt a Canonicis Cives, ut Senatui iurarent, aut ex urbe discederent. 14 Ita illi discesserunt. 15 Pellitur e medio sapientia, vi geritur res. 16 Sed haec coram. 17 Bene
vale. 18
Postridie Calend. Mar. |
1,1 Über die inneren Angelegenheiten hat mir niemand etwas gesagt außer
Dir. 2 Deshalb ist mir Dein Dienst
hochwillkommen. 3 In der
Versammlung gab es nichts, was ein Philosoph ohne Stöhnen hätte sehen oder
hören können. 4 Dem Herrn Jonas
habe ich das Wichtigste geschrieben, aber mehr werde ich ihm mündlich
mitteilen. 5 Petus ist hier; ich habe ihm gesagt, er
solle Dir schreiben, er hat's versprochen. 6 Aber er ist ziemlich unzugänglich. 7 Hier waren: Baumgartner, Ebner, Osiander und Vitus, mit ihnen war
ich ständig zusammen. 8 Von den
Schweizern ist keiner hier. 9 Grynaeus
übergab mir einen für mich nett geschriebenen Brief.
10 An beiden Händen habe ich ein
Geschwür wie eine Rinde. 11 Diese
"Galle" hätte mir arthritische Beschwerden bereitet, wie ich an
ganz deutlichen Anzeichen sah, wenn sie nicht aufgegangen wäre. 12 Die Augsburger Sache, fürchte ich, wird Signal zum Krieg. 13 Die Bürger haben von den Kanonikern
verlangt, sie sollten auf den Senat schwören oder aus der Stadt verschwinden.
14 So haben sich jene verzogen. 15 Man vertreibt die Vernunft und
betreibt das Ding gewalttätig. 16
Darüber aber mündlich. 17 Leb
wohl! 18 Am 2. März <[1] M. dankt für Nachrichten über seine Familie. |
2,1 Saluta D. D. Augustinum et D. Crucigerum. |
2,1 Grüße Herrn Doktor Augustinus und Herrn Cruciger <[5] Grüße an Augustin [Schurff] und Cruciger. Tod
des [Johannes] Carion.> |
Corpus Reformatorum III, Sp. 295f., "No. 1536"
Corpus Reformatorum IX, Sp. 531 - 538, "No.
6513"
Rot markiert sind die Unterschiede in den beiden Fassungen.
Erstfassung |
Zweitfassung |
7,1 Carolus Magnus. |
<311> Von
Deudschen Keisarn. Carolus Magnus. |
7,1,1 Anno
Christi. 801 Jst Carolus Magnus zu
Rom am Christag zu Keisar gekrönet worden vom Bapst Leone tertio/ 2 Vnd
ist dieses der anfang des Keisarthumbs jnn <113-r> Deudsch
land/ 3 vnd hat Jtalia vnd Occident durch diese translatio widderumb
ein gewaltig haubt/ vnd ein mechtigen schutz vberkomen/ 4
Denn wiewol die Deudschen Keisar nicht alle gleich mechtig gewesen sind/ wie
jnn keinem Reich die Könige gleiche macht vnd glück gehabt haben/ so sind
doch fur vnd fur etliche Keisar seer mechtig gewesen/ 5
vnd haben Jtalia geredtet/ vnd viel grosser löblicher thaten gethan/ vnd
sachen gehandelt/ dadurch sie friede/ Regiment vnd Religion jnn Occident
erhalten haben/ 6
Vnd so man vnser Deudschen Keisar hendel erweget/ findet man/ das warlich
hohe weise Fürsten/ vnd nicht barbari gewesen sind/ vnd sind wol zu
vergleichen den löblichsten Römern/ als Augusto/ Traiano/ Adriano/
Constantino. 7
Dazu spüret man/ ja mehr erbarkeit jnn den vnsern/ denn jn den selbigen/ 8
Auch findet man das die vnsern furnemisten Keisar/ nicht aus eigenem ehrgeitz
odder eigenem nutz krieg angefangen haben/ sondern allein aus hoher not/ zu
rettung der Religion/ landen vnd leuten. |
Anno Christi. 801. Anno Mundi. 4745. Anno Romae. 1551. Jst Carolus Magnus zu Rom am Christag zu Keisar gekroenet
worden/ vom Bapst Leone tertio. Vnd ist dieses der anfang des Keisarthumbs
jnn Deudsch land/ |